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219. Das wahre Wesen des Erzbischofs Migazzi. Zwiegespräch zwischen diesem und Joseph. Blick in tiefste Priesternacht.

(Am 16. Juli 1850)

[2.219.1] Spricht Joseph: „Ja, ja, ich erkenne ihn an seinem Gang, er ist es! O Herr, wie sieht der aus! Das ist ja eine wahre Schreckensgestalt! Über ein förmliches Totengerippe hängt ein alter sogenannter Vespermantel. Und auf einem Totenschädel klappert eine Bischofsmütze voll Schmutz und Unflat. So trabt diese Schreckensgestalt langsamen und sichtlich überaus wankenden Schrittes auf uns zu. Nun, nun, da bin ich denn doch neugierig, was dieses Monstrum vor uns tun wird.“

[2.219.2] Sage Ich: „Es wird dir zu schaffen genug geben; aber nur musst du dich über nichts ärgern! Denn alle diese Wesen sind mehr oder weniger als Irrsinnige anzusehen.“

[2.219.3] Spricht Joseph: „Aber was mich bei diesem Menschen wundert, ist, dass er auf der Welt gerade einer von den hellsten Köpfen und mit mir mehr als alle anderen Bischöfe meines irdischen Regierungsreiches einverstanden war. Mir haben die Erzbischöfe von Salzburg, Prag, Olmütz, Gran, Erlau, Agram, Triest, Venedig, Trient und Mailand bei Weitem mehr Mucken gemacht als mein Wiener. Ja, ich muss es offen gestehen, dass er mir in mancher Hinsicht bei meiner Purifikationsarbeit viele gute Dienste geleistet hat. Und ich kann eben deshalb schwer begreifen, wie dieser Mann in einen so jammervollen Zustand geraten ist.“

[2.219.4] Sage Ich: „Mein lieber Bruder, dieser Erzbischof Migazzi war einer, der es am meisten verstand, den Mantel nach dem Wind zu drehen, und sah sich die Prügel wohl an und beurteilte scharf, ob sie übers Knie zu brechen wären oder nicht. War ihm einer zu massiv und stark, so legte er ihn ja nicht ans Knie, sondern ließ ihn als Ganzen vergolden, damit fürs Erste ja keine Seele merken soll, dass so ein gewaltiger Prügel auch zu der Zahl derjenigen gehörte, die ihm unter die Füße geworfen wurden; und zweitens, dass dann beim Anblick solch eines gewaltigen, vergoldeten Prügels jedermann nur eine neue Macht in seinen Händen ersehen und erkennen möchte. Denn wer auf der Erde mit einem gewaltigen Kaiser Hand in Hand einhergeht, vor dem hat jedermann schon nahe ebenso viel Respekt, als wie vor dem Kaiser selbst.

[2.219.5] Unser Erzbischof Migazzi sah es recht gut ein, dass man unter deiner Regierung sich nur lächerlich machen würde, so man mit dem Papst, der damals sehr von Österreich abhing und dir auch beispielloserweise selbst persönlich noch einen fürs zeitliche Wohl der Hierarchie wohlberechneten Besuch abstattete, zu sehr Hand in Hand ginge; daher schloss er sich lieber an dich an und wurde geheim ein Gesetzgeber des Papstes! Denn er korrespondierte fleißig mit dem Stuhl und sagte diesem, was er zu tun habe, um sich gegenüber deiner Macht und Erkenntnis aufrecht zu erhalten. Weil aber der Papst sich danach richten musste, so war das unseres Erzbischofs Migazzi größter Triumph, dass er sogestaltig gewisserart ein Papst über dem Papst war. Und er hatte seine größte Freude daran, dass endlich einmal einer in Rom tanzen musste, wie ein Erzbischof Migazzi in Wien pfiff.

[2.219.6] Sieh, das war der Grund, warum Wiens Erzbischof Migazzi mit dir hielt! Die Prügel, die du ihm legtest, wusste er sehr gut aufzuklauben und sie allesamt zu vergolden und machte sie dann zu lauter Zeptern, die ihm große Zinsen trugen und eine große Macht und großes Ansehen verliehen. Aber so du meinen würdest, dass er auch innerlich also gesinnt gewesen sei, als wie er sich äußerlich zeigte, da wärst du in einer großen Irre. Denn da war er mehr Papst als der Papst selbst und bei Weitem mehr ultramontan als alle seine Kollegen. Ja, Ich sage dir, dass er dich insgeheim hasste, mehr als den Tod. Aber weil er durch dich gewisserart ein Gesetzgeber dem Papst geworden ist, so hielt er es mit dir und unterstützte dich in deinen Unternehmungen. Kennst du nun den Mann, der mit dir auf der Erde Hand in Hand ging?“

[2.219.7] Spricht Joseph: „Ah, so stehen die Aktien! O du verschmitzter Kerl! Nein, da hätte ich mir doch eher alles, als wie so was von diesem Mann eingebildet! Ja, ja, wer die sogenannte schwarze Politik erlernen und darinnen ein Meister werden will, der gehe zu den Schwarzen und Scharlachroten und zu allen den Purpurmäntlern – da findet er sie sicher in einem so hohen Grad ausgebildet, wie sie kaum im Kopf des Satans zu Hause sein dürfte. Nun, warte, du Schwarzpolitiker, du sollst an mir einen sehr harten Knochen zum Abnagen bekommen!“

[2.219.8] Sage Ich: „Gebe aber ja wohl Acht darauf, dass er dir nicht um vieles härter wird, als wie du ihm! Denn Ich sage dir, dass dies einer ist, der sich mit allen Salben gesalbt hat, und es für jeden noch so durchleuchteten Geist wahrlich keine geringe Aufgabe ist, einen also Gesalbten auf einen rechten Weg zu bringen. Fasse dich aber nun, er kommt uns schon sehr nahe. Sogleich wird er deiner und auch unser ansichtig werden.“

[2.219.9] Joseph fasst sich. Der Erzbischof Migazzi wird nun seiner ansichtig, tritt rascher zu ihm hin und sagt mit einer stark kreischenden Stimme: „Ich grüße dich, Bruder Joseph! Aber wie kommst denn du hierher in dieses elendste Loch?“ – Sagt Joseph: „Um dich zu besuchen, Bruder!“ – Sagt der Erzbischof Migazzi: „Das ist sehr schön von dir! Aber wenn du noch so ein Erzketzer bist, wie du es auf der Erde warst, da wirst du hier ganz verdammt übel aufgenommen werden.“

[2.219.10] Spricht Joseph: „Das macht einem Joseph nichts! Denn du weißt es ja, dass sich ein Joseph überall eine gute Aufnahme zu verschaffen versteht. Du magst mir sagen, was du willst, und ich werde dir stets jene Antwort geben, die ich dem Patriarchen von Venedig gab, als er mir ein Gemälde zeigte, das da die merkwürdige Szene vorstellte, wo der Papst über den Nacken eines schwachgewordenen Kaisers auf sein Maultier steigt und den Kaiser mit dem stolzesten Gesicht verächtlich anblickt.“ – Fragt der Erzbischof Migazzi: „Und wie lautete diese Antwort?“ – Sagt Joseph: „Tempi passati! – Das heißt: das sind vergangene Zeiten! Jetzt diskuriert [diskutiert] man anders! Und solch eine Antwort wirst auch du von mir erhalten, so du mir mit etwas kommen solltest, was mir nicht munden sollte. Denn weißt du, ich habe dir gegenüber noch nicht aufgehört, ein Kaiser zu sein. Sage mir aber nun, wie es dir hier geht und was du hier machst.“

[2.219.11] Spricht der Erzbischof Migazzi: „Eine dalkete [dumme] Frage, wie’s unsereinem hier ginge und was man mache. Sehe mein Gesicht an, das bis zu den Knochen herabgemagert ist, und dir muss die Antwort doch von selbst werden. Meine Arbeit aber siehst du doch an meiner Kleidung. Mundus vult decipi, ergo decipiatur! [Die Welt will ja betrogen sein, also betrüge man sie!] Das ist unser Geschäft von jeher gewesen und ist es daher auch noch jetzt. Die Menschheit will vom größten Wunder in ihr, das da ist die göttliche Vernunft und der ihr gleich göttliche Verstand, keinen Gebrauch machen. Ein noch so dumm angestelltes Spektakel ist ihr lieber, sie will nicht denken, ist lange zu träge dazu. Sie will einen durch Wunder hineingezauberten Glauben, damit sie dabei das mühsamere Denken entbehren kann. Also ist es ja klar, dass sie betrogen sein will. Volenti autem non fit injuria [Dem Selbstwollenden geschieht kein Unrecht]. Also sei sie denn auch betrogen!

[2.219.12] Lasse du Musiker, Maler, Dichter und Schauspieler bester Art in einem Saal spielen, malen, dichten und deklamieren, in einem andern Saal aber vom berühmten Magier Philadelphus Zaubereien aus dem Gebiet der ganz natürlichen Magie produzieren – ich versichere dich, der Zauberer wird das allermeiste und größte Auditorium haben, während die wahren Verstandes- und Gemütskünstler ihr Publikum sehr leicht werden überzählen können. Jedes Stück des Magiers ist ein Trug, aber das macht dem dummen Menschen nichts, wenn er nur etwas Wunderähnliches angaffen kann, so geschieht es ihm schon leichter. Wie ein Ochse tritt er die Großwunder Gottes leichtsinnigst mit seinen schmutzigsten Füßen, die machen auf ihn nahe gar keinen Eindruck. Die Sonne, der Mond, die Sterne, die herrliche Erde mit ihren Wundern ohne Zahl und Maß, das ist dem ochsigen Menschen rein Pomade! Aber in einen scheinbar leeren Becher eine Kugel hineinwerfen und hernach à la Hokuspokus drei herauswerfen – das ist Wunder über Wunder. Und siehe, so war die Menschheit, so ist sie jetzt und so wird sie sein so lange auf der Erde Menschen existieren werden! Daher ist der Grundsatz der Jesuiten das Beste, was je die menschliche Vernunft erfunden hat; denn er ist von der eigentlichsten Natur der Menschheit herausgenommen.

[2.219.13] Die weisen Ägypter haben eine der besten Religionen aufgestellt, weil sie rein auf Mysterien und Zaubereien aller Art basiert war. Sie hielt sich aber deshalb auch über zweitausend Jahre. Als aber gewisse Volksfreunde unter dem Volk aufgestanden sind und dasselbe über den Betrug ihrer heiligst gehaltenen Religion aufzuklären angefangen haben, da gab es dann nur zu bald auch eine Masse Feinde der Priester und ihrer Religion. Die Tempel wurden zerstört und die Priester häufig getötet oder im besten Fall aus dem Land vertrieben. Frage: was aber hat das Volk dabei gewonnen? Nichts als Not, Elend, Trostlosigkeit, Verzweiflung und am Ende den totalen Verfall ihrer Nationalität und ihrer uralten nahe göttlichen Berühmtheit. Wäre es denn nicht besser, so diese unzeitigen Volksbeglücker mit ihrer Verstandesschärfe unter dem ägyptischen Volk nie aufgestanden wären? Das Volk wäre bei seinen wunderreichen Festen in seiner Dummheit glücklich geblieben. Und die Priesterschaft, die eigentlich allein weiß, dass der Mensch nichts ist und auch ewig nichts zu erwarten hat, hätte dafür – dass sie die Sicherheit und das traurige Gefühl für sich allein in die Verwahrung nimmt, dass nach dem Tod jeden Menschen die ewige Vernichtung erwartet, aber dabei doch unermüdlich bestrebt ist, den Glauben an einen Gott und an die Unsterblichkeit bei dem blinden Volk durch jedes taugliche Mittel aufrecht zu erhalten und ihm dadurch eine recht hoffnungsreiche und fröhliche Existenz zu sichern – wohl ihre Einkünfte ungestört genießen können, indem sie von dem Volk denn doch die größte Last auf ihren höchsteigenen Nacken nimmt und allein mit jedem Tag und mit jeder Minute der ewigen Vernichtung entgegensieht.

[2.219.14] Lasst beim Volk die Einsicht lebendig und überzeugend aufkommen, dass es nach dem Tod kein Leben mehr gibt, und ihr werdet dann das Volk sogleich in alle erdenklichen Entartungen übergehen sehen! Ja, in einigen Augenblicken werden viele aus dem Volk zu Tigern und Hyänen. Der Priesterstand nimmt das alles auf seine Haut. Er allein sieht der ewigen Vernichtung mutig entgegen, weil er allein den großen Vorteil des Nichtseins vor dem Sein allerklarst einsieht. Und sonach ist es wohl der größte Undank gegen diese größten Wohltäter der Menschheit, so sie von gewissen Volksaufklärern entlarvt und als offenbare Betrüger dem Volk denunziert werden. Sie sind es allerdings, aber nicht zum Nachteil, sondern nur zum entschiedensten Wohl der Völker.

[2.219.15] Warum sind die Chinesen und hauptsächlich die Japanesen nahe die glücklichsten Völker der Erde? Weil sie in ihrer Dummheit noch nie gestört worden sind, indem ihre weisen Regenten dafür eine Hauptsorge tragen, dass ihre Völker ja nie zu irgendeiner Aufklärung gelangen. Einige wenige, die es wagten, diesen Völkern ein sogenanntes Lichtlein anzuzünden, wurden arg bedient. Und so haben sich denn doch nicht so leicht wieder andere eingefunden, die es gewagt hätten, dem Volk ein Licht anzuzünden.

[2.219.16] Du mein sonst überaus schätzbarer Freund hast aber als Regent selbst, statt mit der Priesterschaft ungestört Hand in Hand zu gehen, ihr eine Wunde geschlagen, die ihr schwerlich je eine Zeit wieder verheilen wird. Was soll da ein wahrer Erzbischof von dir urteilen?! Ja, was die ganze vernünftigere Menschheit? Du nahmst ihr das eine und gabst ihr nichts Besseres dafür.

[2.219.17] Wenn ein Mensch in seiner Dummheit glücklich ist, warum ihn aufwecken, auf dass er unglücklich werde? Alle Menschen sind zum Tod ausgesetzte Delinquenten. Wenn der Delinquent aber schläft, so ist er glücklich in seinem Traum. Wird er aber wach, was dann? Sieh, da fasst der Todesgedanke ihn, und er ist sogleich unaussprechlich unglücklich. Sage, hat der dem Delinquenten eine Wohltat erwiesen, der ihn aus dem Schlaf gerüttelt hat?

[2.219.18] Nicht umsonst nennt sich die Kirche eine Mutter. Denn sie ist den Völkern wirklich das, was die Mutter ihren Kindern ist. Sie gibt den Völkern allerlei sanft zum Schlafen lockende Speisen und Getränke, auf dass sie der Welt grässlichsten Jammer nie fühlen und schmecken sollen. Denn wer fest an der Kirche hängt und ihre Mittel gebraucht, der wird wahrlich den eigentlichen Todesschmerz nie empfinden. Wehe aber jedem Volksaufklärer! Der Tod wird sich schrecklich rächen an ihm! Was bedünkt dich nun? Wirst du mir da auch mit deinem törichten tempi passati kommen können?“

[2.219.19] Sagt Joseph ganz kurz und lakonisch: „Freund, durch diese deine sehr gehaltlosen Worte hast du eigentlich nichts anderes gesagt, als dass eben die Priesterschaft sich stets in ihrer krassesten Ignoranz befindet und diese ums teure Geld auch allen Völkern aufzubürden bemüht ist. Sieh, ich und Tausende, die so dachten wie ich, haben an der Unsterblichkeit unserer Seelen nie gezweifelt, obschon wir gottlob sehr aufgeklärt waren. Aber unser Glaube war kein blinder, sondern ein hellstsehender. Wir empfanden aber, dass alle Menschen das einsehen könnten, so sie nicht von der blindesten Geistlichkeit davon abgehalten würden. Und das, Freund, war der Grund zu unserem tempi passati, und es freut uns nun sehr, dass wir die tempi passati, so viel als nur möglich war, an das klare Licht gestellt haben.“

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