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146. Abedams Begegnung mit dem merkwürdigen Fremdling

[1.146.1] Und alsbald verließ Abedam unter vielen Segnungen die heilige Stätte und eilte zu den Seinen, voll beladen mit den herrlichsten Schätzen aus den Himmeln. Und als er ging voll hoher Gedanken und voll Liebe zum Herrn denselben Weg zurück, den sie früher alle vom Abend her so überaus wunderbar gezogen waren, siehe, da kam ihm auf einmal gerade an der Stelle, da sie alle gerastet hatten und er als alleiniger Gefährte dem Asmahael zur Seite sich befand, ein junger, rüstiger Mann unter und fragte ihn:

[1.146.2] „Wohin ziehst du so späten Tages? Siehe, schon berührt die Sonne des Berges Saum, und der Mond ist ferne noch mit seinem Licht; holperig ist der Weg und voll Steine der Pfad. Höre, [Abedam,] ich habe gehört, dass sich bei den Kindern der Mitternacht große Dinge sollen zugetragen haben im Angesicht aller Väter! Ich möchte nun hin, um da auch etwas davon zu sehen, und besonders aber die gestärkten Väter; möchtest du darum denn nicht umkehren und mich geleiten dahin?

[1.146.3] Und der Abedam besann sich nicht lange und fragte den Fremdling: „Ja, was du verlangst, will ich mit aller Freude gerne tun; aber so du irgendeinen Namen hast, damit ich dich dann bei den Vätern aufführen könnte, möchtest du mir ihn nicht kundgeben?

[1.146.4] Und der Fremdling fragte entgegen um dasselbe und sagte zu ihm: „So du mir sagst deinen Namen, will ich dir auch sagen den meinigen und will dir noch sagen etwas ganz anderes; aber deinen Namen sage mir zuvor!“

[1.146.5] Und der Abedam fing an zu stutzen und sagte zum Fremdling: „Wie kannst du mich denn um meinen Namen fragen? Hast ihn doch eben zuvor genannt, da du mich aufhieltest und mich ersuchtest, dich nun wieder zurück dahin zu geleiten, da soeben unerhörte große Dinge geschehen sind! Siehe, wie soll ich das verstehen?“

[1.146.6] Und der Fremdling entgegnete ihm: „Siehe, Abedam, du kommst soeben von dem Ort, von der heiligen Stätte, da so große Dinge geschehen sind und du sicher auch geweckt wurdest! Wie magst du als Geweckter diese leichte Frage denn nicht verstehen?“

[1.146.7] Und der Abedam wurde ganz verblüfft und wusste nicht, was er dem Fremdling hierauf erwidern sollte.

[1.146.8] Und der Fremdling fragte ihn wieder, wie sein Name sei. Und der Abedam, ganz außer sich vor Verwunderung, dass der Fremde ihn doch stets beim Namen rufe und nun darauf bestehe, zu erfahren Abedams Namen, entgegnete endlich dem Fremdling:

[1.146.9] „Höre, also, wie du mich nanntest, also heiße ich und habe keinen anderen Namen denn gerade den, welchen du mir gabst, und den da mir gab Adam und Emanuel!“

[1.146.10] Und der Fremdling sagte zu ihm, ihn scharf anschauend: „Siehe, Abedam, jetzt bin ich zufrieden, da du es mir sagtest, wie dein Name ist! Denn siehe, ich habe dir zuvor gleich anfangs den Namen gegeben; allein, als ein von mir dir gegebener Name war das ja nicht dein Name, sondern der meine in dir, ob du also auch heißen mochtest oder nicht. Nun ist der Name dein und mein, und somit hast du deinen und meinen Namen zugleich erfahren und kannst mich nun ruhig geleiten, dahin mein Verlangen.“

[1.146.11] Es verwunderte sich aber Abedam nicht wenig, dass der Fremdling gerade auch seinen Namen hatte, und fing sogleich an, mit dem Fremdling den Rückweg anzutreten.

[1.146.12] Unterwegs aber fragte Abedam den anderen Abedam: „Sage mir, so du willst, aus welcher Gegend bist du nun hierher gekommen, und durch wen hast du erfahren, was sich zutrug in der Mitternachtgegend?“

[1.146.13] Und der Fremdling erwiderte: „Deiner ersten Frage zufolge komme ich schnurgerade vom Morgen her; was aber deine zweite Frage betrifft, da will ich dir eine ganz kurze Geschichte erzählen:

[1.146.14] Siehe, ein Vater in der Morgengegend – wohl der reichste an Kindern und an der Liebe zu ihnen – hatte lange zugesehen, wie sich seine Kinder mit allerlei nützlichen und mehr noch schädlichen Dingen unterhielten. Also aber hatte der weise Vater sich gestellt, dass ihn keines der Kinder bemerken konnte. Allein nach nicht gar langer Spielzeit fingen an die Kinder auszuarten, so zwar, dass da kaum einer übrigblieb, der sein Herz aus Liebe zum unbemerkten Vater rein erhielt. Dieser ermahnte zwar sorgsam all die älteren Brüder beständig; sie hörten zwar recht gerne sein Wort, aber danach kehren mochte sich keiner so ganz von Herzen.

[1.146.15] Da beschloss der Vater, sich unkenntlich zu gestalten und also sich den Kindern zu nahen, also zwar, als käme er als ein Fremdling aus der Tiefe.

[1.146.16] Die Kinder nahmen ihn zwar auf, aber nicht mit Liebe, sondern auf die Vermittlung des einen nur wie einen Fremdling; denn da ihr Herz sich verkehrt hatte in Törichtes und Weltliches, so waren auch ihre Augen blind geworden und taub ihre Ohren, dass sie darob nicht mochten erkennen den Vater.

[1.146.17] Als aber nach und nach sich der Vater mehr und mehr zu erkennen gab durch Taten und Worte, da ward es den Kindern angst und bange, und wenige ertrugen seine Nähe.

[1.146.18] Da der Vater aber sah, wie unreif noch seine Kinder waren, erwärmte er sie alle mit seiner Liebe, dass sie sich zu ihm wendeten und ihn lobten und priesen. Und der Vater stärkte sie alle und segnete sie und verließ sie dann zur Probe auf eine kurze Zeit.

[1.146.19] Dieser Vater kam auf dem Rückweg von seinen Kindern zu mir und gab mir alles kund, darum ich nun hier bin, um nachzusehen, wie die Kinder aussehen, und was sie machen in der Abwesenheit ihres Vaters.

[1.146.20] Darum also führe mich zur heiligen Stätte! Amen.“

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