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59. Die Miron-Kuh

(Am 31. Oktober 1842 nachmittags von 4 bis 5 1/2 Uhr.)

[59.1] Was ist das für ein Tier? Es ist kein anderes, als was da ist die Kuh bei euch, nur sieht sie bei weitem anders aus als die Kuh bei euch auf der Erde; also übertrifft auch ihre Nützlichkeit ums Vielfache und Mehrseitige die Nützlichkeit eures gleichen Tieres auf der Erde. Damit wir uns aber von allem einen hinreichenden Begriff machen können, was alles da dieses Tier betrifft, so wird es vor allem notwendig sein, uns auch hier vorerst mit der Gestalt dieses Tieres bekannt zu machen.

[59.2] Wie sieht demnach dieses Tier aus? Fürs Erste, was da betrifft seine Größe, so misst es vom Steiß angefangen bis zum Scheitel des Kopfes zwanzig Klafter und vom Fußtritt bis zur Höhe des Rückgrates zehn. Der Mittelleib dieses Tieres zeichnet sich ebenfalls durch einen beinahe unverhältnismäßig großen Bauch aus. Die Füße aber sind im Verhältnis nahe also, wie bei der uns schon bekannten Ziege mehr schwach und mager. Am Steiß sitzt ein langer, buschiger Schweif, der durchaus mit Mähnen, beinahe also wie bei einem Pferd bei euch, bewachsen ist. Der Rücken dieses Tieres ist fast kamelartig; nur ist er nicht so plötzlich aufgebogen wie bei einem Kamel, sondern allmählich vom Steiß angefangen, und verliert sich also wieder abnehmend bis zur Schultergegend der beiden Vorderfüße. In der Gegend der beiden Schultern erheben sich zwei oval zusammengedrückte Kegel, ungefähr eine halbe Klafter über den Rücken, und geben dadurch dem Tier ein etwas schroffes Ansehen; denn wenn das Tier geht, so bewegen sich auch diese zwei zusammengedrückten Ovalkegel stets verschoben kreuzweise für einander.

[59.3] Gleich über den Schultern hinaus erhebt sich ein von oben bis unten breiter, aber bezüglich des ganzen Leibes recht schmaler Hals, auf welchem ein verhältnismäßig großer Kopf sitzt, welcher nahe das Aussehen hat wie der Kopf eines Maulesels bei euch, nur ist er verhältnismäßig groß. Auf dem Kopf hat dieses Tier nur ein Horn; dieses aber ist aufrechtstehend und nicht so von der Stirn nach vorwärts auslaufend, wie es bei euch auf der Erde bei den selten gewordenen Einhörnern der Fall ist. Auf diesem Horn sitzt eine vollkommen runde Knolle wie eine Kugel, etwa eine Klafter im Umfang habend, und ist von einer sehr harten Masse, etwa so wie der Quarz bei euch. Dieses Horn ist an der Stirn, an seinem Fuß eigentlich, mit einem starken, etwas struppigen Mähnenbusch umwachsen. Unter diesen Mähnen erst sind zwei große und feurige Augen, welche an der Schärfe alle anderen tierischen Augen übertreffen. Die Zunge dieses Tieres ist im ausgestreckten Zustand über eine Klafter lang, das heißt über den Rachen hinaus, und ist ganz stachelig, etwa so wie die Haut eines Igels bei euch. Mit dieser stacheligen Zunge kann dieses Tier seine Nahrung bequem und fest ergreifen, sie dann hineinziehen in seinen Rachen, da zwischen den starken Druckzähnen zermalmen und sodann zu seiner Ernährung verschlingen.

[59.4] Was die Behaarung des ganzen übrigen Leibes betrifft, so hat er bis auf die Extremitäten die schönste, feinste und reichste Wolle zu seiner Behüllung; nur die Füße, die beiden schon benannten Kegel über den Schultern und die Ohren sind kurzhaarig. Dieses Tier ist in diesem Planeten das einzige, welches ungefähr solche Klauen hat wie eine Hirschkuh bei euch. Etwas vor den zwei Hinterfüßen, am Bauch, befindet sich ein verhältnismäßig großes Euter, welches bei diesem Tier mit sechs Zitzen versehen ist, welche aber nicht in zwei Reihen, sondern in einer Linie fortgehen. Die Wollfarbe dieses Tieres ist ganz weiß, die am Schweif und am Horn vorkommenden Mähnen aber sind dunkelbraunrötlich; die kurzbehaarten Teile aber sehen fahl aus. Also hätten wir die ganze Gestalt dieses Tieres vor uns.

[59.5] Wenn wir dieses Tier betrachten, wie es sich nun gestaltlich vor uns befindet, da muss ein jeder von euch sagen: Dieses Tier scheint wohl nützlich zu sein; aber etwas Außerordentliches und Denkwürdiges sieht doch nirgends heraus. – Allein Ich sage hier, wie ihr zu sagen pflegt: Obschon zwar nicht alles Gold ist, was da glänzt, so kann aber auch ebenso gut recht vieles Gold sein, was nicht glänzt. Denn wer das Gold glänzend haben will, muss es ebenso gut zuvor polieren wie ein anderes Metall. Also wollen wir uns auch an die Politur dieses Tieres machen, und es wird sich da wohl zeigen, wie viel des merkwürdigen Goldes hinter ihm steckt. Wir wollen daher auch zuerst das Denkwürdige und wahrhaft in das Wunderbare gehende dieses Tieres in den Augenschein nehmen, bevor wir die vielseitige Nutzwirkung ebendieses Tieres betrachten wollen.

[59.6] Die erste Merkwürdigkeit dieses Tieres besteht darin, dass es sich mit dem Menschen dieses Planeten förmlich durch eine Art Sprache verständigen kann. Diese Sprache besteht in Zeichen, welche dieses Tier mittels seiner Vorderfüße tut, und dieselben dann mit der Mimik seines Kopfes, seiner Zunge und seiner Augen begleitet. Ihr müsst nicht glauben, dass solches dem Tier erst eingelernt werden darf, etwa auf die Art, wie ihr auf eurer Erde so manches Tier lehrt, sondern solches ist dem Tier schon von Grund an eigen. Diese Fähigkeit wird freilich wohl durch einen zeitgemäßen Umgang mit Menschen sehr erhöht; aber gelehrt braucht sie auf keinen Fall zu werden.

[59.7] Diese Tiere sind dadurch auch für allerlei künftige Erscheinungen die verlässlichsten Propheten. Und wenn sie in ihrer Eigentümlichkeit durch den Umgang mit Menschen es zur größeren und größeren Fertigkeit gebracht haben, so bestimmen sie künftige Erscheinungen wie etwa große Ungewitter, große Luftverfinsterungen durch allerlei meteorische Gebilde, große Erdbeben, zukünftige Entstehungen von den blitzenden Bäumen und dergleichen mehr, was diesen Planeten betrifft, nahe bis auf eine Sekunde voraus.

[59.8] Aus diesem Grunde aber haben die Menschen dieses Planeten vor diesem Tier auch eine ganz besondere Achtung, welche sich hier und da sogar in eine Art Abgötterei verloren hat. Allein da die Bewohner dieses Planeten auch im Konflikt [in Verbindung] mit der Geisterwelt ihres Planeten stehen, so ist eine solche Abgötterei nie von langer Dauer, sondern gleicht vielmehr einem kurzen Übergang, der da ähnlich ist der Begeisterung so mancher albernen Dichter bei euch, die da nicht selten vor einer aus Holz oder Stein geschnitzten Statue Lieder schreien, als ständen sie vor einem Engelsgeist des dritten Himmels. Solches ist ebenfalls eine Abgötterei; aber, wie ihr es schon zu öfteren Malen werdet erfahren haben, eben nie von zu intensiver und zu langer Dauer. So ist es auch auf diesem Planeten umso mehr der Fall, allda sie immer mehr einer starken Verwunderung über die Fähigkeiten dieses Tieres gleicht, als einer Abgötterei.

[59.9] Seht, diese Eigenschaft des Tieres übertrifft schon sicher alle anderen Eigenschaften der Tiere, die wir bisher haben kennengelernt. Hat dieses Tier noch mehrere denkwürdige und wunderbare Eigenschaften? O ja; hört nur weiter!

[59.10] Die zweite wunderbar merkwürdige Eigenschaft dieses Tieres besteht darin, wie es seinen Feinden begegnet, deren es auch eine Menge zählt. Wie verteidigt es sich denn gegen seine Feinde? Fürs Erste merkt dieses Tier genau, wo ein Feind seiner lauert. Wie irgend aber solches der Fall ist, da streckt es seine stachelige Zunge aus dem Rachen und geht schnurgerade auf seinen Feind los. Dadurch, dass es die Zunge hinausgestreckt hat, hat sich dieses Tier, zufolge seiner innern Organisation, mit einer ungeheuren Masse von positiver Elektrizität gefüllt. Merkt das Tier nun, dass es vollgeladen ist, sodann macht es seinen Rachen zu, nachdem es die Zunge zuvor eingezogen hat, kehrt sein Kugelhorn gegen den Feind und lässt alsbald die volle elektrische Ladung von diesem seinem Kugelhorn auf den Feind losbrechen, der bei dieser Gelegenheit, wenn schon nicht ganz getötet, aber dennoch von dem außerordentlich heftigen elektrischen Schlag so gedemütigt wird, dass er sicher auf der Stelle seinen Lauerplatz verlässt und nicht leichtlich einen zweiten Versuch mehr wagt, sich diesem Tier feindlich zu nähern. Das wäre sonach eine zweite, sicher denkwürdige Eigenschaft dieses Tieres.

[59.11] Die dritte merkwürdige Eigenschaft dieses Tieres aber besteht darin, dass es die Bewohner, wenn sie von ihm die Milch haben wollen, nie zu melken brauchen. Sie brauchen nur ein Gefäß hinzustellen, und sobald tritt dieses Tier mit seinem milchreichen Euter über das Gefäß und lässt anfänglich freiwillig seine Milch aus seinen Zitzen in das Gefäß; ist aber das Euter nicht mehr so voll, dass die Milch nicht gewisserart freiwillig den Zitzen entträuft, sodann melkt sich das Tier mit seinen Vorderfußklauen bis auf den letzten Tropfen aus, indem es geschickterweise seine Zitzen zwischen die zwei Klauen fasst und dann behutsam abstreift; und hat es sich vollends ausgemolken, sodann zeigt es dies den Menschen an, die dann das Gefäß mit der Milch nehmen und es zu ihrem Gebrauch verwenden können.

[59.12] Eine vierte denkwürdige Eigenschaft dieser Tiere besteht darin, dass sie bei Gelegenheit großer Stürme lebendige Blitzableiter bilden. Denn dieses Tier hat die natürliche Anhänglichkeit zum Blitz. Wenn da irgend mit der Elektrizität schwer beladene Wolken daherziehen, so stellen sich diese Tiere gesellschaftlich auf einem höheren Punkt auf, strecken da ihre Zunge gegen die Wolke und entladen dadurch dieselbe nicht selten gänzlich von ihrer Elektrizität; entladen aber dann dieselbe nie plötzlich durch das Horn, sondern lassen sie allmählich durch die beiden Schulterkegel ausströmen, welche zu diesem Behuf den Tieren eigen sind. Vermöge dieser Eigenschaft sind diese Tiere auch die besten Nachtwächter menschlicher Wohnungen dieses Planeten. Denn zur Nachtzeit ist es, außer einem bekannten Menschen, nicht ratsam, sich einem solchen Haus zu nahen. Wer solches täte, setzte sich der größten Gefahr aus, vom Blitz entweder erschlagen oder aber zum Wenigsten doch sehr beschädigt zu werden.

[59.13] Dass dieses Tier vermöge solcher Eigenschaften noch zu manchem verwendet wird, lässt sich aus dem bereits Bekannten wohl sehr leicht schließen. Dass es zum Beispiel bei den Jagden, die da häufig vorkommen, nicht fehlt, und bei noch so manchen anderen Gelegenheiten, könnt ihr euch leicht denken. Und so denn haben wir mit der Betrachtung der merkwürdigen Eigenschaften dieses Tieres auch schon dessen Nützlichkeit gar wohl wahrgenommen. Es braucht nur noch hinzu erwähnt zu werden, dass es mittels seiner reichlichen Wolle die Menschen mit der besten Kleidung versieht, so haben wir das ganze, nützliche Tier vor uns; und wollen uns daher für das Nächste zu den Zweifüßlern wenden, nachdem wir noch zuvor einen ganz kleinen Überblick über das noch andere Tierreich werfen werden. Und somit gut für heute!

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