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19. Geistige Gestaltung der Herrschsucht

(Am 15. Dezember 1842 4 1/4 – 6 1/4 Uhr abends.)

[1.19.1] Um dieses dritte Tal zu erreichen, werden wir wieder nichts zu tun haben, als uns über diesen freilich wohl etwas höheren Gebirgsrücken zu begeben. Ihr wollt, und seht, wir sind schon auf der Höhe. Da seht nur hinab, noch mehr gegen Abend, und das besagte nächste Dorf kann euren Blicken nicht entgehen.

[1.19.2] Ihr sagt und fragt: Lieber Freund und Bruder! Außer einigen plumpen Erdaufwürfen können wir nichts entdecken, das da einem Dorf gliche. – Ich sage euch aber: Ihr seht schon ohnehin recht; denn seht nur hinein, so weit ihr es vermögt, in den stets enger und finsterer werdenden Graben, und ihr werdet dergleichen Erdaufwürfe in großer Menge entdecken. – Ihr sagt: Da kann ja doch niemand darin wohnen unter was immer für einer Lastergestalt. – Ich aber sage euch: Lasst die Sache nur gut sein! Bis wir diese Erdaufwürfe erst vollends werden erreicht haben, wird sich die Sache sogleich anders gestalten. Und so ihr denn wollt, da begeben wir uns hinab.

[1.19.3] Nun seht, wir wären da, und zwar vor dem ersten Erdaufwurf. Was sagt ihr dazu? Ihr zuckt mit den Achseln; ich aber sage euch: Tretet nur ein wenig näher, aber nicht gar zu nahe, so werdet ihr sobald mit dem Achselzucken aufhören. Ihr fragt, warum ihr denn da nicht gar zu nahe hinzutreten dürftet zu solch einem ganz unschuldig scheinenden Erdaufwurf. Auch darüber werdet ihr bei der gerechten Annäherung sogleich den gehörigen Aufschluss bekommen; und so denn tretet ein wenig näher!

[1.19.4] Warum springt ihr denn gar so gewaltig zurück? Ich habe es euch ja gesagt, dass diese Erdaufwürfe nicht so leer sind, als sie dem Auge von einer Entfernung erscheinen. Ihr sagt jetzt: Aber um Gottes willen! Was ist solches? Wie wir uns nur um ein paar Schritte diesem Erdhaufen mehr genaht haben, da steckte sobald eine Anzahl der uns bekannten giftigsten Schlangen ihre Köpfe aus den kleinen unsichtbaren Löchern heraus und sperrten ihren giftigen Rachen auf. Und wahrhaftig, wenn wir nicht so schnell davongesprungen wären, so wären sie sicher auf uns losgestürzt und hätten uns einen tüchtigen Schaden zufügen können. Sind denn diese Erdhaufen lauter Schlangenwohnungen? Gibt es da nirgends etwas dem Menschen Ähnliches?

[1.19.5] Ich sage euch: Um solches zu erfahren, müssen wir diesen Erdhaufen von der nördlichen Seite betrachten, wo er aber freilich wohl am allergefährlichsten zugänglich ist. Daher müsst ihr hinter mir einhergehen und ganz verstohlen hinter meinem Rücken hervorblicken, und ihr werdet dann schon das Rechte erschauen. Also kommt! Seht, wir sind schon an der rechten Stelle. Nun merkt wohl, da zuunterst des Erdhaufens geht ein Loch in denselben, nach der Art eines Fuchsgeschleifes [Fuchsbau] bei euch; da seht recht genau hinein, und ihr werdet sobald etwas anderes erblicken. Wenn ihr aber etwas erschaut habt, und möge es von noch so entsetzlicher Art sein, da müsst ihr euch aber dennoch ganz still und ruhig verhalten, denn eine zu heftige Bewegung oder ein unzeitiges Angstgeschrei könnte die Folge haben, dass wir alle allerreichlichst die Flucht ergreifen müssten.

[1.19.6] Nun, habt ihr schon hineingesehen? Ihr bejaht es ganz dumpf; nun ist’s gut. Bevor wir die Sache ausmachen wollen, begeben wir uns nur so schnell als möglich so hübsch fern von dem Haufen. Denn in der Nähe ist nicht gut reden darüber, denn dieser Erdhaufen hat viele tausend Ohren ausgesteckt und ist auf der Lauer; daher kann man nur in einer gerechten Entfernung über sein Verhältnis sprechen. Erzählt mir nun, was ihr gesehen habt.

[1.19.7] Ihr sagt: O lieber Freund und Bruder! Schrecklich, überschrecklich, ja entsetzlich war der Anblick! Im Hintergrund sahen wir ein Wesen kauern, dieses hatte das Aussehen eines allerscheußlichsten und schrecklichsten Drachens. Dieser Drache hatte wohl einen menschenähnlichen Kopf, aber anstatt der Haare war eine unzählige Menge der giftigsten Schlangen zu sehen, welche sich nach allen Seiten herum krümmten und herumschauten mit ihren feurigen Augen, ob sich kein Raub oder keine Beute dieser schauerlichen Wohnung nahe.

[1.19.8] Mehr gegen den Vordergrund an den Wänden herum sahen wir dann wieder eine Menge elender menschlicher Gestalten, welche an Händen und Füßen mit Ketten geknebelt waren. Und eine Menge freier Schlangen kroch um dieselben herum, biss ihnen die Adern auf und saugte ihnen das Blut heraus. Das scheußliche Wesen im Hintergrund aber hatte in seiner rechten, mit einer Schlange umwundenen Hand ein glühendes Schwert und in der anderen Hand wie eine zusammengewundene Schriftrolle. Diese Rolle entblätterte nicht selten eine Schlange, die da umwunden war um seinen linken Arm, und züngelte in der entblätterten Schriftrolle herum, als wollte sie das im Hintergrund sitzende Ungeheuer auf etwas ganz besonders aufmerksam machen. Nach solchem Akt sahen wir, dass aus einem finsteren Hintergrund von einer Menge Schlangen sobald mehrere höchst unglücklich scheinende menschliche Wesen hervorgezogen wurden. Über diese schwang das im Hintergrund sitzende Ungeheuer alsbald sein glühendes Schwert, zerfleischte einige, und andere aber ließ es durch die Schlangen, die da Menschenarme hatten, wieder mit Ketten belegen und den anderen beigesellen. Solches haben wir gesehen, und nicht mehr und nicht weniger.

[1.19.9] Ich sage euch: Noch ums Unbegreifliche viel Ärgeres, als dieses Bild es bezeichnet, gibt es in eben dieser Hinsicht auf der Erde. Ratet aber nun einmal, was da unter diesem Bild für ein Laster steckt? Seht, dieses Bild entspricht der weltlich tyrannischen Herrschsuchtspolitik. Alles, was sich der Herrschsucht nähert, nähert sich auch dem Inwendigen nach ganz charakteristisch diesem Bild. Ihr dürft aber darunter nicht etwa die weise Staatsklugheit gerechter, von Gott gesalbter Regenten und Könige verstehen, welche natürlicherweise ihre Völker überwachen müssen, damit die Völker durch ihre gegenseitige große Bosheit sich nicht entweder allzu sehr verderben oder gänzlich zugrunde richten; sondern unter dem Bild wird nur diejenige höllische Verschmitztheit verstanden, so Menschen, was immer für eines Standes oder Ranges, sich auf dem Weg der schändlichsten Kriecherei suchen irgendeinen Herrschposten zu verschaffen; und haben sie sich irgendeinen solchen verschafft, so verschanzen sie sich sogleich mit einer nach außen scheinenden Demut, Unansehnlichkeit und vollster Anspruchslosigkeit. Aber diese ihre Wohnung ist voll lauschender Schlangen, welche da gleich sind den kriechenden, allerverschmitztesten geheimen Spionen, welche auf das Sorgfältigste nach außen herumblicken, ob sich nichts Gefährliches einer solchen anscheinenden Anspruchslosigkeit verderblich nahen möchte. Hat sich etwas genaht, so wird dasselbe sogleich ergriffen und durch ein verdecktes, geheimes Geschleif vor den anspruchslosen Inhaber dieser Wohnung gebracht. Dass es einer solchen Beute in solch einer anspruchslosen Wohnung nicht am besten ergeht, solches habt ihr in dem Bild gesehen. Die Schlangen auf dem Kopf statt der Haare bezeichnen das rastlose Streben nach noch stets größerer Gewalt. Das glühende Schwert in einer Hand, welche mit einer Schlange umwunden ist, bezeichnet eine erschlichene Herrscherstelle, d. h. irgendein Amt oder Fach, welches solch einen Herrschsüchtigen berechtigt, die ihm anvertraute Macht auszuüben. Dass das Schwert glühend ist, bezeichnet die unerbittliche Strenge oder das tyrannische Wesen. Dass die Hand mit einer Schlange umwunden ist, bezeichnet, dass solch ein Schwert mit großer Schlauheit gehandhabt wird. Die Rolle in der linken Hand, welche Hand ebenfalls mit einer Schlange umwunden ist, bedeutet die Verschmitztheit solch eines Herrschsüchtlers, in deren [dessen] Plan niemand hineinblicken darf als nur seine große Schlauheit.

[1.19.10] Dass ihr die Menschen habt mit Schlangen aus einem Hintergrund hervorschleppen gesehen, besagt, dass des Tyrannen vielfache Schlauheit sie gefangengenommen hat. Die großen Schlangen mit den Menschenarmen, welche den Gefangenen die Ketten anlegen, sind die gedungenen Helfershelfer des Tyrannen. Die Ketten aber bezeigen den vollkommenen Sklavenzustand derjenigen, die unter dem Schwerte einer [eines] solchen stehen.

[1.19.11] Nun hätten wir alles entziffert. Aber ihr sagt: Das Bild scheint zwar richtig, aber bei allem dem dennoch etwas stark aufgetragen zu sein. – Ich will euch nur auf einzelne Beispiele aufmerksam machen, deren die Erde besonders in eurer jetzigen Zeit in großer Fülle besitzt, und ihr werdet daraus gar leicht ersehen, ob dieses Bild zu viel sagt.

[1.19.12] Damit ihr aber nicht lange zu denken braucht, so mache ich euch fürs Erste auf alle die bösartigen Meuterer aufmerksam, welche zumeist von höherem Standpunkt ausgehend, sich nach der Durchführung ihrer bösen Pläne zu den größten Scheusalen der Menschheit aufgeworfen haben. Robespierre ist noch bei weitem nicht der Ärgste unter den zahllos vielen, welche die arme Menschheit der Erde vielfach leiblich und geistlich ins namenlose Unglück gestürzt haben. Und eben solche wahrhaft höllisch-satanische Politik von dergleichen Menschen wird unter diesem Bild nur oberflächlich gezeigt.

[1.19.13] Wenn es rätlich wäre, euch diese in den tiefer liegenden Erdaufwürfen zu zeigen, wahrlich, ihr könnt es mir glauben, schon bei dem nächsten Haufen wäre auch der Beherzteste aus euch nicht imstande, nur einen Buchstaben mehr auf das Papier zu bringen. Denn solches alles gehört der alleruntersten und somit auch bösartigsten Hölle an. Ihr habt von der Höhe hinabgesehen, welch eine große Menge solcher Erdaufwürfe diese schaudererregende Talschlucht in sich enthält. Darüber kann ich euch nur das sagen, dass es in einem jeden Erdaufwurf ums Zehntausendfache ärger zugeht als in einem vorhergehenden.

[1.19.14] Und solches ist genug. Denn ich muss es euch offen gestehen: Nur die allermächtigsten Engelsgeister, welche mit aller möglichen Kraft vom Herrn eigens dazu ausgerüstet werden, können unbeschädigt dieses Tal passieren; ich aber möchte mit euch nicht einmal bis zum dritten Erdaufwurf dringen. Denn solange solche Herrschsucht nur Weltliches im Auge führt, wie ihr es in diesem ersten Erdaufwurf gesehen habt, so lange ist es dem Geistigen bei gehöriger Vorsicht auch nicht schädlich. So aber, was schon beim zweiten Erdaufwurf ziemlich stark der Fall ist, diese Herrschsucht auch ins Geistige ihre Schlangenarme streckt, da muss sich auch schon ein jeder Geist gar streng in Acht nehmen, sich einem solchen Erdaufwurf ja nicht zu nahen! Und so denn wollen wir uns mit der Aussicht dieses Tales vollends zufriedenstellen. Für das nächste Mal aber will ich euch in dieser nördlichen Gegend auf eine sichere und günstige Anhöhe führen, von welcher aus wir einen allgemeinen Überblick über die mannigfachen Verhältnisse eben dieser nördlichen Gegend werfen wollen. Und somit gut für heute!

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