[1.99.1] Nach dem aber brachten die Kinder alsbald Erfrischungen und körperliche Stärkungen, die da bestanden in allerlei Obst und altem und neuem Brot. Adam aber mochte nichts genießen, da das Gelübde vom Mittag her ihm noch seinen Gaumen band, und rührte daher alles das segnend bloß nur an; desgleichen taten auch alle übrigen.
[1.99.2] Da aber doch alle schon der Hunger ziemlich stark angefasst hatte, so zwar, dass sie alle – selbst Henoch nicht ausgeschlossen – mit sichtbarer Begierde und heimlicher Esslust die Früchte und Brote anblickten und es sie einige Überwindung kostete, sich zu verleugnen und das Gelübde nicht zu brechen. Asmahael aber fragte den Adam, sagend:
[1.99.3] „Höre, Adam! Wer hat dir und deinen Kindern die Fasten auferlegt? Warum isst du nichts von der Frucht, so es dich hungert, und deine Kinder nicht, so es sie hungert?
[1.99.4] Hat Jehova solches euch anbefohlen? Oder welchen Dienst glaubst du Gott dadurch zu erweisen, so du, dich selbst strafend, fastest und ankämpfst gegen deine eigene Natur? Sage Mir und frage dich selbst zuvor, ob es Gott wohlgefällig sein kann, so ein Mensch, der es noch nie so weit mit seiner Selbstverleugnung gebracht hatte, auch nur ein Gebot Gottes sicher und allzeit zu beobachten, sich endlich darum, da er zu schwach war, ein leichtes göttliches Gebot zu halten, noch dazu ein eigenes, viel schwereres Gebot auferlegt, welches zu halten ihm am Ende unmöglicher wird denn hundert göttliche, die aber doch allzeit mit der Natur des Geschöpfes im engsten Zusammenhang stehen, da Gott dem Geschöpf nie mehr zu tragen geben wird und auch je geben kann, als es seiner Natur nach zu tragen imstande ist, weil Er es am allerbesten einsieht, wozu Er ein Geschöpf aus Sich frei entstehen hieß und ließ! Höre, darum sicher nicht, dass es aus leichtsinniger Vernachlässigung der göttlichen Ordnung zur Wiedergutmachung derselben sich selbst Gesetze vorschreiben soll, die es schon lange eher bereut aus Eigenliebe, als bis noch die zur Übertretung nötige Versuchung hinzugekommen ist, – sondern dass es leben soll der göttlichen Ordnung gemäß und soll essen und trinken nach nötigem Bedarf des Leibes und soll Gott erkennen und Ihn über alles lieben und seine Nebenmenschen als Kinder und Brüder aber wie sich selbst und der Liebe wegen, sage Ich, die fremderen zehnfach mehr denn sich und die eigenen Fleischeskinder.
[1.99.5] Siehe, das ist alles, was Gott von dir und euch allen verlangt, und Er gibt euch kein anderes Gebot denn das der Liebe, in welcher alles Lob, aller Preis und alle Dankbarkeit zugrunde liegt, welcher Grund aber an und für sich ist die alleinig wahre Erkenntnis Gottes selbst, und ist somit auch das ewige Leben selbst.
[1.99.6] So du dich aber bindest, da Gott dich löst zur ewigen Freiheit, bist du nicht ein Tor, dass du dich bemühst, der ewigen Liebe Ihr Werk der Löse zu erschweren, und verkrüppelst dich durch deine eigene Torheit, statt dich wahrhaft frei zu machen in Meiner Liebe, Erbarmung und Gnade?! Daher löse dir selbst das Band deiner Torheit, und esse und trinke, auf dass Gott dir helfen kann in dem, was in dir ist wider Seine Ordnung!
[1.99.7] Darum sage Ich: Wehe in der Zukunft den Gelübdemachern! Sie sollen ein doppeltes Gericht erleiden: das eine aus Mir und das andere aus sich um Meines Gebotes willen, das sie nicht gehalten haben und wollten dann durch eine noch größere Torheit Mir wohlgefälligermaßen die frühere Torheit wieder gutmachen, da sie widerstrebten Meiner Ordnung. Höre, also spricht der Herr, und also spreche Ich mit des Herrn Mund und Zunge:
[1.99.8] So du Mir tun willst ein wohlgefälliges Gelübde, da mache ein Gelübde in deinem Herzen, dass du nicht sündigst und kein anderes Gelübde mehr machst denn das: fürder nicht mehr zu sündigen.
[1.99.9] Wer aber ist unter euch, dass er sagen möchte: ‚Höre, mein Gott und Herr, ich werde nicht mehr sündigen vor Dir!‘
[1.99.10] Siehe, solches magst du nicht von dir zu geben, da du frei bist; wie willst du es aber erst dann anfangen, so du dir wider Meinen Willen ein unerträgliches Joch auf den Nacken bindest, das dich erdrückt und stumm macht gegen das göttliche Gesetz der Liebe und aller Lebensfreiheit in ihr und aus ihr?!
[1.99.11] Höre, darum esse und trinke, und denke in deinem Herzen, dass Gott keine Freude hat an deiner törichten Knechtschaft, sondern nur an deiner Liebe und Freiheit! Höre, Adam, solches spricht der Herr aus Seinem Munde mit eigener Zunge; darum achte es, und sei frei! Amen.“
[1.99.12] Nach dieser Gnadenrede aber griff Adam alsbald unter lautem Dank, Lob und Preis nach den Früchten und Broten und aß und trank und hieß auch die anderen dasselbe tun. Und sie aßen und tranken alle und wurden gestärkt am Leibe, wie dann auch dankbar am Geiste.
[1.99.13] Und als sie sich nun gestärkt hatten unter Meinem Segen, erhoben sie sich und dankten Mir im Herzen und waren voll Freude. Und Adam sagte:
[1.99.14] „O mein großer Gott und Herr, und wenn ich Dich ‚Vater‘ nennen dürfte! Das einstige große, schöne Paradies war reich an allen Freuden des Lebens; allein sie wollten mir nicht frommen. Da ich reich war, habe ich mich von Dir entfernt; Du nahmst mir den Reichtum und belehntest mich dafür mit allerlei Armut. O Herr, jetzt erst danke ich Dir dafür und sage es laut:
[1.99.15] Wenn Du, mein Gott, mir tausend Paradiese gegeben hättest, wahrlich, ich wäre elender denn ein Wurm im Staub; denn jedes Wort von Dir ist ja mehr wert als tausend Erden und jede mit zehntausend Paradiesen!
[1.99.16] O Herr, Dein Wort und Dein heiliger Wille ist das wahre Paradies des Lebens! O Herr, lasse mich ewig in diesem Paradies sein! Amen.“
[1.99.17] Es fingen aber Enos, Mahalaleel, Jared und auch die Mutter Eva bei sich zu denken an nach der Danksagung Adams, wie es denn doch komme, dass Adam fürs Erste sein Gelübde brach und aß und trank. Und wenn er nun redet, da redet er, als stünde Gott leibhaftig vor ihm!
[1.99.18] Adam aber bekam Licht und sagte: „Wundert euch das, so fragt euch selbst: ‚Warum wundert uns denn das eigene Leben nicht?‘ Und die Antwort wird sein: ‚Weil uns nun Gott näher ist und allzeit sein soll als unser eigenes Leben; denn nun leben wir alle in Ihm!‘ Hört es! Amen, amen, amen.“
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