[142.1] Als die bedeutend zahlreiche Sonnenmenschengesellschaft sich eiligst verläuft, da richten sich auch die drei Töchter wieder auf und sind nun um noch vieles schöner. Denn nun blickt gar endlos hold schon Liebe aus ihren für euch unbegreiflich schönen Augen, und ihre Rede wird so sanft und wohlklingend wie ein Cherubsgesang, denn sie reden nun von nichts als von der Liebe.
[142.2] Wir aber fangen auch wieder an, uns weiterzubewegen. Die vielen Weiber, die der Borem und der Chorel führen, und auch die Mönche an ihrer Seite fangen nun auch an, sich hervorzudrängen, um die ungeheuren Schönheiten der Sonne zu besichtigen; denn früher hatten sie vor lauter Verwunderung über Verwunderung nicht Zeit gehabt, da ihnen zu viele und zu wunderbare Naturseltenheiten dieser Welt sozusagen in die Augen gefallen sind. Da sie nun aber ihre Augen mehr und mehr gesättigt haben und sie der Borem eigens dazu aufmerksam macht, so wollen sie denn nun auch sehen, ob und um wie viel die Sonnenweiber schöner wären denn sie.
[142.3] Martin merkt durch einen innern Wink von Mir sogleich, was diese im Sinne haben, und weiß aber auch, wie sehr diese auf ihre nunmalige Schönheit sich viel zugutehaltenden Nonnen von den drei mächtigsten Schönheiten der Sonne geschlagen würden. Daher sagt er zu den drei Töchtern:
[142.4] [Martin:] „Hört mich an, ihr endlos schönsten Töchter! Seht, eine gar bedeutende Anzahl von Weibern von meinem Planeten fangen nun an sich hervorzudrängen, um ihre gestaltliche Schönheit mit der euren zu vergleichen. Da ihr aber gegen sie gestaltlich zu unendlich schön seid, so zwar, dass eure Schönheit die ein wenig Eitlen auf eine längere Weile förmlich töten könnte, so verhüllt mit euren überreichen Haaren auf eine kurze Weile euer Gesicht; und enthüllt nach und nach dasselbe wieder, so ich euch dazu den Wink geben werde! O tut mir diesen Gefallen!“
[142.5] Sprechen die drei: „O du unsere Liebe nun! Sind wir gestaltlich denn wohl gar so schön? Sieh, hier in dieser Welt hat uns noch nie jemand das gesagt. Denn hier weiß man nichts von einer gestaltlichen Schönheit, sondern nur von einer gestaltlichen Ordnung und von einer entsprechenden Weisheit aus ihr. Du warst wohl der Erste, der unsere Gestalt zu rühmen begann, was wir aber auch mehr auf unsere Ordnung und Weisheit bezogen haben. Aber nun merken wir es wohl, dass du nur hauptsächlich unsere Gestalt meinst! So aber im Ernst unsere Gestalt für dich, wie du sagst, gar so unnennbar schön ist, o so sage uns, worin denn diese unsere so große Schönheit besteht?“
[142.6] Spricht Martin: „Zuerst erfüllt meinen Wunsch, dann werde ich euch das schon alles gelegentlich erläutern!“
[142.7] Sagen die drei: „Oh, so schiebe du selbst uns die Haare über das Gesicht. Denn du wirst es am besten wissen, wie unser Gesicht verdeckt sein muss, um jenen, die nun zu uns hervorkommen, nicht gefährlich zu sein!“
[142.8] Martin lässt sich das nicht zweimal sagen und vollzieht sogleich das verlangte Werk. Als er gerade bei der dritten fertig ist, kommt schon der Borem zu ihm und spricht:
[142.9] [Borem:] „Bruder, du hast deine Aufgabe bisher meisterlich gelöst! Freilich wohl hast du zwei Freunde bei dir, denen auf dieser wie auf zahllosen anderen Welten alle Wege bekannt sind; aber dessen ungeachtet hast du förmlich Wunder geleistet. Doch nun musst du mit diesen nun deinen drei Töchtern gegen die vordringenden Nonnen sehr achtsam sein, sonst wirst du ein wahres Mordsspektakel erschauen!
[142.10] Das Gesicht darfst du sie vorderhand schon gar nicht sehen lassen, außer auf ein zu dringendes Verlangen. Kannst du sie aber sonst abfertigen, da wird es um desto besser sein. Denn wie diese unsere Nonnen diese drei angesichtlich erschauen werden, da werden sie wie vom Blitz getroffen zu Boden stürzen und werden sich aus Gram und großer Beschämung förmlich selbst zu zerreißen anfangen. Daher Bruder sei du nun möglichst behutsam, sonst gibt es hier eine tüchtige Wäsche ab!“
[142.11] Martin wird darob bedeutend verlegen und spricht: „Also wieder eine verzweifelte Geschichte in der Aussicht! Nein, diese Nonnen haben mir aber noch allzeit am meisten zu schaffen gemacht, und hier im Himmel geben die dummen Greteln auch noch keine Ruhe und keinen Frieden! Ich hätte eine gute Lust, ihnen diese drei ganz entblößt in ihrer größten Schönheit vorzustellen. Sie sollen nur anrennen, was nur immer kreuzmöglich ist, und gedemütigt werden über einen Sklaven! Vielleicht wird’s nachher besser mit ihnen!?“
[142.12] Spricht Petrus: „Ja, ja, hast recht, Bruder, gar zu zart muss man mit jenen nicht umgehen, die sich in ihrem eitlen gestaltlichen Wesen mehr als es recht ist, zu gefallen bemüht sind. Es ist wohl recht, anfangs gelindere Mittel anzuwenden, um solche eitlen weltlichen Überreste von der Seele zu entfernen. So aber die gelinden Mittel nicht hinreichen, dann aber nur geschwind die gröbsten Bürsten her! Bruder Borem, hast wohl recht, wie du es meinst; aber der Martin hat auch recht! Daher lassen wir ihm nur hier das Handeln ganz frei über.“
[142.13] Johannes bestätigt solches auch und sagt zum Borem noch ganz eigens: „Du hast ganz recht, und Martin hat auch recht. Denn siehe, in der Sonne gibt es ewig keine Nacht, und der Nordpol leuchtet gleich wie der Südpol. Gehe du daher nur zurück und führe deine fromme Herde vor; sie soll hier bestens gekämmt und geschoren werden!“
[142.14] Borem geht und bringt mit Chorel zwanzig der Eitelsten, die sich für ganz besonders schön dünken. Sie umringen sogleich den Martin samt Petrus, Borem und Chorel und sagen zum Martin: „Nun, wo sind denn die gar so unendlichen Schönheiten der Sonne, von denen uns in deinem Haus gesagt wurde, dass wir gegen sie gar nichts wären? Zeige sie uns und überzeuge uns von der Wahrheit deiner Aussage!“
[142.15] Spricht Martin: „Nur her da mit euch, ihr eitlen Seelen! Soll euch sogleich geholfen sein! Seht, da stehen schon drei! Wie gefallen sie euch?“
[142.16] Sprechen die Nonnen: „Wir sehen nichts denn Haare und blaue Faltenkleider, dergleichen auch wir haben; aber wir wollen das offene Gesicht, die Brust und die Arme sehen!“
[142.17] Spricht Martin: „So ihr sterben wollt vor Gram und Scham, da soll euch euer Verlangen sogleich gewährt werden? Sagt nun – ja oder nein!“
[142.18] Die Nonnen stutzen über die letzte Aufforderung Martins und fragen einander, was sie tun sollen; aber keine weiß der anderen einen rechten Bescheid zu geben. Eine wendet sich an den Chorel und fragt ihn um Rat in dieser Sache. Aber der Chorel schupft ebenfalls die Achseln und sagt nach einer nachdenklichen Weile:
[142.19] [Chorel:] „Ja, meine geliebtesten Schwestern, hier ist ein guter Rat wahrlich sehr teuer! Sagt ihr ja, da seht zu, wie es euch nach den sehr bestimmten Worten Martins ergehen wird. Sagt ihr aber nein, so wird euch eure zu unbegrenzte Neugierde nahezu zugrunde richten. Ihr seht, wie schwer es euch hier zu raten ist. Eines wäre freilich das Beste wohl; aber das werdet ihr euch kaum zu tun getrauen?“
[142.20] Sagen die Nonnen: „Wir wollen alles tun, so es was Rechtes ist! O sage es uns, o rate es uns!“
[142.21] Spricht Chorel: „Nun dann, so hört mich! Seht, hinter uns gehen Chinesen, und hinter diesen zieht der Herr inmitten der beiden Ihn wohl hoch über alles Liebenden. An Ihn wendet euch; Er wird euch die ewig allerbeste Auskunft geben können, was ihr hier zu beachten und zu tun haben sollt! Werdet ihr Seiner Beheißung folgen, da werdet ihr auch sicher mit der heilsten Haut darauskommen. Im Gegenteil aber müsst ihr’s euch dann selbst zuschreiben, wenn es euch so oder so übel ergehen dürfte. Denn das sehe ich hier schon ein, dass es hier mit nichts zu spaßen ist! Das ist mein Rat; ihr aber könnt immer tun, was ihr nur immer wollt!“
[142.22] Als die Nonnen solches vernehmen, sagen sie: „Freund, das wissen wir schon lange! Aber das heißt hier nichts anderes, als gerade vom Regen in die Traufe gehen; denn da fürchten wir denn doch die drei weniger, um tausend Mal, als den Herrn! Denn was sind diese alle gegen den Herrn? Der Herr ist der Herr; diese aber alle sind dennoch nur gleich und gleich wie wir nur Seine Geschöpfe. Ob überschön oder überhässlich, das ist vor dem Herrn ganz eines und dasselbe. Daher glauben wir, es wird doch besser sein, wir besehen doch diese drei Schönheiten der Sonne, als so wir zum Herrn gingen und dadurch zeigten, dass wir uns vor Ihm weniger fürchteten, als vor diesen drei Geschöpfen!“
[142.23] Spricht Chorel: „Gut, gut; so ihr euch selbst besser denn ich raten könnt, so tut, was ihr wollt! Aber für einen künftigen ähnlichen Fall erspart euch die Mühe, mir mit einer Frage zu kommen!“
[142.24] Auf diese Äußerung treten die Nonnen wieder vor den Martin hin und sagen: „Geschehe, was da wolle, wir wollen diese drei ganz in ihrer Schönheit sehen!“
[142.25] Spricht Martin: „Gut, gut, kommt nur her und macht eure Augen recht weit auf, so wird euch eure dumme Eitelkeit bald vergehen!“ Hier wendet er sich zu den dreien und spricht: „Nun, meine geliebtesten Töchter, tut aus dem Gesicht eure Haare und lasst es diese Eitlen sehen!“
[142.26] Sprechen die drei: „So es ihnen aber schadete, da blieben wir lieber verhüllt, denn durch uns soll niemand zu Schaden kommen!“
[142.27] Spricht Martin: „Meine allerherrlichsten, geliebtesten Töchter, das ist nun gleich, denn dem, der etwas festweg selbst will – ob Gutes oder Schlechtes –, geschieht kein Unrecht! Diese aber wollen euch durchaus sehen, trotzdem dass sie gewarnt wurden zu mehreren Malen durch mich sowohl, wie durch noch einen anderen Bruder. Also sollen sie euch aber auch sehen und dabei toll werden und nahe zugrunde gehen. Und so denn enthüllt euch und zeigt euch diesen eitlen Törinnen!“
[142.28] Auf diese Worte sagen die drei: „O du erhabener Freund, wahrlich, du bist ein großer Weiser; denn deine Rede baust du auf dem festesten Grund! Daher wollen wir denn aber auch sogleich tun, das du uns geboten hast. Mag die Wirkung ausfallen, wie sie nur immer wolle, und so denn enthüllen wir uns!“
[142.29] Mit diesem letzten Worte schieben alle drei zugleich ihr Haar auf die Seite, und ihrer zu großen Schönheit strahlendster Glanz macht bei den neugierigen, eitlen Nonnen ungefähr eine ähnliche Wirkung, als so da eine jede von zehn Blitzen zugleich und auf einmal wäre getroffen worden. Alle stürzen wie über einen Haufen zusammen und nur einige aus ihnen schreien mit einer dumpfen Stimme:
[142.30] [Einige der Nonnen:] „Wehe uns Hässlichsten, wehe uns Hässlichsten! Wir sind verloren! Krokodile, Kröten und noch tausendartiges anderes hässlichstes Geschmeiß ist um vieles schöner gegen uns, als wir gegen diese! O Herr, mache uns alle blind! Denn es ist uns besser, ewig blind zu sein, als nur einmal noch einer solchen zu ungeheuren Schönheit ansichtig zu werden!“
Kein Kommentar bisher