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37. Einwände des Mannes. Der Zug seiner Gattin zur Hölle

(Am 13. Januar 1843 von 4 1/2 – 6 Uhr abends.)

[1.37.1] Seht, die Gesellschaft hat sich schon ganz verloren; aber unser Pärchen steht noch, nachsinnend, auf dem alten Platz. Sie fragt ihn soeben, sagend: Nun, mein vielgeliebter Gemahl, was sagst du jetzt dazu? – Er, sich ein wenig besinnend, spricht: Mein vielgeliebtes Weib, da ist auf keinen Fall viel zu sagen; entweder hat dieser Redner recht, so ist es dann ja entschieden, und es braucht da niemand viel mehr etwas darüber zu sprechen, – und hat er unrecht, so bleibt es bei meinem Grundsatz, da ist also auch nicht viel zu sprechen. Ob er aber recht oder unrecht hat, das lässt sich so geschwind nicht entscheiden, sondern solches muss erst meine eigene Erfahrung nach längerer Zeit entscheiden.

[1.37.2] Sie spricht: Aber lieber Mann, hältst du denn mich, dein getreues Weib, und diesen würdigen Mann für einen Lügner, wenn du seinen überzeugenden Worten nicht sogleich vollen Glauben leihen magst? Siehe, Menschen sind nur dort aufgelegt, zu lügen und einander zu täuschen, wo sie durch die Lüge einander Vorteile abjagen können. Sage mir aber nun hier: Welchen Vorteil sollte denn hier jemandem eine Lüge oder ein Betrug bringen? Denn hier gibt es weder etwas zu gewinnen, noch zu verlieren; nur das ist gewiss, dass eine Gesellschaft bezüglich der Sättigung des Magens allzeit schlechter daran ist, als ein einzelner in dieser endlosen Gegend herumirrender Mensch. Denn einer findet noch bald so viel genießbares Moos oder Gras, um sich nötigenfalls damit den Magen zu stopfen, wenn aber mehrere beisammen sind, so geht es ihnen sicher bei einem aufgefundenen Moosplätzchen schlechter denn einem einzelnen.

[1.37.3] Du sprichst zu mir, was ich dir damit sagen wolle? Mein allergeliebtester Gemahl! Nichts anderes, als das, dass weder ich noch dieser einsichtsvolle Mann dich auf dem vorteilhafteren Weg sicher nicht bereden würden, dass du von deinem alten Bibelglauben weichen sollst; denn wenn ich für mich, wie du für dich, wandle, so gewinnt ja jeder dadurch, weil er sich selbst auf diesem überaus kargen Boden allzeit leichter fortbringt, als so zwei oder mehrere beisammen sind. Wenn wir dich demnach hätten belügen und betrügen wollen, da hätten wir dich ja offenbar bei deinem Grundsatz belassen, und du wärst als ein Konsument deinem Grundsatz zufolge von uns gewichen. Wir aber haben dich durchaus nicht belügen und betrügen wollen, sondern haben dir die allerreinste Wahrheit gezeigt, von welcher sich auf der Erde freilich kein Sterblicher etwas träumen lässt, und schon am allerwenigsten ein solch Stockbiblianer und Stockchristianer, wie du bist. Was willst denn du dich demnach bedenken? Nehme daher doch Räson an und folge mir, deinem dich ewig liebenden Weib, wenigstens hier im Reich der nackten Wahrheit, wo ich um sechs Jahre Erfahrung vor dir habe, wenn du mich schon auf der Welt nicht hast hören wollen. Siehe, auf der Welt ist alles voll Betrug, weil ein jeder durch den Betrug etwas gewinnt oder wenigstens etwas zu gewinnen wähnt. Hier aber ist alles Gewinnens ein ewiges Ende, somit fallen auch alle Lüge und Betrug von selbst hinweg. Glaube es mir, mich fesselt nichts an dich als meine Liebe; diese ist noch der einzige Gewinn, den ich mit dir habe. Wenn aber du stets törichterweise deinen alten, nichtigen Grundsätzen treu verbleibst, so hebt solches auch diesen Gewinn für mich auf. Wir können sonach nur glücklich sein in der vollen Übereinstimmung unserer Erkenntnisse und unseres Gemütes. Und lässt sich diese Harmonie nicht herstellen, so muss ich dir offenbar gestehen, dass ich ohne dich ganz allein herumirrend glücklicher sein werde, denn an deiner hohlen Seite. Denn mehr zu deinem eigenen Vorteil vermag ich nun nicht hervorzubringen, außer dass ich dir noch hinzusage: Weil ich dich aufrichtig liebe und allzeit geliebt habe, so habe ich auch hier alles aufgeboten, um dir meine ewig angelobte Liebe und Treue zu beweisen. Du aber, der mich nie geliebt hat, bist bereit, aus Liebe zu deiner Torheit mich allzeit zu verlassen. Urteile nun, was du tun willst.

[1.37.4] Seht, der Mann fängt an, sich hinter den Ohren zu kratzen und spricht nach einer Weile zu seinem Weib: Mein geliebtes Weib! Siehe, ich habe aus deinen Worten entnommen, dass du mich wirklich liebst. Solches kann ich unmöglich in Abrede stellen; aber nur sehe ich nicht ein, wenn auf dieser finsteren Geisterwelt weder durch die Wahrheit noch durch die Lüge und den Betrug etwas zu gewinnen oder zu verlieren ist, warum du denn somit für nichts und wieder nichts mir eine gewisse Wahrheit aufbürden willst, mit der am Ende ebenso wenig zu gewinnen ist als mit meinem von dir und dem anderen gelehrten Mann bewiesenen Irrgrund. Ich meine darum, wenn deine Liebe zu mir fürwahr so intensiv ist, wie du mir sie soeben darstelltest, so kannst du mir ja ebenso gut folgen wie ich dir; – außer du hast schon irgendetwas Besseres auf deinem Wahrheitsweg gefunden, da will ich dir ja folgen, um mich dadurch von der besseren Realität deiner Wahrheit zu überzeugen. Ist aber solches nicht der Fall, so ist es ja einerlei, wohin wir gehen.

[1.37.5] Ich denke aber immer also: Wir haben auf der Welt wohl als Namenchristen gelebt, haben auch das Evangelium gelesen, aber im Grunde des Grundes nie danach gelebt, sondern wir lebten und handelten nach unserer Einsicht und nach unserem Vorteil; aber von einer werktätigen Ausübung der Lehre Christi war weder bei mir und noch viel weniger bei dir je die Rede.

[1.37.6] Siehe, in der Lehre heißt es: Liebe Gott über alles und deinen Nächsten wie dich selbst! – Haben wir solches je getan? Wenn ich mein Herz frage, so sagt es mir jetzt geistig, dass ihm die Liebe zu Gott völlig fremd geblieben ist. Du aber glaubtest nie an einen Gott; somit muss dein Herz von dieser wichtigen Liebe noch lediger sein denn das meinige.

[1.37.7] Ferner heißt es in dem Wort des Evangeliums: Wer mit Mir zum Leben eingehen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach! – Sage mir, mein liebes Weib, wann haben wir solches je getan auf der Welt? Ich habe nie ein Kreuz getragen und du noch viel weniger; unser ganzes Kreuz bestand in nichts als in lauter weltlichen Geldsorgen.

[1.37.8] Ferner heißt es im Evangelium, da der Herr zum reichen Jüngling spricht: Verkaufe alle deine Weltgüter, teile sie unter die Armen; du aber folge Mir nach, so wirst du das ewige Leben haben. – Was spricht aber der große Lehrer zum Jüngling oder vielmehr zu Seinen Aposteln, als sich dieser ob solcher Verkündigung weinend von dem Herrn entfernte? Siehe, die Worte waren überaus bedeutungsvoll, und wie es mir vorkommt, so genießen wir soeben den traurigen Sinn dieser Worte, welcher also lautete: Es ist leichter, dass ein Kamel gehe durch ein Nadelloch, denn ein Reicher in das Reich der Himmel!

[1.37.9] Wieder heißt es noch im Wort, dass der Herr viele Gäste zu einem Gastmahl laden ließ und die Geladenen nicht Zeit hatten, zu erscheinen vor lauter Weltgeschäften. – Siehe, sind wir nicht geladen worden wie oft und wie vielmal, und sind wir dieser Einladung gefolgt? Nun, mein geliebtes Weib, wenn wir uns nun in diesem Ort der äußersten Finsternis befinden, allda Heulen und Zähneklappern wohnt, von dem der Herr ebenfalls gesprochen hat, dass nämlich dergleichen Menschen wie wir in die äußerste Finsternis werden hinausgestoßen werden; – da können wir es uns nur selbst zuschreiben, dass es uns hier also ergeht, wie wir uns befinden.

[1.37.10] Dass hier kein Glaube an den Herrn anzutreffen ist, und deine venerable Gesellschaft ebenso wie du verneinend von Ihm gesprochen hat, da bin ich der Meinung, sie befindet sich aus demselben Grunde hier wie wir beide, und wenn uns allen die große Liebe und Erbarmung Christi nicht hilft, da bin ich überzeugt, dass uns alle Ewigkeiten, überfüllt von den melanchthonisch sein sollenden Wahrheiten, ganz entsetzlich wenig helfen werden.

[1.37.11] Übrigens aber, wenn du zufolge deiner gründlich gemeinten Wahrheit irgendetwas Besseres schon gefunden hast, so will ich dir, wie gesagt, ja dahin folgen, um dir dadurch zu zeigen, dass auch ich dich liebe und will dir nichts von meinen Grundsätzen also aufbürden, wie du mir deine vermeinte Wahrheit aufgebürdet hast.

[1.37.12] Das Weib spricht: Rede, was du willst, ich habe einmal recht. Ich kann dir zwar keine Versicherung geben, jetzt schon etwas Besseres gefunden zu haben; dessen ungeachtet aber bin ich der Meinung, wenn du mir folgen willst, dass wir in nicht gar zu langer Zeit einen Ort treffen möchten, allda es Licht in großer Menge geben dürfte. Denn siehe, also zu unserer rechten Seite bin ich einmal im Gefühl meiner inneren Wahrheit lange geradeaus gegangen und kam da endlich an einen ziemlich breiten Strom. Über dem Strom merkte ich ein mächtiges Gebirge und hinter dem Gebirge ging ein Licht herauf wie etwa das einer frühen Morgenröte. Könnte man nur irgend über den Strom gelangen, so bin ich überzeugt, dass man in eine lichtere Gegend kommen müsste, denn diese da ist.

[1.37.13] Der Mann spricht: Nun gut, ich will dir folgen; und so führe mich dahin. – Nun aber gehen auch wir; denn das müsst ihr bis zur Löse mit ansehen!

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