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148. Der fremde Abedam bei den Vätern

Am 10. November 1841

[1.148.1] „Ja wahrhaft“, sagte Abedam, der bekannte, „da ist schon die eingestürzte Wand! Und siehe, wie es mir vorkommt, dort sind sie noch alle versammelt! Und wie es mir noch vorkommt, so hält eben der Henoch eine Abschiedsrede an die Mitternachtskinder; ja, ja, an den Jura, Ohorion und Bhusin hält er sie!

[1.148.2] Gehen wir nur recht hurtig darauf los! Vielleicht vernehmen wir auch noch ein paar Wörtlein, die auf uns passen können; daher nur hurtig!“

[1.148.3] Und der fremde Abedam entgegnete dem bekannten: „Hörst du, mein geliebter Freund, sage mir, wozu die Eile nötig ist, wenn man sich schon an Ort und Stelle befindet?

[1.148.4] Was des Henochs Worte betrifft, so werden uns die letzten nicht viel mehr nützen, so wir die ersten versäumt haben; oder was nützen einem Altar die Obersteine, wenn nicht zuvor die unteren Grundsteine gelegt wurden?

[1.148.5] Oder hast du je gesehen, dass der Tag im Abend beginnt, oder dass ein Baum zu wachsen anfängt bei den Wipfeln in der Luft und diese dann abwärts treiben möchten den Stamm und aus demselben erst dann die Wurzeln in die Erde?!

[1.148.6] Oder was wird es jemandem nützen, sich das Haupt zu bedecken mit einem Lappen, hat aber nichts, damit er auch bedecken möchte den übrigen Leib?!

[1.148.7] Siehe, daher meine ich, lassen wir den Henoch seine Rede zu Ende bringen und warten hier ein wenig, damit wir niemanden stören in der Aufmerksamkeit seines Herzens.“

[1.148.8] Und der Abedam, der bekannte, stellte sich vollkommen zufrieden und sagte zum Abedam, dem fremden: „Mein geliebtester Freund, ich glaube, mit deiner Weisheitsrede Macht, die dazu noch ist voll des lieblichsten Klanges, könntest du mich ins Feuer führen, und ich würde dir folgen in alle Tiefen der Meere und all der Gewässer der Erde!

[1.148.9] Wahrlich, mein geliebtester Freund, nicht nur allein deine Gestalt, sondern auch deine Rede hat eine außerordentlich starke Ähnlichkeit mit der des Vaters – du weißt schon, wen ich meine –; nur kommst du mir bedeutend stärker im Leibe vor, als da war der Vater. Denn die Gestalt des Vaters war doch bedeutend schwächer und kleiner aussehend, das heißt – du musst mich recht verstehen – der Person nach; aber natürlich kann hier nicht die Rede sein von der geistigen Gestalt des Vaters, welche da ist von unendlicher Macht und Stärke ewig.“

[1.148.10] Und der fremde Abedam erwiderte ihm: „Also solche Ähnlichkeit und Unähnlichkeit merkst du nun zwischen mir und dem Vater?!

[1.148.11] Ja, ja, du hast recht; also war es auch! Aber was meinst du, mein geliebter Freund, was die kleinere und schwächere Gestalt betrifft? Siehe, ich meinesteils bin der Meinung: Wenn, wie du es auch wissen wirst, dieser Vater Seinen Kindern etwas fremdgestaltig erschien, um ihnen dadurch anzuzeigen, wie ihr Herz beschaffen war, da könnte ja sehr leicht auch Seine damalige schwächlichere Gestalt mitbedeutend in Anspruch genommen werden?

[1.148.12] Und so Er etwa wiederkäme unerwartet zu Seinen Kindern, und ihre Herzen wären freier und liebestärker, was meinst du, möchte Sich etwa da der Vater nicht auch stärker zeigen denn jüngst, und könnte sich’s ja dann treffen, dass Er mir dann auf ein Haar gliche?

[1.148.13] Denn ich meine, dass des Vaters Gestalt hinsichtlich der Kinder sich allzeit richtet nach ihrer Herzen weniger oder mehr freien Liebe zu Ihm! Was meinst denn du in dieser Hinsicht?“

[1.148.14] Und der bekannte Abedam erwiderte, ganz außer sich vor lauter Verwunderung, dem Abedam, sagend: „O Freund! Ich muss dir offen gestehen, so geheimnisvoll auch früher deine Worte immer klangen, ebenso klar tönen sie jetzt!

[1.148.15] Siehe, um wie vieles weiser du schon wieder bist denn ich! Wahrlich dieser von dir höchst wichtig berührte Umstand wäre meinem Herzen so gut wie ganz rein durchgegangen!

[1.148.16] Ich muss dir schon im Voraus sagen, wie ich es so bei mir jetzt erwäge, so glaube ich, wenn dich der Adam, der Henoch und alle übrigen werden über irgendetwas reden hören, wahrlich, sie werden alle große Augen machen und ihre Ohren sehr stark spitzen! Denn nach meiner Beurteilung, wahrhaftig, wenn man dich reden hört, sollte man gerade glauben, dass du entweder von dem dir begegneten Vater durch und durch lebendig geweckt worden bist oder aber – du musst mich verstehen! – der Vater Selbst bist; verstehe, lieber Freund, dass ich solches nur vergleichsweise sage.

[1.148.17] Ja, wahrhaft, mit dir werde ich bei den Vätern sicher keine Schande aufheben!

[1.148.18] Ich für meinen Teil bin überglücklich und muss dir nun offen gestehen, wenn ich nun meine Liebe frage: ‚Wen liebst du mehr, – den Vater oder diesen Freund?‘, so antwortet sie mir: ‚Ich habe alles, was ich habe, vom Vater zwar, – aber das, was ich gebe dem Vater und diesem Freund, ist vollends gleich, und es ist dazwischen kein Unterschied!‘

[1.148.19] O Adam, o Henoch, o ihr alle übrigen Lebendigen, ihr werdet euch gar sonderbar wundern über diese Weisheit!

[1.148.20] Nun, mein allergeliebtester Freund, siehe, der Henoch hat sich gegen den Altar und gegen die Väter geneigt; seine Rede ist zu Ende! So du willst, möchte ich dich wohl aufführen!“

[1.148.21] Und Abedam, der fremde, entgegnete: „Höre, Abedam, gehe zuvor hin und sage mich an; dann erst komme zurück, bringe mir gute Botschaft, und dann führe mich auf bei all den Vätern! Amen.“

[1.148.22] Und der Abedam ging sogleich hin zu den Vätern und berichtete ihnen alles, was ihm in dieser kurzen Zeit, seit er die Stätte verließ, begegnet war, worüber alle sehr überrascht waren, selbst der Henoch nicht ausgenommen, so zwar, dass er ihn sogleich fragte: „Geliebter Abedam, Bruder in Gott Emanuel Abba! Sage mir kurz nur, wie wirkten seine Worte auf dein Herz?“

[1.148.23] Und der Abedam erwiderte ihm: „Bruder Henoch, wahrlich wahr, wie ich schon bekannt hatte, ich für mich fand nicht den allergeringsten Unterschied zwischen ihm und Emanuel!

[1.148.24] Kurz, ich sage dir, der du mich doch vorher bei meinem Abschied von hier als einen Geweckten begrüßtest, meine Gewecktheit war gegen seine unbegreiflich klare und hohe, ja höchste Weisheit die barste Blindheit, Dummheit und alles Nichtige, was du nur immer nutzloses Törichtes aus ihr hervorbringen könntest!

[1.148.25] Darum sage ich dir, geliebter Bruder Henoch, freue dich von ganzem Herzen auf ihn; denn sicher wird er auch dir sehr viel Freude machen!

[1.148.26] Jetzt aber ist es Zeit, ihn zu holen und ihn euch aufzuführen!“ Der Henoch aber fragte den Abedam noch, ob er nicht auch dem Fremden entgegengehen dürfe.

[1.148.27] Und der Abedam gestattete ihm solches von ganzem Herzen gerne. Und so waren beide bald bei dem fremden Abedam willkommen angelangt.

[1.148.28] Und Abedam, der fremde, fragte alsbald den Henoch: „Geliebtester Henoch, siehe es ist Abend geworden! Ihr seid von der so überaus geheiligten Stätte auf dem Rückweg begriffen; dürfte ich und mein Namensgefährte denn nicht mit euch auf die Höhe ziehen, bei euch übernachten und dann morgen mit euch den Sabbat des Herrn feiern? Denn siehe, wie ich erfahren habe, was alles sich hier zugetragen hat, so ist in mir eine große Sehnsucht erwacht, die geweckten, lebendigen Kinder des großen, heiligen Vaters zu sehen und dann aus ihren lebendigen Herzen auch zu vernehmen lebendige Worte!“

[1.148.29] Und der Henoch erwiderte: „O Freund und mein neuer, noch unbekannter Bruder! Für Gäste deiner Art haben wir in der Höhe Wohnungen in großer Menge. Nicht nur für heute und morgen, sondern für alle Zeiten der Zeiten und Ewigkeiten der Ewigkeiten sollst du in unserer Mitte wohnen!

[1.148.30] Freunde des Vaters sind auch die unsrigen; und die Er zu uns beschieden, sollen bei uns wohnen ewig. So es euch aber wohlgefällig wäre – es ist an der Zeit! – da folgt mir! Euer Wille! Amen.“

[1.148.31] Und sie gingen von dannen. Als sie nun vollends zu den übrigen Vätern gelangten, so bewillkommten sie diese, und alle drängten sich um die zwei Abedame. Der Adam aber kehrte sich um, da der Abedam hinter ihm herging, und fragte den fremden Abedam:

[1.148.32] „Lieber, willkommener Freund und Gast unserer Liebe! Da du, wie uns dein Namensgefährte früher kundgab, gerade vom Morgen herkommst, sage mir doch, so es dir gefällt, was dort die Kinder machen, und, so du es willst, wer dein gewiss würdiger Vater ist und in welcher Linie von mir abstammend!“

[1.148.33] Bei dieser Frage Adams winkte der bekannte Abedam alsbald dem Henoch, sagend: „Geliebtester Bruder Henoch, jetzt spitze dein Ohr und Herz!“

[1.148.34] Und der Henoch dankte ihm für diese Erinnerung. Der Fremde aber entgegnete dem Adam: „Höre, Adam, was deine erste Frage betrifft, so hast du sie schon in deiner Frage selbst beantwortet; und so du auch zu den Geweckten gehörst, muss es dir ja mehr denn sonnenhell sein, darum du Mich fragtest! Oder sollte dir etwa nicht klar sein, welche Kinder da Kinder des Morgens genannt werden?

[1.148.35] Wenn das der Fall ist, dann freilich entschuldigt das deine – erlaube mir, Vater Adam, – deine außerordentlich seicht gefasste Frage, und es kann dir darauf nur eine gleich seichte Antwort gegeben werden, und zwar die, dass deine Morgenkinder allesamt frisch sind und gesund und viele freuen sich auf den morgigen Tag.

[1.148.36] Was aber deine zweite Frage betrifft, so gleicht sie einem Fangstrick. Aber siehe, mich wirst du nicht so leichtlich fangen; ich sage dir, eher fängst du einen fliegenden Aar in hoher Luft denn mich! Wohl aber dir, dieweil die Liebe solche Frage gab; ohne die hätte dich nun eine harte Antwort getroffen!

[1.148.37] So ich dich aber um solches fragen möchte, was würdest du mir darauf für eine Antwort geben?

[1.148.38] Siehe aber, als Geweckter sollte dir ja doch klar sein, ob ich einen Vater habe oder nicht; oder schläfst du noch?“

[1.148.39] Und der Adam verwunderte sich überhoch über diese Antwort bei sich und getraute sich den Fremden nicht mehr zu fragen um irgendetwas.

[1.148.40] Der Henoch aber sagte zum bekannten Abedam: „Aber lieber Bruder! Hast du denn wirklich deinen Namensträger noch nicht erkannt?“

[1.148.41] Und der Abedam antwortete mit einem verblüfften Nein. – Der Henoch aber sagte: „Wahrlich, nichts im Menschen bleibt so lange unverständig wie das Herz. O Herr, habe Geduld mit uns Schwachen! Amen. Abedam, ich meine, die Geweckten schlafen noch alle! Verstehst du es?“

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