[179.1] Spricht Petrus: „Freund, als der Herr als der allmächtige Schöpfer Himmels und aller Welten auf meiner Erde das Fleisch angenommen hatte und hat dann unter uns Menschen gelebt und gewandelt wie ein Mensch, da lehrte Er uns alle also vollkräftig beten, indem Er sprach:
[179.2] So ihr aber betet, da betet also und sprecht: ‚Unser Vater, der Du in dem Himmel wohnst, Dein heiligster Name werde geheiligt! Dein Reich der Liebe, der Wahrheit und des ewigen Lebens komme zu uns! Dein allein heiliger Wille geschehe alle Zeiten und alle Ewigkeiten hindurch! Gib uns heute wie allzeit das tägliche Brot! Unsere Sünden und Gebrechen vergebe uns nach dem Maße, als da wir vergeben unseren wie immer gearteten Schuldnern! Lasse nicht Versuchungen über unsere Schwächen kommen, denen wir unterliegen müssten; sondern erlöse uns von allem Übel, das uns nur immer begegnen könnte! Dein, o Vater, ist alle Kraft, Macht und Herrlichkeit ewig! Dir allein sei aller Preis, alle Ehre, aller Ruhm, alle Liebe, alles Lob und aller Dank ewig!‘
[179.3] Da uns aber der Herr Selbst also beten und bitten gelehrt hat, so glaube ich denn doch, dass es gerade nicht unrecht sein dürfte, so wir als Kinder Ihn zuvor um alles das bitten möchten, dass Er es uns geben möchte, was wir für uns als notwendig erkennen!
[179.4] Denn ich meine hier also, und sage: Ist schon auch der schuldige Dank, den wir für die zahllosen Wohltaten dem Schöpfer darbringen, ein heilig großes Privilegium für uns freie Wesen, weil wir dadurch Gott gegenüber das, was wir haben und empfangen, als eine freie und nicht als eine gerichtete Gabe anerkennen; so steht aber die Bitte dennoch viel höher, da uns eben durch die Bitte nicht nur die Erkenntnis zukommt, durch die wir eine Gottesgabe nicht nur als eine freie anerkennen dürfen, sondern auch die freie Wahl der Gabe!
[179.5] Denn zur vollkommenen Freistellung des Geistes gehört nicht nur die freie Erkenntnis dessen, was der Herr als für unser Leben Notwendiges uns frei gibt, sondern hauptsächlich die freie Wahl dessen, was uns nottut! Wozu aber doch offenbar mehr Selbsterforschung und freie Selbsterkenntnis gehört, als bloß nur zu jener erkenntnisartigen Wahrnehmung, der zufolge wir gewahr werden, dass da alles, was wir sind, haben und empfangen, freie Gaben aus Gott dem Herrn sind.
[179.6] Wer da für eine empfangene Gabe dankt und fühlt aber dabei kein weiteres Bedürfnis nach einer für die Folge doch sicher wieder nötigen Gabe, der ist in seiner Lebenssphäre noch sehr stumpfsinnig und hat noch viel Tierisches in sich. Denn auch Tiere danken durch ihren frohen Genuss instinktmäßig dem Geber, wenn sie Ihn auch nicht zu erkennen imstande sind; aber begehren kann kein Tier etwas, weil es seine Bedürfnisse nicht erkennen kann! Wenn es hungrig ist, da sucht es Speise. Hat es diese gefunden und hat sich gesättigt, dann ruht es so lange, bis es wieder hungrig wird. Diese Ruhe ist ein stumpfer Dank für die Speise, die es zu seiner Sättigung gefunden hat; aber so das stumpfe Tier satt ist und ruht, da hat es kein weiteres Erkenntnis zu dem Behufe mehr, dass es künftig wieder hungrig werden könnte und einer Nahrung bedürfte.
[179.7] Aber nicht so ist es bei dem Menschen, denn der Mensch weiß es, was ihm nottut. Hat der Mensch sich gesättigt, so weiß er, dass er wieder hungrig wird und wird wieder essen müssen, um sich zu sättigen. Er kennt aber auch den Geber. Daher soll er nicht nur danken, wenn er sich gesättigt hat, sondern er soll vielmehr noch mit dem schuldigsten Danke die Bitte vereinen, durch die er dem Schöpfer umso mehr an den Tag legt, und bezeugt, dass er alles nur von Ihm bekommt, aber eben also auch erwartet für die Zukunft fortwährend das Gute und Notwendige von Ihm.
[179.8] Zugleich aber stellt der Mensch sich seinem Meister eben durch die Bitte auch so dar, als wie ihn eben der Meister haben will, nämlich als ein völlig freies Wesen, dem nicht nur das Recht des Empfangens, sondern auch das demütig freieste Recht des Begehrens zusteht, welches Recht aber doch sicher bei jedem Menschen eine mächtige Selbsterkenntnis voraussetzt, ohne welche kein Mensch ein vollkommener Mensch werden kann!
[179.9] Ich meine, diese Gründe dürften für eure Weisheit wohl hinreichend sein, um einzusehen, dass die Bitte für jeden freien Geist um vieles nötiger ist als der beste und allerschuldigste Dank!
[179.10] Und sollen dir, du mein Freund Uhron, auch alle diese meine sicher triftigsten Gründe noch immer nicht genügen, so genüge dir das, dass der Herr Selbst uns nur gar zu oft aufgefordert hat, dass wir bitten sollen, so wir etwas empfangen wollen, aber nur überaus selten jemanden erinnerte zu einer Danksagung.
[179.11] So gab Er uns denn auch eine heilige Form, nach der wir beten und bitten sollen. Aber von einer Form, wie wir danken sollen, weiß ich dir kaum etwas zu sagen!
[179.12] Wohl dankte der Herr Selbst der Gottheit, die als Vater in Ihm war, zu öfteren Malen und verwies es auch ein einziges Mal den neun Gereinigten, die nicht wieder mit dem Zehnten gekommen sind, Ihm die Ehre zu geben. Aber dessen ungeachtet gab Er uns dennoch nie eine Form, wie wir danken sollen, was Er in Bezug auf die Bitte doch gar so ausdrücklich getan hat.
[179.13] Hat aber der Herr von uns unvollkommeneren Bewohnern der Erde die Bitte ausdrücklich verlangt, so bin ich wohl der Meinung, dass Er sie bei euch nicht als überflüssig betrachten wird!
[179.14] Daher geht schließlich mein An- und Auftrag vom Herrn an euch alle dahin, dass ihr in der Folge zwar alles das, was ihr nun habt, vom Herrn haben sollt, aber nur auf dem Weg der Bitte. Wer aus euch aber nicht bitten wird, der wird auch nichts oder sicher nicht viel erhalten.
[179.15] Denn seid ihr frei, so sollt ihr euch selbst auch dahin erkennen, was euch nottut. Habt ihr euch dahin erkannt – was bei euch um vieles leichter sein wird, als bei uns es war –, dann bittet, und es wird euch gegeben werden, um das ihr werdet gebeten haben.
[179.16] Ist euch das recht, so bejaht es, und mein Bruder Johannes wird euch weiterführen. Euer freier Wille hat hier zu wählen und zu bestimmen!“
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