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200. Der Zollsergeant examiniert den Herrn und verdächtig die römische Geistlichkeit. Der Steuereinnehmer bemerkt skurrile Erscheinungen und folgt dem Herrn.

[2.200.1] Aber der Sergeant ist noch ganz in Wien und ganz von den Pflichten seines Amtes durchdrungen und sieht und hört daher aber auch nichts anderes, als das nur, was seines vermeintlichen Amtes ist. Nur etwas bescheidener wird er nun, weil ihn alle Gehilfen rein im Stich gelassen haben. Er begibt daher zu Mir sich hin und fragt Mich, wer denn Ich etwa wäre, wie Ich hieße und ob Ich keinen Pass oder sonstige Ausweisung besäße.

[2.200.2] Und Ich sage zu ihm: „Wir kommen direkt aus den höchsten Himmeln hierher. Ich bin Christus der Herr und bin nun gekommen hierher, die Toten zu erwecken und die Verlorenen aufzusuchen und die Kranken zu heilen. Und allen, die eines guten Herzens sind, soll ein großes Heil widerfahren!“

[2.200.3] Spricht der Sergeant, zu dem sich auch noch einige Individuen gesellen, die im Mauthaus sich befanden: „Gut gesprochen! Du bist noch der gescheiteste Narr aus all den frühern, in denen sich sogar wühlerische Verschmitztheit beurkundete, indem sie ihre Narrheit mehr als einen Deckmantel ihrer verbrecherischen, geheimen Absichten vorschoben und mich so sub bona fide [unter dem Schein guten Wollens] täuschen wollten. Aber da ich Argusaugen habe und das Gras wachsen höre, so kann ich nicht so leicht übertölpelt werden. Ich kenne mich aber nun mit euch ganz genau aus und weiß, woran ich bin. Und so muss ich euch wegen allerhöchsten geheimen Willens ja wohl passieren lassen. Das heilsame Placetum regii [Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung] ist aufgehoben und der katholischen Kirche freiestes Schalten und Walten in ihrer klerikalen Sphäre eingeräumt! Und so kann und darf sich auch ein exponierter Sergeant auf einer Linie nicht mehr wundern, so ihm von Zeit zu Zeit nun gewisse verkappte Jesuiten und Liguorianer in allerlei Gestalten vorkommen werden! Es wird bald wieder Ablässe und Wunder zu regnen anfangen. Die Jakobsleiter wird wieder repariert und zwischen Erd‘ und Himmel aufgestellt werden, auf der Engel, Apostel, die seligste Jungfrau, andere Heilige und nicht minder auch Christus Selbst auf- und absteigen werden, natürlich ums Geld und andere kostbare Buße. Und ihr seid schon die erste Probe! Deo gratias! [Gott sei Dank!] Ja ja, wir kennen uns schon aus beim Herausfassen! Schön, schön, das kann sicher so manchen sehr viel Trost gewähren – oder was?

[2.200.4] Ihr könnt nun schon weiterziehen! Hätte ich das eher gewusst, von welchem Geist ihr getrieben werdet, so hätte ich euch ja kein Hindernis in den Weg gelegt, wozu ich auch die gemessene geheime Weisung habe. Aber die Zusammenstellung ist wahrlich als vollkommen gelungen zu betrachten – bis auf den Robert Blum und bis auf die unverkennbare Schwarzmaxl-Lenerl, die doch sicher jeder lustige Wiener in vielfacher Hinsicht kennt. Der eigentliche Blum wird zwar von Kopf- und anderen Schmerzen nicht viel mehr geplagt sein. Aber die Erfindung eines Pseudo-Blums ist gut! Denn wer den rechten Paganini nicht hören konnte, der stellt sich nachher doch mit einem falschen recht gemütlich zufrieden. Und dieser Name hat noch viel geheimes Gewicht in Wien! Auch eine travestierte [verkleidete] Barrikadenheldin aus Oberlerchenfeld ist wahrlich für eure Zwecke nicht schlecht! Denn zum Gimpelfang gehört ja allerdings so ein recht niedlicher Lockvogel mit einem geisterhaft heroisch klingenden Namen. Der Zweck heiligt ja jedes Mittel. Und du bist Christus, der Herr Selbst? Oh, das ist sehr schön! Nun, wenn solche Christusse wie Du der römisch-katholischen Kirche nicht wieder auf die goldenen Beine helfen werden, dann ade Papst und Rom und ade Pfaffentum! Ein Dutzend Weihröcke noch dazu, und es wird sich schon alles wieder geben und machen.“

[2.200.5] Rede Ich: „Freund! Ich weiß, dass du ein sogenannter Protestant bist, und denkst übers römische Christentum nicht unbillig. Denn dieses ist vom Grunde aus ein Gräuel in allen seinen herrschsüchtigsten Mühen vor Gott, von denen ihm aber keine gelingen wird, dafür Ich dir stehen kann. Aber Mich und Meine kleine Gesellschaft verkennst du ungeheuer. Ich aber will dir von nun an nichts mehr aufbürden, indem du frei bist und glauben und tun kannst, was du willst. Aber das sei dir noch einmal kundgetan, dass du nun nicht mehr auf der Welt der Materie, sondern ganz in allem Ernst in der Geisterwelt dich befindest, und alles das, was du außer Mir und Meiner Begleitung siehst, nichts ist, als leere Erscheinlichkeiten, die für dich aber zu geistigen Wirklichkeiten werden könnten, so du dich an Mich schlössest und in Meine Fußstapfen trätest. Aber du bist in deinem Herzen noch zu weit von Meinem Reich entfernt und kannst Mich daher auch nicht erkennen in deiner Blindheit. Bleibe daher nur, wo und was du bist! Vielleicht sehen wir uns später noch irgendwo und irgendeinmal wieder!“

[2.200.6] Spricht der Sergeant: „Wird mich sehr freuen, wenn nicht in dieser, so vielleicht doch möglicherweise in einer anderen Welt. Wünsche übrigens eine gute Verrichtung in der Residenzstadt! Der noch immer fest andauernde Belagerungszustand dürfte eurem löblichen Unternehmen günstig sein. Darum noch einmal eine gute Verrichtung und einen schönen Gruß nach Maria-Zell! Ade.“

[2.200.7] Wir begeben uns nun ohne weiteren Anstand in das Innere der Stadt. Aber der Sergeant, uns mit seiner Gesellschaft nachschauend, sagt zu den Seinen, wie auch zu dem Einnehmer der ersten Verzehrungssteuermaut, der nun auch dazu gekommen ist, um zu erfahren, was es mit diesen sonderbaren Reisenden für ein Bewandnis habe und wer sie etwa seien, ob doch Chinesen oder wenigstens Indier, folgendes: „Das sind verkappte, feine Jesuiten als fromme Missionäre! Weißt du, seit die Kirche wieder frei ist in unserem lieben, väterlichen Österreich, haben ihre Pfaffen wieder die alte Jakobsleiter aufgefunden und sie geradewegs am Himmel angelehnt. Mit den alten Kirchenstrafen geht es denn doch wenigstens so geschwinde nicht und mit der goldenen Buße der Kreuzfahrer auch nicht; daher werden vorderhand Döbler und Bosko [zwei berühmte Zauberkünstler] zur Leihe genommen werden, und wir werden bald von den großartigsten Wundern von allen Seiten her die rührendsten Kunden erhalten.

[2.200.8] So waren z. B. diese sechs nichts weniger als: Der Capo [Anführer] war höchsteigenen Bekenntnisses Christus Selbst, der nun alle Kranken gesund machen wird etc., vielleicht hilft Er auch den Finanzen auf die Beine zum Spazier nach Rom – oder was? Die drei ersten waren Petrus, Paulus und Johannes der Evangelist. Nun, wie g’fallt dir das Gschichtl? Ein recht bildsauberes Menschl haben’s auch bei sich g’habt, unter dem Namen Schwarzmaxl-Lenerl, die Barrikadenheldin, und, itzt fall‘ aber nur um und werde völlig tot vor Verwunderung – den Robert Blum auch! Nun, ist’s Gschichtl nicht lustig? Wie g’fällt dir dieser Spaß? Meine Mannschaft, die etwas schwachen römischen Geistes ist, hat dir im Ernst dabei Reißaus genommen und hat mich allein hier sitzen gelassen. Nun, Freund, was sagst du zu dieser Errungenschaft vom Jahre 1848?“

(Am 6. Juni 1850)

[2.200.9] Sagt dazu der Verzehrungs-Steuereinnehmer: „Mein lieber Freund, diese Geschichte sieht wohl dem ersten Anschein nach etwas spaßhaft aus, aber im Grunde liegt, wie es mir vorkam und wie es mir mein inneres Gefühl sagte, doch etwas sehr Ernstes in dieser Geschichte. Ich will es schon zugeben, dass die Pfaffen bei der nun wieder erreichten kirchlichen Freiheit so manches versuchen werden, wodurch irgendein ihnen erwünschenswerter Volksaberglaube wiederbelebt werden könnte. Aber auf diese Weise, Freund, Freund – das werden sie fein bleibenlassen! Es mag in den früheren Zeiten sich wohl so mancher gäule [lüsterner] Pfaffe in nächtlichen Stunden gegenüber einer schönen jungen Nonne oder sonstigen Betschwester einen Spaß erlaubt haben, der vielleicht sehr nach einer himmlischen Maskerade roch, aber also öffentlich gegenüber offenbar amtlichen Aufsichtsmenschen und – nota bene [wohlgemerkt] – in einer sich im Belagerungszustand befindlichen Kaiserstadt, dürfte sich wohl der verschmitzteste Jesuit so was nimmer erlauben. Ah, weißt du, ich bin sicher kein Freund der Pfaffen; aber ich glaube, dass sich zu solch einem Geschäft wohl keiner herbeilassen würde, selbst so er im Ernst die bedeutendsten Vorteile davon zu erwarten hätte.

[2.200.10] Aber ich halte von dieser mir wahrlich ganz chinesisch vorkommenden Geschichte ganz was anderes, und zwar: Entweder sind diese sechs verkleidete hohe Personen, oder sie sind am Ende im Ernst das, als was sie sich ausgegeben haben. Denn, weißt du, aufrichtig gesagt, mir kommt meine ganze Lebensgeschichte hier in Wien, so ich die Sache bei rechtem Licht betrachte, etwas sonderbar vor. Und das bringt mich heimlich immer mehr auf die Vermutung, dass ich mich entweder in einem Traumleben befinde oder ich werde von irgendeinem sonderbaren Schwindel geplagt. Auch eine Menge anderer Bemerkungen habe ich schon gemacht und mich dabei am Ende, wenn ich die Sachen näher beurteilt habe, höchlichst verwundert, dass derlei Vorkommnisse mir nicht eher aufgefallen sind. So zum Beispiel habe ich dir seit ungefähr einem Zeitraum von zwei Jahren her aber auch nicht einen Fuhrwagen gesehen und ebenso wenig irgendeine Equipage, was gewiss sehr sonderbar ist, so gehen auch äußerst wenige Menschen hier vorüber. Und von einem Hineintragen von den gewöhnlichen Viktualien [Lebensmittel] ist auch keine Rede mehr; gewöhnlich werden seltene, mir ganz unbekannte Wurzeln und Kräuter und geselchte Wölfe, Füchse und kleine Bären vorbeigetragen und noch eine Menge anderes so dummes Zeug mehr, dass man darüber gerade lachen muss. Ich kann dafür auch von niemanden eine Steuer erheben, weil derlei Dinge in keinem Steuertarif vorkommen. Und verhalte ich auch jemanden dazu, so gibt er mir gar keine Rede und Antwort und geht unaufhaltsam seines Weges weiter. Mir aber fällt es auch dann gar nicht bei, dass ich jemanden anhalten soll.

[2.200.11] Letzthin sah ich so in Gedanken vor mich hin und bemerkte ein großes, wertvolles Goldstück von neuester Präge so etliche Schritte vor mir am Boden liegen. Ich eile hin, um es aufzuheben. Als ich hinzukam, ist das ganze Goldstück verschwunden und an seiner Stelle lag eine zertretene ganz kohlschwarze kleine giftige Natter. Ich wollte sie mit meinem Visierstab hintanschleudern. Als ich sie aber noch kaum berührte, so metamorphosiert sie sich augenblicklich in einen recht sonderlich hässlichen Raubvogel, der in dem Augenblick auf und davon flog, als ich den verwunschenen Prinzen von einem Großdukaten mit meinem Visierstab davonschleudern wollte. Letzthin war ich auch auf eine außergewöhnliche Art von einer Erscheinung affiziert worden. Ich sah zum Fenster hinaus, und es regnete gewaltig stark. Mir fiel es erst auf, dass ich bis dahin durch sage zwei Jahre, weder regnen und noch weniger schneien gesehen habe. Ich eile schnell hinaus, um mich ein wenig anregnen zu lassen. Wie ich aber – doch sicher schnell genug – hinauskam, da war dir aber vom Regen auch keine Spur mehr. Und ich fing erst über die Sonderbarkeit der Witterung an nachzudenken, und es kam mir wahrlich sehr sonderbar vor, dass ich hier noch nie eine Sonne gesehen habe, und wahrlich gar nicht weiß, woher wir das Licht haben. Oder hast du schon einmal eine eigentliche Nacht erlebt oder einen Winter, Frühling, Sommer oder Herbst? Sieh, alles dauert hier so in einem und demselben Zustand fort, und uns fällt es noch dazu am Ende gar nicht auf, dass die Sachen hier eben so sonderbar stehen, an denen wahrlich weder der Belagerungszustand und ebenso wenig irgendwo daseiende Jesuiten Schuld tragen können.

[2.200.12] Siehe, aus diesen Vorkommnissen bin ich umso mehr genötigt und geneigt zu glauben, dass wir fürs Erste nicht mehr auf der eigentlichen Erde uns befinden und somit dem Leibe nach schon lange gestorben sind – und fürs Zweite, dass die sechs danach sehr leicht das sein können, als für was sie sich ausgegeben haben. Und, weißt du was, ich werde ihnen nachgehen! Sie stehen gerade noch dort vor einem Haus! Bei denen muss ich ins Klare kommen.“

[2.200.13] Spricht der Sergeant: „So warte, ich werde auch mit dir gehen!“ – Beide machen sich sogleich auf den Weg und gehen uns eiligst nach.

[2.200.14] Als sie zu uns kommen an der Stelle vor einem Haus, in das wir zuerst den Petrus sandten, auf dass er besuchte die Kranken darinnen und heilte, die zu heilen wären, da sagt der Verzehrungs-Steuereinnehmer: „Meine lieben, erhabensten Freunde, und besonders Du, Urweiser von Nazareth! Eure Rede fiel mir auf und weckte mich insoweit, dass mir gleich darauf auch sehr verschiedenes anderes aufzufallen begann, was mir früher lange nicht aufgefallen wäre, und auch nicht aufgefallen ist, obschon es mir und vielen tausend anderen schon lange hätte auffallen sollen. Zugleich durchrieselte mich bei eurer Gegenwart an meiner Maut ein so merkwürdig wohltuendes Gefühl, dass ich mich kaum halten konnte, euch sogleich zu folgen. Ich kämpfte zwar eine Weile ganz männlich gegen dieses Gefühl und schützte ihm meine kaiserlich-königlichen Beamtenpflichten vor. Aber das Gefühl sagte wie ganz mächtig laut: ‚Was kaiserlich, was königlich! So Gott dich ruft, dann hört der Kaiser und der König für ewig auf.‘ – Und ich wandte auf solche Stimme meines Gemütes meinem kaiserlich-königlichen Mauthaus sogleich den Rücken und bin meinem innersten Trieb gefolgt und bin nun bei euch, ihr sicher weiseren Freunde, als wie da ist unsereins. Erlaubt mir aber nun auch, dass ich dem Drang meines Gefühles nach bei euch mich wenigstens so lange aufhalten darf, als bis ich durch eure Güte und Weisheit so viel Einsicht erlangen werde, um einzusehen, das ich bisher wirklich nicht eingesehen habe – wo und was ich denn hier so ganz eigentlich bin. Ob das Wirklichkeit oder ob das etwa bloß nur so ein ewiger Traum ist? Lebe ich noch auf der Erde – was ich stets mehr bezweifle? Und mich nimmt auch stets mehr und mehr wunder, dass ich bei so verschiedenartigen, von der wirklichen Erdnatur gänzlich abweichenden Erscheinungen es nicht noch bei Weitem mehr bezweifle. So es euch möglich ist, was ich durchaus nicht bezweifle, da zündet mir in meinem Gehirnkasten so ein kleines Lichtlein an!“

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