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107. Himmlisches Gnadenmahl. Brunos Selbstlosigkeit. Herzensprobe in der Feindesliebe.

(Am 31. Juli 1849)

[1.107.1] Robert legt vor Mir das Brot auf den Tisch hin und stellt ebenso neben das Brot den Wein, verneigt sich dann und geht auf seinen Platz. Ich aber nehme das Brot und frage den Bruno, ob er wohl wisse, was das sei?

[1.107.2] Spricht Bruno: „Herr! Das ist Brot der Himmel, eine wahre Speise zum ewigen Leben und zur Vergebung der Sünden! Wohl dem, der es zu essen bekommt!“

[1.107.3] Sage Ich: „Nun gut denn also! Weil du also glaubst und sprichst, so nehme es hin und esse davon, so viel du magst und kannst!“

[1.107.4] Spricht Bruno: „Herr! Es sind aber hier nebst mir noch neunundzwanzig, die noch hungriger sein dürften denn ich! O lasse es zu, dass ich von diesem Brot zuerst ihnen gebe nach ihrem Bedürfnis und am Ende dann erst ich mich sättige mit dem, was da übrigbleiben könnte?!“

[1.107.5] Rede Ich: „Tue alles nach dem Verlangen deines Herzens!“

[1.107.6] Da dankt Bruno Mir um das Brot mit Tränen im Auge und teilt es bis aufs letzte Brotkorn unter die neunundzwanzig aus, die es eben auch mit dem gerührtesten Herzen sogleich verzehren. Einer aber bemerkt es, dass der Bruno sich ganz vergessen hat, tritt zu ihm hin und sagt: „Aber lieber Freund Bruno, du hast ja bei der guten Teilung des Brotes dich ganz vergessen und hast alles, was der Herr nur dir gegeben hat, uns gegeben! Ich habe von meinem Stück noch nichts weggenommen, nimm es hin und esse es; denn du bist nicht minder hungrig als ich.“

[1.107.7] Spricht Bruno: „Liebster Freund, behalte und esse, was ich dir durch des Herrn alleinige Gnade gegeben habe, und sehe nicht auf mich! Denn ich habe mehr Freude, so ihr alle gesättigt seid, als so ich hundertfach wäre gesättigt worden. Sorgt euch nur um mich nicht; denn an der Seite dieses heiligen Gebers darf einem um die Sättigung wohl ewig nimmer bange werden.“

[1.107.8] Bei diesem herrlichen Benehmen Brunos wie auch seines Freundes kommen allen Gästen die Tränen großer Freude, wie auch Mir selbst! Denn es gibt in allen Himmeln nichts Erhabeneres und Ergreifenderes, als wann ein armer und sehr hungriger Mann beim Anblick seiner gleich armen und hungrigen Brüder seiner selbst gänzlich vergisst und all das ihm Zugekommene an seine armen und hungrigen Brüder abgibt. Ein solcher macht aber dadurch auch einen Riesenschritt und das ins Zentrum Meiner Liebe!

[1.107.9] Notabene! Solches merkt auch ihr auf der Erde besonders wohl, schreibt es euch in eure Herzen!

[1.107.10] Darauf nehme Ich den Wein und gebe ihn dem Bruno mit der Frage: „Was es sei?“

[1.107.11] Dieser spricht voll der dankbarsten Rührung: „O Herr, das ist ein köstlicher Wein aus Deiner Kelter, ja aus der heiligsten Kelter Deines göttlichen Vaterherzens! Mit nie zu erlöschendem Dank und voll der höchsten Ehrfurcht wage ich, ihn aus diesen Deinen heiligsten Vaterhänden zu nehmen und, so Du es erlaubst, ihn auch meinen armen, durstigen Brüdern zukommen zu lassen?“

[1.107.12] Sage Ich: „Ich habe es dir schon früher gesagt, dass es Mir vollends recht ist, was du nur immer nach dem edlen Drang deines Herzens tust. Siehe, der Wein ist nun dein; tue nun damit, was du willst!“

[1.107.13] Bruno, ganz gerührt, dankt Mir und reicht den Wein sogleich seinen Brüdern und Freunden. Diese sagen und beteuern, davon nicht eher etwas zu nehmen, als bis er davon getrunken habe. Aber Bruno tut’s nun einmal nicht anders, und so nehmen denn die andern dankbarst den Wein und trinken davon nach der Herzenslust. Es bleibt aber auch vom Wein nichts übrig. Obschon aber Bruno nun noch voll Hungers und Durstes ist, so freut er sich aber dennoch ganz immens, dass nun seine Brüder gestärkt sind und sogleich ein besseres Aussehen überkommen.

(Am 1. Aug. 1849)

[1.107.14] Rede Ich und sage: „Nun, mein geliebter Bruno, sage Mir, wie hat dir denn allhier doch Mein Brot und wie Mein Wein geschmeckt? Bist du nun stärker als wie du früher warst?“

[1.107.15] Spricht Bruno ganz beherzt: „Herr! Ich habe nur einen Mund, einen Magen und ein Herz! Diese aber haben neunundzwanzig Munde, ebenso viele Magen und Herzen, die alle von meinem Herzen aus auch in meinem Magen und Mund zu Hause sind. Hätte ich das Brot und den Wein allein gegessen und getrunken, so wäre ich auch nur ganz einfach gesättigt und gestärkt worden, was mir eben nicht den größten Nutzen gebracht hätte. Da aber an meiner statt neunundzwanzig gestärkt worden sind, die ich alle wie ein zweites Ich in meinem Herzen trage, so bin ich dadurch nun nicht nur einfach, sondern in aller Wahrheit des Herzens neunundzwanzigfach gesättigt und gestärkt worden durch meine große Liebfreude an der Freude der neunundzwanzig gesättigten und gestärkten armen Brüder und allerärmsten Schwestern! Und so kann ich auf Deine an mich gerichtete heilige Frage auch wahrlich nichts anderes antworten und sagen als, dass Dein heiliges Himmelsbrot mir gar überaus wohl geschmeckt und der Wein sicher bestens gemundet hat! Dir allein ewig dank darum!“

[1.107.16] Rede Ich: „Liebster Freund Bruno! Siehe, du hast auf der Erde wohl recht oft und sehr gröblich gesündigt! Aber weil du so viel der uneigennützigsten Liebe gegen deine Brüder in deinem Herzen fassest, so wird dir auch viel vergeben werden! Denn jedem Wohltäter an seinen Brüdern und Schwestern wird hier Barmherzigkeit zukommen, indem er selbst Barmherzigkeit ausgeübt hat; und so denn auch dir deiner Brüder wegen und den Brüdern deinetwegen; denn da steht einer für alle und alle für einen!

[1.107.17] Aber es gibt da auch Wohltäter auf der Welt, die gegen ein junges armes Mädchen sehr barmherzig sind und suchen ihm nach allen ihren Kräften propter certam quoniam [aus einem gewissen Grund] aus einer Verlegenheit zu helfen; kommt aber eine alte und sehr mühselige Witwe zu ihnen, so wird sie mit einer Predigt und einem schlechten Kreuzer abgespeist; und ebenso auch ein alter, armer, mühseliger Bruder. Solchen barmherzigen Wohltätern werde Ich sehr wenig Barmherzigkeit erweisen! Denn wer für seine Wohltaten einen Genuss haben will und, wenn er den nicht haben kann, dann härteren Herzens ist denn ein Stein, der gehört zur Familie aller Teufel! Denn auch die Teufel tun denen Gutes, von denen sie irgendeinen angenehmen Vorteil zu erwarten haben.

[1.107.18] Du aber hast hier nicht also gehandelt und übtest Barmherzigkeit aus, hinter der keine unlautere Absicht zu erschauen war, und sollst daher auch bei Mir die höchste Erbarmung wiederfinden. Aber bevor ich dir diese im verheißenen Vollmaß werde angedeihen lassen, wirst du mir noch eine Probe deines Herzens ablegen müssen. Wirst du auch diese bestehen, dann soll dir aber auch sogleich Meine Gnade und Erbarmung im vollsten Maß zuteilwerden!

[1.107.19] Da gegen Abend hin ersiehst du eine Türe, die halb geöffnet ist. Gehe dahin! In selbem Gemach wirst du lauter solche Menschen finden, die auf der Welt deine ärgsten Feinde waren! Suche sie zu gewinnen und bringe sie zu Mir, so wirst du dann vollkommen sein vor Mir! Denn wer nur seinen Freunden Gutes tut, der hat noch lange nicht alles getan, auf dass er dann vor Mir sagen könnte: ‚Herr, ich war dennoch ein unnützer Knecht!‘ Wer aber das nicht sagen kann, der ist Meiner wohl noch lange nicht wert! Gehe daher hin und handle nach Meinen Worten!“

[1.107.20] Spricht Bruno: „O Herr! Dein heiliger Wille geschehe! Sei was es sei. Dein Wille ist mein Leben, mein Heil und meine höchste Wonne. O wie süß ist es, zu handeln im heiligen Haus des wahren, ewigen, allmächtigen Vaters! O ihr meine Feinde alle, ihr Brüder, die ihr an und in mir einen Bruder, der euch liebte, hart verkannt habt – im Namen meines und eures Gottes, Herrn und Vaters, komme ich zu euch, um euch zu segnen und Gutes zu tun und dadurch auch für ewig zu vergessen jede Unbill, die ihr mir je erwiesen habt!

[1.107.21] O Gott, o Gott! Welch eine Wonne erfüllt nun mein Herz, das sich nun stark genug findet, sich zu demütigen vor seinen Feinden, vor seinen hochmütigen und selbstsüchtigen Verächtern! Dunkel ahne ich’s nun, was Dein heiliges Vaterherz damals im Angesicht Deiner argen Feinde muss empfunden haben, als Du in Dir Selbst zum Vater riefst: ‚Vater! Vergebe ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!‘ O Größe, Größe, heilige endloseste Größe, deren nur ein Gottesherz fähig ist!

[1.107.22] Wahrlich, es ist schön, ja erhebend wunderbar schön, so ein Bruder dem Bruder hilft; und schöner noch ist es, so er ihm hilft, ohne je an ein Entgelt zu denken! Aber Höheres und Größeres fasst kein Himmel, als zu segnen, die uns fluchen, und wohlzutun denen, die uns gehasst, verachtet und schädlich verfolgt haben!

[1.107.23] Daher hin, hin, hin, zu meinen Feinden hin! Denn diese sind wie berufen, mein Herz zu vollenden vor Gott!“ Mit solchen seltenen, erhebenden Worten stürzt Bruno zu der bezeichneten Türe hin.

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