[30.1] Bischof Martin macht nun ein noch verblüffteres Gesicht und tut aber dennoch sogleich, was Ich ihm nun notwendig etwas ernster angeraten habe.
[30.2] Als er nun wieder zu den Geretteten kommt, erstaunt er, dass er sie nun schon ganz verändert antrifft. Ihre Züge sind verjüngt und veredelt, und ihre früher nahe nackten Leiber sind mit blauen Kleidern angetan, die um die Lenden mit einem purpurroten Gürtel an den Leib in vielen und reichen Falten angeschmiegt sind. Unter der Gesellschaft entdeckt er eine erhabenere Mannsgestalt mit einem glänzend weißen Hut auf dem Haupt, unter dem reiche, goldblonde Locken herumwallen bis über den halben Rücken.
[30.3] Dieser schöne Mann geht sogleich auf unseren Bischof Martin los und fragt ihn, sagend: „Freund, du bist schnell wieder zu uns zurückgekehrt! Hast du an dem allererhabensten Meister und Herrn dieses Hauses das gefunden, auf das wir alle dich aufmerksam gemacht haben? Ist Er das? Ist Er Jesus, der Herr [des] Himmels und der Erde natürlich und geistlich, zeitlich und ewig?“
[30.4] Spricht Bischof Martin: „Jesus – ja, ja, das ist Er wohl. Aber mit der Gottheit – da scheint die Sache noch nicht ganz im Reinen zu sein. Ich meine, mit der Annahme, dass Jesus auch wirklich Gott ist, sollte man doch etwas behutsamer zu Werke gehen. Denn wenn Er es am Ende doch nicht wäre und [diese Annahme] dem allerhöchsten Wesen missfiele, dass Es uns dann darob verdamme zu einer Zeit, wie Es schon mit vielen Völkern der Urzeit getan hatte, die es gewagt, neben Ihm an mehrere Götter zu glauben, was täten wir dann samt unserm guten Herrn Jesus?!
[30.5] Denn bei Moses heißt es ein für alle Mal: ‚Du sollst allein nur an einen Gott glauben und sollst dir weder ein geschnitztes Bild machen und es anbeten, noch sollst du wem andern als allein Mir die Ehre geben. Denn Ich bin der alleinige Herr und Gott, der Himmel und Erde gegründet hat und alles, was darauf und darinnen ist, lebt und atmet!‘
[30.6] Moses spricht wohl sehr dunkel auch von einem Erlöser, der die Völker vom harten Joch der alten Knechtschaft befreien würde. Aber dass Jehova Selbst in diesem Erlöser zur Erde herabsteigen würde, davon steht im ganzen Moses keine Silbe. Daher ist diese eure Annahme etwas zu schnell; da heißt’s alles genau prüfen und wohl erwägen, was man tut.
[30.7] Haltet Moses und Jesus gegeneinander, so werdet ihr es selbst finden, wie schwer, ja wie beinahe ganz unmöglich sich die Gottheit Moses mit der Gottheit in Jesus vereinigen lässt. Dieses schärfsten mosaischen Gottesgesetzes wegen hat ja schon Moses selbst auf Gottes Geheiß die Todesstrafe gesetzt: So jemand dadurch Gott lästern möchte, dass er entweder einem Götzen opfert, oder einen Zauberer, einen Propheten oder irgendeinen andern Helden für die Gottheit hielte! Ein Grund, der auch Jesus an das Kreuz brachte, obschon Er über Seine vorgeblich göttliche Sendung Sich stets im Angesichte der Schriftgelehrten in dunklen Bildern nur auszudrücken pflegte.
[30.8] Es ist auch sehr schwer einzusehen, warum die Gottheit durch Moses mit solchem Himmelspomp eine Kirche gegründet hätte für – wie oft ausgesprochen – ewige Zeiten; welche Kirche aber dann mit Jesus als derselben (sein sollenden) Gottheit gegen ihre oftmalige Verheißung einen vollen Garaus bekäme!
[30.9] Darum, liebe Freunde, ist eure vorschnelle Annahme der Jesusgottheit etwas sehr Kitzliges und Delikates hier in der Geisterwelt.
[30.10] Ich sehe wohl, dass euch wahrscheinlich diese eure Annahme in diesem Jesushaus schnell in einen besseren Zustand versetzt hat durch ein kleines Hauswunderchen. Aber dass ich euch darob bis jetzt noch nicht im Geringsten beneide, dessen könnet ihr vollends versichert sein. Denn ich bleibe immer bei dem Grundsatz: ‚Wer zuletzt lacht, der lacht am besten!‘“
[30.11] Spricht der große Mann mit dem strahlenden Hut: „Freund, alles, was du hier geredet hast, kenne ich so gut wie du. Und dennoch bedaure ich dich ob deiner Blindheit und befürchte sehr, dass du nach deiner Meinung je zuletzt lachen wirst. Ich und diese ganze Gesellschaft aber denken also:
[30.12] Jesus, dessen Ankunft alle Propheten gleich vorausgesagt haben, von dem David singt, sagend: ‚Also spricht der Herr zu meinem Herrn!‘, oder: ‚Also spricht Gott der Herr zu Sich Selbst: Setze dich zu Meiner Rechten, bis Ich alle Feinde lege zum Schemel deiner Füße!‘, und: ‚Machet die Tore weit und die Pforten hoch, auf dass der Herr der Herrlichkeit, auf dass Jehova einziehe in unsere Stadt, in die heilige Stadt Gottes, in Seine Stadt!‘; –
[30.13] Jesus, dessen Geburt nach der einstimmigen Erzählung der Evangelisten voll Wunder war, ja dessen ganzes Leben eigentlich sich als ein ununterbrochenes Wunder darstellte; –
[30.14] Jesus, der in Seiner Lehre nur zu oft und zu klar zeigte, wer Er war in Seinem innersten Wesen, und der einen der zehn Gereinigten fragte, als dieser zurückkam und Ihm die Ehre gab: ‚Wo sind denn die andern neun, dass sie auch herkämen und Gott die Ehre gäben?‘; –
[30.15] Jesus, der aus eigener Macht am dritten Tage aus dem Grab erstand und nachher noch bei vierzig Tage auf der Erde herumging und sie, Seine Schüler, unterrichtete, darauf vor tausend gläubigen Augen in die Himmel aufstieg und bald darauf den Geist der ewigen Kraft, Macht, Liebe und Weisheit aus den Himmeln auf die Seinen niederwehen ließ; –
[30.16] Jesus, von dem Johannes das erhabenste Zeugnis gibt, sowohl in seinem Evangelium wie auch in seiner hohen Offenbarung:
[30.17] Sage, Freund, ist es dir wohl noch möglich, diesen Menschen aller Menschen für nicht mehr als bloß nur für einen ganz gewöhnlichen Weltweisen zu betrachten?
[30.18] Schau, Freund, ich will dir etwas recht Dummes sagen. Aber es scheint mir doch weiser zu sein, als was du sagst: Ich meine, wenn Gott der Herr nicht das Menschliche angenommen hätte, um auch von uns Menschen, Seinen Geschöpfen, gesehen werden zu können, wozu wohl hätte Er uns erschaffen? Für Sich nicht! Denn was hätte Er davon, so wir Ihn nie zu Gesicht bekämen und vollauf liebten? Und wozu wäre uns ein Leben ohne einen erschaulichen Gott? Denke du darüber nach, vielleicht wird’s dir dann doch etwas heller in deinem Verstand werden!“
[30.19] Bischof Martin spricht: „Lasst mich nun ein wenig in Ruhe; ich werde deine ziemlich hellen Worte ein wenig tiefer beherzigen.“
[30.20] Nach einer ziemlich langen Pause fängt der Bischof Martin wieder zu reden an und spricht: „Freund, ich habe nun deine Worte nach allen mir denklichen Seiten erwogen und sehe nur stets mehr gerade das Gegenteil von dem, was du ehedem behauptet hast. Dessen ungeachtet aber bin ich nicht hartnäckig und will aus ganzem Herzen gerne deiner Meinung mich selbst zu überzeugen beipflichten, so du mir einige meiner Fragen zu meiner Zufriedenheit beantwortest.“
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