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60. Martin tröstet und belehrt die sich gegenseitig anklagenden Nonnen. Die Schulschwestern erzählen über ihre werkheiligen Torheiten und über ihr jenseitiges Leiden

[60.1] Bischof Martin aber spricht hier: „Hört ihr alle, meine lieben Schwestern! Lasst den Herrn Jesus allein entscheiden unter euch; Er allein ist ein gerechter Richter! Ihr aber vergebt einander von Herzen, so wird alles gut werden; denn dies mein Haus ist ein Haus des Friedens und der Liebe, und nicht ein Haus der Rache! Daher beruhigt euch und seid frohen Mutes, darum ihr hier bei mir eine so gute Unterkunft gefunden habt – sicher nur durch die unsichtbare Gnade des Herrn! Werdet ihr euern Hass in Liebe umgestalten, da werdet ihr schon auch zu einem besseren Aussehen gelangen!

[60.2] Es gehen aber auf der Welt gar viele einen verkehrten Weg der Tugend; wie solltet davon ihr eine Ausnahme sein? Ihr habt zwar viel getan, aber nicht des Herrn, sondern des Himmels wegen, und das ist noch lange nicht evangelisch! Man muss alles tun und dann erst ausrufen: ‚Herr, siehe, ich war ein fauler, nutzloser Knecht! O Herr, sei mir, Deinem nutzlosesten Knecht, gnädig und barmherzig!‘ Wenn ihr, meine lieben Schwestern, so urteilen werdet über euch und werdet einander nicht richten und verdammen, da werdet ihr schon Gnade vor Gott finden!

[60.3] Wisst ihr denn nicht, was da der weise Lehrer Paulus spricht, der zwar bei sich auch ein schlechter und unnützer Knecht ist und sein Tun nicht achtet, sondern allein die pure Gnade des Herrn? Seht, dieser Lehrer spricht: ‚Du wirst nicht aus deinem Verdienst, sondern lediglich durch die Gnade des Herrn selig werden!‘ Beherzigt das, werft all euer vermeintliches Verdienst dem Herrn zu Füßen und bekennet vor Ihm die volle Nichtigkeit alles dessen, das ihr bisher als irgendetwas Verdienstliches zum ewigen Leben angesehen habt, so wird die Gnade des Herrn sogleich über euch ersichtlich werden!

[60.4] Seht, ich war gar ein Bischof auf der Welt und glaubte auch, so ich aus der Welt gehen werde, dass mir da gleich ganze himmlische Scharen entgegenziehen werden. Aber, dem war ganz anders! Ich selbst habe noch bis jetzt den eigentlichen Himmel nicht gesehen, obschon ich mit dem Herrn schon sehr oft geredet habe und dies Haus auch unmittelbar aus Seiner allerheiligsten Hand empfing. Wie wollt demnach ihr schon mit aller Glorie gekrönt sein? Daher nur Geduld, Sanftmut und Liebe und einen heiteren Mut angezogen, alles andere wird sich dann schon von selbst geben!“

[60.5] Die Barmherzigen Schwestern treten nun ganz besänftigt zurück und der Bischof Martin ruft die Schulschwestern vor, die sich während dieser Belehrung in einem Winkel soeben ein wenig die Augen auskratzen wollten, und fragt sie eben auch, wie und auf welche Art sie in dies Elend gelangt sind und wo sie auf der Erde so ganz eigentlich gelebt haben.

[60.6] Und aus diesen eine antwortet: „O geliebtester, hochgeehrtester, allerhochwürdigster Freund! Wir sind nicht alle von einem Ort, sondern wir sind teils aus Frankreich, teils aus der Schweiz, teils aus Welschland und Tirol und teils auch aus der Steiermark.

[60.7] Wir lebten übermäßig fromm. Tag für Tag beteten wir wenigstens 14 Mal und allzeit wenigstens eine Viertelstunde lang; täglich wohnten wir einer heiligen Messe bei und fehlten nie bei der Vesper. Sonn- und feiertags wohnten wir wenigstens drei Messen bei, einer Predigt und der nachmittäglichen Litanei und beiden ‚Segen‘. Wir gingen wöchentlich, besonders in der Advents- und Fastenzeit zum wenigsten dreimal beichten und empfingen täglich das allerheiligste Altarsakrament. Wir fasteten alle Wochen fünfmal zu Ehren der allerheiligsten Fünf Wunden und gaben uns am Freitag zu Ehren der allerseligsten Jungfrau Maria 7 Schmerzensstreiche, und zwar 4 auf die linke und 3 auf die rechte Brust mit Strick oder Rute.

[60.8] Die übrige Zeit widmeten wir frommen Betrachtungen und dem Unterricht junger Mädchen und richteten bei dem Unterricht unser Augenmerk hauptsächlich darauf, dass in den jungen Herzen schon frühzeitig der Drang erwachen sollte, wenn sonsten aus finanziellen Rücksichten möglich, so früh als möglich in unsere Fußstapfen zu treten und all ihr irdisches Erbe Gott zu Füßen zu legen und so eine reine und würdige Braut Jesu Christi zu werden!

[60.9] Also durfte auch keine von uns mit unverschleiertem Haupt auf die Straße und bei strengster Ahndung keinen weltlichen Mann ansehen, auch nicht einmal einen Weltpriester, sondern allein nur einen heiligen Bruder aus dem Orden des heiligen Franziskus, und wohl auch einen heiligen Jesuiten und den Bischof, und wohl auch einen sehr frommen Domherrn. Kamen uns dabei aber etwa dann und wann gar unzüchtige Gedanken, so zeigten wir solche sogleich der würdigsten Mutter an und baten die Liebe um eine recht scharfe Strafe zur Abwendung solchen Höllenspuks von unseren keuschesten Herzen.

[60.10] Die gute würdige Mutter, die sehr heilig war, gab uns dann sogleich die weisesten Lehren und nachher erst die gebührenden Strafen, die da verschieden waren je nach der Größe der unkeuschen Gedanken. Für einen ganz kleinen Gedanken war ein Schilling [Streich] auf die nackte Natur, darauf 3 Rosenkränze und ein vollkommener Fasttag. Auf einen größeren Gedanken waren 7 starke Rutenstreiche auf die nackte Natur, dass es Blut gab, darauf 12 Rosenkränze und 3 volle Fasttage in der Woche. Auf einen noch stärkeren Gedanken – etwa gar an den allerverdammlichsten Ehestand, wie er jetzt besteht – waren 15 Streiche mit spitzigen Ruten, 30 Rosenkränze und 9 volle Fasttage durch 3 Wochen und ein spitziges Zilizium [Bußgewand] über die nackte Brust oder die Lenden als Strafe diktiert und auch sogleich ausgeführt.

[60.11] Dazu kamen dann noch die geistlichen Bußen, die oft noch ärger waren als jene, die uns die liebe würdige Mutter gab. Also mussten wir auch bei der Nacht vom besten Schlaf oft aufstehen und Chorbeten gehen, was besonders im Winter sehr bitter war. So wir krank wurden ob den vielen Strapazen und Martereien, so durften wir uns nie die liebe Gesundheit, sondern allzeit nur den bittersten Tod wünschen wegen Abbüßung unserer lässlichen Sünden, und dergleichen beinahe erschrecklichsten Selbstverleugnungen mehr. Du siehst aus dieser meiner zwar kurzen, aber darum überaus wahren Schilderung unsern sehr bitteren irdischen Zustand.

[60.12] Da wir also für Christus so viel und meist geduldig erlitten haben, und haben uns ohne Murren willigst gefügt den harten Regeln unseres strengen Ordens, und haben all unser Vermögen diesem Orden vermacht zu seiner heilsamen Ausbreitung zur Ehre der allerseligsten Jungfrau Maria und zur stets größeren Ehre Gottes, so glaubten wir denn doch an Gott keine unbillige Forderung gestellt zu haben, so wir nach unseres Leibes bitterem Tod sogleich in die ewige Glückseligkeit möchten aufgenommen werden! Aber nicht nur, dass wir alle unsere gegründeten Hoffnungen hier wie einen Schaum zerfließen sahen, sondern höre:

[60.13] Als wir alle, die wir hier stehen, fast zu gleicher Zeit uns hier in dieser Welt trafen und von einigen Bauern angerufen wurden, dass wir nun in der Geisterwelt wären, da sahen auch wir von einer anderen Seite ganz liederliche und wohlbekannte Weibspersonen in diese Welt ankommen und waren ganz sicher der Erwartung, dass sogleich eine Menge Teufel daherkommen werden, um diese schlechten, ausgelassenen und ketzerischen Weiberseelen eben auch sogleich in die Hölle allerverdientestermaßen zu ziehen!

[60.14] Allein – ah, wer hätte sich so was je können träumen lassen! Siehe, statt der Teufel kamen sichtbare Engel vom Himmel herab, umkleideten diese schlechten, sündigsten Seelen sogleich mit wahren himmlischen Kleidern, gaben ihnen leuchtende Palmen und trugen sie schnurgerade in den Himmel; uns aber würdigte kein Engel auch nur eines Blickes! Wir schrien, wir beteten, ja wir beschworen Maria und Gott bei allen Seinen Heiligen und Auserwählten; aber all unser sicher Millionen Jahre langes Schreien war bis jetzt noch fruchtlos! Sage, ist das nicht zu arg?! Sind wir nicht betrogen, zeitlich und ewig? Ist das wohl auch eine Gerechtigkeit Gottes zu nennen?!“

[60.15] Spricht Bischof Martin: „No, no, habt nur Geduld! Für jetzt seid ihr versorgt. Und wenn’s auch in die Ewigkeit nicht besser würde wie es nun ist mit euch, so könntet ihr es schon ertragen! Denn auf euer Verdienst dürft ihr euch eben nicht zu viel einbilden; denn wart ihr so dumm auf der Welt, euch einsperren und prügeln und am Ende gar förmlich umbringen zu lassen, was Gutes habt ihr dadurch euren Nächsten wohl getan? Ihr habt nur für eure Haut gesorgt und hättet euch wenig daraus gemacht, so Gott auch die ganze Welt verdammt hätte, wenn nur ihr den Himmel hättet!

[60.16] Seht, mit solcher Nächstenliebe kommt hier niemand weiter. Darum seid nun geduldig und werft euer Verdienst von euch und betrachtet euch als schlechte, nutzlose Mägde des Herrn, so werdet schon auch ihr bei Gott Gnade finden! Tretet nun zurück und lasst die Herz-Jesu-Damen hierher kommen!“

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