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178. Kisehels Reuegebet

Am 22. Dezember 1841

[1.178.1] Und also gingen sie hin, da die sieben auf ihren Angesichtern lagen. Als sie nun gar bald dort ankamen, da harrten sie nach dem Willen Abedams eine Zeit lang und behorchten den Kisehel, der da, auf der Erde liegend, folgendes betendes Selbstgespräch hielt, welches also lautete:

[1.178.2] „O ich überarmer, allerniedrigster Sünder! Was habe ich getan? Vor Gott habe ich mich gebrüstet mit meiner unendlich großen Torheit, die ich als eine folgerechte Weisheit anerkannte und förmlich an mir selbst anbetete!

[1.178.3] Seine Erbarmung zeigte mir nur ein Fünklein Seiner unendlichen Weisheit, welche einst Himmel und Erde geordnet hatte und mir elendestem Wurm voll Undankes und voll Ungehorsams selbst das so wunderbare Dasein gab, – und ich liege schon ohnmächtig im Staube!

[1.178.4] Was wäre aus mir wohl geworden, so Er mir noch mehr als ein Fünklein Seiner unendlichen, ewigen, unerforschlichen Weisheit gezeigt hätte?!

[1.178.5] Oh, wie wäre ich da so plötzlich zunichte geworden, als wäre von mir nie etwas dagewesen!

[1.178.6] Aber Seine unermessliche Güte, Seine unendliche Liebe, Seine unbegrenzte Erbarmung schonte meiner unaussprechlichen Frechheit. Statt mich nur zu würdigermaßen alsogleich mit der ewigen Vernichtung zu strafen, welche ich durch mein ganzes Leben für jeden Augenblick meines unwürdigsten Daseins hundertfach verdient habe, vergab Er mir meine unaussprechliche Schuld und beschied mich hierher, dass ich Ihn in mir suchen und erkennen soll und sodann wieder zu Ihm zurückkehren!

[1.178.7] Ich, der größte, unwürdigste Sünder soll zu Ihm zurückkehren?! O Erde, öffne dich lieber, und verschlinge mich ganz und gar! Denn wenn ich schon meinem Gefühl nach auch ganz zu Liebe für und zu Ihm geworden bin, – können aber Ewigkeiten meinen Frevel also vertilgen, als hätte ich nie gesündigt vor Ihm?

[1.178.8] O Du heiliger Vater besserer Kinder! Nein, nein, – solches kann, ja solches darf nicht geschehen; denn Du, guter Vater Du, Du bist ja heilig, überheilig! Wie sollte ich da noch einmal und noch gröber mich versündigen vor Dir?

[1.178.9] Es ist genug, ja für ewig genug, dass einmal ich vor Dir gesündigt habe, da ich blind war und Dich nicht erkennen vermochte! Welches Namens aber wäre diese Sünde, da ich Dich, o heiliger Vater, als ein bestaubter Wurm vor Dir nun erkannt habe, und ginge als wissentlicher Sünder vor Dein heiliges Angesicht hin?

[1.178.10] O des entsetzlichen Gedankens! Ich, ein Sünder vor Gott, – nein, nein, o heiliger Vater, Du bist ja zu übergut und wirst mich ärmsten Sünder doch nicht so überhart strafen wollen?

[1.178.11] Verdient zwar hätte ich die härteste Strafe wohl, – allein, wenn ich wieder bedenke, wie unaussprechlich ich Ihn nun liebe, dass ich sogar in jeglichem Haar Liebe empfinde, als wären tausend Herzen in ihm, die da wären voll Liebebrandes, so höbe das die von mir verdiente Strafe ja auf, da ich nur dadurch folgen möchte dem endlos mächtigen Zuge meines Herzens! Darum will ich hier beweinen meine große Torheit! Und habe ich schon meines Wissens nun der Erde nie genützt, so sollen doch nun meine Tränen befeuchten ihren Boden! Wer weiß, ob nicht irgendein dürstendes Graswürzlein sich daran erquicken möchte, – vielleicht aber auch sterben an der harten Träne eines großen Sünders?

[1.178.12] Ja, ja, du edleres Würzelchen, meine sündeheiße Reueträne hat nichts Segnendes in sich; denn sie entfließt dem Meer meines Frevels nur, darum sie dich wohl tötend ersticken möchte! Und so will ich denn auf den Sand, auf den dürren, heißen Sand will ich meine Tränen fließen lassen und nicht eher aufstehen, bis ich entweder keine Träne mehr habe oder der gerechte, heilige Gott und Vater möchte einen Boten zu mir senden, der mir überbrächte ein wohlverdientes Strafurteil!

[1.178.13] Ja, in der Strafe ewiger Verbannung werde ich mich besser befinden, in der Erde äußerstem Winkel zufriedener als hier an dieser heiligen Stätte, da zu sein ich mich zu unwürdig fühle!

[1.178.14] O du stille Einsamkeit, wo bist du zu treffen, dass ich dich finde und in dir, von keinem Zeugen meines großen Elends beobachtet und betrauert, meiner Sünde sterbe, ja für ewig ganz und gar sterbe!

[1.178.15] Ja, ja, jetzt erst habe ich das Rechte getroffen; meine Sünde kann vor Gott nichts sühnen als nur allein der Tod, das ewige Aufhören zu sein! Denn wenn der Täter zunichte geworden ist, da ist ja auch mit ihm zunichte geworden die Sünde. Und so hat für den, der nicht mehr ist, ja auch mit ihm alles aufgehört!

[1.178.16] Doch wenn es aber keine Vernichtung vor Gott möglicherweise gäbe, – was dann? Kann Gott je etwas vergessen?

[1.178.17] Was aber in der unzerstörbaren, ewigen Erinnerung Gottes fortbesteht, kann das je vergehen?

[1.178.18] Sind wir denn etwas anderes nun – als freie Darstellungen aus der immerwährenden Erinnerung Gottes vor Gott Selbst?!

[1.178.19] Wer aber wird sich selbst je können aus dieser ewig-mächtigen Erinnerung Gottes tilgen?!

[1.178.20] O Gott, Du großer, heiliger Vater! Jetzt erst sehe ich, wie gar nichts alle Menschen und alle Wesen vor Dir sind; nur Du allein bist alles in allem!

[1.178.21] Auch sehe ich jetzt ein, dass wir alle Menschen, Sünder und Gerechte, vor Dir nichts vermögen; Du allein bist alles in allem!

[1.178.22] Wer gerecht ist vor Dir, o heiliger Vater, was ist sein Verdienst dabei? Nichts, – sondern alles ist ja nur Deine große Erbarmung!

[1.178.23] Wer da ein Sünder ist vor Dir, was ist er? Ein erbärmliches Nichts vor Dir, darum er etwas sein wollte und nicht bedachte zuvor in sich, dass er nichts ist vor Dir!

[1.178.24] Was ist somit denn nun für ein Unterschied zwischen einem Sünder und einem Gerechten? Ja, jetzt sehe ich ihn klar vor mir: Der Sünder ist ein großer Tor, darum er wähnt und tut, als wäre er etwas vor Gott aus sich; der Gerechte aber erkennt sein Nichts, und das an ihm ist, ist pure Erbarmung Gottes, des heiligen Vaters.

[1.178.25] Solches ist das Licht des Gerechten; des Sünders Nacht aber ist sein großer Wahn!

[1.178.26] O großer, heiliger Vater, ich sehe nun nur zu klar, dass ich mich vor Dir ewig nirgends verbergen kann; denn Du bist ja überall alles in allem. Aber ich sehe auch, dass Deine Barmherzigkeit auch unendlich ist! O so zürne meiner nicht in Deiner Heiligkeit, sondern sei in Deiner unendlichen Vatermilde mir armem, blindem Sünder barmherzig und gnädig, und lasse, wann es Dir wohlgefällig sein wird, Deinen heiligen Willen über mich ergehen und mich, so es möglich wäre, nur als einen Allergeringsten sein unter denen, an die Deine Erbarmung erging! O Du heiliger Vater, Dein heiliger Wille geschehe! Amen.“

[1.178.27] Darauf verstummte er und weinte laut in die Erde, und seine Brüder weinten mit ihm.

[1.178.28] Es wurden aber auch der Sethlahem und alle übrigen samt dem Henoch also gerührt, dass sie alle mitzuweinen anfingen; denn die Rede Kisehels hatte allen ein ungeahntes großes Licht angezündet.

[1.178.29] Abedam aber gab ihnen zu verstehen, dass hier mehr sei denn zehntausend Opferaltäre im vollsten Brand.

[1.178.30] Der Sethlahem aber sagte im Herzen zu sich selbst: „O du armer Bruder! Ich allein bin schuldig an deiner großen Not! Hätte ich doch das voraus gewusst, da hätte ich mich von dir eher in Stücke zerreißen lassen wollen, als dir so etwas zu bereiten!

[1.178.31] O Abedam, Du herrlicher, liebevollster Vater! Erbarme Dich doch seiner!“

[1.178.32] Der Abedam aber entgegnete ihm: „Kümmere dich nicht deines Bruders, sondern, dass du wirst wie dein Bruder! Denn wahrlich sage Ich dir: So jemand nicht wird wie er, der wird gering bleiben vor ihm im Reich des ewigen Lebens dereinst!

[1.178.33] Verstehe es und kümmere dich des Lebendigen nicht mehr! Amen.“

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