[1.98.1] Nach dieser Bekenntnisrede Adams aber erhob sich auch alsbald der Seth und wollte zu reden anfangen; aber der Asmahael gab ihm ein Zeichen, dass er schweige, und setzte hinzu:
[1.98.2] „Seth, weißt du denn nicht, dass die wahre Liebe stumm ist und die Weisheit nur dann das Wort führt, wenn sie zum Frommen anderer zu reden aufgefordert wird?
[1.98.3] Hast du Liebe, so schweige mit dem Mund und rede allein im Herzen; und hast du Weisheit, da lasse dich eher von jemandem begehren, und so solches geschehen, dann rede wenig Worte, und rede aus dem Herzen und nicht aus dem Verstand, das da frommt dem Begehrenden!
[1.98.4] Es ist aber unvergleichlich vielmal besser, zu schweigen und das Ohr zu verhalten wie auch das Auge zu schließen, als beständig zu mundwetzen und zu brodeln gleich einem Wasserfall und das Ohr zu legen an alle Straßenecken und das Auge einer Schwalbe gleich herumschießen zu lassen.
[1.98.5] ‚Dem Mund drei Dinge, dem Ohr sieben und dem Auge zehn!‘ ist ja eure Regel der Weisheit; warum demnach überflüssige Reden, – statt sieben dem Ohr tausend, und dem Auge eine Unzahl?!
[1.98.6] Ich weiß aber, Seth, was du hast reden wollen; behalte es bei dir, und du wirst sehen, dass morgen die Sonne wie gewöhnlich um die bestimmte Zeit aufgehen wird!
[1.98.7] Und ihr alle übrigen tut desgleichen! Keiner dränge dem anderen ein Wort auf, sondern der etwas erfahren möchte, der wende sich an einen, der da ist wohlverständigen Herzens, das heißt eines Herzens, das da allzeit in sich vernimmt die Stimme der ewigen Liebe und wohl versteht das Wort des Lebens aus Gott zur Zeit der nötigen Mitteilung. Wenn aber dann ein solches Wort sparsam gleich dem Gold der Erde gesprochen wird, so ist es an der Zeit, Ohr und Auge vom Herzen aus zu öffnen; hört und versteht es wohl!
[1.98.8] Und nun, ihr Kinder, die ihr da wohnt, dahin der Adam von seiner Hütte schaut den Untergang der Sonne, erhebt euch, seid freien, treuen und aufrichtigen Herzens gegen Gott, gegen eure Väter, gegen alle eure Brüder! Empfangt vom Adam den Segen; tut heute und morgen, das euch geboten ist um Gottes Willen, und werdet Kinder des Aufganges und der Liebe, aber nicht Kinder des Unterganges und der Nacht des Todes!
[1.98.9] Die Gegend, die ihr bewohnt, sei künftighin gleich der im Morgen, Mittag und Mitternacht; denn in der Zukunft werden nur die Gegenden des Herzens angesehen werden, und es werden gänzlich außer Betracht sein die Gegenden der Erde! Amen.“
[1.98.10] Als aber der Adam solches vom Asmahael vernommen hatte, näherte er sich in der allerhöchsten inneren Ehrfurcht dem Asmahael und fragte Ihn:
[1.98.11] „O Asmahael, wird es nicht mir zum Frevel gerechnet werden, so ich über Dein übersegenvollstes Wort noch meinen nichtssagenden Segen aussprechen möchte über die Kinder, die Du mit Deinem lebendigen Wort heimgesucht hast?
[1.98.12] Wahrlich, jetzt kommt mir mein zu gebender Segen gerade so vor, als so ich möchte ins Meer Wasser tragen, um dadurch dasselbe zu vergrößern und zu vermehren!
[1.98.13] O Asmahael, sei mir gnädig und barmherzig! Amen.“
[1.98.14] Der Asmahael aber erwiderte dem Adam: „Höre, Adam, wenn es dir also vorkommt, so tue in Meinem Namen, wie es dir vorkommt, und sei dessen gewiss, dass darob dem Meer kein Leid zugefügt wird; aber wisse, dass jede Gabe mehr dem Geber frommt denn dem Empfänger!
[1.98.15] Hast du aus deinem Herzen das Meer vermehrt um einen Tropfen, so hast du dein Herz erquickend erleichtert, und das Meer wird dir dankbar sein auch für den einzigen Tropfen! Denn Ich sage dir, du kennst weder den Tropfen noch das Meer; aber so es der gute Gebrauch erheischt, da tue du in deinem Herzen, das dir obliegt, und kümmere dich nicht des Meeres! Der aber die Tropfen des Meeres gezählt hat, wird deinen Tropfen nicht außer Rechnung lassen!
[1.98.16] Daher segne du nur immerhin deine Kinder, und Ich werde darob Meinen Segen nicht zurücknehmen! Amen.“
[1.98.17] Und Adam vollzog alsbald den heiligen Willen Asmahaels und ward voll Freude.
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