Am 31. August 1843
[20.1] Joseph aber, darüber hoch erfreut, sprach zum Hauptmann: „Machtträger des großen Kaisers, was wohl kann ich armer Mann dir für deine große Freundschaft entgegenbieten? Womit werde ich dir in dieser feuchten Höhle aufwarten können?
[20.2] Wie dich bewirten deinem hohen Stande gemäß? Siehe, hier in dem Karren ist meine ganze Habseligkeit, teils mitgebracht aus Nazareth, teils aber ein Geschenk schon von den hierortigen Hirten!
[20.3] Wenn du davon etwas genießen kannst, so sei ein jeder Bissen, den du in deinen Mund führen möchtest, tausendfach gesegnet!“
[20.4] Cornelius aber sagte: „Guter Mann, kümmere und sorge dich ja nicht um mich; denn siehe, hier ist ja meine Hausherrin, diese wird schon Sorge tragen für die Küche, und wir werden alle genug haben um ein lichtes Geldstück, das da geziert ist mit des Kaisers Haupt!“
[20.5] Hier gab der Hauptmann der Wehmutter eine Goldmünze und hieß sie sorgen für ein gutes Mittag- und Abendmahl und, sobald es der Kindbetterin möglich wird, auch für eine bessere Wohnung.
[20.6] Joseph aber sagte darauf zum Cornelius: „O herrlicher Freund! Ich bitte dich, mache dir doch unsertwegen keine Unkosten und Bemühungen; denn wir sind für die wenigen Tage, die wir hier noch zubringen werden, ohnehin – dem Herrn, Gott Israels, alles Lob – gut versorgt!“
[20.7] Hier sagte der Hauptmann: „Gut ist gut, aber besser ist besser! Daher lasse es nur geschehen, und lasse mich dadurch deinem Gott auch ein freudig Opfer bringen; denn siehe, ich ehre aller Völker Götter!
[20.8] Also will ich auch den deinigen ehren; denn Er gefällt mir, seit ich Seinen Tempel zu Jerusalem gesehen habe. Und Er muss ein Gott von großer Weisheit sein, da ihr solch eine große Kunst von Ihm erlernt hattet!?“
[20.9] Joseph aber sprach: „O Freund! Wäre es möglich mir, dich von der alleinigen einigen Wesenheit unseres Gottes zu überführen, wie gerne würde ich es tun zu deinem größten ewigen Wohl!
[20.10] Aber ich bin ein schwacher Mensch nur und vermag solches nicht; aber suche du irgend unsere Bücher auf und lese sie, da du unserer Sprache so wohl kundig bist, und du wirst da Dinge finden, die dich ins höchste Erstaunen setzen werden!“
[20.11] Und der Cornelius sagte: „Guter Mann, was du mir nun freundlichst geraten hast, das habe ich schon getan, habe auch wirklich Erstaunliches darinnen gefunden!
[20.12] Unter anderem aber bin ich auch auf eine Vorhersage gekommen, in der den Juden ein neuer König für ewig verheißen ist; sage mir, ob du wohl weißt, nach der Auslegung solcher Vorsage, wann da dieser König kommen wird – und von woher?“
[20.13] Hier ward der Joseph etwas verlegen und sagte nach einer Weile: „Dieser wird kommen aus den Himmeln als der Sohn des ewig lebendigen Gottes! Und Sein Reich wird nicht von dieser, sondern von der Welt des Geistes und der Wahrheit sein!“
[20.14] Und der Cornelius sprach: „Gut, ich verstehe dich; aber ich habe auch gelesen, dass dieser König in einem Stall bei dieser Stadt soll geboren werden von einer Jungfrau! Wie ist denn das zu nehmen?“
[20.15] [Joseph:] „O guter Mann, du hast scharfe Sinne! Ich kann dir nichts anderes sagen als: Gehe hin, und siehe an das Mägdlein mit dem neugeborenen Kind; dort wirst du finden, das du finden möchtest!“
Am 1. September 1843
[20.16] Und der Cornelius ging hin und betrachtete die Jungfrau mit dem Kindlein mit scharfen Augen, um aus ihr und in dem Kind den künftigen König der Juden zu entdecken.
[20.17] Er fragte daher auch die Maria, auf welche Weise sie also früh ihres Alters ist schwanger geworden.
[20.18] Maria aber erwiderte: „Gerechter Mann, so wahr mein Gott lebt, so wahr auch habe ich nie einen Mann erkannt!
[20.19] Es geschah aber vor drei Vierteln des Jahres, da ein Bote des Herrn zu mir kam und unterrichtete mich mit wenig Worten, dass ich vom Geiste Gottes aus soll schwanger werden.
[20.20] Und also geschah es denn auch; ich ward, ohne je einen Mann erkannt zu haben, schwanger; und siehe, hier vor dir ist die Frucht der wunderbaren Verheißung! Gott aber ist mein Zeuge, dass solches alles also geschehen ist!“
[20.21] Hier wandte sich der Cornelius an die beiden Schwestern und sagte: „Was sagt denn ihr zu dieser Geschichte? Ist das ein feiner Trug von diesem alten Mann, ein für ein blindes, abergläubiges Volk guter Vorschutz, um sich bei solchen Umständen der gesetzlichen Strafe zu entziehen?
[20.22] Denn ich weiß, dass Juden für derlei Fälle die Todesstrafe gesetzt haben! Oder soll daran im Ernst etwas sein, – das noch schlimmer wäre als im ersten Fall, weil da des Kaisers Gesetz müsste in schärfste Anwendung gebracht werden, das da jeden Aufwiegler schon im ersten Keim erstickt haben will?! O redet die Wahrheit, damit ich weiß, wie ich mit dieser sonderbaren Familie dran bin!“
[20.23] Die Salome aber sprach: „Höre mich an, o Cornelius, ich bitte dich bei aller deiner großkaiserlichen Vollmacht! Habe ja mit dieser armen und doch wieder endlos reichen Familie nichts Ernstes und Gesetzliches zu schaffen!
[20.24] Denn du kannst es mir glauben, denn ich stehe mit meinem Kopf für die Wahrheit: dieser Familie stehen alle Mächte der Himmel, wie dir dein eigener Arm, zu Gebote, davon ich die lebendigste Überzeugung erhielt.“
[20.25] Hier stutzte Cornelius noch gewaltiger und fragte die Salome: „Also auch Roms heilige Götter, Roms Helden, Waffen und unbesiegbare Macht? O Salome! Was redest du?!“
[20.26] Salome aber sagte: „Ja, wie du gesagt, also ist es! Davon bin ich lebendigst überzeugt; magst du es aber nicht glauben, da gehe hinaus und sehe an die Sonne! Sie leuchtet heute schon bei vier Stunden, und siehe, sie steht noch im Osten und getraut sich nicht weiterzuziehen!“
[20.27] Und der Cornelius ging hinaus, sah an die Sonne, kam sobald wieder zurück und sagte ganz erstaunt: „Fürwahr, du hast recht; wenn die Sache mit dieser Familie in Beziehung steht, so gehorcht dieser Familie sogar der Gott Apollo!
[20.28] Also muss hier Zeus sein, der mächtigste aller Götter, und es scheint sich die Zeit Deukalions und der Pyrrha zu erneuen; wenn aber das der Fall ist, so muss ich solch eine Begebenheit ja sogleich nach Rom vermelden!?“
[20.29] Bei diesen Worten erschienen zwei mächtige Engel; ihre Angesichter leuchteten wie die Sonne und ihre Kleider wie der Blitz. Und sie sprachen: „Cornelius! Schweige sogar gegen dich von dem, was du gesehen hast, – sonst gehst du und Rom heute noch zugrunde!“
[20.30] Hier überfiel den Cornelius eine große Furcht. Die beiden Engel verschwanden; er aber ging hin zum Joseph und sprach: „O Mann! Hier ist endlos mehr als ein werdender König der Juden! Hier ist Der, dem alle Himmel und Höllen zu Gebote stehen! Daher lass mich wieder ziehen von hier; denn ich bin’s nicht wert, in solcher Nähe Gottes mich zu befinden!“
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