Am 3. Juni 1840
[1.30.1] Und siehe weiter, da nun Lamech solches verübt hatte in dem Wald an seinen Brüdern an Tatahars Rotten Spitze, so kehrte er froh zurück nach Hanoch und ließ sagen und bekanntmachen allem Volk in und um Hanoch und so auch den zehn Städten und deren Umgebungen, was da widerfahren ist den tollkühnen Brüdern Johred und dessen Züchtling Hail, worüber sich entsetzte ganz Hanoch samt den zehn Städten und außer denselben alles Volk. Da traten die Vernünftigen und auch etwas mehr Verständigen aus den Städten und all dem Volk, bei dreitausend an der Zahl ohne deren Weiber und Kinder, die da zu Hause blieben, zusammen.
[1.30.2] Und so verfügte sich dann dieses kleine Heer von Männern gen Hanoch zu Lamech, da einer für alle das Wort führte und sprach: „Wo ist der Wald, da solches geschehen ist dem jungen König und dessen weisen Bruder Johred, und lass uns aufsuchen die Stelle des Gräuels, um vielleicht auch noch zu finden einige traurige Überreste oder doch vielleicht noch sonstige Spuren, die uns überzeugen sollen von der Wahrheit solcher Botschaft, damit wir daselbst aufrichtig beweinen können ein so großes Unglück und hernach aufsuchen die Hyäne, die haben wird eine gewiss noch blutige Schnauze, damit wir sie erwürgen und erschlagen mit unseren Keulen und Steinschleudern ihr ganzes Geschlecht als schuldige Sühnung für Johred und Hail.“
[1.30.3] „Ja“, sprach der Lamech, „ihr habt einen rechten Entschluss gefasst; ich als nun euer rechtmäßiger König (eigentlich ‚Kann ich‘ oder veraltet ‚Könn ig‘) werde selbst in eurer Mitte ein Gleiches tun, und mein erster Diener Tatahar soll unser Wegweiser sein samt dessen wohlbewaffneten Gesellen!“
[1.30.4] Und siehe, es gefiel dem Volk der schnelle, wohlfällige Entschluss Lamechs, und sie sagten: „Seht, seht und hört! Huhuhorah (das heißt: Es lebt noch ein rechter König!); auch er ist weise und sei unser König!“
[1.30.5] Und darauf erhoben sich alle und gingen, geleitet vom Lamech, nach dem Tiger- und Hyänenwald und fanden daselbst auch bald die noch mit Blut befleckte Gräuelstätte und trauerten und weinten daselbst und klaubten die zerstreuten Kleiderreste zur traurigen Verehrung zusammen.
[1.30.6] Und als sie nun daselbst verrichtet hatten ihr eitles Trauerwerk und gesammelt hatten die wertlosen Reliquien Johreds und Hails, da verließen sie die Gräuelstätte und zogen voll bitteren Ingrimms waldeinwärts in Rotten, je eine zu hundert in kleinen Entfernungen von dreißig ausgestreckten Händen, zu suchen die verruchte Hyäne; und siehe, es wollte sich nicht auch nur ein einziges Tier, viel weniger irgendeine Hyäne zeigen. So sagten sie: „Die verruchte Bestie hat sich gewiss geflüchtet auf die Berge! – Mut! Hat auch noch nie ein Sterblicher gewagt seit Kahin, den Fuß zu setzen auf einen Berg, so wollen wir nun zum ersten Male die Bahn brechen; denn wir haben gute Ursache dazu, und kein Gott ist imstande, zu missbilligen diesen Schritt, da wir gerechte Sache haben gegen diese verruchten, gefräßigen Bestien. Daher noch einmal: Mut, – und sollen wir alle zugrunde gehen!“
[1.30.7] Und siehe, Lamech aber antwortete darauf: „Eure Stimme ist mein Wille und euch zum Gebot. Daher geht und tut, wie es euch gemahnt; ich aber will hier an Tatahars Spitze euer harren und ein aufmerksames Auge haben auf irgendeine euren starken Hieben entflohene Bestie aller Bestien!“
[1.30.8] Da waren damit zufrieden die dreitausend und gingen ungewohnten, zögernden Schrittes und getrauten sich kaum umzusehen aus Schwindel im Angesichte ihrer erstiegenen Höhen und zurückgelegten Tiefen. Und siehe, drei Tage lang suchten sie die Hyäne, und es wollte sich ihnen aber auch nicht eine zeigen; da wurden sie es überdrüssig und hieben mit ihren Keulen an eine ihnen das weitere Fortschreiten verhindernde, mehr denn zwölf Klafter hohe und ganz wandsteile Steinwand und fluchten den Wäldern und den Bergen, die da seien eine Wohnung alles Ungetüms, und forderten Rechenschaft von den Bäumen, Felsen und Steinwänden und spützten auf die Erde die Schande ihrer Blutleckerei und verfluchten sie bis in den Grund und fluchten der Sonne, dass sie geleuchtet habe zu solcher Gräueltat, und so auch allen Sternen und dem Mond, die da zugesehen haben können einer solchen unerhörten Verruchtheit. Und einer von ihnen aber war der Größte und Stärkste und hieß Meduhed (das heißt ‚der Stärkste‘). Dieser wandte sich um und richtete eine kurze, aber sehr passende Rede an die grimmentbrannte Menge und sagte:
[1.30.9] „Was soll da werden mit diesem Unsinn? Seht, eure Keulen zerschlagt und zersplittert ihr an dieser toten, harten, unbesiegbaren Wand und macht schlüpfrig den Rückweg mit eurem Geifer! So wir nun heimkehren werden, und es treten uns da Hyänen, Tiger, Löwen, Bären und große Schlangen in den Weg, denkt, wie ihr euch verteidigen werdet! Hat der alte Gott uns schon hier ein unbesiegbares Ziel unserer blinden, fruchtlosen Rache gestellt, wie leicht kann Er noch ein viel fürchterlicheres stellen auf dem Rückweg! Daher bedenkt, dass mit dem Alten nicht gut streiten ist, da Er sogar Bäume und Steine lebendig machen könnte, so Er der Tiere zu wenig hätte, dass sie uns erschlügen und töteten allesamt unserer Torheit und unseres Ungehorsams wegen, da wir betreten haben die Berge gegen das strengste Gebot Kahins, Hanochs und Faraks, des Weisesten und Gerechtesten. Und wer weiß es, ob nicht etwa über dieser Wand höhere Wesen wohnen, davon noch immer eine schwache Kunde ist im Volk; denn umsonst sind diese Berge nicht da! Und würde vielleicht nur ein solches Wesen unser ansichtig, was ist dann unsere Mückenzahl gegen einen solchen Riesen Gottes? Daher lasst uns bescheiden umkehren am Tag noch, damit wir nicht zugrunde gehen unter dem Fluch der Nacht, die uns schon von jeher war ein großer Feind – wie der Tag eine Plage, jedoch nicht gerade auch verbunden mit so großen Gefahren gleich der Nacht. Daher tun wir alle nach diesem wohlerwogenen Rat. Amen.“
[1.30.10] Und siehe, als nun diese Rede sie zur Besinnung gebracht hatte und sie sich darauf ermahnt hatten und den Rückweg antreten wollten, da wurde Meduhed ansichtig eines großen Mannes, stehend auf einem Vorsprung der Steinwand; und der Mann war Seth, ein Sohn Adams und Stellvertreter Ahbels, der später mit Adam und Eva ins gelobte Land zu ziehen von Mir durch den Bruderengel Ahbel die Weisung bekam und dort die Berge zu bewohnen im fernen Angesichte des einstigen Paradieses, wovon Ich später noch etwas ausführlicher sprechen werde.
[1.30.11] Und siehe, dieser Seth redete sie mit fester Stimme an, da er noch einer war, dem die Sprache aller Geschöpfe nicht fremd geworden ist, und sprach: „Ihr rauen und Gott gänzlich vergessenen Kinder Kahins, des Brudermörders! Welche gerechte Strafe Gottes, meines und Adams, der noch lebt, Vaters, wie aller seiner Kinder, die auf den Höhen wohnen, hat euch hierher, eurem Untergang in die starken Arme geführt? O ihr Schlangenbrut, wie seht ihr aus? O ihr Hyänenspeise, sagt, was ihr wollt, hier an dieser heiligen Stätte? Was sucht ihr hier an dem euch so streng verbotenen Ort? Weicht von hier und fallt allesamt in den Rachen der euch angedrohten Strafe, nämlich in den todbringenden Rachen, dem ihr nicht entgehen werdet, oder diese Steinwand wird euch begraben auf ewig!“
[1.30.12] Und siehe, da fiel Meduhed auf die Knie nieder und schrie überlaut um Erbarmung und Gnade. Seth aber, da er nur Worte redete aus Mir, so wurde er auch umso erfüllter von Meiner Liebe und ließ sich bald erweichen von Meduheds Klagestimme und sagte:
[1.30.13] „Meduhed, du allein darfst emporschauen zu mir, zu der großen Nähe Gottes, da du abhieltest deine Brüder von großer, mutwilliger Bosheit vor den allsehenden Augen Gottes; daher sollst du wissen allein, wo und wer diese gefräßige Hyäne ist: Siehe, diese tausendfache Hyäne ist in der Tiefe geblieben an der Schlangenzungenspitze der Rotte Tatahars und heißt Lamech!
[1.30.14] Dass von euch ja keiner es wage, Hand an ihn zu legen! Wehe dem siebenundsiebzigmal, der sich vergreifen würde an ihm, – da ein solcher dann vorgreifen würde der Zeit Gottes, welches aber wäre das Schrecklichste, da dann ein solcher zerstören würde das Band der göttlichen Liebe und lösen dadurch den breiten, unermesslichen Gürtel der schärfsten Gerichte der Gottheit, welche große Feuersäulen über die ganze Erde stürzen würde und so im Feuer zerstören würde die ganze Welt. Und erhebe dich mit deiner Rotte, und zieht im Frieden heim, und seht nicht dahin gen Hanoch, sondern auf euch und auf Gott, der da ist ein getreuer Retter derer, die auf Ihn schauen allezeit, – in der Lust sowohl, als auch in der Not! Amen.“
[1.30.15] Und siehe, da wurde Seth ganz Licht; sie aber erschraken und flohen aus seinem Angesicht über Stock und Steine und erreichten so noch die Ebene vor Untergang der Sonne, und um die Mitte der Nacht auch ihre Wohnungen, welche zehn Stunden Weges von den Bergen entfernt waren.
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