[47.1] [Der Herr:] „Siehe, wir stehen vor der zehnten Tür; rede nun von allem, was du hier ersiehst!“
[47.2] Spricht Bischof Martin: „Herr, was soll ich hier reden?! Ein unermesslicher Lichtglanz blendet meine Augen, und eine wunderbarst herrlichste Harmonie dringt an meine Ohren! Das ist alles, was ich über den Anblick durch die Tür sagen kann; denn wahrlich, ich sehe sonst nichts als ein wie gesagt unermesslich starkes Licht und vernehme sonst auch nichts als allein nur eben die früher besagte himmlische Harmonie, die da aus dem Licht zu mir zu kommen scheint.
[47.3] Das Licht scheint hier auch einen Raum einzunehmen, der vollends unermesslich sein muss. Denn wohin ich nur immer mein Auge wende, ist nichts als Licht über Licht. Dabei aber ist dennoch äußerst sonderbar, dass da diese ungeheure Lichtmasse nicht mehr Wärme durch diese offene Tür herein spendet!
[47.4] Herr, was ist das? Ist das etwa die Hauslampe dieses von Dir mir gegebenen Hauses? Oder ist das etwa gar die Sonne, d. h. eine Miniatursonne von jener wirklichen großen Sonne, die der Erde leuchtet?“
[47.5] Rede Ich: „Ja, so ist es; das ist die entsprechende Sonne in dir! Wann dein Auge lichtgewandter wird, dann wirst du schon auch andere Dinge in diesem Licht erschauen; daher sehe nur eine kleine Weile unverwandt hinein und du wirst dieses Lichtes Reichtum bald über die Maßen anzupreisen beginnen!“
[47.6] Der Bischof Martin setzt sich nun recht mit seinen Augen in das Licht hinein und späht, und späht, wo er etwas anderes als bloß nur das Licht erschauen könnte. Aber er erschaut noch immer nichts und spricht wieder nach einer Weile: „Herr Jesus, es wird’s nicht tun, es wird’s nicht tun! Mir vergehen schon förmlich die Augen, und ich sehe noch immer nichts als Licht über Licht. Ist zwar ein schöner Anblick, aber dabei doch etwas langweilig. Aber das macht gerade nichts; wenn ich nur Dich sehe, da brauche ich ewig kein Wunderding in diesem Lichtmeer herumschwimmen zu sehen! Ist aber wirklich merkwürdig, nichts als Licht, und das was für ein Licht!
[47.7] Herr, mein allergeliebtester Jesus, was ist denn doch so ganz eigentlich das Licht? Auf der Welt streiten die Gelehrten noch zur Stunde, was da sei das Licht und behaupten dies und jenes. Aber am Ende zeigt sich’s denn doch wieder, dass da einer wie der andere nichts weiß und auch nichts versteht! Ich habe darüber so manches gehört und gelesen, aber auch aus allem ersehen, dass die Weltgelehrten in keinem Fach so wenig wissen, als eben was da betrifft die Wesenheit des Lichtes. Daher, so es Dein Wille wäre, könntest Du mir nun wohl einige Winke über das Wesen des Lichtes geben, da wir schon gerade an dieser Lichtpforte weilen?“
[47.8] Rede Ich: „Siehe, Ich Selbst bin das Licht allenthalben, das Licht ist Mein Gewand darum, weil die ewige unermüdetste Tätigkeit Mein Grundwesen ist und diese Tätigkeit Mich sonach allenthalben durchdringt und umgibt. Wo eine große Tätigkeit zu Hause ist, da ist auch ein großes Licht vorhanden; denn das Licht ist an und für sich nichts als eine pure Erscheinung der Tätigkeit der Engel und besseren Menschengeister. Je höher in der Tätigkeit diese stehen, je größer auch ist ihr Licht.
[47.9] Daher glänzen die Sonnen auch mehr als die Planeten, weil auf ihnen und in ihnen eine millionenfach größere Tätigkeit zu Hause ist als auf den Planeten; also ist auch das Licht eines Erzengels größer als das Licht eines bloßen kleinen, weisen Engelsgeistes; weil ein Erzengel ganze Sonnengebiete zu übersorgen hat, während einem kleinen, weisen Geist nur ein kleinstes Gebiet auf der Erde oder gar nur auf ihrem Mond zugeteilt wird.
[47.10] Also glänzt auch ein Diamant stärker denn ein gemeiner Sandstein, weil in seinen Teilen eine für dich kaum berechenbar große Tätigkeit vor sich geht, derwegen er so hart ist, was beim Sandstein sicher nicht der Fall ist. Denn es gehört doch sicher mehr dazu, die Kohäsion des Diamanten als die eines Sandsteines zu bewerkstelligen!
[47.11] Kurz und gut, wo du irgend an einem Ding eine größere Licht- und Glanzfähigkeit entdecken wirst, da kannst du auch allzeit auf eine größere Tätigkeit schließen; denn die Tätigkeit ist das Licht und der Glanz aller Wesen und Dinge. Des Auges Sehkraft aber besteht darin, diese Tätigkeit wahrzunehmen. Ist die Sehe noch unvollkommen, da ersieht sie bloß nur Licht und Glanz. Ist sie aber vollkommen, da ersieht sie die wesenhafte Tätigkeit selbst, was du nun in diesem Licht auch bald ersehen wirst, so deine Sehe nun vollkommen wird.
[47.12] Daher gebe nun nur recht Acht, da wirst du Dinge erschauen, die dich ins höchste Erstaunen setzen werden; denn nun haben wir keinen Planeten, sondern eine Sonne vor uns! Betrachte und rede dann!“
[47.13] Nach einer ziemlich geraumen Weile, in der unser Martin unverwandt in die Lichtmasse hineinsah, fing er an, sich so zu verwundern, dass das Wundern nahe kein Ende nehmen wollte.
[47.14] Als Ich ihn fragte, was denn nun gar zu sehr sein Verwunderungsvermögen in den Anspruch nehme, spricht er:
[47.15] [Martin:] „O Herr, o Herr, o Herr! Um Deines allerheiligsten Namens willen – ah, ah, ah! Ist das wohl möglich! Ist es möglich, dass alle diese Wunder der Wunder Du übersehen, ordnen und leiten kannst? Nein, nein, das ist über alle menschliche und selbst englische [engelhafte] Vorstellungskraft! O mein Gott, mein Gott, Du bist endlos unbegreiflich groß und Deines Ruhmes und Deiner Herrlichkeit ist ewig kein Ende!“
[47.16] Rede Ich: „Ja, was siehst du denn, das dich in eine solche Andachtsekstase bringt? So rede doch einmal, was es ist, das du siehst!“
[47.17] Spricht der Bischof Martin: „Ach Herr, ach Herr! Was soll ich da reden, wo mir die Sinne vor zu endlos großer Herrlichkeit und überhimmlischer Schönheit und Majestät vergehen!
[47.18] Fürwahr, das ist für mich rein namenlos! Endlos schöne Menschen, das ist der einzige Gegenstand, den ich als das erkenne, was er ist; alles andere aber ist für mich namenlos; denn solch erhabenste Dinge sah ich nie, auch die begeistertste Phantasie des weisesten Menschen hat nie so etwas je geahnt! Es war bisher wohl alles von höchster Anmut und Schönheit, was ich schon gesehen habe, aber mit dem verglichen, was ich hier erschaue, sinkt es in ein Nichts zurück!
[47.19] Es ist hier von allem nun eine solch endlose Fülle vorhanden, dass man sie bei einiger genauerer Betrachtung ewig nimmer übersehen könnte; und dazu entwickeln sich hier noch fortwährend neue eher nicht dagewesene Wunder, von denen stets das neue herrlicher ist, denn des’ Vorhergehendes!
[47.20] Nur allein die Menschen bleiben sich gleich, aber wohl in einer so namenlosen Schönheit, dass ich mich darob gerade in den dicksten Staub verkriechen möchte. Alles andere aber wechselt wie die symmetrischen Reflexfiguren eines auf der Erde vorhandenen optischen Instrumentes, das da unter dem Namen Kaleidoskop bekannt ist.
[47.21] Sogar die Gegenden verändern sich! Wo früher ebenes Land war, wächst auf einmal ein ungeheurer Berg; der treibt die Wässer mit sich auf und weitgedehnte Fluren werden zu Meeren. Die Berge zerspringen und sobald stürzen eine Unzahl brennender Welten aus des Berges Öffnung und fliehen oder fallen dann, wie durch eine große Gewalt getrieben, in den endlosen Weltenraum hinaus. Dagegen fallen ebenso viele aus dem endlosen Raum wieder zurück und vergehen da wie einzelne Schneeflocken, so sie auf einen warmen Boden fallen.
[47.22] Ach, ach, das sind furchtbar große Erscheinungen! Und doch wandeln die endlos schönsten Menschen so seligst aussehend unter diesen Szenen und scheinen sich kaum viel darum zu kümmern! Sie gehen in ihren überhimmlischen Gärten herum und ergötzen sich am Anblick der herrlichsten Blumen, die, wie ich es merke, sich auch unter den Augen ihrer Beschauer verändern und in stets herrlicheren Formen sich erneuen. O Herr, lass nur da mich noch eine halbe Ewigkeit wenigstens hineinschauen; denn da kann sich meiner Meinung nach nicht einmal der erhabenste Erzengel ewig je satt sehen!
[47.23] Oh, oh, ohohoh! Nur diese Menschen, diese Menschen! Es ist wahrlich nicht auszuhalten! Diese Fülle, diese Weichheit und Rundung, diese Weiße und diese endlos herrlich schönst erhabenste Anmut des Gesichtes! Nein, nein, nein! Das ist zu himmlisch! Ich halte es nicht aus! Ich halte es nicht aus!
[47.24] Ach, ach, ach! Da kommen einige so recht nahe zu mir her und ich kann ihre über alle menschliche Vorstellung erhabenst schönsten Gesichtszüge und den wahrhaft endlos harmonisch schön gebauten Leib in vollsten Zügen bewundern und über alle Maßen anstaunen! Sie sind nun völlig da, ja so nahe sind sie mir, dass ich sie überleicht anreden könnte. Aber ich würde es nicht aushalten, so diese zu himmlisch-schönen Menschen mit mir zu reden anfingen! O Herr, ich würde von einem einzigen Wort aus diesem zu himmlisch schönsten Mund ganz vernichtet werden!
[47.25] O Herr, o Herr, mache, dass sie sich wieder zurückbegeben, denn ihre Anschauung macht mich völlig verschwinden! Ich komme mir vor wie einer, der nicht ist und wie einer, der in einen verzückenden Traum versunken ist! Ach, es ist namenlos!
[47.26] Gott, Du großer und allmächtiger Weltenmeister, wie ist es Dir denn doch möglich gewesen, in der höchst einfachen menschlichen Form, die im Grunde doch stets dieselbe ist, eine so endlose Mannigfaltigkeit und diese endlose Schönheit zuwege zu bringen, und das in allen zahllosfach verschiedenen Abweichungen?! Ich könnte mir wohl eine schönste Form denken, alle anderen aber dann minder; aber da sind zahllose, und eine jede ist unendlich schön in ihrer Art! O Herr, das ist unbegreiflich, das ist rein unbegreiflich!
[47.27] Ich hatte auf der Welt immer diese überdumme Vorstellung, dass da auf der eigentlichen und vollkommenen himmlischen Geisterwelt alle Seligen einander so vollkommen gleich sehen wie auf der Welt die Sperlinge. Aber wie ich’s nun erschaue, so ist hier erst die rechte Mannigfaltigkeit zu Hause, die auf der Welt ganz entsetzlich stark durch das sterbliche Fleisch verdeckt war!
[47.28] Ach, ach, das wird immer herrlicher, herrlicher, herrlicher! Da, da kommt schon wieder ein neues Paar! O Herr, o Herr, o Herr! Nein, da bleibt jetzt mein Verstand rein picken und kleben!
[47.29] Herr! Halte mich, sonst sinke ich wie ein leerer Strumpf zusammen! Ahahahah, das ist ein weiblich Wesen! Ich erkenne es an der hohen wallenden Brust! O Jesus, o Du mein Jesus Du! Ist das aber eine Herrlichkeit, eine so namenloseste Schönheit, dass man darob gerade in den feinsten Sonnenstaub könnte aufgelöst werden!
[47.30] Diese endlose Zartheit der Füße, diese üppigste Fülle aller anderen Leibesteile, die Glorie, die sie umgibt, dieser endlos sanfte und freundlichste Blick aus einem Paar Augen, ach, ach, ich sage aus einem Augenpaar, für deren Beschreibung sicher der Erzengel Michael in die allergrößte Verlegenheit käme!
[47.31] Kurz, ich bin nun schon ganz dumm, ich bin unendlich dumm, schrecklich dumm muss ich sagen; ich wollte noch etwas fragen – fra- fra- fra- fragen, ja richtig fragen!? Oh, hole der Kuckuck die Frage! Ich bin nun ganz dumm, oh, ich bin ein Esel oder noch ein anderes dümmeres Vieh! Ja, ja, ein Rhinozeros bin ich. Da gaffe ich hinein wie der Ochse in ein neues Tor und vergesse beinahe, dass Du, o Herr, hier bei mir bist, gegen den auch alle diese Schönheiten ein purstes Nichts sind. Denn so Du es wolltest, könntest Du sicher noch endlos größere Herrlichkeiten im Augenblick hervorrufen?!
[47.32] Herr, ich habe mich nun zur Genüge ergötzt an diesen überhimmlischen Schönheiten! Für mich sind sie zu rein und zu endlos schön; lasse mich daher wieder etwas ganz Ordinäres sehen, auf dass ich mich wieder finden kann und mich selbst besehen, ohne mich zu entsetzen ob meiner grässlich hässlichen Gestalt im Vergleich zu diesen endlos schönsten Himmelswesen!
[47.33] Wahrlich, da sieh einmal her, oh, oh, ich bin ja ein heller Pavian und ein ganz entsetzlich grober Lümmel. Nein, ahahah! Ist aber das ein Unterschied zwischen mir und diesen Engeln der Engel! Gerade speien könnte ich, so ich mich anschaue! Es ist grauslich, grauslich, und doch bin ich auch nun schon ein Geist, der doch um etwas besser aussehen sollte als ein Fleischmensch auf der Erde. Aber wie kommt denn das, dass diese Menschen gar so unendlich schön sind, und wir als Deine Kinder sehen dagegen aus wie echte Paviane, besonders ich?“
[47.34] Rede Ich: „Weil ihr Mein Herz seid; diese aber sind Meine Haut! Aber auch Meine Kinder sehen endlos schön aus, wann sie vollkommen sind. Wenn sie aber noch dir gleichen in der Unvollkommenheit, dann sehen sie freilich eben nicht gar zu schön aus. Daher befleiße dich der Vollendung und werde vollkommen, so wird deine Gestalt schon auch ein himmlischeres Aussehen bekommen!
[47.35] Ich aber will es also, dass du diese großen, reinen Schönheiten schaust, auf dass du in ihrem Licht dich desto eher und desto leichter erkennst. Darum schaue nur noch eine Zeitlang hinein in dieses Licht und empfinde deine eigene seelische Hässlichkeit, auf dass sie dadurch zerbreche, mürbe werde und reif und dein Geist dann in ihr erstehe und dich zu einem neuen Geschöpf umgestalte!
[47.36] Denn siehe, du bist noch lange nicht wiedergeboren aus dem Geiste! Daher habe Ich dich hierher in diesen Garten verpflanzt, gleich wie in ein mächtiges Treibhaus, auf dass du eher zur vollen Wiedergeburt gelangen mögest. Aber du musst dich auch pflegen lassen wie eine edle Pflanze! Denn siehe und fasse! Disteln und Dornen zieht man nicht in den himmlischen Gärten und Treibhäusern. Betrachte nun weiter und rede; aber um weniges nur frage! Es sei!“
Kein Kommentar bisher