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13. Über den Segen der Einsamkeit. Ein Beichtspiegel zur Förderung der Selbsterkenntnis

[13.1] Darauf spreche Ich als der freundliche Schiffsmann: „Es mag wohl recht misslich sein, sich lange dauernd allein zu befinden; aber ein solch länger andauerndes Alleinsein hat doch wieder sehr viel Gutes! Denn man gewinnt da Zeit, über so manche Torheiten nachzudenken, sie zu verabscheuen und ganz abzulegen und aus sich hinauszubannen. Und siehe, das ist mehr wert als die allerzahlreichste und glänzendste Gesellschaft, in der allzeit mehr Dummes und Schlechtes vorkommt als Weises und Gutes.

[13.2] Noch misslicher aber ist die Lage, wenn das Alleinsein mit einer Lebensgefahr bedroht ist, wenn auch oft nur zum Schein; aber dessen ungeachtet ist ein solches Alleinsein auch noch um tausend Male besser als die anmutigste und schönste Gesellschaft! Denn in solchem Alleinsein bedroht einen nur ein scheinbarer Untergang, für den es noch eine Rettung gäbe, so er auch wirklich erfolgt wäre. In der bezeichneten anmutigen und schönen Gesellschaft aber bedrohen einen Menschen nicht selten tausend wirkliche Gefahren, jede vollkommen tauglich, Seele und Geist ganz zu verderben und in die Hölle zu bringen, von der es nahe gar keinen Ausweg mehr gibt! Daher war dein gegenwärtiger Zustand für dein Gefühl wohl ein sehr misslicher, aber für dein Wesen keineswegs ein unglücklicher.

[13.3] Denn siehe, der Herr aller Wesen sorgte dennoch für dich, sättigte dich nach Maß und Ziel und hatte mit dir eine große Geduld! Denn du warst auf der Welt ein römischer Bischof, was Ich wohl weiß, und verrichtetest dein heidnisches Götzenamt zwar dem Buchstaben nach wohl sehr streng, obschon du innerlich nichts darauf hieltest; aber so was kann doch deiner eigenen Beurteilung nach bei Gott, der allein auf das Herz und dessen Werke sieht, unmöglich einen Wert haben! Zudem warst du sehr stolz und herrschsüchtig und liebtest trotz deines geschworenen Zölibats das Fleisch der Weiber über die Maßen! Meinst du wohl, dies könnten Gott wohlgefällige Werke sein?

[13.4] Du machtest dir auch mit den Klöstern viel zu schaffen und besuchtest am liebsten die weiblichen, in denen es recht viele und schöne Novizinnen gab, da du dann ein großes Wohlgefallen hattest, so sie sich vor dir wie vor einem Gott niederwarfen und dir deine Füße umklammerten und du sie dann auf allerlei sogenannte moralische Proben stelltest, von denen einige um nichts besser sind als eine komplette Hurerei! Meinst du wohl, dass solch ein moralischer Eifer von deiner Seite Gott dem Herrn wohlgefällig war?

[13.5] Was hast du auf der Welt gegen das Gebot Christi, der den Aposteln gebot, keine Säcke, somit kein Geld, keinen Rock, keine Schuhe – außer im Winter – und nie zwei Röcke zu haben und zu tragen, für große Reichtümer besessen! Welch ausgesuchte Speisen trug dein Tisch, welch glänzendes Fuhrwerk, welche reichsten Bischofsinsignien zierten deine Herrschsucht!

[13.6] Wie oftmals hast du als sein wollender Verkünder des Wortes Gottes auf der Rednerbühne falsch geschworen und hast dich selbst verflucht, so dies oder jenes nicht wahr wäre, was du bei dir selbst doch in deinem ganzen Leben nie geglaubt hast!

[13.7] Wie oftmals hast du dich selbst befleckt – und warst im Beichtstuhl, solange du dich noch im selben herumtriebst, unerbittlich streng gegen die Armen und Kleinen und ließest die Großen so leicht durch, als wie leicht da springt ein Floh durch ein Stadttor!

[13.8] Meinst du wohl, dass der Herr daran ein Wohlgefallen haben konnte, dem doch das ganze römische Babylon ein Gräuel ist in seiner besten Art?

[13.9] Hast du je gesagt in deinem Herzen: Lasset die Kleinen zu mir kommen? O siehe, nur die Großen hatten bei dir einen Wert!

[13.10] Oder hast du je ein armes Kind in Meinem Namen aufgenommen und hast es bekleidet, gespeist und getränkt? Wie viel Nackte hast du wohl bekleidet, wie viel Hungrige gesättigt, wie viel Gefangene frei gemacht? O sieh, Ich kenne niemanden davon; wohl aber hast du Tausende in ihrem Geist zu harten Gefangenen gemacht und hast der Armut nicht selten durch dein Verfluchen und Verdammen die tiefsten Wunden geschlagen, während du den Großen und Reichen Dispense über Dispense erteiltest, natürlich für Geld – nur manchmal bei sehr großen Weltherren aus einer Art großimponierender Weltfreundschaft [umsonst] – meinst du wohl im Ernst, dass Gott derlei Werke angenehm und wohlgefällig sein könnten und du darum sogleich nach deines Leibes Tod hättest sollen vom Mund auf in den Himmel aufgenommen werden?

[13.11] Ich, dein Rettmann, sage dir das aber nun nicht, um dich zu richten, sondern darum nur, um dir zu zeigen, dass der Herr an dir kein Unrecht tat, so Er dich hier scheinbar ein wenig im Stich ließ; und dass Er dir sehr gnädig war, darum Er nicht zuließ, dass du sogleich nach deinem Absterben vor Gott wohlverdientermaßen zur Hölle hinabgefahren wärst.

[13.12] Bedenke das und schmähe nicht mehr deinen Führer, sondern danke [denke] in aller Demut, dass du von Gott aus nicht der geringsten Gnade wert bist, so kannst du sie wiederfinden. Denn so sich die getreuesten Knechte als schlecht und unnütz betrachten sollen, um wie viel mehr du, der du noch nie etwas dem Willen Gottes Gemäßes getan hast.“

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Bischof Martin

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