[191.1] Martin tut, wie es ihm Johannes geraten hat. Er beruft den Satan mit der Macht seines Willens, und dieser steht sogleich in einer elendsten und mit tausend Brandwunden überdeckten Menschengestalt vor ihm und fragt ihn sogleich:
[191.2] [Satan:] „Was noch willst du mir antun? Ist dir noch nicht genug, dass du mich so elend gemacht hast, wie ich nun vor dir dastehe?! Willst du mich noch elender machen? Was tat ich dir? Bist du nicht glücklich, wie nur ein Geist glücklich sein kann, und das für ewig?! Meinst du, dadurch deine ewige Glückseligkeit wohl zu erhöhen, so du mich der größten Qual preisgegeben sehen würdest? O du schwacher Geist, wie weit hast du noch, bis du vollkommen wirst und begreifen die ewige Ordnung der Gottheit!?
[191.3] Siehe, du hältst mich für das Grundböseste aller Wesen, somit dem Himmel gegenüber auch für das Verabscheuungswürdigste und Fluchbelastetste. Aber ich frage dich, wann habe ich dich beschimpft wie du mich? Welch Böses habe ich dir je zugefügt? Warst du nicht selbst es, der Gottes Gesetze aus eigener Macht übertrat auf der Erde, und brauchtest nicht im Geringsten meiner Anlockung dazu, und so ich dich verführt hätte, der Herr sicher deinetwegen mit mir, und nicht mit dir Rechnung gehalten hätte sogleich nach deiner Anlangung in der Welt der Geister?!
[191.4] Wohl hast du, da du das Meer deiner eigenen Bosheit mit Hilfe des Herrn ausfischtest und dadurch deine Sünden zunichtemachtest, auch den sogenannten Drachen aus dir – eigentlich aus dem Meer deiner eigenen Bosheit – gehoben, und meintest, dass ich das gewesen sei. Aber ich sage dir, da bist du in großer Irre noch; denn jener Drache warst du selbst im ganzen Umfang deiner gröbsten fleischlichen Sinnlichkeit, und nicht ich.
[191.5] Wohl bin ich auch in dir – denn dein ganzes Wesen bis auf den inneren Geist bin ich. Denn wie einst auf deiner Erde, die auch ganz aus mir genommen ist, der Herr aus Adams Rippe das Weib schuf, so bist du und alle Schöpfung aus mir genommen. Aber ich kümmere mich um das nicht, was aus mir genommen wird, und richte es auch nicht; denn es hat ja ohnehin ein jeder das Gotteswort durch den Gottesgeist in sich, das ihn richtet allzeit und überall! Wenn aber also, was verdammst du mich denn in einem fort und bist erfüllt von einem unauslöschbaren Hass gegen mich?!
[191.6] Oder ärgert dich etwa das noch, dass ich dich in meiner Verwandlung zurückstieß vor dem Angesicht des Herrn, als du mir einen Kuss geben wolltest?! Siehe, so ich dich da nicht zurückgestoßen hätte, da wärst du verlorengegangen im noch großen Pfuhl deiner groben Sinnlichkeit! Sage, da ich dich aber also zurückstieß und demütigte und dir dadurch die größte Wohltat erwies, verdiene ich darum von dir solche Behandlung?!
[191.7] So ich hier diese Sonnenbodenerschütterung bewirkt habe, so habe ich es bewirken müssen, weil sonst dieser Körper für seine künftige bestimmte Dienstleistung untauglich geworden wäre gleich wie ein Tier, das wohl fort und fort Nahrung zu sich nähme, aber die groben, untauglichen Exkremente nicht aus dem Leib schaffen könnte. Wie lange wohl würde es leben und seine Dienste leisten?!
[191.8] Siehe, auch ich bin so gut wie du ein Diener der Gottheit – freilich leider ein gerichteter, nur mit höchst geringer Freiheit begabt. Ich muss tun, was ich tue! Und fehle ich irgendwo in der ganzen Unendlichkeit nur ein wenig, so ist die schärfste Zuchtrute auch sogleich über mein ganzes Wesen auf meinem Rücken! Ich bin unter allen Dienstwesen das letzte, unterste und somit auch vom Schöpfer verworfenste und elendste, und kann nichts tun, außer wozu ich gerichtet wurde, obschon ich aber dabei dennoch die vollkommenste Intelligenz besitze, und gar oft etwas anderes tun möchte, als was ich tun muss, was mich dann nur noch elender macht!
[191.9] Wie wäre es dir an meiner Stelle, so dich der Schöpfer an meiner statt zu gleichen Zwecken verordnen würde? Wie würde es dir gefallen, so auch dann noch irgendein Martin über dich käme und täte mit dir, wie du nun mit mir getan hast? Rede nun, denn ich habe Elend genug geredet!“
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