[2.178.1] Miklosch kehrt nun wieder seine Augen der Szene zu und spricht nach einer Weile: „Aha, aha, die Minerva wird nun ganz unruhig, und man sieht es aus jeder ihrer Bewegungen, wie nur zu gerne sie das rote Bündel vor sich enthüllt hätte.
[2.178.2] Kado merkt solches gar wohl und fragt sie nun: ‚Bist du denn an den Boden geheftet? Erhebe deine Füße und begebe dich hierher! Da wirst du es leichter haben, in das Geheimnis dieses Bündels zu dringen, als von deinem gegenwärtigen Standpunkt. Bist du aber angeschmiedet auf deinem Boden, so sage es mir! Deine Füße will ich dir auch von hier aus frei machen.‘ – Spricht die Minerva: ‚Ah, das ist keine Notwendigkeit, denn ich bin frei und kann gehen, wohin ich will. Wie sieht das Kleid aus? Geh, sag‘ mir’s, lieber Kado!‘
[2.178.3] Spricht Kado: ‚Nein, das kann nicht sein, wie vorderhand alles nicht, was du willst. Komme, und du wirst es sehen und dich darob sehr erstaunen!‘ – Spricht die Minerva: ‚Ei, ei, du bist aber doch hart! Aber was will ich machen? Muss ich aber auch in dich vernarrt werden! Nein, so was hat die Ewigkeit an mir noch nie erlebt. Nun denn, ich will’s wagen! Aber so du mir was tust, dann kehre ich sogleich wieder um und komme nicht je wieder zurück – verstehe, nie wieder!‘
[2.178.4] Nun verlässt die Minerva endlich nach so vielen allerartigen Gegenbestrebungen ihren Standpunkt, eine Art Glühsandhügel, und begibt sich sondierenden Schrittes hinauf zum Kado, hinter dem noch immer die zwei bekannten Freunde verweilen. Aber da sieh einmal hin! Im Augenblick als die Minerva ihren unbeschreiblich reizend schönen Fuß an den vom Glutmeer freien Hügel setzt, verschwindet nun dieses; auch von der scheußlichen Grotte ist nichts mehr zu erschauen, und das gräuliche Gebrause, Gepfeife und Gestöhne, wie das Gekrache und Gedonner sind verstummt! Ah, das tut unsereinem ordentlich wohl! Das Hochgebirge scheint auch etwas niederer geworden zu sein und hat den Charakter der Schroffheit nahe ganz verloren. Nur hie und da sind noch einige nackte Felsen zu entdecken, so man den ganzen Gebirgszug von Punkt zu Punkt recht sorgfältig durchschaut. Kurz, die ganze Gegend ist gerade nicht stark aber doch hinreichend erleuchtet. Nun, nun, die Geschichte scheint sich machen zu wollen.
[2.178.5] Wahrlich der Kado ist ein Künstler in seinem Fach. Denn diese Prinzessin der Ewigkeit in sich verliebt zu machen – ich sage, ein Wesen, dem die Liebe fremder sein musste als mir das Ende der Unendlichkeit, zu irgendeiner attraktiven Neigung zu bringen – da gehört mehr dazu als zwei Ohren, zwei Augen, eine Nase, ein Mund und zwei Hände. Der Kado ist bis jetzt zwar noch ein sogenannter Teufel; aber ich habe wahrlich allen Respekt vor solch einer Teufelschaft. Nein, das ist ihm gelungen! Es muss aber auch eine Unbeugsamkeit in ihm sein, an der jede noch so diamantene Härte am Ende den unfehlbarsten Schiffbruch erleiden muss. Charakter hat er und einen Mut, der ins grauenhaft Schauderhafteste geht! Ja, so man so was nicht selbst gesehen hätte, da wäre solch eine erzählte Date das Unglaublichste, was ein Geist nur immer als unglaublich bezeichnen kann. Aber wir haben das Außerordentliche, noch nie Dagewesene mit unseren eigenen Augen mit angesehen und mit unseren offenen Ohren vernommen und können daher nichts anderes tun als staunen und Dich, o Herr, loben und preisen über alle Maßen, dass Du so was endlich einmal hast geschehen lassen. Nun ist es aber auch zu erwarten, dass die gesamte Erde – vielleicht nach wenig Stürmen – in ein solches Stadium übergehen werde, das allen Himmeln sicher sehr erwünscht sein wird.
[2.178.6] Aber gar zu sehr beeilt sich die Minerva gerade nicht bei ihrer Annäherung zum Kado. Denn ihre Schritte sind sehr klein und gemessen. Lungensucht wird bei solcher Bewegung sich die Schönste nicht zuziehen. Alle Augenblicke findet sie was am Boden, klaubt es auf, betrachtet es eine Weile und wirft es dann wieder hastig von sich. Mir kommt es vor, als so am Boden gegen den Kado hin geflissentlich allerlei scheinbare Preziosen verstreut wären, die die Schlaue gewisserart stets näher und näher zum Kado hin verlocken sollen. Wahrlich, die List ist gar nicht übel! Ich kann mich erinnern, sogar auf der Erde in einer sibyllischen Weissagung gelesen zu haben: ‚So aber der Satan bekehrt würde, da wird er auf Perlen und Diamanten einhergehen und wird sie verschmähen und ihrer nimmer achten. Dann wird die Hölle verschlossen werden, und die Ketten des Wahnes werden schmelzen wie Wachs an der Sonne.‘
[2.178.7] Wahrlich, da sieht die Geschichte beinahe also aus. Sie kommt näher und näher und ist nun keine vierzig Schritte mehr vom Kado entfernt. Bin wahrlich höchst neugierig, wie sich diese beiden empfangen werden. Aha, jetzt muss sie was sehr Bedeutendes gefunden haben. Mit großer Hast beugte sie sich zum Boden nieder und hob etwas wie ein Diadem auf, das sie nun recht beifällig betrachtet und keine Lust zeigt, es ebenso von sich zu schleudern, als die früher aufgeklaubten Dinge.
[2.178.8] Nun fragt sie den Kado, sagend: ‚Freund, wer hat denn diese vielen Kostbarkeiten hier verstreut? Sind sie für mich? Oder sind sie für wen anderen zu einem neuen Fall gelegt? Hier ist ein herrlichstes Diadem, meines Hauptes wert! Soll ich’s behalten oder von mir schleudern?‘ – Spricht Kado: ‚Das Gute behalte und das Schlechte nur werfe von dir! Klaube aber nicht zu viel auf! Denn zu viel von derlei Dingen würden dich derartig belasten, dass du kaum einen Schritt vorwärts tun könntest. Das Diadem behalte, aber weiter klaube nichts mehr auf! Verstehe das und sei folgsam!‘
[2.178.9] Spricht die Minerva: ‚Ja, ja, ich komme schon, ich komme ja! Aber da liegt vor mir schon wieder ein allerherrlichstes Armband. Ah, das ist wunderschön! Du Kado – geh, erlaube, dass ich das noch aufhebe! Denn das ist meines Armes würdig!?‘ – Spricht Kado etwas ungeduldig: ‚Ei, ei, du schmuckgieriges Wesen, lasse liegen das verlockende Armband! Denn dein Arm ist ja ohnehin so unendlich schön, dass er für sich allein als ein Schmuck alles Schmuckes betrachtet werden kann! Wie könntest du ihn noch mehr schmücken wollen!? Hier aber zu meinen Füßen harrt deiner ja ohnehin ein Schmuck, dem keiner in der ganzen Unendlichkeit gleichkommt. Daher verweile dich nicht über dem Gassenkehricht, sondern komm und nehme eiligst von dem Besitz, was für dich bereitet ist!‘
[2.178.10] Die Minerva kommt nun, das Armband von sich werfend, schnell in die Nähe des Kado. Nur drei Schritte trennen sie noch. Sie spricht nun zum Kado: ‚Freund Kado, sieh, soweit bin ich dir entgegengekommen; es waren sicher bei dreitausend Schritte! Drei einzige Schritte fehlen noch. Diese wirst wohl du mir entgegen [kommen] können. Ich sehe es dir nur zu sehr an, wie du vor mir glühst und mit welch einer noch nie dagewesenen Liebegier du mich nun an deine Brust drücken möchtest! Meine wahrlich zu mächtigen Reize machen erbeben dein ganzes Wesen. Du liebst mich unaussprechlich. Das sagt mir deine glühende Brust; das sagen mir deine Augen. Tue mir daher den kleinen Gefallen und mache nur diese drei kleinen Schritte zu mir!‘
[2.178.11] Spricht Kado: ‚Endlos Schönste! Es werden noch himmlische Zustände kommen gleich wie irdische Zeiten, da ich dir Millionen Schritte entgegeneilen werde. Aber hier erheischt es eine allerfesteste, für dein alleiniges Wohl berechnete Ordnung, dass ich zuvor keines deiner noch so zu respektierenden Worte erhören darf, als bis du alles das erfüllt haben wirst, was ich von dir verlange und verlangen muss. Daher mache auch noch die kleinen drei Schritte, da du schon die dreitausend hast machen können.‘
[2.178.12] Spricht die Minerva-Satana: ‚Wer bemüßigt dich von mir all das zu verlangen? Wer ist dein Gesetzgeber?‘ – Spricht Kado: ‚Niemand mir bewusstermaßen kann mir vorschreiben, was ich von dir verlange. Ich selbst bin mein höchsteigener Gesetzgeber und lasse mir weder von irgendeiner Gottheit noch von irgendeinem Teufel etwas vorschreiben. Du bist doch der oberste Gebieter aller Teufel und dazu schön wie ein Augapfel Gottes. Und sieh, deine Worte finden kein Gehör bei mir! Und ich war ehedem vor Gott durch dessen zwei größten Geister, und sie waren gut und weise und zeigten mir Himmel und Hölle, auf dass ich mich entschiede für eines oder das andere. Und sieh, ich wollte den Himmel nicht und verstand der Hölle den gerechten Hohn zu sprechen. Ich sah ein wahnsinnigstes Unternehmen, dem ewig nie ein Gelingen folgen kann. Es ward von dir auf mich Fahndung gemacht auf alle mögliche Art und Weise. Alle deine Trugkünste scheiterten an der Härte meines Willens und an der Festigkeit meiner Absicht zu deiner redlichen Freiwerdung vom Joch deiner eigenen Blindheit! Sage, wer doch könnte mir so was vorschreiben?
[2.178.13] Sieh, in der ganzen Unendlichkeit gibt es kein Wesen, dem ich gehorchen würde, so es mir geböte: ‚Tue dies, oder tue jenes!‘ Denn ich bin ein Herr meiner selbst und kümmere mich um niemand andern, außer allein um dich, weil du mir so unendlich gefällst und weil du nach Gott als erstes, größtes, vollendetstes und mächtigstes Wesen in der ganzen Unendlichkeit dastehst, das nun im vollsten Sinn wieder das werden soll, was es der ewigen und höchsten Weisheit Gottes zufolge hätte werden sollen. Ich allein fühle in mir die Bestimmung, die ich mir selbst gebe, dich also umzugestalten. Aber das geht auf keinem anderen Weg als gerade auf dem nur, den ich dir vorschreibe – aus welchem Grund ich dir aber eher in gar nichts nachgeben kann, als bis du allem dem, was ich verlange, bis auf ein Haar nachgekommen sein wirst. Daher also nun keine Zauderei mehr mit den drei Schritten, sonst wirst du noch lange nicht gelangen zu deiner Urschönheit und Würde.‘
[2.178.14] Spricht die Minerva-Satana: ‚Weißt du, mein wirklich und im vollsten Ernst geliebter Kado – es ist alles richtig und wahr und gut und herrlich, was du mir nun gesagt hast! Ich will und kann dir da nichts einwenden; aber so uns für alle Zukunft die eigentliche Liebe leiten soll, so verstehe ich nicht, wo du diese hernehmen wirst, da du nun mir zuliebe auch nicht um ein Haar dich von der Stelle rühren wirst! Siehe, ich will noch zwei Schritte tun! Den einen, letzten aber musst du tun, und soll ich darauf eine Ewigkeit harren. Denn nun ist ja bei mir ohnehin auf keine Umkehr mehr zu denken, da ich mich dir schon so weit habe gefangen gegeben! Tue daher mir diesen kleinen Gefallen.‘“
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