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131. Niederstieg in ein Sonnental. Das Schauen der Geister. Bedingungen der schnellen oder langsamen Fortbewegung im Geisterreich

[131.1] Martin ersieht nun wirklich den Weg, wie er sich in tausend Windungen über die weitgedehnten Bergrücken hinab in ein ungeheures Tal schlängelt, von welchem Tal er aber noch durchaus keine Gegenstände wahrnehmen kann.

[131.2] Denn auch Geister sehen das, von dem sie noch keine Kenntnis haben, wie in einer großen Ferne. Sie nähern sich demselben in dem Maß und Verhältnis, als ihre Weisheit über das vorliegende Objekt zunimmt. Also bedeutet auch das vom hohen Berg ins tiefe aber überaus breite Tal Hinabgehen, in die volle Demut eingehen und durch diese in die größte Liebe, ohne welche kein Geist zur vollsten Lebenskraft gelangen kann.

[131.3] Martin, wie auch die vielen anderen Gäste, sehen nun schon ins Tal hinab; aber sie können noch nichts ausnehmen, was sich etwa in selbem befindet. Daher fragen viele ihre Anführer, was sie nun bald im Tal antreffen werden. Borem weiß es wohl, aber er weiß auch, was er zu sagen hat. Die Chinesen wenden sich an Mich, der Ich aber doch auch etwa wissen werde, was Ich ihnen zu sagen habe.

[131.4] Martin wendet sich darum an den Johannes und spricht: „Liebster Freund, ich sehe nun wohl recht deutlich schon das Tal. Aber was nützt da das Schauen in ein so fern entlegenes Tal, so man nichts ausnehmen kann, was alles sich etwa im selben befindet? O Bruder, da muss es noch sehr weit hin sein! Der Weg ist wohl nicht im Geringsten beschwerlich – man wandelt sehr leicht, ja wir schweben mehr, als wir so ganz eigentlich mit den Füßen gehen. Aber dessen ungeachtet will uns das Tal nicht näher rücken! Wie lange wohl werden wir noch brauchen, bis wir das Tal werden erreicht haben?“

[131.5] Spricht Johannes: „Freund, Geduld ist der Grundstein der Weisheit. Habe daher nur diesen Grundstein fest in deinem Herzen, so wirst du um vieles eher und leichter das vor uns ausgebreitete Sonnental erreichen!“

[131.6] Spricht der Martin: „Freund und Bruder, an Geduld fehlt es mir nicht, wie es mir noch nie gefehlt hat. Aber ich weiß es auch, dass da einem jeglichen Geist zwei, drei Bewegungen möglich sind, nämlich eine natürliche, und eine seelische, und endlich auch noch eine rein geistige, die da ist so schnell wie ein Gedanke. Warum bedienen wir uns hier bloß nur der natürlichen, die da ist die langsamste? Wäre es denn nicht besser, so wir durch eine wenigstens etwas schnellere Bewegung früher zu unserem Zweck gelangten?“

[131.7] Spricht Johannes: „Aber, lieber Freund und Bruder, jetzt sprichst du schon wieder bei weitem nicht so weise als ehedem! Was liegt denn daran, ob wir hier etwas geschwinder oder ob wir etwas langsamer ins Tal gelangen? Sind uns ja hier doch keine Lebensstunden wie auf der Erde vorgezählt! Was gehen uns ewig Lebende die früher oder später zurückzulegenden Zeitverhältnisse mehr an?! Siehe, uns drängt ewig keine Zeit mehr; wo wir sind und wo vorzüglich der Herr ist, da sind wir auch zu Hause!

[131.8] Übrigens hängt hier im vollkommensten Geisterreich die Schnelligkeit unserer Bewegungen ja ohnehin nicht von unseren Füßen, sondern lediglich nur von der Vollkommenheit unserer Erkenntnisse ab. Wer eine schnellere Bewegung wünscht, der befleißige sich zuerst der Geduld, aus dieser der Demut, aus welcher hervorgeht Liebe und Weisheit. Hat er die Weisheit im Vollmaß, da wird er auch in allen Dingen die vollkommenste Erkenntnis haben; diese aber bedingt die Bewegung des Geistes!

[131.9] Weil aber die Sache hier sich also und unmöglich anders verhält, so brauchst du auch gar nicht auf deine Füße zu sehen, ob sich diese schnell oder langsam bewegen; sondern schaue du bloß nur aufs Gemüt und auf die Erkenntnis, so wird die Bewegung sogleich schnell genug werden! Verstehst du das?“

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Bischof Martin

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