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22. Abenteuerliche Wasserwanderung zur Vorgrenze des Kinderreiches

(Am 19. Dezember 1842 von 4 1/4 – 5 3/4 Uhr abends.)

[1.22.1] Ihr fragt: Lieber Freund und Bruder! Wie werden wir denn über diese ungeheure Meeresfläche kommen, indem da nirgends ein Boot oder ein Schiff zu entdecken ist, dessen wir uns bedienen könnten oder das uns aufnähme? – Ich aber sage euch: Dessen werden wir auch nicht vonnöten haben. Es kommt nun auf euch an, ob ihr über dieses Gewässer so wandeln wollt wie dereinst das israelitische Volk über das Rote Meer oder so, wie dereinst Petrus gewandelt ist mit dem Herrn auf der Oberfläche des Wassers. Beides kann stattfinden, und es wird geschehen, wie ihr wollt. Ihr sagt, dass ich solches bestimmen möchte, und anzeigen, welches wohl das Beste ist.

[1.22.2] Wenn es auf mich ankommt, so will ich lieber dem Herrn als dem Moses folgen. Und also versucht mit mir die Oberfläche des Wassers zu betreten und habt nicht die geringste Angst, denn wir werden über desselben Oberfläche leicht wandeln wie auf dem Land. Nun seht, wir stehen ja schon auf dem Wasser; wie kommt euch dieser Boden vor? Ihr sagt: Es ist überaus gut gehen darauf. Der Boden ist allenthalben, da wir hintreten, zwar sehr subtil, aber dabei dennoch wie federhart und lässt sich nicht eindrücken. Das Wasser ist sehr klar und scheint auch überaus tief zu sein. Aber es wandelt uns dennoch keine Furcht an, nachdem wir uns hinreichend überzeugen, dass es, um uns zu tragen, von einer hinreichenden Festigkeit ist.

[1.22.3] Solches ist richtig, meine lieben Freunde und Brüder, solang man noch knapp am Ufer steht und noch eine große Menge Gegenstände und festes Land um sich erblickt und des Wassers Oberfläche ganz spiegelruhig dasteht. Aber wenn man so recht in die weite Ferne hinausgekommen ist und die Oberfläche dieses Gewässers stets wogender wird, da muss man sich wohl ganz zusammennehmen, um nicht wasserscheu zu werden und dabei das Gleichgewicht zu verlieren. Jedoch so fest, wie das Wasser hier ist, so fest bleibt es allenthalben; und so denn versuchen wir, unsere Reise fortzusetzen. Haltet euch aber nur so recht fest an mich an und macht keine furchtsamen, sondern recht feste Tritte, denn mit zarten Tritten würdet ihr da nicht viel ausrichten. Denn wie ihr seht, ist die Oberfläche des Wassers überaus glitschglatt; und so man da die Füße nicht feststellt, kann man leichtlich ausgleiten und fallen, wo es einem dann auf diesem glatten Boden recht viele Mühe macht, sich wieder emporzurichten. Nun, wir sind fest bei Fuß, und wie ich sehe, so macht ihr recht gute Fortschritte.

[1.22.4] Also nur gerade vorwärts, bis wir diejenige Stelle erreichen werden, die dort am fernen Horizont ziemlich stark wogend erscheint. Und seht, es geht recht gut vorwärts; hier und da schwankt der Boden wohl zufolge der allgemeinen Bewegung des Meeres, allein wie ihr seht, so hindert solches unsere Tritte nicht im Geringsten.

[1.22.5] Aber was seht ihr so emsig hinab ins Wasser? Ist euch vielleicht etwas hineingefallen und sobald hinabgesunken in die Tiefe? Ihr sagt: Lieber Freund, mitnichten; wir sehen nur hinab, ob sich unter uns im Wasser nirgends Fische oder andere Wassertiere befinden. – Ich sage euch: Seid dessen unbesorgt, von Ungeheuern des Gewässers ist hier gar keine Rede, aber kleine edle Fischlein gibt es in zahlloser Menge. Ihr möchtet wohl gern einige sehen? Wenn ihr solches wollt, da müsst ihr euch ein wenig umkehren, da werdet ihr sie sogleich erblicken, wie sie vom Morgen her dem Abend zuziehen. Nun, ihr habt euch umgekehrt. Seht, welch eine ungeheure Menge schön glänzender Fische da aus der morgigen Gegend her dieses ganze ungeheure Gewässer belebt! Haben sie nicht eine Ähnlichkeit mit den Goldfischlein bei euch auf der Erde? – Ihr sagt: O ja, nur ist der Glanz bei weitem stärker.

[1.22.6] Ihr möchtet wohl gern erfahren, was diese Fischlein hier besagen? Diese Fischlein besagen das ausgehende Leben vom ewigen Morgen, welches dieses Element durch und durch belebt und sodann hinaustritt als ein freies Leben in alle die unendlichen Räume der ewigen Schöpfungen Gottes.

[1.22.7] Da wir aber jetzt schon einen kleinen Halt gemacht haben, so seht euch ein wenig um auf der Oberfläche dieses großen Gewässers. Nun, ihr erschreckt ja ganz und sagt: Um Gotteswillen, da scheint ja die ganze Unendlichkeit von diesem Gewässer erfüllt zu sein, denn nirgends ist ja mehr von einem Land etwas zu entdecken. Wie weit auch nur immer das Auge seine Sehkraft in die Ferne der Fernen hin anstrengt, erblickt es nichts als die wogende und reichlichst schimmernde Oberfläche eines unendlichen Meeres. – Ich aber sage euch: Macht euch nichts daraus und denkt euch, dass es uns bei all dieser ungeheuren Wasseroberfläche um uns her dennoch nicht so schlecht geht, als es dem Christoph Kolumbus gegangen ist mit seinen schlechten Fahrzeugen in der Mitte des Atlantischen Meeres, allda er gar ängstliche Blicke tat, um irgendein Land zu entdecken.

[1.22.8] Setzen wir aber unsere Reise nur vorwärts fort. Seht, wir sind den Wogen schon ziemlich nahegerückt. Wenn wir dahin gelangen werden, da müsst ihr euch wohl recht fest an mich halten, denn wir werden daselbst gar tiefe Wassertäler und Wasserberge zu passieren bekommen.

[1.22.9] Nun seht, immer deutlicher und deutlicher werden die Wogen. Jetzt haltet euch nur fest, denn ein paar Schritte noch nach unserer geistigen Bewegung und wir sind bei den Wogen. Nun seht, da ist schon der erste Wogenrand; seht, welch ein tiefes Wassertal, und wie sich da das Gewässer in dieses Tal hinab ergießt, und seht, wie dort ein Wasserberg in schäumender Wogenflut sich nahe bis an das Firmament hinauf zu erheben scheint.

[1.22.10] Ihr sagt: O lieber Freund und Bruder, da rüber zu kommen, wird wohl keine Möglichkeit sein! Denn hier sieht es ja erschrecklich aus. Dort schlagen ein paar himmelhohe Wogen übereinander zusammen. Da bildet sich eine Wasserkluft so tief, als wenn man von einem allerhöchsten Berg hinabschauen möchte in die schauerlichste Tiefe!

[1.22.11] Ich sage euch aber: Hier wird’s uns recht gut gehen, denn wie ihr da seht, fließt die Wasserschlucht schon wieder zusammen, da können wir jetzt unseren Weg gar nicht fortsetzen. Bis wir diesen vor uns schwebenden Wasserberg erreichen werden, wird er sich auch ebnen; und seht, er hat sich schon erniedrigt und wir haben nun wieder ebenen Weg. Aber seht, da ist schon wieder eine große Wasserschlucht; wildschäumend stürzen die feuchten Wände hinab in die Tiefe. Allein, gedulden wir uns nur ein wenig. Diese Schlucht soll sobald wieder zu ebenem Boden werden. Seht, die Wände haben sich schon wieder ergriffen, und wir können unseren Weg weiter fortsetzen. Aber dort wogt schon wieder ein ungeheurer Wasserberg gegen uns her, und hinter uns hat sich soeben wieder eine neue Wasserschlucht gebildet. – Ihr sagt: Dieser ungeheure Wasserberg wird uns wohl auch in die Schlucht hinabtreiben. – Sorgt euch nicht; der Berg wird die Schlucht nur ausfüllen, und wir werden wieder ebenen Weg bekommen.

[1.22.12] Nun seht, nach Ungewitter und Regen kommt Sonnenschein! Mit diesem Wogenberg haben wir auch die ganze Wogenpartie dieses Meeres überschritten, und wir haben schon wieder ruhiges Gewässer vor uns. Aber dort in weitester Ferne, wo ihr eine Menge Sterne erblickt über dem Wasser, kommt noch eine gefährliche Stelle, nämlich große Meereswirbel. Allein, sorgt euch auch nicht dieser Wirbel wegen, sie werden uns so wenig schaden wie diese Wogen. Nun seht, nach unserer vermehrten Schnellreise sind wir auch schon bei diesen Wirbeln. Hier müssen wir immer auf dem Rand der Wirbel vorwärtsgehen, so werden sie uns nichts anhaben. Erschreckt auch nicht vor dem donnerartigen Getöse dieser Wirbel und seht empor an das Firmament, wie wir schon unter den Sternen, die wir vor kurzem noch so ferne stehend erblickten, uns befinden. Und nun strengt eure Augen abermals nach vorwärts an! Was seht ihr?

[1.22.13] Ihr schreit: Land, Land! – Nun ja, also war dieses Meer denn doch nicht gar so unendlich, als ihr es euch noch vor gar kurzem vorgestellt habt. Seht, dort an einer Landzunge, die ziemlich weit in das Meer hereinreicht, abermals eine Säule. Ihr fragt, was sie bedeute? Wir werden sogleich dort sein, und ihr könnet die Inschrift selbst lesen. Nur noch ein paar Schritte, und seht, wir sind schon wieder am trockenen Land! Und seht, da ist auch schon die Säule!

[1.22.14] Was steht droben geschrieben? – „Vorgrenze des Kinderreiches.“ – Nun wisst ihr, wo wir uns befinden. Ihr sagt: Aber um des Herrn willen, das ist ja eine entsetzlich gebirgige Gegend! Sollten wir uns auch etwa noch tiefer hinein in dieses Gebirgsland begeben? – O ja, das ist eben die Hauptsache, warum wir hierher die weite Reise gemacht haben. Das müsst ihr sehen, denn hier erst wird sich euch des Abends wahre Bedeutung kundgeben. Fürs nächste Mal werden wir uns sonach in diese Gebirgsgegenden wagen. Und somit ruhen wir heute bei dieser Säule wieder aus.

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