[27.1] Wir gehen nun zu den dreißig ersten, die der Bischof Martin allein hierhergebracht hat. Als wir eintreten, liegen sie auf den Gesichtern und rufen: „O Herr, o Herr, o Herr, Du großer, erhabener Gott in Jesu Christo, komme nicht zu uns! Denn wir sind zu große Sünder und sind nicht der geringsten Gnade wert! Zu überaus heilig und für uns zu unerträglich ist Deine Nähe!“
[27.2] Bischof Martin schaut um sich her nach allen Seiten, um zu sehen, wo denn die dreißig Jesus erschauten. Aber er sieht noch immer nichts und fragt Mich: „Lieber Freund, was haben denn diese Armen? Sind sie von Sinnen, oder sind sie etwa eingeschlafen ob des sicher auch genossenen Weines und haben nun entweder ein lutherisches oder römisches Traumgesicht?“
[27.3] Rede Ich: „Nein, nein, sicher nichts dergleichen; sie halten in ihrem Sinne Mich dafür und darum schreien sie so.“
[27.4] Spricht Bischof Martin: „No, no, also doch eine Art Geistesschwäche, nur ein wenig [anders] motiviert, wie ich’s mir gedacht habe. Übrigens haben sie nach meiner Ansicht recht, Dich als nun ihren größten Wohltäter unter dem Begriff des höchsten Wesens anzupreisen. Denn ich meine, ein jeder Wohltäter Deiner Art trägt eine große Portion der rechten Gottheit in sich, und so er geehrt wird, so wird auch die Gottheit in ihm geehrt. Was wird aber nun mit diesen Armen zu machen sein?“
[27.5] Rede Ich: „Diese werden wir nun gerade bei ihrer Meinung ihrem Wunsch nach belassen und werden uns zu den andern begeben. Denn wenn sie vorderhand Meine Nähe nicht zu ertragen der starken Meinung sind, so wollen wir sie auch nicht weiter quälen; mit der Zeit wird sich’s schon machen!“
[27.6] Spricht Bischof Martin: „Ja, ja, so ist’s recht! Übers Knie lässt sich nichts Starkes brechen; daher gehen wir nur geschwind zu den andern, aus dem Feuer Geretteten. Ich freue mich schon sehr auf sie.“
[27.7] Wir gehen nun schnell zu den andern, und da wir an die Tür kommen, sage Ich zum Bischof Martin: „Bruder, gehe du zuerst hinein und melde Mich und den Petrus an! So sie es wünschen werden, da werde Ich zu ihnen hineingehen. Wünschen sie Mich aber nicht – was du aus ihren Worten leicht entnehmen wirst –, da komme nur schnell wieder, auf dass wir uns dann schnell an ein anderes Geschäft wenden können!“
[27.8] Bischof Martin tut gleich, was zu tun Ich ihm beheißen habe. Als er zu diesen aus den Flammen Geretteten kommt, macht er ein ganz pathetisches Gesicht gleich einer sogenannten Amtsmiene und spricht zu ihnen: „Liebe Freunde, der Herr und der Meister dieses Hauses will euch besuchen, so es euch genehm ist. Ist euch aber für diesmal Sein Besuch nicht genehm, so äußert euch darüber und ihr sollt von Seinem Besuch verschont bleiben. Meine als eures Freundes Meinung aber wäre diese: Da der Herr und Meister dieses Hauses ein gar überaus guter und sanfter Herr ist, so soll euer aller Wunsch dahin gehen, dass er zu euch käme! Aber ihr seid frei und könnt tun, was ihr wollt; und also äußert euch!“
[27.9] Die Geretteten aber fragen den Bischof Martin: „Weißt du wohl, wer da dieses Hauses Herr und Meister ist?“
[27.10] Bischof Martin spricht: „Das weiß ich ganz genau gerade selbst nicht, was aber hier in der Geisterwelt gar nicht so sehr vonnöten ist. Es ist genug, dass ich aus der Erfahrung weiß, dass er ein überaus guter und weiser Mann ist. Mehr wissen zu wollen, wäre aberwitzig sogar! Daher begnügt vorderhand auch ihr euch mit dem, was ich euch auf ein gutes Gewissen von ihm ausgesagt habe. Und gebt mir Bescheid, was ihr laut meines Auftrages an euch wollt.“
[27.11] Spricht einer aus der Gesellschaft der Geretteten: „Aber Freund, warum bist du gegen uns so hinterhältig und willst uns das Heiligste und Allerhöchste vorenthalten?
[27.12] Siehe, der Herr und Meister dieses Hauses ist ja eben auch der alleinige Herr, Schöpfer und ewiger Meister [des] Himmels und aller Sonnen und Erden in der ganzen Unendlichkeit, wie aller Menschen und Engel in Jesus Christus!
[27.13] Wie kannst du da sagen, du kennst Ihn nicht näher!? Bist du denn blind und hast noch nie beschaut Seine durchbohrten Hände und Füße, die wir doch alle auf den ersten Blick entdeckt haben?
[27.14] Betrachte nur Seinen mildesten Ernst, Seine große Liebe und Weisheit, und lege deine Hände auf Seine durchbohrte Seite gleich einem Thomas, und du wirst es sicher noch klarer als wir ärmsten Teufel ersehen, was da hinter diesem deinem Herrn und Meister alles steckt!
[27.15] Siehe, nicht als ob wir es nicht wünschten in unserem Herzen, dass Er, der Allererhabenste, der ewig Allerheiligste zu uns käme in dies Gemach Seiner Erbarmung. Aber wir alle sind zu große und grobe Sünder und sind solch eines Besuches, wo Gott käme zu Seinen allerletztesten und niedrigsten Geschöpfen, die Seine Liebe und Geduld auf der Erde so oft gar schmählichst missbraucht haben, nicht im Geringsten wert.
[27.16] Daher vermelde du glücklichster Freund deines Gottes und Herrn, den du nicht kennst oder nicht kennen willst: Unser Herz sehnt und sehnte sich allzeit nach Ihm; aber unsere Sünden haben uns zu hässlich, schmutzig, nackt und stinkend gemacht, als dass wir wünschen könnten, dass Er zu uns käme!
[27.17] Wir vergehen nahe schon vor Schande und Schmach, hier in diesem Haus uns zu befinden, wo Er nun hauptsächlich der Sünder wegen zumeist zu wohnen pflegt, um ihnen Seine Erbarmung angedeihen zu lassen. Was erst würde mit uns geschehen, wohin würden wir uns verkriechen, so Er nun vollends zu uns käme?
[27.18] Daher bitte Ihn, du Glücklichster, dass Er uns Nichtswürdigste verschonen möchte; jedoch nicht unser, sondern Sein heiligster Wille geschehe!“
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