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117. Satan versucht Martin in der verführerischen Gestalt der Satana

(Am 14. April 1848)

[117.1] Nach einer Weile wendet sich Martin doch wieder zum Drachen und spricht: „Höre, du unverbesserlichster Verderber alles Lebens, du Unwesen, du alter Held der Geistesnacht und unbarmherzigster Todbringer aller armen Seelen! Du redest wohl wie ein Grundweiser. Aber dein Wille ist es nicht, der dir so zu reden gebeut [gebietet], sondern deine nun tief empfundene Ohnmacht nur, in der du dich nun durch die unendliche Macht des Herrn durch und durch ergriffen befindest! Wärest du frei – tausend Leben setze ich da auf eins! –, da würdest du eine ganz andere Rede führen!

[117.2] Wohl weiß ich, dass du als ein erster, größter Geist voll Licht und Klarheit aus Gott hervorgegangen bist. Deine Macht war eine, die alle Räume durchdrang, und dein Licht strahlte wie ein Gottesauge! Aber ich weiß es auch, dass dich Gott nicht für den Fall, in dem du nun schon einige Ewigkeiten hartnäckig verharrst, sondern für die allerhöchste Auferstehung nur des freiesten und seligsten Lebens aus Sich hervorrief.

[117.3] Sage, warum stehst denn du nicht auf solcher Stufe, auf der du nach dem Willen Gottes stehen solltest? Warum bist du fortwährend der allerschroffste Gegensatz des Gotteswillens? Warum willst du lieber in der grässlichsten Qual für ewig verharren, als zum Herrn, deinem Gott und Vater, dich wenden, und als solch ein zurückgekehrter verlorener Sohn ein endloses Unmaß der ewigen Vaterliebe genießen in aller Freiheit und höchsten Machtvollkommenheit? Nun rede, wenn du dazu Weisheit in Genüge besitzt!“

[117.4] Spricht der Drache: „Sieh, Martin, diese deine Fragrede ist schon bei weitem vernünftiger als deine früheren und macht deinem Geist Ehre. Da kommen wirklich Dinge vor, die einer besseren Antwort wert sind! Aber weißt du, bevor ich jemandem solche Punkte aus aller Tiefe der Tiefen beantworte, fühle ich zuvor jedermann auf den Zahn, ob er wohl auch fähig ist, das zu fassen, was ich ihm zur Antwort bringe.

[117.5] Ich bitte darum den Herrn – so Er’s will, dass ich dir darauf antworten soll –, mir nur auf eine kurze Weile volle Freiheit zu gewähren. Und zwar unter der heiligen Garantie, dass ich weder dir noch jemand anderem auch nur ein Haar krümmen wolle! Wirst du meine Probe bestehen, so will ich dir alle deine Fragen beantworten. Wirst du aber die Probe nicht bestehen, so wird das ein Zeichen sein, dass du für eine so tiefe Weisheit noch lange nicht reif bist. Aber schließlich füge ich auch noch das bei, dass ich dir nur dann auf den Zahn fühlen werde, so du auf die Beantwortung deiner Frage dringst und so du es willst! Nun entschließe dich!“

[117.6] Martin wendet sich wieder an Mich und fragt Mich, was er tun soll.

[117.7] Rede Ich: „Wer ein Werk beginnt, der muss es auch vollenden; das ist allen wahren Lebens erste Ordnungsregel. Daher musst du schon tun, was dein Gegner dir als Bedingung setzt. Aber Ich sage dir, sei fest! Denn dieser Geist ist ein höchst schlauer Geist, und seine Prüfungen sind überfein gelegte Fallstricke!“

[117.8] Darauf Mich zum Drachen wendend, sage Ich: „Du bist frei auf wenige Augenblicke; missbrauche diese Gnade nicht!“

[117.9] In diesem Augenblick verschwindet der schauderhafteste Drachenpanzer; und aus dem Panzerstaub erhebt sich eine so unendlich schönste weibliche Gestalt, gegen die alle weiblichen Schönheiten der Sonne endlos weit zurückweichen müssen! Eine Weichheit, die nichts Ähnliches aufzuweisen hat, eine Rundung, ein endloser Adel in allen Gliedern und Gelenken, eine unfassbare Zartheit und Weiße der Haut, wie der endlose Raum kein zweites Beispiel mehr hat. Auf dem unendlich schönsten Leib sitzt ein Kopf, dessen majestätischste Schönheit jede Vorstellungskraft endlos tief zurücklässt!

[117.10] Als der Martin diese Gestalt vor sich ersieht, diese für ihn nie geahnte Schönheit, die ihn noch gar überfreundlichen Anblicks mit einer unendlich zarten wohlklingendsten Stimme fragt:

[117.11] [Satana:] „Nun, lieber Martin, so du es willst, will ich dir deine Fragen beantworten. Aber nur sage mir zuvor, ob du mich wohl lieben könntest, so ich dich lieben möchte mehr denn mein Leben? Könntest du mich lieben und durch solche deine Liebe mich erretten von meiner dir wohlbekannten endlos großen Qual? O Martin, rede, rede!“

[117.12] Da ist Martin ganz weg. Er kann vor lauter Staunen über Staunen zu gar keinem Atem kommen. Die ungeheuren Reize dieses Wesens wirken so auf ihn ein, dass er geradezu in ein förmliches Fiebern gerät! Vom Reden- oder Sprechenkönnen ist vorderhand bei ihm nun keine Rede mehr. Er stammelt bloß einige verworrene Laute, und reißt Mund und Augen nur stets weiter auf, und jede Fiber seines Wesens wird zur glühendsten Liebe zu dieser für ihn zu unerträglichen weiblichen Schönheit.

[117.13] Nach einer langen Weile dieses seines Stets-glühender-Werdens schreit er [Martin] endlich aus allen Kräften: „O Himmel, Himmel, Himmel aller Himmel! Wer kann dich sehen und nicht lieben?! Ich liebe, liebe, liebe dich unendlich! Wenn du unglücklich [bist], du endlos schönstes, reizendstes Wesen aller Wesen, ich sage, wenn du unglücklich bist, wenn du leiden musst, wer kann wohl glücklich sein, so er dich gesehen und weiß, dass du leidest?!

[117.14] Wenn ich dich nicht retten kann, oh, dann will ich lieber ewig mit dir leiden, als aller Himmel Seligster sein ohne dich! Für dich möchte ich Unendliches bieten, so ich’s hätte! Tausend Leben gäbe ich für ein Atom deines Wesens! O du endlos herrlichstes Wesen! O rede, rede, was soll ich tun, um dich zu retten, ewig für mich zu gewinnen?!“

[117.15] Spricht der metamorphosierte Drache: „O du herrlichster Martin, so du mich liebst, wie du hier beteuerst, so gebe mir hier einen allerfeurigsten Kuss! Dieser Kuss wird mich auf ewig retten und zur süßesten Gefährtin deines ewigen Lebens machen!“

[117.16] Spricht Martin, voll von höchster Entzückung: „O du Himmel der Himmel! Nicht nur einen, sondern eine Trillion Küsse sollst du haben!“

[117.17] Schnell will er seine Aufgabe lösen und springt förmlich hin. Aber welch ein Gesicht macht er, als ihn dies Wesen mit einer endlos verächtlichen Miene zurückstößt, sagend:

[117.18] [Satana:] „Zurück, elender Gäulbock, du hast deine Probe schlecht bestanden und bist fürder keiner Antwort von mir wert! Nichtswürdiger, wie konntest du Gott vergessen und dich mir in die Arme werfen – mir, dem Feind alles Lebens, das nicht dem meinen gleicht! O du schwache Kreatur, du Auswurf aller Hässlichkeit!“

[117.19] Martin sinkt ohnmächtig zurück und der Drache nimmt wieder seine frühere Gestalt an.

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