[53.1] Bischof Martin fängt auf diese sehr kräftige Rede stark hinter den Ohren sich zu kratzen an und spricht endlich wie für sich halblaut: „Da haben wir’s, da haben wir’s, ich hab es ja gewusst, dass man sich auch hier im Himmel auf niemanden verlassen kann und darf! Der Herr hat mir hier schon gewisserart alle Schätze der Himmel aufgetan, und der führt nun eine Sprache mit mir, als soll ich etwa gar schon im nächsten Augenblick in der Hölle, Gott steh uns bei, stecken! Hübsche Vergeltung! Ich habe ihn sicher vor so ein bisschen höllischem Feuer gerettet. Dafür wird er nun bemüht sein, mich in diesen schönen Ort zu befördern. Ja, über eine solche Freundschaft steht wohl ewig nichts auf!
[53.2] (Etwas lauter zum Borem:) Mein lieber Freund, so schön nach und nach ziehst du ganz behutsam die Larve von deinem Gesicht und zeigst dich in klarem Licht, als was du zu mir gesandt wurdest. Recht, recht so, tue du nun nach deinem Auftrag, und ich werde den befolgen, den mir meine Vernunft auferlegt!
[53.3] Es ist wahr, ich hatte einen dummen und vielleicht auch bösen Plan. Denn ich wollte im Ernst dem Herrn einen kleinen Trotz bieten, aber bloß nur um mich zu überzeugen, was da in einem solchen Fall mir begegnen würde. Aber du hast mich wirklich musterhaft durchschaut und bist mir allerschärfst in den Weg getreten.
[53.4] Aber dass du mich darum schon für einen Teu… (Gott steh uns bei) hältst und ganz reif für die Hölle, davon hat der Herr, der doch offenbar mehr sein wird als du, mir nichts gemeldet. Ich aber halte mich an den Herrn und nicht an dich! Daher werde ich auch tun, was der Herr mir befehlen wird, und werde dich nur an der weißen Tafel hören, von der mir der Herr angedeutet hat, dass du mich ihren Gebrauch lehren wirst. In allen anderen Dingen aber werde ich dich hören, so ich es wollen werde, so wie bis jetzt.
[53.5] Mit deinen Drohungen aber bleibe nur so hübsch fein zu Hause. Denn mit ihnen wirst du bei mir sehr wenig ausrichten, da ich mich vor gar nichts fürchte, was du daraus entnehmen kannst, dass ich auch vor dem Herrn Selbst mir kein Blatt vor den Mund nehme und rede, wie ich fühle und wie mir die Zunge gewachsen ist. Ich aber gehe nun wieder in den Saal zurück, was du auch tun kannst, so du es willst; willst es aber nicht, so tue, was du willst!“
[53.6] Nach diesen Worten erhebt sich Bischof Martin völlig und begibt sich schnell in den Saal, und der Borem folgt ihm ganz freundlich.
[53.7] Als beide im Saal sich befinden, bemerkt Bischof Martin sogleich, dass die runde Tafel klein angeschrieben ist. Er geht eilends hinzu und versucht zu lesen, was denn geschrieben stehe. Aber er vermag es nicht; denn er kennt diese Schrift nicht, die aussieht wie Hieroglyphen. Darum aber fängt er sich von neuem an zu ärgern und spricht:
[53.8] [Bischof Martin:] „Können denn die Himmelsschreiber nicht auch eine solche Schrift schreiben, die unsereiner selbst lesen könnte, ohne darum einen Dolmetscher kommen lassen zu müssen? Denn jemandem in einer unbekannten Schrift schreiben, heißt gerade so viel, als mit einem Deutschen chinesisch reden wollen! Wozu etwa das doch gut sein wird oder gut sein kann?“
[53.9] Fällt ihm Borem ins Wort: „Freund, gerade dazu, als wozu bei euch auf der Welt der ausschließliche dogmatisch-lateinische Ritus gut ist! Denn da versteht auch niemand etwas, außer er ist dieser heidnischen Zunge mächtig; dass auf der Erde aber ja niemand verstehen soll, was da in dem sogenannten gottesdienstlichen lateinischen Ritus vorkommt, so er auch der lateinischen Zunge mächtig wäre, so muss während der Messe mit Orgeln, Pauken und Posaunen ein unbändiger Lärm geschlagen werden, auf dass ja niemand etwas vernehmen soll, was alles da gebetet oder geplärrt wird, ansonsten aber diese Messe still gemurmelt wird, damit davon auch niemand etwas verstehe! Sage, ist das nicht auch unsinnig – und ist doch bischöflich!?
[53.10] Wie magst du dich nun als ein an solch einen Unsinn gewöhnter Mann darüber ärgern, so du auf den ersten Augenblick diese Schrift nicht lesen kannst?! Sehe nur deutlicher und genauer auf die Tafel! Vielleicht entdeckst du darauf auch einige lateinische Brocken, mit den zwölf Himmelszeichen mystisch untermengt! Siehe, oben im Anfang lese ich wenigstens recht deutlich: ‚Dies illa, dies irae!‘ [Jener Tag, der Tag des Zornes!]“
[53.11] Bischof Martin beschaut die Tafel nun genauer und erschaut dasselbe und fragt, was das bedeute.
[53.12] Borem aber spricht: „Bist doch ein Lateiner; wirst dir’s wohl übersetzen können!? Lese nur weiter, es stehen schon noch mehr solcher Brocken da oben! Wann du fertig bist, dann komme und frage!“
[53.13] Bischof Martin heftet sein Gesicht intensiver an die Tafel und ersieht die Worte: ‚Requiescant in pace, et lux perpetua luceat eis!‘ [Sie mögen in Frieden ruhen, und das ewige Licht leuchte ihnen!] Und wieder weiter erschaut er: ‚Requiem aeternam dona eis, domine!‘ [Ewige Ruhe gib ihnen, Herr.] Und wieder weiter: ‚Memento, homo, quia pulvis es et in pulverem reverteris‘ [Bedenke, Mensch, dass du Staub bist und zum Staub zurückkehren wirst!] und noch eine Menge dergleichen höchst unsinniger Brocken mehr. Nachdem er alle durchgelesen, wendet er sich an den Borem wieder und fragt ihn sichtlich aufgeregt:
[53.14] [Bischof Martin:] „Nun, was soll’s da mit diesem Zeug? Was bedeutet das? Warum steht es hier? Soll das etwa gar eine Art Stichelei auf meine irdische Würde sein, die ich getragen habe?“
[53.15] Spricht Borem: „O nein, Freund, das nicht im Geringsten; sondern das alles steht bloß darum da, um dir zu zeigen, wie viel Narrheit noch in dir steckt, weshalb du auch noch in deiner bald nach deinem Tod mit dem Bischofspallium vertauschten Bauernkleidung da stehst, von der dir aber eben die Oberjacke mangelt, weil du sie freiwillig mir gespendet hast, da ich nackt im Haus des Herrn mich befand. Du weißt es, bei welcher Gelegenheit! Damit dir aber auch diese nicht fehle, so kannst du sie wieder zurücknehmen; denn siehe, dort unter der Tafel liegt sie wohlgereinigt und ordnungsmäßig zusammengelegt. Nehme sie und ziehe sie wieder an, auf dass es dir leichter wird, die Fülle deiner Torheiten einzusehen!
[53.16] Hat der Herr dir auch die endlose Gnade erwiesen und dir das Gift der Bosheit genommen, so blieb dir aber dennoch die große Torheit noch, die, so sie von dir recht genährt wird, in die barste Bosheit übergehen kann und kann dich stürzen in ein grässliches Gericht. Denn wisse: Solange du im Geiste nicht vollends wiedergeboren bist, bist du vor der Hölle nicht im Geringsten sicher! Damit du aber solcher Kalamität entgehen solltest und möchtest, so soll dir hier alle deine übergroße Torheit gezeigt werden, an der du noch überstark hängst und der Herr Selbst dich davon nicht befreien möchte, ohne dich zu richten.“
[53.17] Spricht der Bischof Martin etwas nachdenkend: „Nun, wenn so, da ziehe ich pro primo [fürs Erste] meine Jacke wieder an, damit ich nicht aussehe wie ein Hausknecht, sondern wenigstens so gut und ehrlich wie ein Bauer. Und pro secundo [fürs Zweite] zeige, du nun schon überweiser himmlischer Buchhändler, meine vermeintlichen Torheiten, die ich von der Schrift dieser Tafel erkennen soll, aber darum wahrlich nicht erkennen kann, weil alle diese einzelnen Sätze sicher für jedermann sehr ernst und zugleich sehr weise sind, indem sie alle von so erhaben weisen Kirchenvätern herrühren, deren wir beide die Schuhriemen aufzulösen noch lange nicht wert sind – und wahrscheinlich auch ewig nimmer werden!“
[53.18] Spricht Borem: „Nun gut, so höre! Wo und was ist denn der Tag des Zornes, des Gerichts? O nein! Siehe, Gott ist die reinste und höchste Liebe Selbst, der von Sich Selbst aussagte: ‚Ich komme nicht, zu richten die Welt, sondern selig zu machen jeden, der an Mich glaubt, und der Mich liebt!‘
[53.19] Wohl spricht der Herr von einer Erweckung am jüngsten Tag, der notabene bei jedem gleich nach seines Leibes Tod anfängt. Aber von einem Gericht spricht Er nur also: ‚Jeder aber hat in sich schon, das ihn richten wird, nämlich Mein Wort!‘ Wenn aber so das Wort des Herrn lautet, wo ist da dann dein ominöser Dies irae, dies illa? Das hieße offenbar besser: ‚O Tag meiner nackten Torheit und meiner grellen Bosheit!‘“
[53.20] Spricht Bischof Martin: „So du diese Texte so gut in Anwendung bringen kannst und es nach deiner Meinung kein letztes allgemeines Gericht gibt, wie verstehst du denn hernach jene Texte, die eben, aus des Herrn Mund gehend, von der erschrecklichen Wiederkunft des Herrn als unerbittlichsten Richter die allerunzweideutigste Kunde geben? Wo der Herr die Vorzeichen schon an und für sich als überfürchterlich bezeichnet, als da sind große Trübsal, Teuerung, Hungersnot, Kriege, Volksaufstände, Erdbeben, Erscheinen des Zeichens des Menschensohnes am Firmament, das Aufsteigen und Fallen des Antichrist, die Verfinsterung der Sonne und des Mondes und das Herabfallen aller Sterne vom Himmel, und endlich erst die allerschrecklichste Vorbereitung zum jüngsten Gericht und am Ende das erschrecklichste Gericht selbst beschreibt, wie die fluchwürdigsten Ketzer, Hurer und Ehebrecher zu allen – (Gott steh uns bei) werden fahren müssen unter Begleitung von Milliarden Blitzen, die aus dem Mund der Auserwählten und Engel Gottes als ein gerechter Fluch über all die zahllosen, notabene dir gleichen verdammlichsten Ketzer ausgehen werden?
[53.21] Sage mir nun, du übermütig weiser Buchhändler, wie erklärst du dieses? Bin ich da auch dumm, töricht und boshaft noch obendarauf, wenn ich diesen Worten Gottes glaube?“
[53.22] Spricht Borem: „Heuchler, wie lange wohl ist es, dass du Christus halbwegs für Gott hältst – bei der leisesten Versuchung aber wieder abfällst wie ein dürres Laub vom Baum! Ich sage dir, hättest du durch dein ganzes Erdleben diesen Worten Christi auch nur den geringsten materiellen Glauben bezeigt, so stündest du hier schon lange in einem anderen Gewand. Aber da du weder den äußeren Buchstabensinn des Evangeliums und noch viel weniger den innern, geistigen gläubig und danach tätig angenommen hast, so stehst du noch da als einer, der beim Anblick all dieser endlosen Wunder Gottes und beim Anhören von tausend weisesten Lehren aus dem Mund Gottes Selbst der alte, unverbesserliche Bock bleibt!
[53.23] Wer kennt sich denn aus bei dir, und wer kann und mag dich leiten? Denn so du einmal einen Glauben und irgendeine Demut zeigst, da bist du schon im nächsten Augenblick ein Wesen, an dem statt des Glaubens höchstens eine gleisnerische Heuchelei und statt der Demut und Liebe der allerbarste Hochmut und Hass nur zu grell ersichtlich wird!
[53.24] Meinst du wohl, meine weiseste Lehre wird dir etwas nützen? O sieh, ich kenne dich! Was hat dir des kleinen Mondweisen wirklich weiseste Lehre genützt? Siehe, du wurdest darob sogar in der sichtbaren Gegenwart des Herrn nur stets erboster, je weiser dir der Mondpriester Piramah entgegenkam. Gebe ich dir nun auch die allergründlichste Belehrung auf deine deinen Stolz nährende Frage, so wirst du nicht besser darob, sondern nur erboster und darum schlechter.
[53.25] Darum sollst du von mir so lange keine Lehre und Weisung mehr bekommen, solange du, so wie du jetzt bist, verbleiben wirst. Damit ich dir aber von nun an keine Gelegenheit zum Ärger mehr gebe, so verlasse ich dich nun im Auftrag des Herrn und du kannst von nun an frei machen, was du willst. Nur das bedenke, dass dir von hier aus beide Wege, wie zum Himmel, so auch zur Hölle gleich offen stehen nebst der damit verbundenen tatsächlichen Erklärung, was im Evangelium gesagt ist über die Erscheinungen der letzten Zeit!“
[53.26] Nach diesen Worten verschwindet auch der Borem und der Bischof Martin ist nun ganz allein, sich selbst vollkommen überlassen. Denn nun erst kommt es darauf an, was er tun wird, und wie er alle die weisen Lehren bei und in sich behandeln wird.
[53.27] Bischof Martin ruft zwar nun ganz gewaltig nach dem Borem, aber dieser meldet sich nimmer. Er ruft auch nach dem Herrn und nach Petrus; aber auch von diesen meldet sich nirgends etwas. Er läuft nun wieder zur Merkurtür und sieht diesen Planeten wohl, aber in einer großen Ferne. Er geht da zur Tür, durch die er früher bei Nr. 1 die schöne Lämmerherde erschaut hatte, ersieht durch diese Tür aber nichts als jene ziemlich öde Wiese nur, an der er diese schönste Herde zum ersten Mal erschaut hatte, mit dem Verzeichnis ihrer Namen versehen.
[53.28] Darauf läuft er auch alle anderen Türen ab und ersieht wohl die Sonne, die anderen Planeten und den Mond, aber alles das in großen Entfernungen wie naturmäßig von der Erde. Nur der Saal allein steht noch in seiner vorigen Gestalt da, in dessen Mitte die schon oft berührte Tafel und neben ihr der astronomische Mechanismus aufgerichtet sind.
[53.29] Aber diese Gegenstände gefallen unserem Bischof Martin nicht. Daher begibt er sich nun zur Ausgangstür und will in das Haus des Herrn eilen; aber auch dieses ist unsichtbar geworden! Da er aber auch dieses nicht mehr erschaut und der kleine Garten um sein Haus sehr öde aussieht und ihn zu keinem anmutigen Spaziergang einlädt, so begibt er sich ganz verzweifelt in sein Haus wieder, wo er alles gleich und unverändert antrifft.
[53.30] Da steht er eine Weile wie eine Säule vor der weißen Tafel, die auf einer Seite leer und auf der anderen noch mit den eben angeführten lateinischen Worten angeschrieben ist. Als ihm da die Zeit zu langweilig wird, bewegt er sich einige Schritte vorwärts gegen den astronomischen Mechanismus und fängt da wieder die Erde zu betrachten an. Aber zu reden getraut er sich nicht, weil er jetzt zu merken anfängt, dass es mit ihm ganz sonderlich zu stehen beginnt.
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