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33. Erscheinlichkeiten einer Gesellschaft im geistigen Reich

(Am 9. Januar 1843 von 4 1/2 – 5 3/4 Uhr abends.)

[1.33.1] Wenn ihr eure Augen so recht anstrengen wollt, so werdet ihr mehr zur rechten Hand etwas wahrnehmen, das sich also artet wie etwa eine Staubwolke. Ihr bejaht, solches zu erschauen; es ist gut. Bewegen wir uns daher nur recht schnell gegen diese Staubwolke hin, und wir werden ihr bald näherkommen und sie beschauen in ihrer entfalteteren Gestalt. Ihr fragt: Was besagt denn hier eine solche Staubwolke? – Ich sage euch: Eben nicht gar zu viel; ihr werdet auf der Erde schon gar oft von den sogenannten Dunstmachern etwas gehört haben und seht, das ist eben ein entsprechendes Bild. Wie und auf welche Art werdet ihr euch in der Nähe dieses Phänomens gar bald überzeugen; daher nur noch einige Schritte, und wir sind bei dem Phänomen.

[1.33.2] Nun seht, hier sind wir schon; was erblickt ihr? Ihr sagt: Wir erblicken nun keine Staubwolke mehr, aber dafür eine reichzählige ganz verkümmerte Gesellschaft zwerghafter Menschen beiderlei Geschlechts. Und diese Zwergmenschen blähen sich gegeneinander auf, stellen sich auf die Zehenspitzen, und es will ein jeder größer sein denn der andere. Die Kleinsten nehmen sogar Sand in die Hand, werfen ihn über sich in die Höhe und scheinen dadurch den anderen anzudeuten, was sie für Riesen sind. Ihr habt recht bemerkt, denn so kommt ihre Sinnesart zur Erscheinlichkeit.

[1.33.3] Jetzt aber treten wir völlig zu ihnen hin, und es wird sich diese ganze Gesellschaft also gleich wieder anders gestalten. Nun seht, wir sind ihnen vollkommen auf der Ferse; was bemerkt ihr jetzt? Ihr sagt: Jetzt kommen sie uns etwas größer vor, blicken sich gegenseitig überaus zuvorkommend freundlich an und tun gegenseitig allenfalls also, wie da tun die sogenannten koketten Frauenspersonen in einer Gesellschaft. – Ihr habt wieder recht bemerkt; aber ihr fragt nun, worin das liege, dass man eine solche Gesellschaft von den verschiedenen Standpunkten auch allzeit verschieden erschaut. Das kommt daher, weil es auf der Welt auch so ist. In der vollkommenen Nähe getraut sich einem Mächtigen niemand die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, selbst die Mächtigen untereinander scheuen solches; daher macht sich alles gegenseitig den Hof.

[1.33.4] Wenn eine solche Gesellschaft auseinandergeht, so erhebt sich bei sich selbst ein jeder über den anderen und weiß schon eine Menge zu bemängeln, und so will demnach auch ein jeder sich über den anderen erheben; aber gar zu laut getraut sich noch niemand etwas Bestimmtes auszusprechen, sondern stellt nur ganz bescheiden Vergleichungen an. Nur bei sich selbst weiß er alles gewisserart vom höchsten Standpunkt aus zu beurteilen; und Solches bezeichnet das „Sand über sich werfen“, oder, mit anderen Worten gesagt: seinen Verstand über alle anderen erheben. In weiter Entfernung von solcher Gesellschaft, da wird alles mit den schärfsten Augen betrachtet; die ganze Gesellschaft wird als ein Unsinn erklärt und all ihre Gespräche und all ihr Tun und Lassen für nichts als ein leerer Dunst oder für eine leere Prahlerei angesehen.

[1.33.5] Wenn ihr nun diese zwei gegebenen Situationsverhältnisse einander gegenüberhaltet, so werdet ihr daraus sicher folgenden Schluss ziehen können: In der Ferne stellt sich der wahre Prospekt einer Sache dar; in der größeren Nähe geht der Totalprospekt schon mehr und mehr verloren, und dafür aber stellt sich mehr die Sonderlichkeit dar. In der vollsten Nähe ist von dem Hauptprospekt nicht das Geringste mehr zu entdecken; dafür aber tritt die Einzelheit desto bestimmter vor die Augen.

[1.33.6] Wer solches nicht wohl fassen möchte, den mache ich nur auf eine naturmäßige Erscheinung in der materiellen Welt aufmerksam. Wenn er sich beispielsweise ungefähr zehn Stunden von einem namhaften Gebirge entfernt befindet, so überschaut er dasselbe, und es liegt dann als ein bestimmtes Bild vor ihm. Nähert er sich dem Gebirge dann auf eine Stunde, so wird dasselbe gewisserart in seinen Verzweigungen auseinandergehen, und er wird nun eine Menge Vorberge und Gräben entdecken, welche in der Ferne mit dem Hauptberg nur eine Fläche auszumachen schienen. Steigt er aber nun völlig auf den Berg selbst, so geht es ihm wie einem, der den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht; denn da ist von der ersten Ansicht nahe keine Spur mehr zu entdecken. Ich meine, durch eine nur einigermaßen aufmerksame Betrachtung dieses Beispiels werden uns die drei verschiedenen Ansichten unserer Gesellschaft ganz vollkommen klar werden. Aber nun fragt ihr und sagt: Solches alles ist ja richtig; aber was hat es denn mit dieser Gesellschaft noch für eine oder die andere Bewandtnis? Wessen Geistes Kind ist sie? Wir können solches nicht aus dem Benehmen dieser Wesen ganz wohl herausbringen; denn ihr ganzes Tun und ihre ganze Sprache gleichen mehr einer Pantomime als irgendeiner Konversation, aus verständlichen Worten bestehend.

[1.33.7] Ich sage euch: Das ist ja eben sehr klar. Ihr müsstet wirklich noch sehr blind sein, wenn ihr solches nicht erraten solltet, wie das ist, woher und wohin. Seht, das ist eine Gesellschaft aus lauter großen, weltsüchtigen und eigennützigen sogenannten Staatsbeamten, welche ihr Amt nur zum eigenen Besten, aber nicht zum Besten des ganzen Staates und dessen Bürger verwalteten.

[1.33.8] Diese Menschen taten auf der Welt überaus höflich und freundschaftlich miteinander; es wusste aber dessen ungeachtet ein jeder auf eine ganz feine Weise sich vor dem anderen geltend zu machen. Keiner aber traute dem anderen und fand daher notwendig, ihn durch allerlei Schleichwege so zu halten, dass der andere nicht viel Geheimes haben konnte vor seinem Nachbar. Was ist aber solch eine eigennützige Freundschaft und ein solch fein beabsichtigtes Hofmachen anderes als eine freche Koketterie, welche an und für sich nichts anderes als eine Wurzel oder ein Same zur eigentlichen Hurerei ist. Denn also wirft auch eine habsüchtige und wollüstige Hure einem [Mann] freundliche und vielversprechende Blicke zu, um ihn in ihr Netz und dann von ihm etwas zu bekommen. So trägt auch ein Geier eine Schildkröte in die Höhe, um dann durch ihren Fall eine gute Fressbeute zu gewinnen.

[1.33.9] Solche Menschen nützen dann dem Allgemeinen gar wenig, und sie selbst sind dabei durch eine überwiegende List der anderen auch eben nicht am vorteilhaftesten daran. Ja, solche Menschen gleichen noch den Spielmenschen, die sich abends freundlich und brüderlich besuchen und voll Artigkeit gegeneinander sind. So sie sich aber zum Spieltisch setzen, da möchte sich keiner auch nur das Allergeringste daraus machen, wenn sein Mitspieler Haus und Hof an ihn verspielen möchte.

[1.33.10] Ihr sagt hier: Aber liebster Freund, das sind ja doch offenbar böse Menschen; wie kommen denn diese daher, da sie nicht verloren sind? – Ich sage euch: Ihr urteilt hier zu grell; möchtet ihr denn nicht einen Unterschied machen zwischen den gewalttätigen Dieben und den sogenannten armen Gelegenheitsdieben? Seht, das ist auch unsere Gesellschaft. Ihre Stellung in der Welt hat ihnen gewisserart ein staatlich politisches Recht eingeräumt, so zu handeln, und sie sind von sich auch vollkommen überzeugt, dass sie ihrem Beruf vollkommen gemäß gehandelt haben.

[1.33.11] Hier im Reich der Geister aber wird dem Menschen niemals eine Handlung als verdammlich angerechnet, so er dieselbe mit einem sein Gewissen nicht beunruhigenden Rechtsgefühl vollzogen hat, und dieses war auch bei diesen Menschen der Fall. Bei ihnen ist nichts eine volle Wirklichkeit, weder das Gute noch das Arge, sondern alles ist gewisserart nur eine politische, mehr oder weniger pfiffige Komödie. Aus diesem Grunde sind sie auch hier, damit in ihnen all das Nichtige und Falsche verzehrt werde. Wenn solches, freilich wohl mit äußerst langsamem Fortschritt, bewerkstelligt wird, so erst werden sie aus dieser Gegend ausgeboren und kommen dann in die Täler rechts im Hintergrund, allda wir unseren Stoiker haben kennengelernt.

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