[1.84.1] Als nun der Seth und all die anderen diese Rede Henochs vernommen hatten, richtete sich eben Seth wieder auf und begann folgende Rede von sich zu geben, sagend:
[1.84.2] „O wahr, ja nur zu wahr ist es, was der Herr durch dich, lieber Henoch, hat verkünden lassen vorzugsweise mir, der ich eines solchen Verweises am allernötigsten habe!
[1.84.3] O Vater Adam, o Kinder alle, dankt an meiner statt dem Herrn, denn ich bin nicht wert und bin zu schlecht, als dass ich es mir zu wagen getrauen könnte, mit der Zunge, die des Herrn heiliges Wort vor kurzem erst verunglimpfte, dem Herrn alles Lebens und aller Liebe ein unlauteres Lob darzubringen!
[1.84.4] Nun lasst den Asmahael mir predigen; denn nicht mehr wert bin ich, Henochs Wort zu vernehmen!
[1.84.5] Ja selbst Asmahaels Wort ist zu heilig für einen Toten! Lasst das Tier mir predigen, damit ich durch dessen Schauderstimme möchte erweckt werden vom Tode zum Leben!
[1.84.6] O Vater Adam, heiße mich nimmer deinen Sohn; denn du bist aus Gott, ich aber aus der Fülle aller Widerspenstigkeit! Siehe, ich will nur ein Knecht sein, ja euer aller Knecht will ich sein, euch dienen wie ein Sklave der Tiefe und stumm sein wie ein Stein, um dadurch dem Herrn genugzutun dafür, dass ich mich in die Finsternis gestürzt habe, während der Herr so viel Licht in Wort und Tat um mich her ausgegossen hat!
[1.84.7] Dankt, ihr Würdigen, dem Herrn für mich, den armen, schwachen und toten Seth! Amen.“
[1.84.8] Adam aber erhob sich und sagte ein kurzes, weises Wort zum Seth, und dieses Wort heilte den Kranken, dass er dann wieder ward voll Liebe und Vertrauen gegen Mich und pries über und über Meinen Namen.
[1.84.9] Die Worte Adams aber lauteten also: „Seth, Seth, du nimmst dir zu viel vor, was der Herr dir nicht gebeut! Siehe zu, wenn der Herr dich versucht und du dann noch schwächer wirst denn jetzt und fällst dann in deiner Schwäche, – sage, wer wird dir dann aufhelfen?
[1.84.10] Etwa Gott, dem du törichterweise genugtun wolltest, da Er doch unendlich und überheilig ist und du nur ein endlicher Staub der Erde vor Ihm?!
[1.84.11] Wer mag Gott genugtun?! Wer will rein und ohne Fehl zu Ihm beten und Ihm danken, Ihn loben und preisen ohne Sünde und zu Ihm ohne Makel der Seele als Kind den Vaterruf erheben?!
[1.84.12] Was haben wir denn, das wir nicht empfangen hätten zuvor von Ihm?! Was können wir Ihm geben, das Er nicht zuvor uns gegeben hätte, und was tun, das Er uns nicht schon lange früher getan hätte?!
[1.84.13] Darum mache dir kein unnötiges Gebot, sondern beobachte das eine nur, dass du Ihn mehr und mehr liebst in aller Demut deines Geistes und alle Brüder und mich zehnmal mehr denn dich! Alles andere lasse nur dem Herrn über; Er weiß es am allerbesten, welche Last du zu ertragen vermagst!
[1.84.14] Wenn es dir aber schon schwer wird, in der Tat das eine Gebot zu erfüllen, wie möchtest du dann wohl mit so vielen zurechtkommen?!
[1.84.15] Weißt du denn nicht, dass an jedem Gesetz der Fluch, die Sünde, das Gericht und der Tod hängen?!
[1.84.16] Fürchte dich daher vor jeglichem Gebot, – willst du leben! Leichter ist es, Gesetze zu geben, als denselben zu gehorchen.
[1.84.17] Was aber ist wohl mehr: Frei sein in der Liebe durch die Liebe, oder schmachten unter des Gehorsams hartem Joch nach der Freiheit der Liebe, welche da hart zu erringen ist und ewig sein wird, wo das vergeblich sich sehnende Herz unter den harten Schlägen der Versuchungen lange wird bluten müssen?
[1.84.18] Siehe, die Kinder des Abends, wie sind sie zugrunde gerichtet auch nur durch ein leichtes Gebot; wie schwer wird ihnen zu helfen sein, so etwa ihr Herz durch den zu langen Druck verhärtet ist!
[1.84.19] Wir aber wollen dem Herrn allzeit danken und Seinen Namen lobpreisen, dieweil Er uns ein freies Herz für freie Liebe gab, und wollen Ihn auch allzeit bitten, dass Er uns vor jeglichem Gebot bewahren möchte, auf dass wir allein Seiner ewigen Liebe leben möchten als freie Kinder.
[1.84.20] O Seth, es werden einst Zeiten kommen, da unsere späteren Kinder unter Bergen von Gesetzen leben werden und werden vergeblich schmachten nach der Freiheit gleich einem erhitzten Stein in der Tiefe der Erde! Und ihre Brüder werden die schwer Gehorchenden in steinerne Löcher stecken und sie aller Freiheit berauben. Da wird der Sünden sein wie des Sandes im Meer und des Grases auf der Erde!
[1.84.21] Daher stehe du ab von deiner Torheit und tue, was du kannst, und was dem Herrn wohlgefällig ist; alles andere lasse dem Herrn über, so wirst du leben! Amen.
[1.84.22] Nimm meinen Segen, und wandle wieder frei und gerecht vor Gott, vor mir und allen unseren Kindern! Amen.“
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