[1.5.1] Hier macht unser Mann mit seinen Füßen gewöhnliche Gehbewegungen. Aber da er unter seinen Füßen keinen Boden wahrnimmt – so scheinen sie ihm bloß gegenseitige effektlose Pendelbewegungen zu machen, die ein Weiterkommen ebenso wenig bezwecken, als so jemand auf einer Bank säße und schlenderte mit den Füßen in der Luft leer hin und her. Er denkt daher wieder bei sich auf eine andere Art der Weiterbewegung, sprechend nämlich:
[1.5.2] „Ich muss mit Händen und Füßen durch diese lichtlose Luft auf eine eigene Art zu schwimmen anfangen; das wird besser sein als das Gehen mit den Beinen! Denn, um mit den Beinen weiterzukommen, muss man eine feste Unterlage haben, auf der ein Bein so lange ruht, bis das andere eine freie Bewegung vorwärts macht. Aber wenn die Unterlage fehlt, da ist diese Art zu gehen fruchtlos; da heißt es entweder schwimmen oder fliegen! Zum Fliegen aber gehören Flügel; diese haben wir nackten Zweibeiner nicht. Aber schwimmen können wir, und so will ich mich ans Schwimmen machen! Ach du guter Himmel, das wird freilich ein erbärmliches Schwimmen sein! Aber was lässt sich da anderes tun, als die noch innewohnenden Kräfte so lange möglichst zweckmäßig gebrauchen, als wie lange sie sich nur immer gebrauchen lassen! Also – es werde geschwommen!“
[1.5.3] Hier fängt er an, förmliche Schwimmbewegungen mit Händen und Füßen zu machen, verspürt freilich wohl keinen Fortgang durch irgendeinen Luftzug. Aber das beirrt ihn nicht. Er setzt seine Schwimmbewegungen fort. Je mehr er arbeitet, desto mehr auch verspürt er, dass all sein Mühen ein vergebliches ist. Denn er merkt es, dass ihn diese schwarze Luft nicht den allergeringsten Widerstand irgend verspüren lässt! Er stellt daher seine schwimmerischen Bewegungen wieder ein und spricht:
[1.5.4] „Ich bin ein Esel und dümmster Narr! Was mühe ich mich denn vergeblich ab?! Wo nichts ist, da ist nichts! Ich bin nun im barsten Nichts; was will ich das Nichts weiter verfolgen?! Im Nichts ist sicher die größte Ruhe und nimmer eine Tätigkeit zu Hause?! Daher will auch ich in die Ruhe des Nichts eingehen, um in ihr auch zu nichts zu werden! Ja, ja, das ist schon der Weg zur völligen Vernichtung! Hm, hm! Wäre freilich recht, wenn ich nur wüsste, dass ich wirklich sei erschossen worden?! Krachen, kommt es mir wohl vor, als ob ich es noch gehört hätte. Aber freilich müsste ich da ja natürlich vollkommen tot sein, was bei mir doch nicht der Fall ist? Auch verspüre ich nichts von irgendeiner Zerrüttung!
[1.5.5] Oder sollte es nach dem Tod wirklich ein Fortleben der Seele geben?! Ich aber bin ja noch mit Haut und Haaren und sogar mit meiner Kleidung, die ich wohl verspüre, noch da! Hat denn die Seele auch Beine, Haut, Haar und Kleidung? Wenn so, da muss also auch der Rock eine Seele haben?! Nein! So was anzunehmen, müsste einen Mann wie mich doch die ganze Unendlichkeit hell und laut auszulachen anfangen!? Hahahaha! Die Unsterblichkeit eines Rockes wäre noch bei Weitem ärger als die Wunderkraft des Leibrockes Christi zu Trier, vom Bischof Arnoldi ausgestellt!? Und doch und doch, doch, doch! Wenn ich Seele bin, ist der Rock mit mir hierher gewandert!?
[1.5.6] Nein, nein und tausendmal nein! Ich bin keine Seele! Ich bin Robert Blum! Ich bin der Reichstagsdeputierte in Frankfurt, zur Konstituierung eines einigen Deutschen Reiches! Welchem Reich sich Österreich nicht unterwerfen will. Ich habe es nun hier in der Residenz (Wien) kennengelernt, was Österreich will. Ich weiß es, dass alles Trachten dieses Staates lediglich dahin gerichtet ist, um das eiserne Kleid des alten Absolutismus wieder von Neuem anzuziehen! Ich kämpfte wie ein Riese dagegen. Aber da die Kanonen des Gegners stärker waren als mein guter Wille, so musste ich samt meiner gerechtesten Sache dennoch abziehen – ja, nicht nur abziehen, sondern mich auf dem Weg meines Ab- und Zurückziehens sogar gefangen nehmen und am Ende sogar wirklich oder doch wenigstens scheinbar totschießen lassen! Ein schöner Lohn für ein dem wahren Vaterland treu ergebenes Herz! Du verfluchtes Leben! Und verflucht, der es mir gegeben!
[1.5.7] So es irgendeinen Gott gibt – welche Freude kann es Ihm denn wohl sein, solch einem mächtigen Wesen, so sich Menschen, die sich unter jeder Zone als wahre Brüder liebevollst verträglich und voll Geduld gegeneinander erweisen sollen, wegen eines Thrones und Zepters und nun sogar wegen Meinungsverschiedenheiten grausamst erwürgen und totschlagen!? Daher aber, weil nun wie gar allzeit so Arges geschieht auf der Erde, und solches doch von einem Gott, der logisch und physisch nichts sein kann als die reinste Liebe nur, nicht ausgehen kann, so gibt es entweder gar keinen Gott, oder, wenn es einen Gott gibt – so ist Er nur ein erzböser, also nur ein fluchwürdiges Fatum, das die Wesen als ein Spielzeug Seiner Launen betrachtet! Darum noch einmal Fluch jedem Wesen, das Menschen schafft fürs leidigste Verderben!
[1.5.8] Aber nun nur Ruhe, nicht mehr räsonieren! Denn so ich in diesem Nichts auch die über alles erwünschte gänzliche Vernichtung finden will, und so ich stets mit mir selbst rede, so erwecke ich mich dadurch aus der Vernichtung, werde wieder lebend durch die neu erregten Lebenskräfte, und mein Wunsch kann dadurch nicht erfüllt werden! Daher also nur Ruhe, strenge Ruhe – damit Vernichtung kommt.“
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