(Am 13. Dez. 1848)
[1.9.1] Gar sorglichst aufmerksam betrachtet er den nachhaltigen Schimmer und weiß nicht, was er daraus machen soll. Nach einer Weile kommt er aus seiner Überraschung gewisserart wieder zu sich, fängt wieder nüchterner über diese Erscheinung zu denken an und sagt bei sich selbst:
[1.9.2] „Es ist am Ende doch noch ein Wetter, dessen Gewölk sich nun nach dem dritten Blitz auf einer Seite ein wenig zu lichten anfängt. Nur eines geht mir dabei nicht so ganz ein, und das ist, dass ich erst jetzt, da ich meine Umgebung etwas besser ausnehme, recht klar gewahr werde, dass ich mich, ganz vollkommen gleich einem Vogel, in freier Luft oder im freiesten Äther ohne alle Unterlage befinde. Es hätte solch ein Zustand in der früheren derbsten Nacht wohl noch als ein Gefühlstrug können angenommen werden; aber nun ist es kein Trug mehr, sondern volle Wahrheit.
[1.9.3] Jetzt wenigstens wird es mir wohl klar, dass ich dem Leib nach wirklich gestorben bin, da man doch unmöglich annehmen kann, dass sich ein schwerer Leib so lange frei im Luft- oder Ätherraum erhalten könnte! Ich sehe aber auch außer mir nichts. Weder unter mir noch ober mir ist irgendetwas Gegenständliches wahrzunehmen. Ich muss mich sonach sehr fern von irgendeinem Weltkörper befinden?! Hm, sonderbar, sonderbar!
[1.9.4] O Hegel, o Strauß, o Ronge! Eure Weisheit scheint hier sehr stark Schiffbruch zu leiden! Wo ist eure allgemeine Weltseele, in die nach des Leibes Auflösung der Mensch übergehen soll?! Wo ist der im Menschen auftauchende Gott und wo sein Sich-seiner-selbst-bewusst-Werden im Menschen? Ich bin gestorben, bin nun hier so ganz in der allerohnmächtigsten Alleinheit, wie nur irgendeine vollkommenste Alleinheit sich denken und vorstellen lässt. Da ist keine Spur von irgendeiner auftauchenden Gottheit und ebenso wenig irgendein Übergang meines Wesens in das allgemeine Weltseelentum wahrzunehmen!
[1.9.5] O ihr eingebildeten menschenfreundlichen Weltweisen! Eure Sehe hat sehr trüb gesehen und wird noch trüber sehen. Denn von solch einem Befinden nach des Leibes Tod habt ihr wohl noch nie die allerleiseste Ahnung gehabt. Kurz und gut, ihr habt mich betrogen und werdet noch viele betrügen. Aber es sei euch alles vergeben, da ihr ja auch Deutsche seid! Wüsstet ihr etwas Besseres und der Wahrheit Gemäßeres, so würdet ihr, als echte Deutsche, es euren Jüngern auch sicher nicht vorenthalten haben!? Aber da ihr dessen nicht fähig seid, so gebt ihr, was ihr habt, und das ist wenigstens redlich gehandelt!
[1.9.6] Freilich wohl nützt dem Menschen hier eure Redlichkeit eben nicht gar besonders oder auch gar nicht. Aber das macht auch eben nichts, da es im Grunde genug getan ist, die Menschheit bloß irdisch, materiellerseits, in einer gewissen Ordnung zu erhalten. Was aber dieses oft bezweifelte Leben nach des Leibes Tod betrifft – vorausgesetzt, dass höchst wahrscheinlich sich jedwedes Menschen Leben dem meinen gleich gestaltet, so braucht es da sicher keine Gesetze mehr. Denn welche Verpflichtungen könnten mir nun noch mehr obliegen? Sicher keine andern als die eines Wölkchens in der Luft, das die Winde treibe, wohin sie gehen! Hätte ich nun die Weisheit Salomons und die Stärke Goliaths – wozu wohl könnten sie mir dienen?!
[1.9.7] Darum wäre es wahrlich besser, in dem finstersten Aberglauben Roms zu leben und zu sterben, da man wenigstens im blinden Glauben seinen Leib ablegte, nach dessen Abfall entweder gut oder schlecht der Seele nach fortzuleben des Glaubens wäre, und sonach auch dem Tod leichter ins Angesicht schauen könnte, als dass man als ein rongeanscher Puritaner mit des Leibes Tod alles Leben für ewig zu verlieren wähnt und sich somit vor dem Tod auch ganz grässlich entsetzlich fürchten muss, wie es bei mir seligen Angedenkens der schaudervollste Fall war! O Himmel! Lieber ewig in dieser wesenlosen Leere schmachten, als noch einmal solch eine Todesangst auszustehen!
[1.9.8] Darum Lehrer, ihr Lehrer! Lehrt eure Jünger glauben! Und sie werden glücklicher sterben, als wie ich mit all meiner Vernunftstärke gestorben bin! Nun wird es mir auch klar, warum der große Meisterlehrer seinen Jüngern stets nur den Glauben ans Herz legte!“
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