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147. Abedams Gespräch mit dem fremden Abedam

Am 9. November 1841

[1.147.1] Als aber der Abedam solches aus dem Munde des Fremden vernommen hatte, fing er an, sich ganz gewaltig zu verwundern, und sagte:

[1.147.2] „Aber mein hochschätzbarer Abedam, das ist ja eben die Geschichte der Kinder der Höhe, die da sind unsere Hauptstammväter!

[1.147.3] Der Vater heißt Emanuel Abba und Jehova Gott der Allerhöchste, heilig, überheilig!

[1.147.4] Sage mir doch, so du willst: Wo ist dir dieser heilige Vater begegnet, und wie sah Er aus, und wohin zog Er von dir weg?

[1.147.5] O sage es, ich bitte dich darum! Denn siehe, ich war vom Abend her Augen- und Ohrenzeuge von allem, was da geschehen ist, und hatte noch dazu die unaussprechliche, höchste Gnade, als der Allerunwürdigste beständig an Seiner heiligen Seite zu wandeln.

[1.147.6] O Freund Abedam, welche Seligkeit ich armer Sünder da empfunden habe, könnte dir der höchste Engel auch mit der allerglühendsten Zunge nicht im Geringsten beschreiben!

[1.147.7] Ja, ich kann dir nur so viel sagen, dass ich in dieser kurzen Zeitperiode vielleicht mehr der allererhabensten Seligkeit empfand als der höchste Engelsgeist in einer Ewigkeit!“

[1.147.8] Und der Fremde fragte ihn: „Was machte dich denn eigentlich gar so selig, dass du darob die Seligkeit der hohen, freien Engel als fast gar nichts dagegen betrachtest?“

[1.147.9] Und der Abedam entgegnete: „O mein geliebter Namensgefährte, siehe, da bin ich ein ganz eigener Mensch schon von jeher gewesen, und dieser Sonderbarkeit wegen macht mich gerade das am allerseligsten, was vielleicht viele Tausende betrüben möchte! Und diese sonderbare Eigenschaft besteht darin, dass ich mich dann am allerseligsten fühle, so ich neben jemandem bin, bei dem ich stets mehr und mehr mein vollkommenes Nichts und sein Alles so recht vom Grunde meines Herzens aus empfinde, daher ich auch keinen Menschen unter mir, sondern allzeit so viel nur möglich über mir erblicken will. Und so ist mein Wahlspruch: ‚Selig ist die Niedrigkeit des Herzens, und die ohnmächtige Schwäche ist des Wurmes größter Reichtum!‘

[1.147.10] Denn wäre der Wurm stark in voller Lebensfülle, wie müsste es ihn schmerzen, so er getreten wird! Aber seine Schwäche und beständige Ohnmacht seines Lebens macht ihm das uns schmerzlich vorkommt, vielleicht zur höchsten Wonne seines Lebens.

[1.147.11] Zwar bin ich keiner, der die Natur der Würmer kennt gleich Dem, der sie erschuf; allein mir kommt es also vor, dieweil ich gerade im Druck von allen Seiten am allerglücklichsten bin.

[1.147.12] Aber nun, mein geliebter Namensgefährte, bitte ich dich um gefällige Beantwortung meiner vorigen drei Fragen, so du es willst! Amen.“

[1.147.13] Und der fremde Abedam entgegnete ihm: „Siehe, mein geliebter Abedam, die Sache so recht beim Licht betrachtet, sage mir, was können dir nun die drei gelösten Fragen mehr nützen?

[1.147.14] Siehe, mein Grundsatz und Wahlspruch aber ist der: ‚Kannst du mit einem Wort deinem Bruder keinen Nutzen schaffen, da lasse bleiben die Zunge in ihrer Ruhe, und rühre sie erst dann, wenn du dadurch nützlich werden kannst deinem Bruder!‘

[1.147.15] Siehe, zufolge dieses meines Grundsatzes möchte ich dir die Antwort wohl schuldig bleiben! Bist du damit zufrieden?“

[1.147.16] Und der Abedam entgegnete Ihm: „Ja, mein geliebter Freund Abedam, einerseits bin ich es, dieweil ich daraus erkenne, dass dein Wille den meinigen unterjocht, und solches tut mir wohl; aber auf der anderen Seite, da ich diesen also dir und mir wohlbekannten heiligen Vater nun über alles liebe, so ist mein Herz mit größter Sehnsucht erfüllt, beständig bei Ihm zu sein oder doch wenigstens beständig von Ihm zu sprechen, Ihn zu lieben, zu loben und über alles zu preisen und als den Allerheiligsten anzubeten und also auch, wie bei der jetzigen Gelegenheit, sich von jemand allerlei von Ihm berichten zu lassen. Und siehe, dieser meiner höchsten und allerlebendigsten Herzenssehnsucht zufolge bin ich wieder nicht zufrieden, dass du mir keine Antwort geben willst über das, was ich dich fragte! Deinem Grundsatz zufolge kannst du solches schon ohn’ alles Bedenken tun; denn unmöglich wirst du dadurch schaden meinem Herzen, sondern nur unendlich nützen. Oder ist nicht jede Handlung und jedes Wort an unsere Brüder dann nur von größtem Nutzen, so wir gearbeitet haben für ihre Herzen und geredet zu ihren Herzen?

[1.147.17] Siehe, ist solches nicht auch richtig und ist gleichlautend mit deinem wahrhaft erhaben schönsten Grundsatz?

[1.147.18] Daher, so du es willst, kannst du mir ja wohl lösen meine Fragen!“

[1.147.19] Und Abedam, der fremde, sagte darauf zum Abedam, dem bekannten: „Höre, Abedam, deiner Rede Sinn gefällt mir also wohl, dass ich nun nicht umhin kann, fürs Erste dir zu lösen deine Frage und dann dir noch etwas und noch wieder etwas kundzugeben. Und so höre denn:

[1.147.20] Dieser also dir wohlbekannte Vater ist mir gerade dort begegnet, wo wir beide früher uns begegneten. Dann, was Sein Aussehen betrifft, kannst du mir glauben, sah Er mir fast so, wie unsere Namen gegenseitig sich gleichen, auf ein Haar ähnlich; und aus dem Grunde hatte Er auch mit dir große Ähnlichkeit.

[1.147.21] Wohin Er aber ging, kann ich dir jetzt nicht genau sagen; nur so viel ist gewiss, dass Er nicht von Seinen Kindern, sondern auf einem kleinen Umweg nur wieder zu Seinen Kindern ging.

[1.147.22] Siehe, jetzt hast du alles zur Löse deiner Frage; aber jetzt kommt das ‚Noch etwas‘, und dieses ‚Noch etwas‘ liegt wieder in meiner Gegenfrage.

[1.147.23] Siehe, da du ein Geweckter bist und hast den Vater so lange geschaut, so wundert es mich, wie du diese Ähnlichkeit zwischen mir, dir und Ihm nicht auf den ersten Blick ersehen mochtest!

[1.147.24] Und jetzt aber kommt das ‚Noch wieder etwas‘, – und dieses wieder in einer Frage. Siehe, dein Grundsatz ist auch sonderbarerweise der meinige, und der Vergleich mit dem Wurm ist schon lange auf meinem Grunde gewachsen! Sage mir nun, ob wir füreinander taugen?

[1.147.25] Aber eines bedenke! Ist es, so jemand will der eigenen Seligkeit zuliebe der Geringste sein, nicht eben dasselbe im Geheimen, als wenn jemand aus demselben Grunde sein möchte der Höchste unter allen seinen Brüdern?

[1.147.26] Siehe, diese Sache kümmert mich bei dir! So du also willst, kannst du mir ja wohl lösen diesen Knoten!“

[1.147.27] Und der bekannte Abedam wusste nicht, was er da seinem Namensgefährten für eine Antwort geben sollte, und bat Ihn, sagend:

[1.147.28] „Geliebter Freund Abedam, dass du ein Sohn bist des Morgens, siehe, das verrät deine wahrhaft unbegreiflich hohe Weisheit! Gerne möchte ich dir deine Fragen lösen, wenn es mir möglich wäre; aber ich kann nicht einmal deine sonderbaren Antworten auf meine Fragen begreifen und sie so recht in mein Herz bringen.

[1.147.29] Was nun vollends deine Fragen betrifft, da wirst du schon müssen auf die Antwort Verzicht leisten; denn ich sehe jetzt erst so ganz recht ein, wie ganz abscheulich dumm ich noch bin.

[1.147.30] Ja, lieber Freund, du hast wohlgetan, dass du mich aufhieltest und nötigtest zum Rückzug; denn wäre ich mit dieser meiner jetzt erst erkannten Dummheit zu den Meinen gelangt, – oh, wie hätte da eine Dummheit die andere geweckt und endlich ganz niedergeschlagen!

[1.147.31] Daher nenne mich ja keinen Geweckten mehr, sondern einen schlafenden Toren nenne mich; denn je mehr ich jetzt über mich nachdenke, desto dümmer komme ich mir vor.

[1.147.32] Wahrlich wahr, weil es mir vermöge meines Grundsatzes selig erging bei diesem heiligen Vater, hielt ich mich auch schon für geweckt – und sehe es erst jetzt so ganz recht ein, wie wenig mein Herz all die herrlichen Worte aus des Vaters Munde verstand und lebendig in sich begrub als eine herrliche Aussaat der ewigen Liebe und so des ewigen Lebens!

[1.147.33] O Freund Abedam, vergebe mir, dass ich dir darum nicht zu antworten vermag! Amen.“

[1.147.34] Und der unbekannte Abedam entgegnete ihm: „Höre, mein getreuer Namensgefährte, ich bin mit deiner Antwort ja ganz vollkommen zufrieden; denn du hast mir jeden Punkt meiner Frage vollkommen erörtert, und also passen wir nun vollkommen füreinander.

[1.147.35] Du siehst nun ein, was dir noch abgeht, und hast dich gerecht gedemütigt in deinem Herzen. Siehe deinen Grundsatz im gerechten Licht, – ich aber will jedermann nützlich sein mit Wort und Tat!

[1.147.36] Sage, urteile: Sind wir nicht wie füreinander gemacht, – nicht, als wäre ich schon von Ewigkeit her für dich und hätte dich geschaffen nur für mich?“

[1.147.37] Und der Abedam voll Freude: „Ja, ja, also kommt es mir jetzt schon fast sonnenklar selber vor, wie ein Vater für den Sohn, und der Sohn für den Vater.

[1.147.38] Mein geliebtester Freund Abedam, es kommt mir auch noch also vor, als könnten wir uns in Ewigkeit nimmer trennen, und als wenn ich deiner Hilfe nimmerdar entbehren könnte! Und so will ich auch, dass wir beisammenbleiben nicht nur zeitlich, sondern auch ewig!“

[1.147.39] Und der fremde Abedam: „Siehe, du bist mir zuvorgekommen! Seit ich dich kenne, ist das auch mein einziger Wunsch und Wille!

[1.147.40] Doch siehe, ich höre Lobstimmen! Wir sind nahe am Ziel; daher fasse dich und führe mich auf beim Adam und den übrigen! Amen.“

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