[20.1] Der Bischof Martin tut, wie ihm geraten ward, und spricht: „So, so, jetzt ist mir schon wieder leichter, wenn ich nur ein bisschen weiß, warum ich etwas tue und wozu so ein leerscheinendes Tun am Ende doch noch gut ist!
[20.2] Soviel ich aus deinen Worten nun entziffern habe können, so stellen diese Fische meine Dummheiten vor: Die großen stellen meine Kardinal- und diese kleineren die Unzahl meiner geringeren Torheiten vor! Aber wie diese meine verschiedenartigsten Lumpereien zu großen und kleinen Fischen dieses Meeres geworden sind, das bringe ich nicht heraus.
[20.3] Dieses Meer wird sicher von der Sündflut herstammen, deren Gewässer auch die schwere Menge der menschlichen Todsünden in sich aufgenommen hat, worunter sich auch die meinigen anticipando [im Voraus] befunden haben. Auf diese Art kann ich mir die Sache wohl ein wenig versinnlichen, aber auf eine andere Art geht es durchaus nicht!
[20.4] Warum sich die Sünden aber hier in diesem barsten Sündflutwasser gerade als allerlei Fische reproduzieren, das natürlich geht über den äußerst beschränkten Horizont meiner Erkenntnisse! Der Allmächtige aber, der dieses alte Sündflutgewässer in diesem ewigen endlosen Becken für die Geisterwelt aufbewahrt hat, wird davon den Grund sicher klarst einsehen!
[20.5] Daher will ich nun nicht mehr weiter forschen, sondern bloß fleißig fischen, auf dass mein Sündenanteil ehestmöglich aus diesem Gewässer möchte gehoben werden!“
[20.6] Nun rede Ich: „Recht, recht so, sei nur fleißig, Freund! Siehe, auf einen Hieb fällt kein Baum, aber mit der Geduld lässt sich am Ende alles überwinden. Es ist hier zwar nicht Noahs Gewässer, und noch weniger sind die Fische, die wir hier herausheben, als deine Antizipationssünden in der Noachischen Sündflut zu betrachten. Aber eine Sündflut ist dies Gewässer wohl, aber nicht aus deinen antizipierten, sondern aus all deinen wirklich auf der Welt begangenen Sünden hervorgehend.
[20.7] Dass sich aber deine Sünden in allerlei Fischgestalten ausnehmen und in Gestalt anderer seeischer Ungeheuer großer und kleiner Art, hat darin seinen Grund, weil jede Sünde eine Untüchtigkeit der Seele hervorruft. Und diese zerteilt in ihr die endlos vielen zerrissenen Vorbestände, die im Wasser den Anfang nehmen und im Feuer der Liebe Gottes im Menschenherzen vollendet werden zu einem vollkommenen gottähnlichen Ebenmaß.
[20.8] Es war aber physisch deine Seele wohl komplett in deinem Leib zur Menschengestaltung dir gegeben auf der Welt in deinen Kinderjahren. Da du aber nicht nach der Ordnung lebtest, sondern nach dem Tierischen nur, aus der [dem] die Seele ursprünglich zusammengesetzt ist, so verlorst du denn auch sehr viel von und an deiner Seele. Und siehe, dieses Verlorene müssen wir nun wieder aus den Fluten deiner Sünden herausheben und damit deine Seele einmal physisch ganz machen! Ist dies geschehen, dann erst werden wir für deinen Geist und für dessen Einung mit dir Sorge tragen können! Darum sei nun fleißig und geduldig, so wirst du es bald einsehen, was hier ein rechter Lotse zu tun hat.
[20.9] Da diese Seetiere aber hier deine Taten vorstellen, die pur Sünde waren, so vergehen sie auch, so sie heraus ans Gotteslicht gehoben werden. Und es kommt also zur Erscheinung, wie es geschrieben steht:
[20.10] ‚Das Reich Gottes ist zu vergleichen einem Fischer, der viele Fische in sein Netz fing. Da er aber das Netz aus der Flut zog, da behielt er die guten; die schlechten aber ließ er wieder ins Meer zurückwerfen zum Verderben.‘
[20.11] Wir aber haben nun schon sehr viele deiner Taten als Fische aller Art hervorgehoben, und siehe, sie haben keinen Bestand im Gotteslicht! Was ist das aber? – Weil du sie verzehrst ob deiner zerstörten Seele, auf dass sie zu ihrer Vollgestalt wieder gelange!
[20.12] Wann aber wird es in deinem Gewässer wohl auch bleibende Taten geben? Suche, dass dein Herz voll werde, und erwache in der Liebe! Solange du nicht Liebe zu Gott in dir verspüren wirst, wird es noch sehr viel leere Arbeit geben für deine Hände.
[20.13] Dies merke dir nun und wisse, wo es am Ende hinausmuss. So wirst du in rechter Reue und Demut und Geduld arbeiten, um zu einem wirklichen Ziel zu gelangen und dadurch zum klaren Schauen und zum eigenen wahren Gericht – und aus dem zur Gnade. Es sei!“
[20.14] Der Martin denkt über diese Worte nach und arbeitet dabei fort. Nach einer Weile aber wendet er sich wieder an Mich und spricht: „Höre, Du lieber Meister, der Du mein irdisches Leben zu durchblicken vermagst wie der Goldschmied einen Diamanten, Du kommst mir zwar Deinem Charakter nach sehr liebreichst vor; aber in der gerechten Rüge bist Du schonungsloser als die allernackteste Wahrheit selbst!
[20.15] Es ist freilich nur zu wahr, dass all mein Tun und Lassen vor Gott dem Herrn schon darum ein Gräuel sein muss, weil ich durch mein ganzes irdisches Leben mich nur in lauter Falschem bewegt hatte, und zum Teil auch bewegen habe müssen, somit auch alle meine Handlungen unmöglich anders als schlecht sein konnten, was ich nun ganz klar einsehe! Aber das – und so Du selbst ein Engel wärest – musst Du mir denn doch zugeben: dass der Mensch, als durchaus nicht sein eigenes Werk mit den seltensten Neigungen begabt, denn doch unmöglich an allen seinen Mängeln und Gebrechen die Schuld tragen kann und man ihm sonach auch nicht absolut alles zur Last legen soll!
[20.16] Hätte ich mich selbst erschaffen und darauf selbst erzogen, da wohl wäre ich der eigentliche Grund von jeder von mir verübten Handlung und müsste und könnte dafür zur vollsten Genugtuung verhalten [angehalten] und mit allem Recht verurteilt werden. Aber so geradewegs jede meiner Taten darum verdammen und ihnen den Todsündenstempel aufzudrücken, weil ich sie beging – das kommt mir, wennschon gerade eben nicht ungerecht, so aber doch etwas zu hart vor!
[20.17] So der Sohn eines Räubers wieder ein Räuber wird, weil er nie etwas anderes gesehen, gehört und gelernt hatte als rauben und morden – Frage: Kann ihm allein, strenggenommen, seine an sich freilich wohl allergräuelhafteste Handlungsweise zur Sünde gerechnet werden?
[20.18] Oder kann der Tiger verdammt werden, weil er so grausam und blutdürstig ist? Wer gab der Viper und der Ringelnatter das tötende Gift?
[20.19] Was kann der Buschklepper des heißen Afrika dafür, dass er Menschen isst, so er welche erjagen kann? Warum steigt kein Engel, auch kein anderer guter Geist, aus den Himmeln und belehrt ihn eines Besseren? Oder soll Gott im Ernst einige Billionen Menschen lediglich für die Verdammnis erschaffen haben – was da sicher doch die endloseste Tyrannei wäre?
[20.20] Ich meine daher: Jedem das Seinige, aber nicht auch das Fremde, an dem er unmöglich je die Schuld tragen kann.“
[20.21] Rede wieder Ich: „Freund, du tust mit deiner Gegenrede Mir groß Unrecht. Siehst du denn nicht, dass wir diese Arbeit eben darum nicht allein dich verrichten lassen, weil Ich in dir schon lange deine stoischen Rechtsgrundsätze kenne?
[20.22] Siehe, was deiner vermeintlich vernachlässigten Erziehung zur Last fällt, das hat nun der Bruder Petrus auf sich genommen. Und was dem Schöpfer du zur Last legst, das habe Ich auf Meine Schulter genommen.
[20.23] Glaubst du aber für deinen Teil wirklich ganz schuldlos zu sein? Kannst du solches behaupten? Hast du nicht Gottes Gebote kennengelernt, wie auch ganz bestimmt die irdischen Gesetze für bürgerliche Ordnung? Warst du nicht da und da und wusstest, dass du eine Sünde vorhast?
[20.24] Als dich das Gewissen mahnte, so ließest du aber dennoch nicht ab, sondern tatst wider dein lautes Gewissen Böses! Frage: Waren daran auch die Erziehung und der Schöpfer schuld?
[20.25] So du hartherzig gegen Arme warst, da doch deine irdischen Eltern wahre Muster der Freigebigkeit waren, sage: War daran die Erziehung der Schuldträger?
[20.26] So du über einen Aar herrschsüchtig geworden bist, während deine Eltern von ganzem Herzen demütig waren, wie es verlangt das Wort Gottes, sage: War auch daran die Erziehung oder gar der Schöpfer schuld?
[20.27] Siehe, siehe, wie unrecht du dem Schöpfer tust! Erkenne das, und sei demütig; denn mit aller deiner Entschuldigung wirst du bei Gott ewig nicht auslangen, da alle Haare gewogen sind! Liebe Gott über alles und deine Brüder, so wirst du die rechte Gerechtigkeit finden! Es sei!“
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