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Ein gläubiger Mann und seine weltliche Gattin

(Am 11. Januar 1843 von 4 1/2 – 7 1/4 Uhr abends.)

[1.35.1] Seht, nicht gar ferne vor uns werdet ihr ein Paar menschliche Wesen erschauen. Es sind ein Mann und ein Weib, und das zwar gerade in einer solchen Situation, die wir zu unserem Zweck recht gut verwenden können. Also gehen wir nur recht schnell darauf los, damit wir sie sogleich einholen. Ihr fragt, wie beschaffen das Verhältnis sei zwischen diesen beiden. – Ich sage euch: Für unseren Zweck könnte es nicht besser beschaffen sein als es ist. Es ist ein Verhältnis, wo das Weib nur sechs Jahre vor dem Mann gestorben ist. Der Mann hat viel getrauert um sie, hat aber im Verlaufe von ein paar Jahren sich so recht der Religion in die Arme geworfen, und also recht getreu gelebt seiner Erkenntnis zufolge. Nun aber ist er auch von der Erde abgerufen worden und kam vor ganz kurzer Zeit erst hier an. Dieses Präambulum [Vorspiel] ist vorderhand hinreichend; das Nähere sollt ihr im Geiste praktisch erfahren.

[1.35.2] Da wir bei dieser Gelegenheit, wie ihr seht, auch glücklich unser Pärchen eingeholt haben, so braucht ihr nichts als auf das Zweigespräch, welches soeben beginnen wird, Acht zu haben und ihr werdet daraus all das Notwendige entnehmen können. Nun hört! Sie beginnt soeben eine Frage an ihren Mann zu stellen und spricht:

[1.35.3] Mich freut es außerordentlich, dich nach längerer Zeit endlich einmal wieder zu erschauen, und glaube auch, dass uns hinfort kein Tod mehr trennen wird. Aber nun sage mir nur auch, so viel du mir sagen kannst, ob meine letzte Willensanordnung genau befolgt worden ist. Denn solches liegt mir außerordentlich am Herzen.

[1.35.4] Der Mann spricht: Mein über alles geliebtes Weib! Damit du ersehest, wie pünktlich deine letzte Willensanordnung beachtet ward, so sage ich dir nur so viel, dass ich selbst in meiner letzten Willensanordnung nichts anderes tat als das nur, dass ich deine Willensanordnung wieder von neuem bestätigte und somit in meiner letzten Willensanordnung mich genau an die deinige hielt bis auf einige unbedeutende Legate. Sonst aber ist unser gesamtes, von mir noch um mehrere Tausende vermehrtes Vermögen unseren Kindern eingeantwortet. Bist du damit zufrieden?

[1.35.5] Das Weib spricht: Mein stets geliebter Gemahl, bis auf die Legate ganz vollkommen! Sage mir daher: wie viel möchten diese betragen? Und wem sind sie vermacht worden? – Mein geliebtes Weib, spricht er, die gesamten Legate betragen nicht mehr als zweitausend Gulden, und diese sind in fünf Teile geteilt, und bis auf eins habe ich diese Legate vieren deiner Anverwandten vermacht; nur einen Teil musste ich ehrenhalber der Armenkasse vermachen. Ich hätte auch solches nicht getan, so du nicht manchmal schon bei deinen Lebzeiten dich geäußert hättest, solcher deiner Anverwandten zu gedenken. Was aber die Armen betrifft, da weißt du ja ohnehin, dass man schon fürs Erste der Welt wegen etwas tun muss, und dann aber auch um Gottes Willen etwas, da man doch ein Christ und kein Heide ist. Übrigens macht dieser Bettel von zweitausend Gulden gegen unser großes hinterlassenes Vermögen ja ohnedies nichts aus; denn wie ich es am Ende berechnet habe, bekommt jedes unserer sieben hinterlassenen Kinder eine runde Summe von einmalhundertfünfzigtausend Gulden. Dazu sind alle Kinder gehörig wirtschaftlich erzogen, und so kannst du ganz ruhig sein über dein hinterlassenes Vermögen also, wie ich es bin, und kannst nun an meiner Seite dich samt mir um ein anderes Vermögen umsehen, welches uns hier wenigstens in eine entsprechend glückliche Lage bringen kann, in welcher wir so bestehen möchten, wie wir zum wenigsten auf der Erde bestanden sind.

[1.35.6] Sie spricht: Ich will damit wohl zufrieden sein, wenn nur die Kinder also versorgt sind. Freilich, wohl hätte mit den zweitausend Gulden ein jedes Kind sogleich ein kleines Geld in den Händen gehabt und mit demselben vorderhand einen Anfang machen können, um nicht sogleich die Interessen des Hauptkapitals angreifen zu dürfen. Doch da es nun einmal so ist und wir an der Sache nichts mehr ändern können, so muss ich mich ja gleichwohl zufriedenstellen.

[1.35.7] Was du aber da sagst von einem anderen, hier brauchbaren Kapital, da bitte ich dich als deine dich stets treu liebende Gattin, dass du dich in dieser Beziehung ja aller albernen Gedanken entschlägst; denn sechs Jahre sind bereits verflossen, dass ich unter großer Angst und Bekümmernis in dieser finstersten und allerödesten Wüste herumirre, und alles, was ich hier, durch die entsetzlichste Hungersnot getrieben, Essbares finden konnte, ist eine Art Moos; und nicht selten ist auch wie ganz dürres Gras hier und da zu finden, mit welchem man sich am Ende den Magen anstopfen kann. Wärst du nicht gerade auf diesem Punkt zufälligerweise, von der Welt noch etwas schimmernd, angekommen, so hätten wir uns wohl in alle Ewigkeit schwerlich je getroffen.

[1.35.8] Er spricht: Aber mein geliebtes Weib, hast du denn durchaus gar keine Ahnung, aus welchem Grunde denn du auf diesen finsteren Ort gekommen bist? Ich meine, dass dich denn doch dein zu weltlicher Sinn hierhergebracht hat. [Du warst wohl eine sehr sparsame und in allen unseren weltlichen Verhältnissen sehr ehrsame Frau und warst sonst auch ein überaus gescheites Weib; nur die Lehren des wahren Christentums waren dir nicht selten ein Dorn im Auge.] Du hattest dich manchmal aber nicht zu vorteilhaft darüber ausgesprochen und hieltest dich mehr an die Weltklugheit und Weltphilosophie. Ich habe es dir aber gar oft gesagt, mein liebes Weib, wenn es jenseits ein Leben gibt, so glaube ich, wird man im selben mit aller Weltklugheit nicht auslangen; daher wäre es besser, sich an das Wort Gottes zu halten. Denn das Zeitliche währt nur kurz; so es aber ein Ewiges gibt, da werden wir mit unserer zeitlichen Klugheit, wie gesagt, gar übel fortkommen. Sieh, mein geliebtes Weib, das sind buchstäblich diejenigen Worte, welche ich gar oft zu dir im Vertrauen geredet habe, und wie ich mich jetzt zu meinem größten und bedauernswürdigsten Erstaunen überzeuge, ist es leider nur zu gewiss auf meine Worte gekommen. Daher meine ich nun, mein geliebtes Weib, dass es für uns die allerdringendste und allerletzte Zeit, wenn man sich hier so aussprechen kann, ist, dass wir uns aller weltlichen Rückgedanken gänzlich entschlagen und uns um Gnade und Erbarmen an unseren Herrn Jesus Christus wenden. Denn wenn uns der nicht hilft, so sind wir für ewig verloren, da ich solches in mir ganz gewiss weiß und empfinde, dass es außer Christus in der ganzen Unendlichkeit für uns keinen Gott und keinen Helfer mehr gibt. Hilft uns der, so ist uns geholfen; hilft uns der aber nicht, so sind wir für ewig rettungslos verloren! Jetzt wünschte ich, dass ich unser gesamtes Vermögen den Bettlern vermacht hätte, und dass dafür unsere Kinder zu Bettlern geworden wären; das hätte uns sicher mehr Segen gebracht als alle unsere weltkluge Sorge für die weltliche Versorgung unserer Kinder. Daher, mein geliebtes Weib, bleibt uns, wie gesagt, nun nichts mehr übrig, da wir unsere weltliche Torheit nicht mehr zu ändern vermögen, als dass wir uns allerernstlichst mit Ausschluss aller anderen Gedanken und Wünsche allein zu Christus hinwenden, damit Er unserer großen Torheit möchte gnädig und barmherzig sein und eben diese Torheit durch Seine unendliche Gnade und Erbarmung an unseren Kindern gutmachen!

[1.35.9] Das Weib spricht: Ich habe es mir ja immer gedacht, dass du deine religiös schwärmende Torheit auch auf diese Welt mitbringen wirst; was haben denn ich und du je Arges auf der Welt getan? Waren wir nicht allzeit gerecht gegen jedermann? Sind wir je jemandem etwas schuldig geblieben, oder haben wir je einem Dienstboten das Bedungene nicht gegeben? Wenn es irgendeinen Gott gäbe, oder nach deinem Sinne irgendeinen Christus, da wäre es ja doch die höchste Ungerechtigkeit, dass Er Menschen, wie wir sind, so belohnen sollte, wie wir die Belohnung vor uns erblicken. Oder welcher Gott könnte denn wohl einem Menschen nur im Geringsten verargen, so derselbe einer alten Sage, welche voll Unsinn und voll Lächerlichkeiten ist, keinen Glauben hat schenken können? Denn solches, glaube ich, kann doch ein Blinder begreifen, dass, so einem Gott am menschlichen Geschlechte etwas gelegen wäre, vorausgesetzt, dass es einen Gott gibt, so könnte sich der Mensch ja doch nichts Unbilligeres träumen, als dass dieser Gott sich nur einmal persönlich mit aller Wunderkraft ausgerüstet den Menschen genähert habe, und das nur den Menschen eines sehr kleinen Bezirks, während doch die ganze Erde bevölkert war.

[1.35.10] Sage mir darum, kann es Gott dann unbedingt verlangen, dass diejenigen Menschen und Völker, welche fürs Erste nicht auf demselben Bezirk gelebt haben und besonders fürs Zweite nicht gleichgiltig [gleichzeitig mit Ihm], es unbedingt annehmen sollen, dass Er es war, der diese Lehre gestiftet hat? Kann ihnen Gott verargen, wenn Er irgend ist und gerecht ist, dass sie solches nicht tun können? Oder können nicht die Menschen und Völker gegen Gott, so Er irgend Einer ist, dann auftreten und sagen: Wie willst Du ernten, wo Du nicht gesät hast? Willst Du über uns Gericht halten, so bist Du ein ungerechter Gott; willst Du aber ein gerechtes Gericht halten, da richte diejenigen, die Dich gesehen haben und denen Du gepredigt hast. Uns aber lass ungeschoren, denn wir haben Dich nie gesehen und haben uns von Deiner Wesenheit niemals überzeugen können. Das auf uns überkommene, Dein sein sollende Wort aber kann uns nie zu einem Richter werden, da es ebenso gut erdichtet wie wahr sein kann, und noch viel leichter erdichtet als wahr. Solange wir auf der Welt gelebt haben, haben wir nur die alte Natur gesehen, von Dir aber war nie eine Spur. Wir sind auf die Welt gekommen als reine Kinder der Naturkräfte. Die Menschen und Weltlehrer haben uns erst verständig gemacht. Durch unser ganzes Leben war von Dir keine Spur zu erspähen. Wie willst Du demnach mit uns rechten, indem Du uns nimmer einen Beweis zum Zeugnis Deines Daseins und Deiner Wesenheit geben wolltest?

[1.35.11] Siehe, mein lieber Mann, das ist doch so klar wie auf der Welt die Sonne am hellen Mittag. Du siehst aber solches nun nur noch nicht ein, weil du noch viel zu kurze Zeit hier bist. Wenn du aber so lange hier sein wirst wie ich, da wird dir solches selbst in dieser dichtesten Finsternis ganz vollkommen klar werden. Zum Beweis meiner Liebe und Treue zu dir sage ich dir noch hinzu, dass du allhier an meiner, dich stets über alles liebenden Gattin Seite, so lange und stark, als du nur immer willst, deinen sein sollenden Gott-Christus anrufen kannst, und ich stehe dir mit meiner Liebe und Treue gut, dass du nach mehrjährigem Rufen sicher zu der klaren Einsicht kommen wirst, dass ich, dein dich allzeit treu liebendes Weib, in meinem natürlichen Verstand heller sehe denn du mit all deiner sein sollenden Gottesgelehrtheit.

[1.35.12] Siehe, ein altes Sprichwort hat von der Bibel ausgesagt: O Bibel, o Bibel! Du bist den Menschen ein Übel! Und sieh, das Sprichwort hat recht. Besäßen die Menschen auf der Erde so viel Herz und Mut, diesen alten jüdischen Unsinn bei Butz und Stängel auszumerzen und an ihre Stelle die reine menschliche Vernunft zu setzen, so wäre die Welt in aller Kultur schon um viele hundert Jahre voraus. So aber muss noch immer, wer weiß aus was für Rücksichten, dieser alte Unsinn beibehalten werden, durch welchen nicht selten den allerbiedersten und rechtschaffensten Menschen die Hände zu einem freieren Wirken gebunden werden. Was ist die Folge? Denke nur in deiner sonstigen Klugheit nach; wo gibt es die größte Anzahl liederlicher, schlechter und armer Menschen? Sicher nirgend anderswo als gerade nur da, wo die Bibel und besonders die neue christliche Lehre wie oberhauptlich zu Hause ist. Gehe nach Rom, gehe nach Spanien, gehe nach England, und du wirst meine Aussage bestätigt finden.

[1.35.13] Die Menschen verlassen sich auf einen Gott, fangen an, in der guten Hoffnung auf Seine Hilfe zu faulenzen. Die Hilfe aber kommt nicht, so ist die natürliche Folge, dass dergleichen Menschen verarmen, und wenn sie schon durch die Bank gerade nicht zu schlechten Kerlen werden, so fallen sie aber doch den fleißigen und betriebsamen Menschen am Ende zur Last. Man schreit allenthalben und sagt: Gott ist allgütig, höchst liebevoll und überaus barmherzig, ließe aber dabei doch sicher einen jeden Bettler verhungern, wenn dieser nicht von seinen arbeitsamen Nebenmenschen versorgt würde.

[1.35.14] O sieh, mein lieber Gemahl, auf Rechnung ehrlich gesinnter, arbeitsamer und daher wohlhabender Menschen hat das müßige Pfaffentum leicht von einem allgütigen und barmherzigen Gott zu predigen. Streichen wir aber diese Menschen weg, so werden wir gar bald sehen, welch ein trauriges Ende alle solche Predigten nehmen werden. Wüssten diese schwarzen oder weißen Schreier auf der Welt, welch eine Bewandtnis es mit dem jenseitigen Leben hat, so würden sie sicher anders predigen, oder sie würden statt der leeren Predigten den erträglichen Pflug ergreifen. Es mag ja einen Gott geben als die Grundkraft, welche das ganze Universum leitet; aber sicher gibt es keinen Gott, wie ihn die jüdische Bibel lehrt.

[1.35.15] Er spricht: O mein geliebtes Weib, du bist auf einem ganz entsetzlichen Irrweg in deinen Gedanken; denn gerade also habe ich in berühmten gottesgelehrten Schriftstellern gelesen, dass rein höllische Geister eine dir ganz gleiche Sprache führen. Ich kann dir versichern, solches ist auch der vollgültige Grund, dass du dich in dieser ewigen Nacht hier befindest. Wahrlich wahr, mir wird ganz entsetzlich angst und bange um dich! Denn mit solchen Grundsätzen sehe ich dich unwiederbringlich für ewig verloren. Wenn du durchaus keine anderen Grundsätze in dir aufnehmen willst, so finde ich mich für äußerst notwendig gedrungen, dich für allzeit zu verlassen.

[1.35.16] Sie spricht: Solches wärst du imstande, mir, deinem getreuen, dich ewig liebenden Weib zu tun? Ich aber sage dir, dass ich solches nicht vermöchte, und wenn du wirklich in die Hölle solltest verdammt sein! Ich möchte dich im Feuer nicht verlassen, und du willst mich wegen einer sicher vernünftigen Rede verlassen? Es steht ja auch dir frei, mir deine Ansichten vernünftig darzustellen; aber nur ein Unsinn darf es nicht sein, denn in dem Falle liebe ich dich zu sehr, als dass ich dich auf Irrwege sollte geraten lassen. Folge mir aber, ich will dich auf einen anderen Ort führen, allda wir uns besser befinden werden als hier und du in einer größeren Gesellschaft erst füglicher erfahren wirst, wie man hier daran ist.

[1.35.17] Er spricht: Mein geliebtes Weib! Ich will dich ja nicht verlassen, denn dazu habe ich dich zu lieb, und will dir darum auch folgen, dahin du mich führen willst, weil ich sehe, dass du bei all deiner Unkenntnis in der wahren Religion aber dennoch stets gleichmäßig redlichen Herzens bist und bist noch immer mein gutes Weib, gegen das ich sonst nichts einzuwenden habe, als dass es nicht meiner Ansicht werden kann. Wenn du hernach irgendeine bessere Stelle dieses Reiches aller Finsternis kennst, so führe mich nur hin, und wir wollen da sehen, was sich allda alles wird machen lassen. Seht, sie ergreift seinen Arm und führt ihn weiter. Wir aber wollen diesem interessanten Paar folgen, um sonach fernere Zeugen des Erfolgs solch eines Verhältnisses zu sein. Sie gehen; also gehen wir auch ihnen nach!

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