[57.1] Bischof Martin macht nun die Tür auf und findet zu seinem eigenen großen Erstaunen diesen Schrank vollgepfropft mit Brot und Wein, und spricht zuerst bei sich: „Gott sei Dank – schon meinte ich der Angesetzte zu sein! Denn hier verändert sich ja gleich alles. (Dann laut zu der Gesellschaft:) Da nehmt und sättigt euch nach Herzenslust!“
[57.2] Und alle nehmen davon und essen und trinken; aber der Vorrat geht nicht aus, sondern mehrt sich sichtlich. Die Gesättigten aber loben ihren Wirt über die Maßen und bekommen viel schönere Züge und eine hellere Farbe im Gesicht; nur mit der Kleidung sieht es noch sehr jämmerlich aus.
[57.3] Als in kurzer Weile alle die tausend gesättigt sind und ihrem Wirt alles erdenkliche Lob gespendet wird, wie schon früher gezeigt, da macht Bischof Martin den Wandkasten wieder zu und spricht zu seiner Gesellschaft: „Hört ihr alle, meine lieben Brüder und Schwestern, von denen ich soeben einige bemerkt und als solche erkannt habe. Macht nicht so viel Aufhebens mit euerm Lob an meine außerordentliche Wenigkeit. Denn seht, mir macht das darum keine Freude, weil ich durchaus nicht der eigentliche Geber bin, sondern nur ein schlechter Austeiler dessen, was ich sicher zu dem Behuf vom Herrn Jesu Selbst allerunverdientestermaßen erhalten habe.
[57.4] So ihr sonach schon jemanden loben wollt, da lobt Jesus, den Herrn! Vorausgesetzt, dass ihr je von Ihm was vernommen habt, was ich bei euch allen umso weniger voraussetze, da ihr eurer Aussage nach schon eine undenklich lange Zeit hier im Geisterreich euch befinden müsst; in dem Fall es aber denn auch nötig wäre, dass ihr eben von diesem alleinigen Gott und Herrn Jesu von mir irgend einige Notiz nehmen möchtet!“
[57.5] Spricht einer aus der großen Gesellschaft: „Freund, du wirst etwa doch nicht den Juden Jesus meinen, der da an den Schandpfahl geheftet wurde mit noch ein paar Raubmördern?“
[57.6] Spricht Bischof Martin: „Ja, Freunde, ja, gerade Den meine ich! Dieser ist wirklich Gott und Mensch zugleich! Er ist der Urgrund aller Dinge! Außer Ihm gibt es ewig keinen anderen Gott irgend in der ganzen ewigen Unendlichkeit!
[57.7] Glaubt das mir; denn ich versichere euch, es hat wohl nie jemanden mehr Mühe gekostet als mich, so etwas anzunehmen! Mit Worten hätten mir das auch alle Erzengel nicht beigebracht. Aber da kam der Herr Jesus Selbst zu mir und lehrte mich durch rein nur Gott mögliche Taten, dass Er es ist – der alleinige Herr der Unendlichkeit! Und so bin ich darin nun ebenso stark, als ich ehedem über alle Maßen schwach war.
[57.8] Ich meine, so ihr das beherzigt, da kann es euch unmöglich mehr schwer werden, mit mir alles zu teilen, wie die Wohnung und Brot und Wein, so auch meine Überzeugungen!“
[57.9] Sprechen mehrere aus der Gesellschaft: „Wie recht, wie recht! Das versteht sich von selbst, wir wollen dir in allem gleichen! Wir haben freilich auf den Jesus bei unseren Lebzeiten eben keine große Fiduz [Vertrauen] gehabt. Und hier in der Geisterwelt umso weniger, weil wir zu hart gehalten wurden und von der göttlichen Milde nirgends auch nicht die leiseste Spur entdecken konnten, und von einem Jesus war daher auch bis jetzt keine Rede mehr, außer dass Er samt uns irgend als ein armer, betrogener Teufel schmachtet und alles verwünscht, was Er je auf der Erde getan und gelehrt hat!
[57.10] Aber wenn die Sache sich so verhält, wie du, lieber Freund, sie uns soeben mitgeteilt hast, da ist uns alles eins. Sei da Gott, wer da will, und heiße Er, wie Er will, wenn Er nur Einer ist, auf den man sich verlassen kann!
[57.11] Nur das Einzige ist uns etwas unbegreiflich, wie dieser dein guter Jesus uns arme Teufel eine so endlose Zeit hat können herumhetzen lassen ohne Speise und Trank? Wahrlich, Freund, da hat ganz verdammt wenig Liebe und Barmherzigkeit herausgeschaut! Freilich ist jetzt alles gut. Aber an alle die Martern, die wir ausgestanden haben, dürfen wir nicht zurückdenken, sonst ist es aus mit unserer Liebe zu dem ewigen Seelenhetzmeister.
[57.12] Es ist zwar wohl wahr, dass wir alle auf der Welt uns um Seine Religion wenig oder gar nicht gekümmert haben und gingen unseren Gelüsten nach. Aber wir waren sonst doch ehrliche und honette Menschen aus den besten Häusern. Wir sind cavalierment [als Kavaliere] erzogen worden und lebten dann auch solcher Erziehung gemäß. Ein weiser Gott aber sollte das doch einsehen, dass sich kein Mensch selbst erschaffen und ebenso wenig erziehen kann, wie er will!? Aber es sei nun, wie ihm wolle, die niederträchtigste Hetzerei hat nun ein Ende hoffentlich; daher sei Jesus von uns auch verziehen, was Er an uns allen getan hat.“
[57.13] Tritt ein anderer vor und spricht: „Hast wohl recht im Grunde, denn verzeihen ist schöner als sich rächen wollen. Aber ich werde dennoch mit dem vollen Verzeihen etwas innehalten. Denn du weißt es, wie ich 1.000 Jahre nach meinem und eurem Gefühl zwischen zwei glühenden Felsen eingeklemmt war und habe gebetet und geflucht mehr als es da gibt des Sandes im Meer. Und hättet ihr durch eure äußerste Anstrengung mich nicht gerettet, so befände ich mich jetzt noch in dieser unerhört schmerzlichen Felsenpresse; denn ein allmächtiger Herr Jesus hätte diese Höllentortur nicht um ein Haar gemildert.
[57.14] Wisset, so was ist denn doch kein Spaß. Man merkt sich so was sehr leicht für ewig. Wahrlich, für so ein ewiges Leben wird sich sicher jedermann bedanken! Ich bin gerade auch kein nach Rache sinnender Geist, denn es wäre doch die scheußlichste Dummheit, so sich ein beschränkter Geist gegen einen allmächtigen Gott auflehnen wollte. Aber merken kann man sich so was allerdings. Verstehst schon, was ich unter ‚merken‘ verstehe!“
[57.15] Spricht Bischof Martin: „Ja, ganz ja, und gut ist deine Bemerkung – habe ich doch selbst noch so einige Merkspitzel in mir, die mich noch manchmal ganz gewaltigst stechen! Aber ich sag’ es euch auch, was da wahr ist: Der Herr Jesus hat daran nicht die geringste Schuld, sondern allzeit der nur, den es betrifft. Und oft wohl auch Seine, des Herrn nämlich, himmlische Beamte, die da nicht selten nach einer Willkür handeln, von der ihr noch gar keinen Begriff habt!
[57.16] Es lässt sich das freilich am Ende alles mit der Weisheit entschuldigen. Aber wehe dem, der unter solch eine Weisheitsscheibe zu stehen kommt, für den wäre es wahrlich endlos besser, so er nie wäre geboren worden! Daher ist der Herr aber auch allzeit zu entschuldigen und hoch zu loben, so Er fast allzeit in die Willkür solcher Geister eingreift und ihre Weisheit beschämt.
[57.17] Oh, diese himmlischen Engel sind Trotzköpfe ohnegleichen, so sie allein sind. Nur wenn der Herr kommt, da ziehen sie freilich gleich den Schweif von einem Mut ein und tun so süß und bescheiden, als so sie alle Weisheit aus der Demut mit dem großen Löffel gefressen hätten!
[57.18] Seht, das weiß ich alles und habe darum Jesus erst recht lieb. Tut demnach, wie ich’s tue, so werden wir miteinander die ganze Ewigkeit leicht auskommen! Euer Wahlspruch sei: Der Herr Jesus allein ist lieb und gut; alles andere aber gehört rein der Sau zu, und Petrus und Paulus selbst sind keinen Schuss Pulvers wert!
[57.19] Nur das Einzige gebt mir kund, wann ihr so ganz eigentlich die Erde verlassen habt müssen? Denn das sehe ich zufolge eures Gesprächs schon ein, dass ihr vor Christus nicht gelebt habt, da ihr um dessen nähere Verhältnisse zu wissen scheint, wie auch um die der römischen Kirche. Ihr wart also nach Christus erst zur Welt gekommen! Das ist klar; aber in welcher Zeitperiode, das allein gebt mir, so ihr’s wollt, näher kund. Denn auf diese geisterweltliche Gefühlszeit kann man sich nicht verlassen, weil sie einem armen Sünder eine Stunde für eine ganze Million Jahre kann empfinden machen – was ich selbst leider nur zu deutlich empfunden habe!“
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