Am 17. Januar 1844
[3.205.1] Bei fünftausend der ersten Priester waren in dem großen offenen Saal, welcher nach der Art eines Amphitheaters erbaut war, versammelt und erwarteten die zehn Kundschafter mit großer Sehnsucht und Gier.
[3.205.2] Als die nun auch in etwas banger Erwartung dessen, was da kommen solle, in diesem offenen Saal ankamen, da wurden sie alsbald von den Priestern umringt und sogleich in einen unterirdischen Gang geführt, an dessen Ende ein großes Feuer zu sehen war.
[3.205.3] Sie wurden diesem Feuer näher und näher geführt und entdeckten bald in einer bestimmten Nähe, wie sich mitten unter den gewaltigsten Flammen eine Menge heulender, glühroter Menschen befand.
[3.205.4] Es war aber das Feuer nur ein Trugfeuer, welches ungefähr dem gleich war, wie es heutzutage auf den Theatern bewerkstelligt wird durch transparente, über einem Rad bewegliche und mit Flammen bemalte feine Zeuge; nur war hier in Hanoch die Täuschung umso vollkommener, dass da in einer gewissen Nähe niemand etwas anderes als ein allerbarstes mächtiges Feuer zu sehen wähnte, welches aber freilich wohl nicht die geringste Hitze hatte.
[3.205.5] Als unsere zehn dieses Mordspektakels ansichtig wurden, da ward es ihnen ganz sonderbar zumute. Sie hätten gerne gefragt: „Was damit? Wer die, so darinnen heulen?“, aber es ward ihnen gleich beim Eintritt auf das Allereindringlichste bedeutet, zu schweigen bei allem, was sie sehen werden, ansonst es mit ihnen geschehen sei!
[3.205.6] Vom Feuer wurden sie durch einen anderen Gang geführt und gelangten bald zu einem bei vierzig Klafter tiefen und bei neunzig Klafter im Umfang habenden Bassin.
[3.205.7] Die Priester zündeten hier bepechte Strohbündel an und warfen sie hinab in den Abgrund. Dieser wurde dadurch erleuchtet, und man erblickte zuunterst eine Menge Geschmeiß, wie auch eine Menge abgenagter Gerippe, die man freilich nicht so genau ausnehmen konnte, dass man zu bestimmen imstande gewesen wäre, ob es menschliche oder tierische – und das von sehr großen Tieren – waren.
[3.205.8] Denn hier war alles auf den Betrug und dadurch auf eine große Angsterweckung abgesehen.
[3.205.9] Dieses Bassin war unter einer Naturgrotte erbaut, deren große Geräumigkeit dem Abgrund ein noch größeres Ansehen verlieh.
[3.205.10] Wenn man nun diese zwei Trugerscheinungen erwägt, so wird es nicht schwer sein, zu begreifen, welch eine entsetzlichste Angst unsere zehn Boten befiel, als sie bei diesem Abgrund schwören mussten, sich allen Anordnungen der Oberpriester ohne die geringste Widerrede zu fügen, wollten sie nicht bei lebendigem Leibe entweder in das Höllenfeuer oder in diesen Abgrund geworfen werden.
[3.205.11] Die zehn schworen daher wohl aus Angst mit dem Mund, aber desto grimmiger fluchten sie in ihrer Brust und sprachen bei sich: „Nur hinaus ins Freie noch einmal mit uns, und ihr sollt diesen Abgrund und eure Hölle selbst zu verkosten bekommen!“
[3.205.12] Nach dem Schwur wurden die zehn wieder in den großen offenen Saal geführt und wurden mit unterpriesterlichen Kleidern angetan, worauf dann erst die große Beratung begann.
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