[28.1] Das Tier, welches wir noch betrachten wollen, kommt nur äußerst selten vor. Auf den Kontinent-Ländern ist es ein ganz vollkommener Fremdling. Nur auf einigen bedeutenden südlichen Inseln ist es zu Hause. Wo aber dieses Tier haust, dorthin machen die Saturnusbewohner auch ebenso seltene Visiten wie auf die Inseln, da das Mud zu Hause ist. Warum – solches wird die Folge zeigen.
[28.2] Bauor heißt dieses Tier; nach eurer Sprache würde das ungefähr so viel heißen wie das Einauge. Zuerst wollen wir darüber einen Blick machen, warum dieses Tier das Einauge heißt. Hat dieses Tier denn wirklich nur ein Auge? Nein, sondern es hat also zwei Augen zum Schauen wie jedes andere Tier. Aber auf der breiten Stirn über den zwei Augen, gerade in der Mitte, besitzt es noch ein Waffenauge. Und von diesem sehr gefährlichen Auge hat dieses Tier auch seinen Namen.
[28.3] Bevor wir aber jedoch dieses Auge näher betrachten wollen, werden wir das ganze Tier seiner Gestalt nach beschauen und sodann erst auf das sonderbare Auge übergehen.
[28.4] Wie sieht also das Tier aus? Wie groß ist es und wie gefärbt? Bis auf den Hals und den Schweif sieht dieses Tier einem Pferd bei euch sehr ähnlich. Nur müsst ihr euch den Leib des Pferdes ums Hundertfache größer denken.
[28.5] Was aber den Schweif anbelangt, so sieht dieser einer Schlange ähnlich, wann ihr der Kopf abgeschlagen wäre, und hat nicht selten eine Länge von 120-130 Klaftern, und in der Gegend des Afters, da er anfängt, einen Dicke-Durchmesser von anderthalb Klaftern eures Maßes. Am Ende des Schweifes sind, also wie bei einem Schiffsanker, drei starke Widerhaken. In dem Schweif hat dieses Tier die meiste Kraft und sucht sich mittels desselben die Nahrung im Wasser, darum es sich auch beständig an den Meeresufern aufhält und allda seinen langen Schweif fast ununterbrochen im Wasser herumschwärmen lässt, um sich irgendeinen tüchtigen Fisch oder ein anderes bedeutendes Wassertier mit den Angeln seines Schweifes zur wohlschmeckenden Nahrung zu fangen, zu welchem Fang dieses Tier auch eine große Fertigkeit besitzt. Denn wie es nur in irgendeinem Wasserwinkel etwas ihm zusagendes Lebendiges wittert, so fährt es mit seinem Schweif unter dem Wasser pfeilschnell dahin und macht diesen seinen Schweifwurf so sicher, dass es seine Beute nie verfehlt. Das wäre somit sein Schweif.
[28.6] Wie aber sieht es denn beim Kopf aus? Der Kopf dieses Tieres ist äußerst merkwürdig. Er sitzt auf einem langen und starken Hals und hat fast ganz die Gestalt eines Seekalbkopfes auf eurer Erde. Nur ist auch der Kopf in eben dem Verhältnis größer als der Kopf eines Erd-Seekalbs, als da ist größer sein Leib als der eines Erd-Pferdes. Also bis auf das Waffenauge sieht sein Kopf dem Kopf eines Seekalbes gleich.
[28.7] Was hat es denn hernach mit dem sogenannten Waffenauge für eine Bewandtnis? Seht, dieses Auge ist an und für sich kein Auge zum Schauen; aber es ist ein Auge zum Fühlen oder Festhalten. Dieses Auge ist sonst gewöhnlich geschlossen; wann sich aber dem Tier irgend etwas Feindseliges naht, so öffnet es dieses Auge; wie aber dieses Auge geöffnet wird, so bricht alsbald ein so intensiver roter Lichtstrahl aus eben diesem Auge hervor, dass es ein Leichteres ist, frei in die Mittagssonne zu schauen als in dieses Auge.
[28.8] Wenn dann dieser Strahl auf irgendein lebendiges Wesen geleitet ist, wird dieses alsbald von einer Art Unbehilflichkeit so gefangengenommen, dass es sich wie gebannt empfindet und die Stelle nicht verlassen kann, auf welcher es von diesem Augenlicht unseres Tieres angefallen wurde. Wann dann das Tier sieht, dass der so beleuchtete Feind gehörig gefestet oder gebannt ist, so nähert es sich demselben langsamen Schrittes auf eine so weite Distanz, als wie weit sein mächtiger Schweif reicht, in welcher Distanzberechnung sich dieses Tier nie verrechnet. Sodann aber wirft dieses Tier mit Blitzesschnelle seinen Schweif auf den Feind hin, angelt ihn und trägt ihn mit dem Schweif, der diesem Tier auch als ein Arm dient, sogleich in seinen überaus weiten Rachen, zermalmt ihn da mit seinen starken Zähnen und verschlingt ihn dann zu seiner Sättigung. Es macht da gar keinen Unterschied, ob es ein Tier oder Mensch ist; denn seiner großen Gefräßigkeit zufolge schont es keines einzigen lebenden Wesens, sei es ein Bewohner der Luft oder ein Bewohner der Erde oder ein Bewohner des Wassers.
[28.9] Das wäre somit bis auf die Farbe alles samt und sämtliche Denkwürdige dieses Tieres.
[28.10] Was hat es denn für eine Farbe? Am Bauch ist es hellblau; durch die Mitte des Bauches der Länge nach aber zieht sich ein dunkler, ziemlich breiter Streifen. Der Rücken aber ist von hellroter Farbe mit kleinen zebraartigen, gelben Streifen durchzogen. Die Füße sind pomeranzengelb von da angefangen, wo sie den Leib verlassen. Die Hufe aber sind ganz vollkommen schwarz. Die Haare des Leibes sind im Verhältnis durchaus sehr kurz, darum auch schon einige Saturnusbewohner der Meinung waren, als sei dieses Tier ganz nackt. Nur durch einige gefangene Exemplare wurden sie erst eines andern belehrt.
[28.11] Aber dieser Fang kam und kommt den Saturnusbewohnern allzeit ziemlich teuer zu stehen. Denn wenn sie es fangen wollen, so müssen sie demselben früher bedeutende Opfer bringen, als da sind eine ziemliche Menge großer Haustiere. Erst wann sich dieses Tier durch den Genuss vieler solcher Haustiere übersättigt hat, dann wird es schläfrig und matt, legt sich dann irgend auf einem Platz neben dem Wasser nieder, ringelt seinen Schweif zusammen und verdaut seine reichlich zu sich genommene Kost. Wann die Saturnusbewohner sehen, dass sich dieses Tier zur Ruhe begeben hat, dann müssen sie auch eilen, so viel als nur immer möglich, damit sie eben sobald Meister des Schweifes werden, welchen sie gewöhnlich mit einem Hieb vom Leib trennen. Wann aber diese Operation vollbracht ist, so müssen sie sodann ebenso geschwinde wieder die Stelle verlassen. Denn da der Schweif, auch getrennt von seinem Tier, noch lange fortlebt und sich mit den schauerlichsten Krümmungen hin- und herwirft, das Tier aber vor Schmerz ebenfalls wütend wird und mit seinen Hufen umherschlägt, so ist es durchaus nicht ratsam, sich nach der Operation in der Nähe dieses Tieres aufzuhalten. Solches wissen die Saturnusbewohner, daher entfernen sie sich sogleich und warten die Zeit auf ihren Schiffen auf der Oberfläche des Wassers ab, wann dieses Tier regungslos zusammenstürzt und der Schweif sich krampfhaft ausgestreckt hat.
[28.12] Ist solches einmal vor sich gegangen, alsdann nähern sich unsere Saturnusschiffer wieder dem Ufer, hauen noch den Schweif auf mehrere Stücke entzwei, bei welcher Gelegenheit da noch die zerhauenen Stücke eine ziemliche Zeit lang hin und her springen, nähern sich dann dem Tier selbst und versuchen dasselbe an der Rückengegend durch Stiche, ob im selben sich noch irgendein verborgenes Leben vorfindet. Macht das Tier bei solchen Stichen keine Bewegung mehr, so wird demselben sobald die schöne Haut abgezogen, der Kopf aber wird ihm zuvor abgehauen und sehr schnell ins Wasser geworfen. Denn diese Jäger sind der Meinung, es möchte das Tier während der hautabzieherischen Operation das schreckliche Auge zufällig öffnen, und dann würden sie alle vergiftet; was aber natürlich gar nie der Fall sein könnte, fürs Erste, weil dieses Auge durchaus kein Gift enthält, fürs Zweite aber, weil das heftige rote Licht des Auges sobald vollkommen erlischt, sobald das Tier alle Lebenskräfte vollkommen verloren hat.
[28.13] Ist die Haut einmal von dem Tier herabgezogen und auf ihre Fahrzeuge gebracht, dann lassen sie alles andere liegen und von sich selbst verwesen. Damit aber diese Verwesung desto schneller vor sich gehe, so gibt es da an einer solchen Ufergegend auch schon sobald allerlei hungrige Gäste, welche daher fürs Erste ihren Hunger stillen, manche aber fürs Zweite auch an ihrem wohlbekannten Feind sich ihre Rache kühlen.
[28.14] Wozu aber benutzen dann die Saturnusbewohner eine solche mühsam erlangte Haut? Eine solche Haut wird dann mit Öl gut eingerieben, dass sie nimmermehr steif werden kann. Ist solche Bearbeitung gut genug zu Ende gebracht, so wird die Haut zubereitet oder vielmehr beschnitten und danach zu einem Halbmantel verwendet. Ein solcher Mantel gilt auf einem Rücken des Mannes mehr als bei euch ein ganzes Kaisertum. Denn da heißt es dann sprichwörtlich: Der Bauor macht den Fürsten oder alldort den vorzüglichsten Patriarchen des Landes erst vollkommen ansehnlich als das, was er sein soll.
[28.15] Es gehört für die Saturnusbewohner aber auch im Ernst zu einer der größten Wagetaten, die sie ausführen. Wer demnach sich einen solchen Mantel gefangen hat, der zeigt allen seinen Mitmenschen, von welch großem Mut er beseelt ist. Dieses Zeugnis aber gilt bei dem Saturnusbewohner am meisten. Denn mit einem mutlosen Anführer und Leiter ist ihnen nicht gedient. Dann aber bezeugt ein solcher Mantel auch noch, welche großen Opfer es dem Erringer eines solchen Mantels gekostet hat. Daraus schließen dann die Saturnusbewohner, dass ein solcher Bauor-Mantelinhaber auch bei seiner großen Tapferkeit ein sehr freigebiger Mensch ist, darum er zum Wohle seiner Brüder nicht gescheut habe solch große Unkosten. Und endlich aber schließen sie aus dem Besitz eines solchen Mantels noch auf die große Klugheit eines solchen Menschen, da er es so weise angestellt hat, Meister dieses Ungeheuers zu werden, welches bei den Saturnusbewohnern noch in einem viel entsetzlicheren Ansehen steht als bei euch der sogenannte Drache oder Lindwurm.
[28.16] Wenn demnach ein Mensch ein solches Tier besiegt hat, so wird er auch bei jeder anderen Gelegenheit jedes Unternehmen mit großer Klugheit zu leiten imstande sein. Daher macht dieser Bauor-Mantel einen Saturnusmenschen unfehlbar allzeit zu einem Großpatriarchen, wenn er auch sonst noch ums Drei- bis Vierfache jünger wäre als irgendein anderer Kleinpatriarch. Solange aber hernach dieser Mantel dauert, so lange auch dauert das Großpatriarchentum.
[28.17] Da aber dieser Mantel sonach stets die Großpatriarchenwürde verbürgt, so wird auch mit nichts so sprechend [sparsam] und schonend umgegangen, als wie mit einem solchen Mantel; aus welchem Grund ein solcher Mantel von einem solchen Großpatriarchen nur bei höchst außerordentlichen Gelegenheiten umgehängt wird. Wie es aber überall in unserem Planeten kleine Betrügereien gibt, so gibt es auch solche namentlich mit der dort fast allgemein ewig geglaubten Dauer eines solchen Mantels, welcher, wenn er schon lange morsch geworden ist, aber dennoch durch einen falschen Mantel von anderen Tierhäuten als ein echter Bauor-Mantel forterhalten wird.
[28.18] Ein solches, zufolge dieses Bauor-Mantels errungenes Großpatriarchat vererbt sich dann so lange auf alle Kinder und Kindeskinder des Großpatriarchen, solange noch der Mantel als daseiend vorgewiesen werden kann. Nur so da jemand zu einer frischen Unternehmung sich zum Besitz eines neuen Mantels verhilft und weist solchen im ganzen Land auf, so ist es mit dem alten Patriarchat zu Ende. Jedoch bleibt der alte Patriarch dessen ungeachtet noch immer ein angesehener Mann im Volk. In diesem Fall gilt selbst noch der letzte Fleck eines solchen Bauor-Mantels als ein vollkommen gültiges adeliges Diplom, durch welches der Inhaber so lange solche Bauormantel-Vorrechte genießt, so lange er nur noch ein Stückchen von einem solchen Mantel als Diplom aufzuweisen hat. Haben aber einmal einige gutgesinnte Motten das letzte Fleckchen zernagt, so haben sie auch die Würde eines solchen Urpatriarchen also zerstört, dass ihm am Ende nichts mehr davon übrigbleibt als allein die leere Erinnerung für sich selbst.
[28.19] Jedoch wir wollen diese saturnuspolitischen Verhältnisse vorderhand nicht weiter verfolgen, indem wir noch nicht beim Menschen sind – sondern wollen uns dafür wieder sogleich zu den Tieren wenden. Bevor wir aber jedoch die Haustiere vornehmen wollen, werden wir jenen allgemeinen Überblick über das gesamte nicht-zahme Saturnus-Tiervolk werfen.
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