[1.85.1] Als der Seth solche Rede vernommen hatte, sah er alsbald die kleine Torheit seiner Vornahme vollends ein und ward wieder ein freier Mensch und lobte und pries Mich über die Maßen in seinem nun neu belebten Herzen und freute sich sehr auf Asmahaels Rede, welcher nun nach dem Geheiße Henochs auch alsobald zu reden begann, und zwar über die Stummheit der Kinder des Abends. Das er aber sprach, sprach er aus Mir durch den Geist Ahbels in einer bündigen und gleich einem Bächlein fließenden Rede, welches also ruhig forträuschelt und -sprudelt über kleine Kiesel und Sandbänkchen und sich dann lächelnd ergießt in einen Strom, der mit offenen Armen den Liebling aufnimmt und ihn dann auf seinen breiten Schultern trägt in das Meer der Ruhe.
[1.85.2] Das aber war die so sehr berühmt gewordene Rede Asmahaels und lautete also:
[1.85.3] „O Väter der Väter der Erde! Mein Auge schaut weinend die schmachtende Menge der herrlichen Kinder der Väter der Erde; sie liegen so stumm und so tot wie die Steine im Grund der Meere und anderer großer Gewässer.
[1.85.4] Gebote, – o harte und schwere Gebote! O Menschen, ihr harten und lieblosen Menschen, wohin werd’t die Brüder ihr bringen und machen zu was die unschuldigen Kinder durch all die nutzlosen Gebote,
[1.85.5] von denen ein jedes ein endloses Heer von ganz neuen Geboten notwendig nach sich ziehen muss!
[1.85.6] O fragt euch, ihr Väter der Väter der Erde, wie viele Gebote der ewige Herr allerbarmend euch allen zu halten hat weise beschieden!
[1.85.7] Ich weiß es und muss es euch sagen: Gar keines – als nur zu erkennen die ewige Freiheit in aller der endlosen Liebe des ewigen, heiligen Vaters!
[1.85.8] Sind wir denn erschaffen, um weltschwere Lasten von all den Geboten zu tragen?! Ist Gott denn ein schwächlicher Gott, dass darob Er den Menschen Gebote muss geben, um sie in der Ordnung gehärtetem Zaune zu halten?!
[1.85.9] O Väter, wie töricht wär’ solches zu denken von einem allmächtigen, ewigen, endlosen, heiligen Gott, dessen leisester Hauch all die zahllosen Welten und endlose Heere von mächtigen Geistern zunichte möcht’ machen!
[1.85.10] Ein so übermächtiger Gott sollte drücken die Menschen durch nicht zu ertragende Lasten von toten Geboten, von steinfesten Sätzen, die Er Selbst am Ende zu lindern durch all’ Seine Kräfte nicht möchte, wie auch nimmer dürfte; denn löst Er einen dieser geistigen Zwinger des Lebens, müsst’ da Er nicht fürchten, am Ende von Seinen Geschöpfen gefangen zu werden und dann an Sich Selbst zu erfahren, ein Sklave zu sein den Geschöpfen, die all’ doch gen Ihn nicht ein Stäubchen der Sonne ausmachen?!
[1.85.11] O Väter der Väter der Erde, ihr könnt euch nichts Tolleres denken! Der Vater, der ewige, heilige Vater voll Liebe, der mächtige, freie, unendliche Gott sollte Wesen erschaffen, um sie dann zu töten gar grausam im härtesten Druck der überweltschweren Gebote?!
[1.85.12] O wahrlich, mir wär’ es viel leichter zu fassen, dass ich und mein grausamer Träger ein einziges Wesen voll Nacht und voll Lichtes inmitten der Erde ausmachten, als dass unser Gott, unser mächtiger, ewiger, freier und heiliger Gott nur ein Wesen entstehen könnt’ lassen, um es durch Gebote zu drücken und zwingen, sich frei zu bewegen, was rein doch unmöglicher wäre, als wenn Sich der freieste heilige Vater und Schöpfer durch eherne Ketten gar Selbsten zum Sklaven der Sklaven der Lamechschen Tiefe möcht’ machen!
[1.85.13] O Väter der Väter der Erde, wie ist’s denn, dass ihr als die einzigsten Kinder des ewigen, heiligen Vaters voll Liebe von Seiner allweisesten, herrlichsten, freiesten Ordnung nichts wisst? Ihr predigt von Liebe zum Vater euch untereinander – und kennt dies ewige, heilige Grundelement, wie ich deutlich nun sehe, nicht weiter, nicht mehr, als dass selbes ihr mögt mit leer schallenden Worten zu nennen!
[1.85.14] O höret, die Liebe, die mächtige, heilige Liebe des ewigen Vaters ist ja nur die ewige, freieste Ordnung in Gott! Dieser ewigen, heiligen Ordnung gemäß und vollkommen gemäß sind ja alle die endlosen Heere der Geister, der Welten und ihr, Seine einzigsten Kinder, so frei wie Er Selbst von Ihm hervorgegangen.
[1.85.15] Doch um euch zu lehren, dass ihr so wie Er vollends frei euch sollt fühlen, gab Er aus der innersten Tiefe der Liebe als Vater euch Kindern – ich mag es Gebot nimmer nennen – nur einen höchst weisen, wohlwollenden Rat, euch an nichts anzulehnen und nichts zu berühren, das euerer Freiheit könnt’ hinderlich werden; ihr aber, im vollsten Bewusstsein der göttlichen Freiheit und Fülle der Kraft, wollt’t nicht achten des Rates des liebenden Vaters und griffet nach allem, was eurer noch ganz ungefesteten Freiheit und Leben musst’ hinderlich werden. Die Tat war der ewigen Ordnung der Liebe zuwider; nun musste der heilige Vater die endlose Schöpfung umgestalten, um euch in die Freiheit des Lebens von neuem zu setzen.
[1.85.16] Nun seid ihr in dieser so liebvollsten Stellung als Kinder des heiligen Vaters, seid frei und voll Lebens und Gnade von oben; wie könnt ihr so blind doch die Kinder desselbigen heiligen Vaters zu nichts und für nichts in verschiedene Gegenden bannen durch Zwang eines finsteren Gebotes, das sie nicht belebt noch erfreut, sondern tötet am Leibe und Geiste?!
[1.85.17] Daher löst die lange verrosteten Bande des toten Gesetzes von ihren gemarterten Füßen, und lasst sie bauen die Erde nach ihrem Gefallen – nur dass sie die finsteren Tiefen vermeiden –, so werden sie leben, Gott loben und preisen und lieben und euch anerkennen als redliche Väter und mächtige Kinder des Herrn, hört amen, hört amen, hört amen!“
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