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107. Das Wesen der Schlauheit

[1.107.1] Es wurden aber nach dem Zwiegespräch zwischen Kenan und Mahalaleel, und wie vorher auch nach dem zwischen Jared und Henoch, nun auch Seth und Enos heimlich schon stark begierlich, miteinander ein paar Worte zu wechseln; und diese Begierde erwachte hier zuerst im Seth und machte erst dann die des Enos locker, und zwar also und darum:

[1.107.2] Seth hätte gar überaus gerne gewusst, was alles der Enos für Mutmaßungen über Asmahael hegt; aber auch einen anderen Grund noch hatte Seth, den Enos über Asmahael zu befragen anzufangen, und dieser Grund war kein anderer als eine Art Furcht, um nicht umgekehrt vor der Zeit vom Enos befragt zu werden.

[1.107.3] Denn also dachte er bei sich: „Lasse ich es darauf ankommen, dass mein Sohn mich zu fragen anfängt, was will ich ihm dann für eine Antwort geben?

[1.107.4] Frage ich ihn aber zuerst, so muss er mir ja antworten, da ich dann lange gut und sorglos zuhören mag all den sicher nicht bedeutungslosen Mutmaßungen meines Sohnes, und es wird ihm dann sicher nicht einfallen, mich darüber noch mit einer Frage zu belästigen, – und auf diese ganz unschuldige und einfachste Art von der Welt bin ich jeder verratenden Gelegenheit enthoben; und daher gerade also amen bei und aus mir selbst!“

[1.107.5] Und alsomit fragte nun der Seth den Enos, sagend nämlich: „Höre, mein lieber Sohn Enos, wenn unsere Vorgeher und gleichsam Führer miteinander über Asmahael Worte tauschen, warum sollen wir uns dessen enthalten, dagegen die anderen meines Wissens kein Gebot haben?! Und so möchte ich von dir gar überaus gerne über den Asmahael etwas vernehmen!

[1.107.6] Was hältst denn du von Ihm, und zwar schon seit Seinem ersten Auftreten unter uns? Denn so gering scheinend auch Sein erstes Auftreten in unserer Mitte war, so außerordentlich ist nun aber auch die Wirkung eines jeglichen Seiner Worte, – was deinem ruhigen Geist sicher nicht wird entgangen sein.

[1.107.7] Siehe, darum ich denn nun auch dein Urteil über Ihn von dir vernehmen möchte; und somit kannst du reden! Amen.“

[1.107.8] Siehe, Seths Schlauheit war zwar gerecht, da ihn nur die große Liebe zu Mir schlau gemacht hatte, – aber es ist die Schlauheit selbst an und für sich ein Ding, das nicht gut ist, dieweil es ist ein Doppelwesen und ist gegen die Ordnung der Liebe, wenn auch nicht geradezu gegen die Liebe selbst. Als Doppelwesen aber ist es in Leibeshinsicht gleich einer Doppelnatur in einem Menschen, den die Natur verschnitten hat, auf dass er ist zum Teil Mann und zum Teil Weib. Wer kann aber ein solches Mannweib ehelich pflegen, oder welche Jungfrau möchte empfangen von einem solchen Weibmann, dessen Organe weder zum Zeugen noch zum Empfangen taugen?!

Am 16. Juni 1841

[1.107.9] Wie aber ein solcher Mensch doch auch liebt seine vollkommenen Nebenmenschen und diese ihn wieder, also ist er nicht gegen die Liebe; aber in der Ordnung der Liebe, die allein fruchtbringend ist, ist er nicht, – und so auch dessen geistige Schwester, die Schlauheit, nicht. Denn durch sie wird weder jemand zum Leben befruchtet, noch kann eben sie selbst etwas für sich Befruchtendes fürs Leben bewirken, indem sie immer, wenn auch gewisserart schadlos und unschuldig, doch nur ein Betrug ist, durch welchen dann der Enttäuschte doch stets mehr oder weniger geärgert wird, da er dann alsbald sich und den Schlauguten fragt: „Warum musste ich denn, wenn auch zum Guten, durch List gefangen werden, und warum ward mein Bruder listig gegen mich fürs Gute? Ist denn das Gute nicht gut, dass es nötig war, darum durch List gut zu werden? Oder bin oder war ich denn selbst böse, darum ich erst durch List musste fürs Gute gewonnen werden?“

[1.107.10] So aber die List dem Bösen zugänglich ist, so muss sie ja notwendig selbst böse sein; denn wäre sie gut, so wäre der Böse vor ihr geflohen!

[1.107.11] Siehe, also war auch die Art des Seth gegen den Enos, da er gedachte, die Sache recht gut zu machen, aber sich dadurch nur selbst also gefangen hatte, dass, so da Asmahael nicht ins Mittel getreten wäre, Seth vor seinem eigenen Sohn in einem ganz sonderbar verderblichen Licht hätte erscheinen müssen, – was aus der ganz unschuldigen Antwort des Enos sogleich ganz klar hervorgehen wird, welche also lautete:

[1.107.12] „Lieber Vater, wie fragst du mich, darum wohl ich füglicherweise dich hätte fragen mögen und sollen?! Wahrlich, lange schon hatte ich darum einen wässrigen Mund und eine kaum im Zaum zu haltende Zunge und war schon vollends bereit, dir mit einer Frage über Asmahael zur Last zu fallen; allein du kamst mir zuvor.

[1.107.13] Jedoch aber, da die Nacht in dieser Hinsicht auf meiner Seite nun ist, aus welcher ich nicht einem Stern gleich dir vorleuchten kann, der du doch meines Wissens und Empfindens über Asmahael im Tage oder doch wenigstens in der Morgendämmerung bist, so möchtest wohl du aus deinem Tage mir leuchten!

[1.107.14] Du sagst es ja selbst: Alles Licht kommt von oben. Wie soll denn ich nun von unten dir nach oben leuchten?

[1.107.15] Oder soll ich mit dir ein leeres, wertloses Geschwätz führen über etwas, das mir zum größten Teil nach noch völlig fremd und unerklärlich ist?

[1.107.16] Siehe, Vater, daher, da es der Mühe würdig ist, sich über Asmahael zu besprechen, bin ich so frei, die Frage umzukehren; und demnach sei du so gut, mir, deinem Sohn, der vor dir arm und bedürftig ist, dasselbe mitzuteilen, was du erwarten mochtest von mir!

[1.107.17] War es ja doch von jeher die Sitte, dass in außerordentlichen Dingen die Kinder von ihren Alten Belehrung erhielten, und so bin ich nun bei einer kleinen väterlichen Versuchung von dir gar nicht gesonnen, die heilige, alte Ordnung zu brechen, und bin darob in freudiger Erwartung, von dir, lieber Vater, in dieser Hinsicht die allergenügendste Aufhellung in aller kindlichen Dankbarkeit zu erhalten.

[1.107.18] O lieber Vater, enthalte sie mir nicht vor, und gebe mir ein sicheres Licht! Amen.“

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