Am 2. September 1843
[3.110.1] Da aber der Lamech solches Verlangen von dem wieder besänftigten Adam vernommen hatte, ging er hin und sprach: „Erhabener Vater der Menschen der Erde! Du bist gerecht vor Gott und uns, deinen Kindern, und wo auf der Erde lebt wohl nun der Mensch, der da verkennen möchte die Liebe in dir, mit der du alle deine Kinder erzogen hast Dem zur Ehre und zum Lob, der sie dir gegeben hatte?!
[3.110.2] Aber soviel ich jetzt eben gemerkt habe, so hast du das Gute zwar von allen deinen Kindern in dir in mächtig vorherrschendem Grad; aber nicht minder scheinen auch daneben die Schwächen deiner Kinder in dir den Ursitz zu haben, und dein erprobtes Gemüt ist durchaus von so manchen Vorurteilen noch nicht gänzlich befreit!
[3.110.3] Daher wirst du mir schon vergeben, wenn ich dir die aufrichtigste Bemerkung kundgebe, dass fürs Erste die Sangrede Kenans auf mich abgesehen war, und dass zweitens der Henoch durch seine kurze, den Kenan gegen dich verteidigende Bemerkung bestimmter nur als der Kenan selbst angezeigt hatte durch Wort, Auge und Hand, dass ich mich erforschen solle, wie viel von solcher unflätigen Weisheit noch in mir stecke!
[3.110.4] Ich befolgte aber auch augenblicklich den weisen Rat und fand, wie während der ganzen Sangrede Kenans mein Gemüt mit seinen Worten auf ein Haar übereinstimmte, und fand aber dann auch bei der Bemerkung Henochs, dass da eine alte Gewohnheit ein wahrhaftiges ehernes Gewand ist, das man nicht auszuziehen vermag, so es einem auf den Leib ist förmlich angeschmiedet worden.
[3.110.5] Siehe, das ist in der Rede Kenans und in der Bemerkung Henochs allergetreuest enthalten, und ich möchte mit meinem Leben für die Wahrheit dieser meiner Aussage stehen, so man das von mir verlangen sollte!
[3.110.6] Dass sich dabei in dieser Sache auch vielleicht mancher andere so ein wenig hat getroffen gefunden, solches finde ich ganz natürlich, wie auch ganz vollkommen gerecht, denn wir alle sind ja wenigstens in gewissen Punkten mehr oder weniger Schwache zu nennen und zu erkennen, und da finde ich derlei Rüttler ganz und gar nicht überflüssig. Denn dadurch wird so mancher bei sich seiner Schwäche gewahr und kann ihr dann auf gutem Wege den Abschied geben, wo sie ihm [andernfalls] sicher eigen bliebe bis an sein letztes Lebensende.
[3.110.7] Damit will ich nicht nur den Henoch, sondern auch dich, o Vater, und auch alle deine Kinder entschuldigt haben; denn der Herr hat dem Menschen die Schwächen zur selbständigen Probung gegeben, und eben durch diese Schwächen ist unser aller geistige Freiheit bedingt, und wir können eben durch die Erkenntnis und Besiegung derselben erst vollkommen frei im Geiste werden.
[3.110.8] Denn die Schwäche in uns ist ein vom Herrn geflissentlich unvollendeter Teil unseres Wesens, den wir selbst vollenden sollen, um dadurch die göttliche Ähnlichkeit unseres Geistes in uns selbst bekräftigend zu rechtfertigen und dadurch ein wahrhaft freies Leben für ewig durch uns selbst zu gründen.
[3.110.9] So wir aber nur lieber unsere Schwächen verdeckt, als geoffenbart in uns tragen wollen, da schaden wir uns ja nur selbst und sind selbst Schuldträger, so wir am Ende durch sie zugrunde gehen!
[3.110.10] Daher, Vater Adam, wirst du wohl dem Henoch, dem Kenan und mir vergeben, so wir dadurch dir etwa sollten zu nahegetreten sein?!“
[3.110.11] Diese Worte Lamechs söhnten den Adam wieder völlig aus, dass er nun auch wieder den Henoch zu hören verlangte.
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