Jenseits der Schwelle

Eine Darstellung der unmittelbaren Zeit nach dem Tod

Sterben und Hinübergehen

Eine Darstellung der unmittelbaren Zeit nach dem Tod

„Jenseits der Schwelle“ von Jakob Lorber beschreibt auf detaillierte Weise die Erfahrungen und Schicksale von Seelen nach dem irdischen Tod.
Es schildert den Übergang in die geistige Welt, die anfänglichen Bewusstseinszustände der Verstorbenen, die oft noch stark von ihren irdischen Vorstellungen und Gefühlen geprägt sind, und die allmähliche Führung und Läuterung durch geistige Wesen.
Das Buch gibt Einblicke in verschiedene Jenseitsbereiche und die Entwicklung der Seelen in diesen Sphären, wobei jede Seele zunächst eine Welt vorfindet, die ihrem inneren Zustand entspricht.
Es werden sowohl angenehme als auch erschreckende Szenen des Übergangs und der ersten Erfahrungen im Jenseits geschildert.
Zusammenfassend ist „Jenseits der Schwelle“ eine Darstellung der unmittelbaren Zeit nach dem Tod aus der spirituellen Perspektive Jakob Lorbers, die sich auf die individuellen Erlebnisse und die fortschreitende Reifung der Seelen im Jenseits konzentriert.

Inhalt lesen

Empfangen vom Herrn durch Jakob Lorber am 27. Juli 1847

[0.1] Der Bruder A. möchte wissen, wie sich der Übertritt aus dem materiellen ins geistige oder sogenannte jenseitige Leben gestaltet.

[0.2] Oh, dieser Übertritt ist sehr leicht und ganz natürlich zu beschreiben.

[0.3] Siehe, welchen Unterschied macht wohl das Wasser, so entweder ein großer oder ein armer, unbeachteter Mensch hineinfällt? Höre, beide ertrinken auf die ganz gleiche Weise. Oder welchen Unterschied macht das Feuer? Höre, es verzehrt den Kaiser so gut wie den Bettler.

[0.4] Wenn ein Bettler und ein Minister oder Kaiser von einem Turm fielen zur selben Zeit, so wird der eine so gut wie der andere seinen Tod finden durch den jähen Fall.

[0.5] Welchen Unterschied macht wohl das Grab zwischen Groß und Klein, oder zwischen Reich und Arm, oder zwischen Schön und Hässlich, oder Jung und Alt? Siehe, gar keinen! Alles verwest und wird zum Unflat der Würmer und endlich zum nichtigsten Staub.

[0.6] Wie es aber dem Leib im Reich der sogenannten Naturkräfte ergeht, ebenso ergeht es auch der Seele im Reich der Geister. Ob sie auf der Welt Bettler oder Kaiser war, das ist im Geisterreich vollkommen gleich. Da wird mit niemandem eine Ausnahme gemacht, auf dass niemandes Eigendünkel genährt werde und der Große nicht mehr von seiner Größe und der Arme nicht mehr von dem Anspruch ans Himmelreich – da er auf der Welt viel Not gelitten hat – und der Fromme nicht mehr von seinem „Verdienst ums Himmelreich“ geblendet werde. Wie aber schon öfter gesagt: Drüben, wohlverstanden, drüben gilt nichts als nur die reine Liebe.

[0.7] Alles andere aber ist wie ins Meer geworfene Steine, von denen der Diamant gleich dem gemeinsten Sandstein in den ewigen, stinkenden Schlamm versinkt. In sich bleiben sie zwar wohl, was sie sind und was sie waren außer dem Meer; aber das Los beider ist gleich, höchstens mit dem Unterschied, dass der Sandstein eher zu einem neuen Leben aufgelöst wird als der Diamant.

[0.8] Also ist es auch jenseits mit dem diesweltlichen Adel, so derselbe nicht ein bloßer Geburts- sondern auch zugleich ein wirklicher Herzensadel ist, oder mit der diesweltlichen Geringheit. Diese werden sich im Meeresschlamm der unerbittlichen Ewigkeit wohl in ihrer Einbildung noch lange als das dünken, was sie auf der Welt waren. Der Kaiser wird dort sich noch als Kaiser dünken und der Bettler – mit dem Anspruch auf Vergeltung – als Bettler. Aber dessen ungeachtet werden in der großen Wirklichkeit dennoch beide miteinander im Meeresschlamm der Ewigkeit ein gleiches Los teilen. Nur dürfte der Arme eher in die Gärung kommen – und sein Wesen daher auch eher von den wahren, innersten Demutsbläschen angefüllt werden, die ihn dann aus dem Schlamm ziehen möchten und hinauftragen zum ewigen Licht und Leben – als der Kaiser oder ein sonstiger Weltgroßer.

[0.9] Nach diesem Muster oder nach dieser Kardinalregel könnt ihr den Hintritt eines jeden Menschen genau beurteilen. Haltet euch daher an die Liebe, auf dass ihr dereinst nicht des allgemeinen Loses teilhaftig werdet! Amen. Amen. Amen.

Am 28. Juli 1847

[1.1] Gehen wir an das Krankenlager eines großen, äußerst berühmten Mannes der Welt – und zwar einige Stunden vor dem Hintritt in die Ewigkeit – und betrachten da dessen Benehmen diesseits und seinen Eintritt ins Jenseits und wie sich da die zwei Welten begegnen und ineinander übergehen mit einem Blick, und es wird sich euch sogleich sonnenhell zeigen, wie so ganz und gar voll Wahrheit die vorhergehende Kardinalregel diese Sache darstellte.

[1.2] Seht, dieses Menschen Taten und Handlungen in der Welt waren von einer solchen Art und wurden auf einem solchen Boden ausgeführt – von dem zumeist das resonierende Echo die ganze Erde durchschwirrte wie ein zischender Meteor –, dass sie aller Menschen Augen auf sich zogen und wegen des starken Bodenwiderhalls an allen Punkten der Erde vernommen und weidlichst für und wider besprochen und beschrieben wurden, und zwar auf so viel Papier, dass man mit selbem nahezu ganz Europa überziehen könnte. Und nun liegt dieser große Mann, dieser Philanthrop, dieser hitzige Verfechter politischer und kirchlicher Interessen seiner Nation hingestreckt auf seinem Lager voll Verzweiflung und Furcht ob der herbeigekommenen letzten Stunde, der zu entgehen sich für ihn auch nicht die leiseste Hoffnung mehr herausstellt.

[1.3] In einer Art von dumpfer, schmerzlichster Verwirrung sieht er – als heimlicher Atheist – bald die ewige Vernichtung seines Daseins, bald fühlt er wieder vermeintliche Schmerzen der Verwesung, darum er sich auch die Einbalsamierung testamentarisch bedingt, – und dass er im Grab nimmer erwache, müssen Herz und Eingeweide von seinem Leib getrennt werden, und damit diesen getrennten Teilen nicht die Zeit zu entsetzlich lang werde, müssen sie an solchen Orten beigesetzt werden, die nicht gar zu selten von Menschen besucht werden.

[1.4] Aber mitten unter solche vernichtende Gedanken mischt sich auch der Katholizismus mit seinen scharfen Höllendrohungen, über die der Mann bei sich freilich gelacht hatte, solange er noch hundert Jahre zu leben wähnte. Aber sie kehren nun wie leicht entflohene Furien zurück und peinigen das so mancher großen Schuld sich bewusste Gemüt unseres Sterbenden ganz entsetzlich, und es können selbes weder die Kommunion noch die Ölung, noch die ununterbrochenen Gebete und vielen Messen und das starke Glockengeläut beschwichtigen. Nur stets grässlicher und stets ewiger sieht seine Seele die Flamme des Pfuhls emporschlagen.

[1.5] Da entfleucht all seine frühere Manneskraft und all seine Philosophie ist dahin, und sein brechendes Herz sinkt schon in die stets dichter und dichter werdende Nacht des Todes. Und die Seele, von der höchsten Angst bedräut, sucht noch in den letzten Atemzugsperioden ein Trostfünklein in den schon tot werdenden Furchen des Herzens, das einst so viel irdischen Mut hatte. Aber da ist es überall leer und statt des Trostes starrt ihr überall entweder die ewige Vernichtung oder die Hölle mit all ihren Schrecken entgegen.

[1.6] Also sieht es diesseits aus; nun aber machen wir auch einen Blick ins Jenseits.

[1.7] Siehe, da stehen drei verhüllte Engel am entsprechend gleich aussehenden Lager unseres Sterbenden und betrachten unseren Mann mit unverwandtem Blick.

[1.8] Nun spricht der A zum B: „Bruder, ich meine, für den ist es irdisch vollbracht. Auf dieser Dornhecke werden irdisch wohl nimmer Trauben zum Vorschein kommen. Sieh, wie sich seine Seele krümmt und windet und keinen Ausgang findet und wie gar so verkümmert der arme Geist in ihr aussieht! Daher greife du mit deiner Hand in die schon starren Eingeweide und entwinde diese gar jämmerlich elende Seele aus ihrer Nacht, und ich werde sie dann in des Herrn Namen anhauchen und sie erwecken für diese Welt; und du, Bruder C, führe sie dann des Herrn Wege ihrem Bestimmungsort zu nach der Freiheit ihrer Liebe. Es geschehe!“

[1.9] Nun greift der Engel B in die Eingeweide unseres Mannes und spricht: „Im Namen des Herrn – erwache und werde frei, du Bruder, nach deiner Liebe. Es sei!“

[1.10] Nun sinkt diesseits die sterbliche Hülle in den Staub, jenseits aber erhebt sich eine blinde Seele!

[1.11] Aber der Engel A tritt hinzu und spricht: „Bruder, warum bist du blind?“ – Und der Neuerwachte spricht: „Ich bin blind. Macht mich sehend, so ihr könnt, auf dass ich erfahre, was da mit mir vorgegangen ist, da mich auf einmal meine Schmerzen verlassen haben!“

[1.12] Darauf behaucht A die Augen des Erwachten, und der Erwachte öffnet sie und schaut ganz erstaunt um sich und sieht niemand außer den Engel C und fragt ihn: „Wer bist du? Und wo bin ich? Und was ist mit mir vorgegangen?“

[1.13] [Der Engel:] „Ich bin ein Bote Gottes, des Herrn Jesu Christi, bestimmt, dich zu führen, so du willst, des Herrn Wege. Du aber bist nun für ewig gestorben für die äußere, materielle Welt körperlich und befindest dich nun in der Geisterwelt.

[1.14] Hier stehen dir zwei Wege offen, der Weg zum Herrn in den Himmel und der Weg zur Herrschaft der Hölle. Es kommt nun ganz auf dich an, wie du wandeln wirst. Denn siehe, hier bist du vollkommen frei und kannst tun, was du willst. Willst du dich leiten lassen von mir und mir folgen, so wirst du wohl tun. Willst du aber lieber dich selbst bestimmen, so steht es dir auch frei. Aber das wisse, dass es hier nur einen Gott, einen Herrn und einen Richter gibt – und dieser ist Jesus, der in der Welt Gekreuzigte! An Diesen allein halte dich, so wirst du zum wahren Licht und Leben gelangen. Alles andere aber wird sein Trug und Schein deiner eigenen Phantasie, in der du nun lebst und von mir dieses vernimmst!“

[1.15] Darauf spricht der Erwachte: „Das ist ja eine neue Lehre und ist wider die Lehre Roms, also eine Ketzerei; und du, der sie mir hier an einsamem Ort will aufdrängen, scheinst eher ein Abgesandter der Hölle als des Himmels zu sein; daher entferne dich von mir und versuche mich fürder nicht!“

[1.16] Und der Engel C spricht: „Gut, deine Freiheit enthebt mich in des Herrn Jesu Namen meiner Sorgen um dich. Daher werde dir dein Licht; es sei!“

[1.17] Darauf entschwindet der Engel C, und der Neuerwachte tritt in seine naturmäßige Sphäre und ist so wie unter seinen Bekannten in der Welt und erinnert sich kaum mehr, was da mit ihm vorgefallen ist, und lebt nun (freilich chimärenhaft) wie auf der Welt, und tut fort, was er auf der Welt tat, und kümmert sich wenig weder um den Himmel noch um die Hölle und noch weniger um Mich, den Herrn. Denn das alles sind nun bei ihm drei vage Lächerlichkeiten gleich einem Traumgebilde, und jeder ihn daran Erinnernde wird aus seiner Gesellschaft ausgewiesen.

[1.18] Seht, aus diesem ersten Exempel könnt ihr schon abnehmen, in welch ein Wasser nun unser großer, berühmter Mann gefallen ist; d. h. wie jeder in sein eigenes Lebenswasser. Die ferneren Beispiele werden diese Sache schon noch heller erleuchten.

Am 2. August 1847

[2.1] Gehen wir an das Krankenlager eines Gelehrten, für dessen irdische Lebenserhaltung – wie ihr zu sagen pflegt – kein Kräutlein mehr gewachsen ist, und betrachten diesen zweiten berühmten Mann, wie er sich in den letzten Stunden noch diesseits befindet – und wie er drüben erwacht und welche Richtung ihm seine Liebe gibt.

[2.2] Der Mann, den wir nun betrachten werden, war auf der Welt ein Philosoph und zugleich ein Astronom „in optima forma“ [in bester Form], wie ihr zu sagen pflegt.

[2.3] Dieser Mann hat in seinem großen Eifer, die Sterne zu mustern und zu berechnen, ein Alter von etlich und siebzig Jahren erreicht, hat sich aber bei einer anhaltenden Sternguckerei an einem sehr kalten Winterabend dergestalt abgekühlt, dass man ihn bei seinem Tubus beinahe ganz erstarrt angetroffen hatte, von wo er dann von seinen Freunden sogleich in seine erwärmte Wohnung gebracht und augenblicklich mit der bestmöglichen Hilfe versehen ward, der zufolge er auch in der Zeit von ein paar Stunden wieder insoweit zurechtgebracht wurde, dass er seinen letzten Willen seinen Freunden kundgeben konnte, welcher also lautete:

[2.4] „Im Namen der unerforschlichen Gottheit! Da man nicht wissen kann, wie lange einem Menschen das unerforschliche Geschick noch dies elende Leben belassen wird, und man auch nicht weiß, welch ein Ersatz einem dafür zuteilwird, so ist es mein Wille, dass ihr, meine lieben Freunde, zuerst meinen Leichnam – so ich sterben sollte – durch Einbalsamierung vor der Verwesung bewahrt und ihn in einem wohlvermachten Kupfersarg in eine Gruft bringt, darin schon mehrere meiner wertesten Kollegen ruhen und gewisserart meiner harren. Das Eingeweide aber, das da zuerst in die Fäulnis übergeht, tut in eine eigene Testinal-Urne unter Spiritus und setzt es in mein Museum an einen Ort, der jedermann sogleich in die Augen fällt, auf dass ich wenigstens in der Erinnerung der Menschen fortlebe, so schon an kein anderes Fortleben nach dem Tode des Leibes zu gedenken ist.

[2.5] Was mein Vermögen betrifft, so wisst ihr, meine Freunde, es ohnehin, dass ein Gelehrter auf dieser Welt selten etwas mehr besitzt, als was er zu seinen täglichen geistigen und physischen Auslagen benötigt, und so ist es denn auch bei mir jetzt, wie es allzeit war. Ich habe kein Geldvermögen jemals gehabt und kann daher auch keines hinterlassen. Veräußert aber bald nach meinem Hintritt meine hinterlassenen Effekten und besorgt damit das, was ich gleich anfangs anbefohlen habe.

[2.6] Meine drei noch lebenden Kinder, die alle gut versorgt sind, benachrichtigt, wenn ich nicht mehr bin, und der älteste Sohn, mein Liebling, der sich mein Fach gewählt hat, soll der Erbe von meinen sämtlichen Büchern und Schriften sein und soll ehestmöglich meine noch unedierten Schriften zum Druck befördern.

[2.7] Damit sei mein Wille beschlossen für diese schöne Sternenwelt, die ich fürderhin nimmer schauen noch berechnen werde!

[2.8] Ach, was ist doch der Mensch für ein elend Wesen! Voll erhabener Ideen, voll überirdischer Hoffnungen, solange er noch gesund auf der Erde umherwandelt, – aber am Rande des Grabes schwinden sie alle dahin wie die Träume und Luftschlösser eines Kindes und an ihre Stelle tritt die traurige Wirklichkeit, der Tod als der letzte Moment unseres Daseins, mit ihm die Vernichtung, die keine Schranken hat.

[2.9] O Freunde! Es ist ein schwerer, schrecklicher Gedanke vom ‚Sein‘ bis zum ‚Nichtsein‘ für den, der – wie ich nun – am Rande des Grabes steht! Mein Inneres ruft mir zu: ‚Du stirbst, du stirbst jetzt! Nur wenige Minuten noch und über dein ganzes Wesen hat sich die schwarze Nacht der ewigen Vernichtung gesenkt!‘ O Freunde, dieser Zuruf ist erschrecklich für den, der am Grabesrande steht, mit dem einen Auge noch die lieben schönen Sterne beschaut und mit dem anderen die ewige tote Nacht, in der keine Idee die Moderasche durchweht, kein Bewusstsein, keine Erinnerung!

[2.10] Wohin, wohin wird dieser Staub in tausend Jahren verweht werden? Welcher Orkan wird ihn aus dem Grab entwirren, und welche Meereswoge wird ihn dann wieder verschlingen oder welch anderes neues Grab?

[2.11] O Freunde! Reicht mir einen Trank, denn ich bin ganz entsetzlich durstig! Einen Trost gebt mir zur Linderung meiner großen Angst! Gebt mir den besten Wein – und viel, damit ich mich noch einmal erquicke und berausche und leichter den schrecklichen Tod erwarte!

[2.12] O du furchtbarer Tod, du größte Schande für den erhabenen Menschengeist, der so Herrliches geschaffen hatte und Entdeckungen gemacht, die ihm zur größten Ehre gereichen! Dieser Geist muss nun sterben, die größte Schande ist sein Lohn: der Tod, die ewige Vernichtung!

[2.13] O Fatum, o Gottheit, habt ihr ewige Sterne verschaffen können, warum nicht auch einen Menschen, der nicht stürbe? O du Tollheit, wie groß musst du sein in der Gottheit, die ein Vergnügen daran hat, Erhabenstes zu erschaffen, um es dann wieder zu zerstören auf ewig oder zu bilden aus Menschen schändliches Gewürm oder Infusorien!

[2.14] Muss ich denn sterben? Warum muss ich denn sterben? Was tat ich, was taten Millionen, dass sie sterben müssen? Wahrlich, in einem Tollhaus hätte eine bessere Schöpfungsnorm stattfinden können, als diese sterbliche da ist, gestellt von einer höchst weise sein sollenden Gottheit!“

[2.15] Hier ermahnten die umstehenden Freunde und Ärzte unseren Astronomen zur Ruhe, die ihm nottue, so er wieder genesen wolle. Denn es stünde ja noch nirgends geschrieben, dass er nun wegen dieser freilich wohl sehr starken Verkühlung sterben müsse, wohl aber könnten ihm solche mächtigen Gemütsaufregungen im Ernst das teure Leben kosten.

[2.16] Diese Mahnung aber fruchtete bei unserem Astronomen sehr wenig, denn er fuhr darauf nur desto ärger auf und sprach in einem höchst aufgeregten Ton: „Weg, weg mit eurer Hilfe! Weg mit diesem elenden verfluchten Leben! Wenn der Mensch nicht ewig leben kann, dann ist das Leben die größte und schändlichste Prellerei und der Tod und das Nichtsein nur die Wahrheit! Schämen muss sich der Weise eines solchen Lebens, das nur von heute auf morgen dauert! Ich will daher auch nicht mehr leben! Mich ekelt nun dieses miserabelste Leben tausendmal mehr an als der elendeste Tod; daher gebt mir Gift, stärkstes Gift gebt mir, auf dass ich ehestens dieses Lebens loswerde! Verflucht sei solch ein Leben, solch ein Mückenleben, und ewige Schande der Urkraft oder Gottheit oder welch ein Kloakengeist sie sonst ist, die es nicht konnte oder nicht wollte, dem erhabenen Menschen ein Leben geben, das sich mit den Sternen auch der Dauer nach messen könnte! Daher weg mit diesem Leben, weg mit dieser Gottheitsprellerei! Kann sie dem Menschen kein besseres Leben geben, so soll ihr auch für das gepfiffen sein, das mag sie für sich behalten! Lebt wohl, ihr meine lieben Freunde, ich sterbe, ich will sterben, ja ich muss sterben; denn nun könnte ich als ein erhabenster Menschengeist nimmer die Schande dieses Fopplebens ertragen!“

[2.17] Hier ermahnen die Ärzte wieder unseren Astromomen zur Ruhe. Aber er wird stumm und gibt ihnen keinen Bescheid mehr. Die Ärzte reichen ihm Moschus, aber er schleudert ihn von sich. Die Ärzte bitten ihn, dass er Medizin nehmen sollte, aber er wird stets mehr stumm und fängt an zu röcheln. Man reibt ihn und sucht ihn wieder aus dieser Lethargie zu retten, allein es ist vergeblich. Nach einer Zeit von ein paar Stunden legt sich zwar das Röcheln, aber an dessen Stelle tritt ein grelles Delirium – in der Welt als solches erscheinlich –, in welchem der Astronom folgendes mit einer hohlen Kreischstimme aussagt:

[2.18] „Wo seid ihr denn, die ich so sehr liebte, ihr schönen Sterne? Schämt ihr euch meiner denn, weil ihr euer holdes Antlitz vor mir verbergt? O schämt euch meiner nicht! Denn euer harrt ja ein gleiches Los, das mich nun getroffen. Ihr werdet auch sterben, wie ich nun gestorben bin! Aber grollt darum dem schwachen Schöpfer nicht, wie ich ihm gegrollt habe. Denn seht, er hatte sicher wohl den besten Willen, aber zu wenig Weisheit und Kraft, darum alle seine Werke so hinfällig und vergänglich sind. Er hätte freilich wohl besser getan, wenn er nie etwas erschaffen hätte, wodurch er sich bei uns, seinen weisen Geschöpfen, nur blamiert hat; denn ein unvollkommenes Werk lässt auf keinen vollkommenen Meister schließen! Daher nicht mehr gegrollt dem armen Tropfen von einem Schöpfer, der am Ende zu tun haben wird, sich selbst über die schrankenlose Vergänglichkeit all seiner Werke hinaus zu erhalten.

[2.19] O du armer Schöpfer du! Jetzt sehe ich es erst ein, dass du wohl ein recht gutes Wesen bist und selbst die größte Freude hättest, so dir deine Schöpfung besser gelungen wäre, aber: ‚Ultra posse nemo tenetur‘ [niemand vermag etwas über seine Möglichkeiten]. Ein Schelm, der’s besser machen will, als er’s kann. Du aber hast es nicht über dein Vermögen besser gemacht, daher bist du auch kein Schelm!

[2.20] O du armer guter Mensch Jesus, der du der Welt wohl die weiseste Moral gegeben hast unter mehrfachen Scheinwundern! Du hast dich auch zu viel auf deinen vermeintlichen Gott-Vater verlassen, der dich gerade dann ob seiner evidenten Schwäche im Stich ließ, als es gerade am meisten an der Zeit gewesen wäre, dich am mächtigsten mit einer Allkraft zu unterstützen, mit der du deine Feinde hättest verwehen können! Als du am Schandpfahl hingst, war es freilich wohl zu spät auszurufen: ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!‘ Denn sieh, dein Gott hatte dich schon lange verlassen müssen, weil ihm für deine wie auch für meine Erhaltung die Kraft ausgegangen ist! Er tat zwar, was er konnte, und hätte auch gern mehr getan, aber siehe, da gilt immer das ‚ultra posse nemo tenetur‘!

[2.21] Ah, das ist aber doch lächerlich! Jetzt bin ich gestorben und lebe aber dennoch – wie ein gefoppter Esel! Das Rarste bei der Sache ist, dass es mir nun geradeso vorkommt, als wäre es die reinste Unmöglichkeit, je sterben zu können! Aber wo nur etwa die Erde hingerutscht ist, und meine guten Freunde? Ich sehe zwar nichts und höre auch nichts, außer mich allein nur, aber ich bin dabei bei hellstem Bewusstsein, und meine Erinnerung erstreckt sich nun ganz klar bis tief und weit über den Mutterleibesstand zurück. Es ist wahrlich sonderbar! Sollte die Gottheit mir etwa dennoch zeigen, dass sie mehr vermag, als ich in dieser meiner letzten Zeit von ihr erwartet habe? Oder lebt noch mein Leib im letzten Vernichtungsmoment und mein nunmehriges Leben gleicht dem Nachglanz jener Sonnen, die vor Trillionen Jahren erloschen sind und nun nur in der Emanation ihres Lichtes durch den unendlichen Raum fortleben?

[2.22] Aber für solch ein Scheinleben, das – mathematisch richtig – wohl auch ewig dauern muss, weil der ausgehende Strahl nimmer an eine Grenze stoßen und somit völlig aufhören kann, bin ich mir meiner selbst nur zu klar bewusst, ja tausendmal klarer als je irgendwann in meiner ganzen irdischen Lebensbahn. Nur, wie gesagt, dass ich nichts höre und sehe außer mich allein. Aha, aha, still nun! Mir kommt es vor, als vernähme ich ein leises Gemurmel, ein Geflüster! Auch will sich meiner wie ein leiser, sehr süßer Schlaf bemächtigen, und doch ist es kein Schlaf, – nein, nein, es ist nur, als ob ich von einem Schlaf erwachen sollte! Doch nun stille, stille; ich höre Stimmen aus der Ferne, bekannte, sehr bekannte Stimmen! Stille, sie kommen, sie kommen näher.“

[2.23] Hier verstummte unser Astronom völlig und bewegte auch die Lippen nicht mehr, woraus die ihn umstehenden Freunde und Ärzte schlossen, dass es nun mit ihm völlig gar sein werde, da ohnehin die halbe Rede, die hier angeführt ist, von den Umstehenden mehr als ein röchelndes Gekreische denn als ein artikulierter Ausdruck vermeintlicher innerer Phantasie des starr werdenden Organismus vernommen ward.

[2.24] Die Ärzte schritten zwar wohl noch zu den extremsten Wiederbelebungsmitteln – aber sie waren nun fruchtlos – und ließen dann den nach ihrer Meinung in die tiefste Lethargie versunkenen Astronomen ruhen und warteten ab, was die Natur von selbst zum Vorschein bringen werde. Aber sie warteten vergeblich, denn die Natur brachte da nichts weiter zum Vorschein als den bald wirklich erfolgten Leibestod.

[2.25] Wo aber nun für die Ärzte und ihre „Natur“ die „ultima linea rerum“ [das letzte Ziel der Dinge] ( d. i. der Tod) erfolgt ist, da empfehlen sie sich. Und wir empfehlen uns auch, aber nicht wie die Ärzte, sondern wie Geister, die dem für diese Erde gestorbenen Mann auch ins Jenseits folgen können und beobachten, was er da beginnen wird und wohin sich wenden.

[2.26] Seht, da ist er noch ganz wie auf der Welt auf seinem Lager – und daneben niemand außer die drei euch schon bekannten Engel. Und dort hinter den drei Boten noch jemand!

[2.27] Hört, noch redet er und spricht: „Siehe, nun höre ich wieder nichts. Was waren denn das früher für akustische Täuschungen? Hm, hm, nun alles mäuschenstill. Bin ich denn noch, oder ist es aus mit mir? Oh, aus ist es auf keinen Fall, denn ich fühle mich ja, ich bin mir klarst bewusst, ich denke, ich erinnere mich an alles haarklein, was ich je verrichtet habe, – nur Nacht, Nacht, die verruchte Nacht, die will nicht weichen! Ich will einmal per Spaß doch zu rufen anfangen, und das so laut als möglich. Vielleicht wird einmal per Spaß mich doch jemand vernehmen! – Heda! – Niemand in meiner Nähe, der mir aus dieser Nacht hülfe? Zu Hilfe, so jemand da irgend in meiner Nähe sich zufällig befindet!“

[2.28] Nun meldet sich der Bote A und spricht zu B: „Bruder, hebe ihn aus seinem Grabe!“ Und der Bote B beugt sich über den Astronomen und spricht: „Es geschehe dir, wie es der Herr allen Lebens und Seins ewig gleich will, – erhebe dich aus deinem irdischen Grabe des Fleischleibes, du irdischer Bruder!“

[2.29] Seht, nun erhebt sich im Augenblick der Astronom und sein Leib fällt wie ein aufgelöster Dunst zurück! Aber der Astronom ruft: „Bruder, hast du mich aus dem Grabe gezogen, so ziehe mich auch aus meiner Nacht!“ Und der Bote C spricht: „Also ist es von Ewigkeit des Herrn Wille, dass alle Seine Geschöpfe, und ganz besonders Seine Kinder, Licht haben und im Licht wohlsehend wandeln sollen. Sonach öffne deine unsterblichen Augen und sehe und schaue, was dir wohlgefällt. Es sei!“

[2.30] Nun öffnet der Astronom in der geistigen Welt zum ersten Mal seine Augen und sieht klar seine Umgebung und hat eine rechte Freude, dass er – nach seiner Idee – wieder Menschen sieht und einen Boden, auf dem er fußt. Nun fragt er aber: „Liebe Freunde, wer seid ihr denn? Und wer bin ich? Denn mir kommt es hier zum Teil doch wieder sehr fremd vor. Auch bin ich so leicht und ungewöhnlich gesund und begreife nicht so recht, wie ich daher gekommen bin und wie eurer Worte Kraft mich sehend gemacht hat. Denn ich war im Ernst stockblind!“

[2.31] Der Engel A spricht: „Du bist für die Welt dem Leibe nach gestorben und bist nun – für ewig lebend deiner Seele und deinem Geiste nach – hier in der eigentlichen wahren Welt des Lebens der Geister. Wir drei aber sind Engel des Herrn, zu dir gesandt, dich zu erwecken und dich zu führen den rechten Weg des Herrn, zu deinem Gott und unserem Gott, zu deinem Vater voll Liebe, Geduld und Erbarmung, der auch unser Vater ist, heilig, überheilig, den du in deiner letzten Endesstunde ‚eine schwache Gottheit‘ nanntest, der dir aber auch alles verzieh, darum du blind und schwach warst! Nun weißt du alles, tue nun danach und du wirst überselig sein gleich uns ewig!“

[2.32] Der Astronom spricht: „Brüder, Freunde Gottes, führt mich, wohin ihr wollt, ich folge euch! Aber wenn ich je der endlosen Gnade soll teilhaftig werden, zur Anschauung Gottes zu gelangen, da stärkt mich gewaltigst! Denn zu elend, schmachvoll und unwert fühle ich mich für ewig, diesen heiligsten Anblick zu ertragen! Aber dort sehe ich ja noch jemand, der uns gar so freundlich anblickt! Wer ist denn der Herrliche? Sicher auch ein Bote der Himmel?“

[2.33] Der A spricht: „Ja, wohl ein Bote aller Himmel! Gehe hin zu Ihm, der Weg ist kurz. Er Selbst wird es dir offenbaren.“

[2.34] Der Astronom geht hin, und der gewisse Jemand geht ihm entgegen und spricht: „Bruder, kennst du Mich denn nicht?“ – Der Astronom spricht: „Wie soll ich dich kennen, sehe ich dich doch zum ersten Mal?! Wer bist du aber, du lieber, herrlicher Bruder?“

[2.35] Der Freundlichste spricht: „Sehe an Meine Wundmale! Siehe, Ich bin dein schwacher Jesus und komme dir entgegen, um mit Meiner Schwäche zu helfen deiner Schwäche; denn käme Ich mit Meiner Kraft dir entgegen, so hättest du kein Leben! Denn siehe, jedes beginnende Leben ist eine zarte Pflanze, die ohne Luft nicht fortkommt, aber der Orkan tötet das Leben der Pflanze! Also bin Ich nun auch nur wie ein zartes Lüftchen, dir entgegenkommend (Zephyr-milde), um dich zu beleben, und nicht als ein Orkan, dich zu zerstören. Liebe Mich, wie Ich dich liebe in Ewigkeit, so wirst du das wahre ewige Leben haben!“

[2.36] Der Astronom spricht: „O Du mein allergeliebtester Jesus! Du also bist es, der die herrliche Lehre den Bewohnern der Erde gegeben und sie Dich dafür gekreuzigt haben? O lehre auch mich den rechten Weg, der zu Gott führt, den Du gelehrt hast; von mir sollst du dafür nie gekreuzigt werden! Aber, so es Dir möglich, lasse dabei mich auch die große Schöpfung in ihrer Klarheit beschauen, die mich durch mein ganzes Leben so sehr beschäftigt hat!“

[2.37] Spricht Jesus: „Dein Weg zu Gott wird nicht weit sein, so du ihn gleich betreten willst; willst du aber zuvor deine Sterne durchmustern, dann wirst du einen weiten Weg haben. Wähle nun, was du lieber willst!“

[2.38] Spricht der Astronom: „Mein geliebtester Jesus, siehe, für Gott bin ich noch lange nicht reif. Daher sei mir, so es dir möglich, behilflich, dass ich in den Gestirnen reif werde.“

[2.39] Spricht der Herr: „Es geschehe dir nach deiner Liebe! Und aus diesen drei Engeln wähle dir einen, der dich führen wird und dir am Ende deiner Reise zeigen, wer dein vermeintlicher Jesus ist, den du als einen Menschen kennst, der gekreuzigt ward!“

[2.40] Seht nun wieder, wie dieser Astronom sein „Wasser“ sucht und nur im selben zu Mir schwimmen will, nicht beachtend, dass Ich schon bei ihm und er bei Mir war! Daher hütet euch vor dem zu gelehrten Wasser der Sternkundigen und Geologen, denn es hat seinen Zug nicht nach Mir, sondern nach der Liebe des Gelehrtenfaches! Zu dem Behuf dies längere Exempel. Nächstens wieder ein anderes. Amen!

Am 3. August 1847

[3.1] Da sind wir schon wieder am Sterbebett eines Mannes, der sehr reich war, seinen Reichtum rechtmäßig verwaltete, seine Kinder möglichst wohlerzog und anbei der Armen stets bestens gedachte, – freilich mitunter auch manchmal zu einem sogenannten vergnügten Stündchen bei jenen armen, aber jungen Schwesterchen, die um einen Herzogspfennig (Dukaten) für allerlei lustige Dinge zu haben sind, sich einfand. Daneben aber hielt er im Ernst große Stücke auf die Heilige Schrift, las oft und fleißig darin und glaubte fest, dass Jesus der eigentliche Jehova ist, denn er lernte solches aus Swedenborgs Werken, von denen er in den Musestunden bis auf einige kleine alle gelesen hatte.

[3.2] Solche seine Belesenheit aber machte ihn auch sehr aufbrausend, so er jemanden über Jesus gleichgültig oder gar schmählich reden hörte, und befand sich irgendein solcher Antichrist in seiner Gesellschaft, so musste dieser sich beizeiten aus dem Staub machen, ansonst er wohl die übelsten und sehr handgreiflichsten Folgen zu befürchten hatte. Kurz und gut, unser Mann war ein sehr vollkommener strenger Held fürs reine Christentum.

[3.3] Dieser Mann erkrankte in seinem bedeutend vorgerückten Alter, und zwar infolge einer großen Festtafel, bei der er des Guten schon ohnehin zu viel tat, und nach der Tafel besonders ob des durch die vielen starken Weine zu sehr aufgereizten Blutes, wegen gepflogenen zweimaligen Beischlafs mit einer jungen, fleischlich sehr üppigen Schwester.

[3.4] Als unser Mann nach solchem nach Hause kam, empfand er einen leichten Schwindel, den er für ein Räuschel hielt. Aber er irrte sich. Kaum war er im Begriff ins Bett zu steigen, als ihm schon die Füße den Dienst versagten. Er stürzte für die Welt bewusstlos zusammen und war, wie ihr zu sagen pflegt, auch schon mausetot.

[3.5] Dass die Seinigen – tief erschreckt – augenblicklich alles aufboten, ihren Hausvater zu erwecken, versteht sich von selbst. Aber es war vergebliche Mühe, – denn was einmal von den Engelsgeistern geholt wird, das erwacht für diese Welt nimmer.

[3.6] Es ist daher bei diesem Mann diesseits nicht viel mehr zu beschauen und zu behorchen, darum wollen wir uns auch sogleich in die Geisterwelt begeben und sehen, wie sich unser Mann dort ausnimmt und was er beginnt und wohin er sich wendet.

[3.7] Vor allem aber sollt ihr wissen, dass Menschen, die von einem Totalschlag gerührt werden, durchaus nicht wissen und auch nicht im Geringsten merken, dass und wie sie gestorben sind. Sie finden keine Veränderung – weder ihres Hauswesens, wie sie es auf Erden hatten, noch in ihrem Befinden, außer dass sie ganz gesund sind, was sie aber gewöhnlich auf der Welt auch waren. Desgleichen sehen sie auch keine Engel, obschon diese knapp bei ihnen sich befinden, und vernehmen auch nicht das Geringste aus der Geisterwelt, in der sie sich doch vollkommen befinden. Kurz und gut, sie sind ganz in allem und jedem wie noch ganz auf der Welt. Sie essen und trinken, sie leben in ihrem wohlbekannten Ort, in ihrem Haus, da ihnen sozusagen kein teures Haupt fehlt.

[3.8] Also war und ist es auch mit unserem Mann der haargleiche Fall wie im lebhaften Traum. Ihr seht ihn nun schon in der Geisterwelt! Er steigt ganz guter Dinge in sein Bett in seinem wohlbekannten Schlafzimmer, das hier ganz auf ein Haar mit all dem eingerichtet ist wie das auf der Erde. Seht, wie ganz gemächlich er sich im Bett ausstreckt und den Schlaf sucht und erwartet! Aber dieser einzige Umstand macht unseren Mann etwas stutzig, dass er diesmal zu keinem Schlaf kommt, – denn der Schlaf ist den Geistern fremd. Sie haben wohl auch einen entsprechenden Zustand, der alldort Ruhe heißt, aber im Wesentlichsten nicht die leiseste Ähnlichkeit mit dem irdischen Schlaf hat.

[3.9] Behorchen wir nun aber unseren Mann selbst und sehen, wie er sich nun in seinem neuen Zustand benimmt und wie er ihm vorkommt. Hört, was er nun im Bett spricht: „Du, Lini (sein Weib), schläfst du?“ Die Lini richtet sich auf und fragt: „Was willst du, lieber Leopold, fehlt dir etwas?“ (NB. Weib und Kinder und sonstige Domestiken werden durch eigens dazu beorderte Geister wie verdeckt vorgestellt.) Spricht der Mann: „Nein, mir fehlt gerade nichts, ich bin, Gott sei Dank, ganz kerngesund. Nur kein Schlaf, aber auch nicht die leiseste Anmahnung zum Schlaf will sich meiner bemächtigen. Geh und gib mir meine Schlafpillen, ich werde ein paar verschlucken, vielleicht wird sich’s nachher tun.“

[3.10] Die Lini steht sogleich auf und erfüllt den Willen ihres Mannes. Die Pillen sind nun verschluckt, aber der Schlaf bleibt noch immer aus!

[3.11] Der Mann spricht nach einer Weile: „Lini, geh, gib mir noch ein paar, denn sieh, mir kommt noch kein Schlaf, ich werde nur stets munterer statt schläfriger.“

[3.12] Lini spricht: „Geh, lass die Pillen, könntest dir damit noch den Magen verderben. Pflege dafür mit mir lieber einen Beischlaf, und du wirst dadurch vielleicht eher zu einem Schlaf kommen, wenn du denn schon durchaus schlafen willst.“

[3.13] Spricht der Mann etwas betroffen: „Ja liebe Lini, mit solchem Akt wird’s nun mit mir etwas hart hergehen; denn du weißt es ja schon aus langer Erfahrung, dass ich nach einem großen Schmaus dazu nie disponiert bin. Denn da versagt mir die Natur dazu allzeit den gewissen erforderlichen Dienst. Daher gib mir doch lieber noch ein paar Pillen!“

[3.14] Spricht das Weib: „Sonderbar, mein lieber Herr Gemahl! Man spricht aber doch, dass sich der reiche, gottesfürchtige Leopold gewöhnlich nach solchen Festtafeln zu einer gewissen Cilli begebe und dort seinen Mann derart stellen soll, dass davon ein Jüngling ein Exempel nehmen könnte. Aber so nachher daheim die treue, freilich wohl schon etwas mehr bejahrte Lini merken lässt, dass sie des Leopolds Weib ist und manchmal aus gewissen Gründen auch zu keinem Schlaf kommen kann, da hat der Leopold dann allzeit tausend theosophische, philosophische und Gott weiß was alles noch für Gründe, des Weibes billiges und ohnehin sehr seltenes Verlangen zu beschwichtigen! Schau Leopold, du treuer Freund der Wahrheit, wie kommt es dir denn (verstehe es so geheim bei dir) vor, so du mich, dein allzeit getreuestes Weib, so schnöde und wahrhaft scheinheilig anlügst? Wie oft hast du mir die Schändlichkeit des Ehebruchs mit den grellsten Farben ausgemalt! Was sagst du aber nun zu dir selbst, so ich es dir sonnenklar bezeugen kann, dass du selbst ein Ehebrecher bist?“

[3.15] Spricht der Mann ganz verdutzt: „Lini, liebes Weib, woher weißt du denn solche Taten von mir? Wahrlich, so was könnte ich nur in einem dicksten Rausch getan haben, – und habe ich’s getan, so rechne ich darauf, dass du mit einer menschlichen Schwäche an mir auch eine christliche Geduld haben wirst und wirst davon weiter keinen unser ganzes Haus entehrenden Gebrauch machen! Sei gescheit, liebes Weib, sei gescheit und rede nicht mehr davon; denn sieh, deswegen habe ich dich dennoch überaus lieb! Sei nur wieder gut, sei gut, mein liebes Weiberl, ich werde so was in meinem ganzen Leben nimmer tun!“

[3.16] Spricht die Lini: „Ich glaub’s auch. Wenn man schon sein ganzes Leben hindurch so gelebt hat und sein treues Weib wenigstens alle vierzehn Tage einmal betrogen und ein paarmal sich sogar eine abscheuliche Krankheit abgeholt hatte, da wird es vielleicht freilich wohl an der Zeit sein, von derlei Verrichtungen abzustehen, von denen es in der Schrift geschrieben steht: ‚Hurer und Ehebrecher werden in das Himmelreich nicht eingehen!‘ Sage mir du, mein in aller Gottesgelehrtheit wohlunterrichteter Mann, was wohl würdest du nun tun, so dich der Herr plötzlich abriefe? Wie sähe es da mit deiner Seligkeit aus? Oder hast du es vom Herrn etwa schriftlich, dass Er dich so lange wird leben lassen, bis du dich bessern wirst aus deines Lebens Fundament? Ich möchte aber noch wegen der gewissen Schwester Cilli nichts sagen; aber die unverkennbare sinnliche Neigung, die du zu unserer eigenen ältesten Tochter auf eine Weise kundgetan hast, bevor sie heiratete, die dir einen unvergänglichen Schandfleck vor Gott und allen Menschen, so sie es wüssten, auf deine gottesgelehrte Stirn gedrückt hat, sage, was soll ich denn dazu sagen? Oder was wird Gott dazu sagen?“

[3.17] Spricht der Mann noch viel mehr verdutzt: „O Weib, du fängst an, mich im Ernst zu quälen, zwar freilich leider mit allem Recht, denn es wäre mehr als läppisch von mir, so ich es dir leugnen möchte. Aber weh tut es mir dennoch, und ich begreife überhaupt gar nicht, wie du meines Wissens davon durch unsere ganze Ehezeit nichts davon erwähntest und nun alle Schleusen auf einmal öffnest und mich förmlich vernichten willst!

[3.18] Bedenke, dass alle wir Menschen schwach sind in unserem Fleisch, wenn wir auch den willigsten Geist haben, und du wirst mir alle meine Schwächen leicht verzeihen! Bedenke, dass der Herr die Ehebrecherin nicht gerichtet hat, so wird wohl auch ein reuiger Ehebrecher bei Ihm Erbarmung finden! Und also richte auch du, liebes Weib, mich nicht; denn ich erkenne und bereue ja meine große Schuld an dir samt dem leidigen Vergehen an unserer verheirateten Tochter! Der Herr vergebe es mir, wie du es mir vergibst!“

[3.19] Das Scheinweib spricht: „Gut denn, so sei dir alles Geschehene vollends vergeben. Sieh aber zu, dass du in der Zukunft von deiner vorgeschützten Schwäche keinen Gebrauch mehr machst, sonst wirst du wenig Segen von dieser meiner vollsten Nachsicht haben! Ich werde dich daher noch eine Zeit ertragen und zusehen – aber schlafen wirst du nimmer, denn sieh und höre: Du bist nicht mehr auf der Erde, sondern hier in der Geisterwelt! Und Ich, die du nun als dein oft berücktes Weib ansahst, bin nicht dein Weib, sondern – sieh her! – Ich bin dein Herr und dein Gott! Belasse dich aber, so du es willst, wie du nun bist; willst du aber weiter, so folge Mir hinaus aus diesem alten Schandgemach!

[3.20] Der Mann erkennt Mich und fällt wortlos auf sein Angesicht.

[3.21] Ich aber sage zu ihm: „Richte dich empor; denn deine Liebe ist größer denn deine Sünde, daher sei dir alles vergeben! Aber bei Mir kannst du noch nicht Wohnung nehmen, solange dir noch Irdisches anhängt. Siehe aber, dort stehen Engel in Bereitschaft, die werden dich führen die rechten Wege. Und wenn dein irdisches Hauswesen wird von diesen deinen Führern mit Not und Armut geschlagen sein, dann wirst du bei Mir ein neues Wohnhaus finden für ewig. Amen!“

[3.22] Seht, das ist wieder ein anderes Wasser. Manche verharren länger in dem Naturzustand, wie da war dieser unseres Exempel-Mannes; dieser aber war darum sehr kurz, weil er da auf der Welt viel Liebegutes tat, und weil er für sein Vergehen sogleich ernstliche Reue bezeugte. Nächstens wieder ein anderes!

Am 5. August 1847

[4.1] Ein Stutzer, früher Tod und letzte Stunde desselben, der außer Tabakrauchen, Spielen, Fressen, Saufen und Courmachen aller schönen weiblichen Welt und vortrefflich Tanzen nebst Walzerspielen auf einem Flügel – eben dieser schönen Welt zuliebe – nicht viel konnte, obschon er fast seine ganze Zeit auf dem Collegium und Universitäten zugebracht hatte. Unser vorgeführtes Exemplar eines Stutzers war der Sohn von ziemlich reichen Eltern, die diesen ihren hoffnungsvollen, über die Maßen verzärtelten Sohn natürlich nichts anderes als studieren ließen, sobald er nur das ABC aus der Hand gelegt hatte.

[4.2] Damit es aber dem zarten Knäbchen beim schweren Studieren der lateinischen Sprache doch ja nicht gar zu schwer geschehen sollte, so ward er fürs Erste in ein Kosthaus gegeben, damit er gehörig zu essen haben und natürlich auch wachsen solle, aber freilich nicht an Weisheit und Gnade vor Gott und den Menschen, sondern bloß nur am Leibe. Und dass ihm das angestrengte Studieren ja nicht etwa eine Abzehrung an den Hals zöge, so durfte er jedes Jahr repetieren, falls er es nicht so weit bringen konnte – natürlich mit der leichtesten Mühe –, eine Schule in einem Jahr durchzumachen. Zu dem Behuf wurden auch die Professoren zu jeder Zeit, besonders in den unteren Schulen, auf das Gehörige gespickt und für jeden Gegenstand ein sanftmütiger Instruktor aufgenommen.

[4.3] Auf diese Weise rutschte unser Student wohl mit genauer Not durch die unteren Schulen; nur in den Kopf ist ihm auf diese Art wenig oder nichts hineingerutscht. Die Folge davon war, dass er in den höheren Schulen dann fortwährend steckenblieb. Und da ihn gewöhnlich das Studieren anekelte, so verlegte er sich danebst hauptsächlich auf die oben angeführten Freikünste, nämlich aufs Tabakrauchen, Spielen, Fressen, Saufen etc.

[4.4] Nach zurückgelegten Studien und überall mittelmäßig gemachten Prüfungen versuchte er sich in den Kanzleien zwar, aber die Papier- und Tintenluft mundete ihm nicht; er bekam von seiner Mutter ja stets so viel Geld, dass er sich auch ohne Kanzlei ganz kavaliermäßig durchbringen konnte. Anbei machte er fürs Erste allen noblen Mädchen den Hof und einer nach der anderen Heiratsanträge, wodurch es dann auch geschah, dass aus lauter Hoffnungmacherei auf verheißene Heiraten recht viele von ihm angebetete Holde in die wirkliche „Hoffnung“ ohne Heirat kamen.

[4.5] Nebst diesen mit blinden und dadurch, wie bemerkt, sehr oft mit freilich sehr unangenehmen, dafür aber lebendigen Hoffnungen dotierten Holden verlegte unser „Staatsmann“ fürs Zweite sich aber auch auf andere weibliche Wesen, die er, ohne ihnen zuvor das Heiraten zu versprechen und Hoffnung zu machen, allzeit um einen leichten Sold haben konnte und nicht zu fürchten hatte, dass diese Grazien von ihm dadurch in eine gewisse andere Hoffnung versetzt werden könnten.

[4.6] Aber dabei geschah es denn auch nicht selten, dass er mit der Syphilis in allen Graden zu tun bekam und am Ende so stark, dass selbst die erfahrensten Ärzte auf diesem Felde ihm weder Rat noch Hilfe schaffen konnten. Allgemeine Vertrocknung der natürlichen Lebenssäfte war die Folge solch teuer stutzerischer Lebensweise, für welche Übel Ich, der Herr, leider bei der Welterschaffung rein vergessen habe, ein heilend Kräutlein zu erschaffen. Daher sich denn auch unser Stutzerchen, ob er wollte oder nicht, zum Sterben bereitmachen musste. Freilich eine sehr unangenehme Erscheinung für einen die Welt mit ihren süßen Venusfreuden überaus liebgewonnen habenden Fashionablen. Doch es ist schon einmal so, dass da alles den Weg des Fleisches wandeln muss. Und so musste am Ende dieser Stutzer, der am Fleisch seine größte irdische Seligkeit hatte, ja umso mehr den so ganz eigentlichen „Weg des Fleisches“ wandeln.

[4.7] Seht aber nun hin auf sein stinkendes Lager, wie er sich krümmt und bäumt und nach Luft und Wasser lechzt; aber er bringt keines mehr in den Magen, indem alle seine Schlundsehnen ausgetrocknet sind und nicht mehr vermögen, auch nur einen Wassertropfen in den Magen hinabzuziehen! Sein Atem ist kurz und sehr schmerzlich, da die Lunge schon nahe ganz vertrocknet ist. Also ist auch seine Stimme ganz gebrochen; nur kurze, gelähmte Halbworte kann er noch unter großen Schmerzen ausstoßen, und da gleicht der Ton dem eines schlechten Fagotts in den Händen eines Schülers. Er möchte wohl noch stutzerisch fluchen und möchte am Ende wohl gar auch noch einige gelehrte Phrasen aus Voltaire oder Sir Walter Scott herstammeln; aber die allgemeine Trocknis lässt sowas nicht ausführen, und die starken Schmerzen in allen Lebenswinkeln lassen ihm auch nicht Zeit, seine Gedanken zu dem Behuf noch einmal wie auf einen Punkt zusammenzubringen. Daher liegt er stumm röchelnd da, nur manchmal stößt er einen gellend schnarrenden Fagott-Ton aus seiner ganz vertrockneten Kehle.

[4.8] Seht, so gestaltet sich häufig das Ende solcher Wüstlinge diesseits! Da wir aber bei diesem Stutzer diesseits auch nichts mehr zu betrachten haben, da ihm, wie ihr zu sagen pflegt, der Tod schon für die nächste Minute auf der Zunge sitzt, so wollen wir uns sogleich nach jenseits wenden und sehen, wie da unser Mann einrücken wird.

[4.9] Seht, da ist sein Lager gleichwie das auf der Welt! Noch liegt er gleichgestaltig auf demselben. Aber zugleich erseht ihr an seinem Lager nur einen Engel mit der Brandfackel in der Hand, um mit deren geistiger Flamme des Stutzers letzte Lebenssafttropfen zu vernichten!

[4.10] Bei solchen Menschen erscheint darum nur ein Engel, weil in ihnen Seele und Geist völlig wie tot sind. Nur der Würgengel, der übers Fleisch und über den Nervengeist gesetzt ist, hat hier das zu tun, dass er nämlich das Fleisch und den Nervengeist möglichst stark peinige und brenne, auf dass er dadurch die seelischen zerfetzten Reste und in selben den ebenso zersplitterten Geist in den Nervengeist zurücktreibe – und auf diese Art den also sterbenden Menschen vor dem ewigen Tod bewahre!

[4.11] Er wird (der Engel nämlich) bei diesem Menschen auch nichts reden, sondern wird ihn lediglich mit seiner Fackel aus der naturmäßigen in diese Geisterwelt hinüberbrennen, was gewöhnlich bei solchen Menschen zu geschehen pflegt und auch geschehen muss, weil sie ohne solche letzte Gnadenmanipulation um das ganze Dasein kämen.

[4.12] Dieser Akt ist gleich dem entstellten heidnischen des Prometheus. Denn die geistigeren Urmenschen sahen dergleichen Verrichtungen in der Geisterwelt, die damals aber freilich unaussprechlich viel seltener vorkamen als in dieser (jetzigen) weit über Sodom und Gomorra sinnlichen Zeit. So erhielten sich davon denn aber auch noch Sagen, aber nach ein paar tausend Jahren über die Maßen entstellt.

[4.13] Hier aber stellt sich auch wieder derselbe Prometheus vor – in seinem eigentlichen, unentstellten Wirken. Aber seht, nun hat der einsame Engel sein Werk gut beendet; das geistige Fleisch unseres Stutzers ist hier ersichtlich durch und durch zu Asche verbrannt, und seht, aus der Asche erhebt sich ganz langsam und träge – nicht etwa ein herrlicher, verjüngter Vogel Phönix, o nein, sondern – seht – nur ein dummer Affe, aussehend wie ein alter Pavian! Er ist ganz stumm, nur etwas sehen kann er.

[4.14] Die Tiergestalt hat darin ihren Grund, weil solche Menschen durch ihr wüstes Leben die feineren Menschenseelen-Spezifikalpartikel rein vergeuden durch ihre Wollust und nur die gröberen tierischen noch als traurigen Rest behalten. Bei dem ist doch noch wenigstens die Affenseele geblieben. Aber da gibt es andere, die bis zu den scheußlichsten Amphibien sich ganz verpfuschen!

[4.15] Bei diesem Menschen lässt sich nun auch das „Wasser seines Lebens“ noch nicht bestimmen; denn der muss jetzt, wie ihr zu sagen pflegt, „auf die Weide“ und wird Geistern übergeben, die über solche entartete Tierseelen gesetzt sind. Vielleicht bewirken sie mit allem Fleiß in hundert Jahren, dass diese Seele wieder zur menschlichen Gestalt kommt.

[4.16] Mehr lässt sich nun von dieser Seele nicht beschreiben; daher nächstens ein anderes Exempel.

Am 6. August 1847

[5.1] Hier folgt noch ein früher Tod einer jungen Modeheldin, die sich bei einem Ball zu sehr dem Tanz hingab, um sich irgendeinen jungen und reichen Bräutigam zu ertanzen, stattdessen sie sich aber nur den frühen Tod ertanzt hat.

[5.2] Ein junges, dem Leibe nach überaus gefällig gestaltetes Mädchen von neunzehn Jahren wurde auf einen noblen Gesellschaftsball geladen, welche Einladung sie natürlich mit Einwilligung ihrer Eltern bereitwilligst annahm. Alsogleich wurden die Modekaufläden durchmustert, die zum Glück unter tausend Artikeln doch einen besaßen, der da unserer geladenen Heldin anständig [genehm] war. Nun ging’s zum ersten Modeschneider und zwar mit dem Bedeuten, das Kleid nicht nur nach der letzten Pariser oder Londoner, sondern womöglich nach der letzten Madrider oder New Yorker Mode zu verfertigen, damit man auf einem so glänzenden Ball doch mit etwas Außerordentlichem erscheinen kann, um dadurch das größte Aufsehen zu erregen und auch als eine außerordentliche Erscheinung betrachtet zu werden!

[5.3] Der Schneider hatte keine kleine Angst ob solchen Auftrags, indem er seine Kundschaft schon kannte, mit wie viel Dutzend Eigenheiten sie bei solchen Gelegenheiten gesalbt war. Er nahm sich daher kreuzmöglichst zusammen und verfertigte wirklich ein Meisterstück von einem Ballkleid zur vollen Zufriedenheit seiner Kundschaft; denn das Kleid konnte ohne Schnürmieder angezogen werden und ob der vielen feinen elastischen Bänder aber den Leib dennoch so eng zusammenziehen, dass unsere Heldin um die Leibesmitte dünner war als um ihren runden Hals.

[5.4] Dieses New Yorker Modekleid aber war auch so ganz eigentlich die Ursache ihres frühen und nahe plötzlichen Todes; denn da sie auf dem Ball die Königin der Schönheit und Grazie war, so tanzte sie auch mit einem jungen, reichen Laffen, der ihr sehr bedeutend in die Augen stach, so wütend viel, dass sie sich dadurch in der zu sehr gepressten Lunge ein großes Blutgefäß sprengte und ob des dadurch sehr starken Blutverlustes in wenigen Minuten eine Leiche war.

[5.5] Als sie auf dem Tanzboden zusammenstürzte und aus ihrem Rosenmund ein Blutstrom sich ergoss – zum Schauder aller zahlreichen eben auch nicht zu locker geschnürten Mädchen und Damen –, da stürzten freilich wohl ihre Eltern, Verwandte und Ärzte zusammen, rissen ihr die Kleider vom Leib und begossen sie mit eiskaltem Wasser und gaben ihr Medikamente, die sie aber, als schon vollkommen tot, natürlich nicht mehr einnehmen konnte.

[5.6] Alles weinte und klagte laut. Die Eltern und der ritterliche Laffe von einem Liebhaber rissen sich aus Verzweiflung die Haare vom Kopf. Andere fluchten solch einem Geschick, wieder andere bedauerten die Unglückliche. Viele verließen den Tanzsaal und trugen ein Notabene mit nach Hause, aber natürlich um nicht viel besser als die Sperlinge, die ein Schuss vom Dach vertrieb.

[5.7] Hier, bei diesem Fall, werden wir in der Geisterwelt eben nicht viel von Belang zu sehen bekommen; aber dessen ungeachtet sollt ihr es sehen, wie sich derlei Übersiedlungen in der Geisterwelt ausnehmen.

[5.8] Seht, da liegt unsere Heldin zusammengekauert am mit ersichtlichem Blut besudelten Boden, und dort in einiger Ferne erseht ihr einen Engelsgeist mit übers Kreuz geschlagenen Armen stehend. Sein Antlitz verrät Trübsinn, d.i. eine Art Wehmut, die ein solcher Schutzgeist bei solchen Fällen der größten Narrheit [der Menschen] empfindet, so er ihnen mit all seiner Sorge nicht zu helfen vermag.

[5.9] Was aber wird nun dieser trauernde Engel hier tun? Seht, er naht sich der auch in der Geisterwelt als Leiche Ersichtlichen. Nun ist er bei ihr und spricht: „O du unsinniges Wesen! Was soll ich nun erwecken bei dir, da alles tot ist an dir, wohin ich nur mein Auge wende? O Herr, sieh gnädig herab! Hier langt die Kraft nicht aus, die Du mir verliehen; daher strecke Du Deine allmächtige Hand aus und tue mit dieser Törin nach Deinem Wohlgefallen!“

[5.10] Nun seht, dort kommt schon ein anderer, ganz feuriger Engel! Nun ist er da, und seht, sein Feuer ergreift die Tote und verzehrt sie im Augenblick zu Asche. (In der Naturwelt kann das nicht bemerkt werden, weil dieser Akt nur den seelischen Leib betrifft.) Nun fängt in der Asche sich etwas zu rühren an. Der Engel betet über dieser Asche. Seines Gebetes letzte Worte sind: „Herr, Dein Wille geschehe!“

[5.11] Darauf verlässt der zweite Engel die sich stets mehr rührende Asche; aber der erste Engel bleibt. Dieses Rühren aber ist nichts als ein neues Zusammenordnen der zerstörten, zerstreuten und höchst zerrütteten Seelenspezifikalpartikel, was nun unmittelbar durch Meine (barmh. Schöpfer-) Kraft geschieht. Nun aber wird sich auch sogleich zeigen, wie viel und was von dieser Mädchenseele noch übriggeblieben ist.

[5.12] Seht, nun erhebt sich ein dunkelgraues Wölkchen! Das Wölkchen prägt sich stets mehr aus. Und nun seht, da haben wir schon eine Gestalt! Ihr könnt sie wohl mit nichts Ähnlichem auf der Erde vergleichen! Der Kopf gleicht dem einer Fledermaus, der Leib gleicht dem einer Riesenheuschrecke, die Hände sind wie Gänsefüße, und die Füße gleichen denen eines Storches. Wie gefällt euch diese Mode nun als die Frucht jener weltlichen? An der Mode aber läge noch so ganz was Außerordentliches nicht; aber dass diese Törin, als gleichsam Selbstmörderin, schwerlich je des Himmels Lichtgefilde betreten wird, das ist etwas anderes!

[5.13] Es werden wohl einige hundert Jahre vergehen, bis diese zur menschlichen Gestalt kommen wird, und das nur auf sehr schmerzliche Art! Nachher aber wird sie im Geisterreich sein, was die Albinos auf der Erde sind, nämlich lichtscheu.

[5.14] Weiter ist bei dieser nichts mehr zu sehen und zu lernen, darum nächstens ein anderes Exempel.

Am 10. August 1847

[6.1] Da seht, wir befinden uns in einem königlichen Prachtgemach. Hier strotzt alles von Gold und Silber, von den kostbarsten Edelsteinen und – für die Welt – von den wertvollsten Gemälden. Der Boden des Gemachs ist mit den feinsten asiatischen Teppichen belegt, und die großen Spiegelglasfenster sind mit Gardinen behangen, von denen eine so viel kostet, dass davon tausend Arme einen ganzen Monat lang zu essen hätten. Die Kästen, Tische, Sofas, Stühle und noch eine Menge königlicher Einrichtungsstücke von großem Wert zieren das Gemach, und allerlei Wohlgerüche durchduften das Krankengemach, und die berühmtesten Ärzte umgeben das reich mit Gold verzierte Bett, in welchem der irdisch hohe Kranke vergeblich der Genesung harrt.

[6.2] Es wird ein Konsilium über das andere gehalten, und die Medikamente werden alle Stunden gewechselt. Im nebenanstoßenden Gemach beten aus lateinischen, rot und schwarz gedruckten Büchern abwechselnd in einem fort zwei Mönche und wo nur ein Bethaus oder irgendeine Kapelle steht, wird für die Wiedergenesung unseres großen Feldherrn eine feierliche Messe gehalten. Aber das nützt alles nichts. Denn für diese Feldherrenarbeit gibt es weder in der Apotheke noch im Breviarium und ebenso wenig im Messbuch irgendeine Hilfe mehr, sondern da heißt es einmal: „Komm und lass sehen, wie deine Werke beschaffen sind!“

[6.3] Seht nun den Kranken an, wie tapfer er sich hält! Aber diese Tapferkeit ist nur ein Schein, denn innerlich möchte unser Held vergehen vor Angst und Verzweiflung und verflucht dabei die stark schmerzende Krankheit wie ein Husar sein Pferd, das ihm keine Folge leisten will. Die Geschichte geht hübsch zusammen: Dort beten die Mönche – freilich nur mit einer Andacht, die ihresgleichen sucht, mit der auch noch heimlich ein ganz entgegengesetzter Wunsch vereinigt ist propter certum quoniam [einer gewissen Sache wegen] –, aber rar ist das immer, so der, für den wenigstens ins Auge gebetet wird, flucht, dass es eine barste Schande ist!

[6.4] Nun aber wird sein Schmerz stets ärger, ja beinahe unausstehlich, und unser Patient, darob vor Grimm entbrannt, fährt nun zum Erstaunen all seiner Umgebung ganz wütend auf und schreit aus vollem Hals: „O du verfluchtes Hurenleben! Kannst du, Schöpfer, so du irgendeiner bist, mir es denn nicht auf eine schmerzlose Art nehmen?! Auf ein solches Hurenleben sollen alle Teufel, so sie irgend sind, scheißen; und ich möchte es selbst, so ich es nur irgend vermöchte! He, ihr dümmsten Viecher von Ärzten, die ihr alle zusammen keinen Schuss Pulver wert seid, gebt mir eine scharf geladene Pistole her, auf dass ich selbst für dieses Hunde- und Hurenleben mir eine Medizin durchs Hirn verschreibe, die dasselbe auf einen Knall von jeder ferneren Marter sicher befreien soll!“

[6.5] Ein Protomedikus naht sich dem Krankenbett und will die Pulsader ergreifen und bittet den Patienten um Ruhe. Aber der hohe Patient richtet sich auf und spricht: „Komm nur her, du Luder, du schlechter Hund von einem Arzt, damit ich an dir meine gerechte Wut kühlen kann! Fahre zu allen Teufeln, du dummes Luder! Möchtest mich nicht wieder mit Opium martern? Schau, wie gescheit diese Kanaillen sind; wo sie nichts mehr wissen, da kommen sie sogleich mit Opium, auf dass der Kranke dann einschlafe und sie sich dadurch mehrere Stunden des gerechten Vorwurfs, den sie überaus wohl verdienen, entledigen und sich dabei brav ins Fäustchen lachen und schon Rechnung machen, wie viel da ein jeder nach meinem Tod für sich in der dritten Vergleichungsstufe wird verlangen können! Hahaha, gelt, ich durchschaue eure Pläne! Weg daher mit euch, ihr bösen Hunde, sonst bringe ich euch noch mit diesen meinen letzten Kräften um euer scheußliches Luderleben! He, was sehe ich denn dort im Nebengemach für zwei schwarze Kanaillen? Was tun denn diese Luder? Ich glaube gar, sie beten für meine Seele? Wer hat sie denn dazu berufen? Hinaus mit ihnen, sonst stehe ich auf und schieße sie wie Hunde zusammen!“

[6.6] Seht, auf diese gewaltige aber feldherrliche Deklamation ziehen sich die Mönche recht behände aus dem Staub; die Ärzte zucken stets greller mit den Achseln, und der Patient verstummt und fängt an, unter den horrendesten Verzerrungen des Gesichts zu röcheln. Wir aber begeben uns nun, da es hier an dem Patienten nichts mehr zu beobachten gibt, sogleich in die Geisterwelt und werden ganz kurz unsere Beobachtung machen, wie unser Held in die Geisterwelt eintreten wird.

[6.7] Seht, wir sind schon da, und dort auf gleichem Lager ist der Patient in einem ganz gleich aussehenden Gemach. Noch röchelt er, wie ihr es ganz leicht merken könnt, unter ganz entsetzlich schweren Atemzügen und zerbeißt sich die Zunge vor heimlicher Wut seiner ergrimmten Seele.

[6.8] Dort aber, seht, ist schon der alleinige Würgengel in Bereitschaft, die ergrimmte Seele unseres Helden von ihrem überstolzen und hochmütigen Fleisch loszumachen. Mit einem flammenden Schwert ist der Engel bewaffnet – zum Zeichen seiner großen, ihm von Mir verliehenen Kraft und zum Zeichen seines Mutes und seiner gänzlichen Furchtlosigkeit vor solchen Großhelden der Erde wie vor der ganzen Hölle.

[6.9] Seht, nun ist in der Zeiturne das letzte Sandkörnchen für diesen Helden gefallen, und der Engel rührt ihn mit seinem flammenden Schwert an und spricht: „Erhebe dich, du matte Seele, und du, stolzer Staub, falle in das Meer deiner bodenlosen Nichtigkeit zurück!“

[6.10] Seht, nun verschwindet der Leib, und nicht mehr zu sehen ist das Lager und das Gemach voll irdischer Pracht. Aber dafür erhebt sich eine, wie ihr es leicht merken könnt, ganz dunkelaschgraue, schmählichst verkümmerte Seele, stehend auf lockerem Sand, der sie zu verschlingen droht. Zornig, wirr und scheu blickt sie um sich, erschaut nichts als sich selbst. Aber sie sieht sich ganz anders, als wir sie sehen, – sie ersieht sich noch als einen Feldherrn mit all ihren Orden und mit einem Degen geziert.

[6.11] „Wo bin ich denn?“ spricht nun der Held. „Welcher Teufel hat mich denn hierher gebracht? Nichts, und abermals nichts! Wo ich hinschaue, ist überall nichts. Da seht, auch unter mir ist nichts!

[6.12] Bin ich denn ein Nachtwandler – oder träume ich? – oder soll ich denn wirklich gestorben sein? Oh, das ist doch ein verflucht dummer Zustand! Ich bin zwar recht gesund nun und fühle keinen Schmerz, erinnere mich an jede Kleinigkeit meines ganzen Lebens, – ich war ja höchst krank; ich habe die dummen Ärzte gemustert, die zwei Heuchler zum Teufel verscheucht und habe auch, natürlich ob des zu unerträglichen Schmerzes, dem Schöpfer einige derbe Grobheiten in meiner Aufwallung ins Gesicht gesagt, alles dessen erinnere ich mich sehr. Auch weiß ich, dass ich sehr zornig war und hätte alles zerreißen können vor Wut. Aber nun ist mir alles vergangen. Es wäre alles recht, wenn ich nur wüsste, wo ich so ganz eigentlich bin und was da mit mir vorgegangen ist!

[6.13] Es ist wohl etwas licht um mich; aber je weiter hinaus ich meinen Blick richte, desto finsterer wird es, und ich sehe nichts, nichts, nichts und abermals nichts! Das ist doch verflucht! Wahrlich, wer da nicht des Teufels wird, der wird es in Ewigkeit nimmer!

[6.14] Sonderbar, sonderbar, ich werde stets munterer, stets lebendiger, – aber auch stets leerer wird’s um mich. Ich muss mich sicher so in einer Art Lethargie befinden; aber die, so davon befallen sind, sollen alles hören und sehen, was um sie geschieht, – ich aber höre und sehe nichts außer mir, also kann das keine Lethargie sein.

[6.15] Es ist hier weder kalt noch warm, noch völlig finster, obschon einen das Licht nicht blendet. Ich bin, was mir unbegreiflich ist, in diesem Solozustand dazu noch sehr heiter und aufgeräumt, dass ich darob einen Bajazzo abgeben könnte, – und doch, wie Figura zeigt, bin ich sicher im Mutterleib nicht gesellschaftsloser gewesen als hier! Wahrlich, wenn ich hier ein Dingsda, eh, so ein Dings, no, no, so ein Dings – ja, ja, so recht – so ein Menschchen bei mir hätte, wahrhaftig, ich könnte mich sogar vergessen, dass ich – doch hol’s der Kuckuck, den Feldherrn samt seinen fünf Dutzend Großahnen! Wahrlich, für ein Menschchen gemeinsten Standes wäre mir nun schon alles feil.

[6.16] Wenn ich aber nur erfassen könnte, wo ich so ganz eigentlich bin?! Wenn die Sache noch lange dauern sollte, da dürfte einem dieser Zustand so hübsch verdammt langweilig werden! Hab’ ich ja einmal von einem Gott etwas gehört; ich will mich einmal ernstlich an Ihn wenden. Hab’ freilich mich ehedem etwas barsch benommen gegen Ihn; aber Er wird mir das, so Er irgend einer ist, ja nicht übel nehmen! Heda! Mein Gott, mein Herr! So du irgend bist, hilf mir aus dieser fatalen Lage!“

[6.17] Nun seht, sogleich kommt ein Engel herbei und spricht: „Freund, in dieser Lage wirst du so lange verbleiben, bis der letzte Tropfen deines Hochmutes aus dir hinausgeschafft sein wird und dadurch bezahlt der letzte Blutstropfen, deren du an vielen Tausenden deiner Brüder vergossest! Wirf all deine feldherrlichen Insignien von dir, und du wirst den Boden und mehr Licht und auch Gesellschaft finden, – aber hüte dich vor deinesgleichen, ansonsten bist du verloren! Vor allem aber wende dich an den Herrn, so wird dein Weg kurz und leicht sein, amen.“

[6.18] Seht, diesen Rat befolgt aber unser Held jetzt noch nicht. Daher verlässt ihn der Engel, und er wird noch einige hundert Jahre in solcher Schwebe verbleiben.

[6.19] Daraus könnt ihr schon sein „Wasser“ merken, darum nichts weiter nun von ihm.

Am 11. August 1847

[7.1] In diesem Exempel wollen wir sogleich beim Jenseits beginnen und einen Mann betrachten, der in der Welt eine sehr große Rolle gespielt hat und am Ende der Meinung war, die Welt sei bloß seinetwegen da und er könne mit ihr machen, was er wolle, da er sich die förmliche Stellvertreterschaft Gottes anmaßte, mehr noch als so mancher andere seines Gelichters. Aber er musste dessen ungeachtet dennoch „ins Gras beißen“, und es schützte ihn davor weder seine angemaßte Großmacht noch die Welt und ebenso wenig die Gottesstellvertreterschaft.

[7.2] Dort, seht hin, stark gegen Mitternacht wandelt langsamen Schrittes eine überaus hagere Mannesgestalt von sehr dunkler Farbe, und blickt forschend um sich herum und späht bald dahin und bald dorthin!

[7.3] In seiner Gesellschaft seht ihr ein Männlein, gleichend einem kohlschwarzen Affen, das sich um unseren Mann sehr geschäftig hertummelt und tut, als hätte es mit diesem Mann gar überaus wichtige Sachen abzumachen. Treten wir aber nur näher, damit ihr vernehmen könnt, was dieser Mann, der seinen Gesellschafter so wenig wie uns sieht, mit sich für sonderbare Gespräche führt.

[7.4] Da sind wir schon in rechter Nähe; nun horcht, er spricht: „Alles Lüge, alles Trug, und der Betrogenste ist der Glücklichste; aber unglücklich der Betrüger, so er wissentlich ein Betrüger ist! Ist er aber unwissentlich ein Betrüger und lügt und betrügt, ohne Wissen, dass er lügt und betrügt, da ist ihm zu gratulieren; denn da zieht ein Esel den anderen, und beide sind mit dem schlechtesten Futter zufrieden. Aber ich, was bin denn ich? Ich war ein Oberhaupt, alles musste glauben und tun, was ich anordnete; ich aber tat, was ich wollte, da ich die Schlüssel der Macht in meinen Händen hatte als einer, der sie nimmt ohne zu fragen, ob er sie wohl zu nehmen berechtigt ist. Ich wusste alles; ich wusste, dass da alles nur Lüge und Trug ist, was ich wusste, und dennoch drang ich Lüge und Trug jedermann bei strenger Ahndung auf, der es nicht annehme und glaube, dass das alles, was von mir ausgeht, ob geschrieben oder nicht, als volle Wahrheit anzunehmen ist.

[7.5] Ich meinte aber auf der Welt ist des Leibes Tod das Ultimatum allen Seins. Das war mein heimlicher, fester Glaube, und alle Weisheit der Welt hätte mir keinen anderen Glauben geben können! Dies einzige hielt ich für Wahrheit, und sieh, auch das ist Lüge; denn ich lebe fort, obgleich ich gestorben bin dem Leibe nach.

[7.6] Himmel, Hölle und Fegfeuer ließ ich predigen auf vielen tausend Kanzeln, erteilte Ablässe und sprach eine Menge Verstorbener heilig und gab Fasten, Gebet, Beichte und Kommunion, – und nun stehe ich selbst da und weiß nicht, wo aus und wo ein! Gäbe es ein Gericht, dann wäre ich schon gerichtet. Gäbe es einen Himmel, dann hätte ich doch das erste Recht darauf, denn fürs Erste musste ich doch durch den Willen Gottes Statthalter der Kirche Christi werden; und was ich als solcher tat, war sicher auch nur ein höchstes oberstes Wollen, denn ohne ein solches kann laut der Schrift ja kein Haar am Kopf gekrümmt werden und kein Sperling vom Dach fliegen.

[7.7] Also beichtete und kommunizierte ich auch nach der alten Vorschrift, obschon ich mich davon gar leicht hätte ausnehmen können, indem ich die Macht hatte, die Beichte samt der strengen Kommunion für jedermann auf ewige Zeiten aufzuheben, was ich aber dennoch aus politischen Rücksichten nicht tun konnte, noch wollte. Gäbe es eine Hölle, so wäre auch Grund genug vorhanden, mich darinnen zu befinden; denn vor Gott ist ein jeder Mensch ein Totschläger! Wenigstens sollte ich mich im Fegfeuer befinden; denn das sollte doch jedermann wenigstens auf drei Tage zuteilwerden! Aber weder eines noch das andere wird mir zuteil. Darum ist Gott, Christus, Maria, Himmel, Fegfeuer und Hölle nichts als Lug und Trug! Der Mensch aber lebt nur aus den Kräften der Natur und denkt und fühlt nur nach der eigenen Konzentration der verschiedenen Naturkräfte in ihm, die sich da wahrscheinlich zu einem ewig unzerstörbaren Eins verbinden und verknüpfen. Meine Aufgabe wird daher nur sein, diese Kräfte näher zu erforschen und mir dann mittels der genauesten Bekanntschaft mit ihnen einen Himmel zu gründen.

[7.8] Aber ich merke fortwährend ein gewisses Zupfen an meiner Toga pontificalis! Ist denn etwa doch irgendein unsichtbarer Geist in meiner Nähe, oder tut so etwas wirklich ein Wind? Es ist im Ernst sonderbar in dieser unendlichen Wüste; man kann schon gehen, wohin man will, so bleibt man aber doch ewig ganz allein. Man kann rufen, schreien, schimpfen, schelten, fluchen oder beten, zu wem man will, so rührt sich dennoch nichts und man bleibt vor- wie nachher ganz allein! Es mögen doch schon einige Jahre sein, dass ich auf der Erde gestorben bin, und das auf eine sehr schmerzliche, höchst fatale Weise, – und ich bin detto allein, nichts als die ganz kahle Wüste unter den Füßen! Platz habe ich da wohl, das ist wieder eine Wahrheit, aber wo ich bin, was für die Zukunft aus mir werden wird –werde ich also ewig fortleben oder doch etwa einmal ganz vergehen –, das ist ein unauflösliches Rätsel.

[7.9] Also nur frisch an die Erforschung der Naturkräfte in mir losgesteuert, und es soll sich durch ihre nähere Bekanntschaft bald entwickeln, was da aus mir werden soll!“

[7.10] Habt ihr ihn nun gehört, wie er räsoniert, er, der Stellvertreter Gottes auf Erden? Oh, er wird noch lange also solo räsonieren, wie es ihm sein unsichtbarer Begleiter einhaucht; denn solcher auf Erden höchstgestellter Menschen Los ist stets das gleiche, nämlich das Alleinsein, indem sie sich selbst auf der Erde auch über alles hinaus isoliert haben.

[7.11] Diese Isolierung ist aber dennoch eine große Gnade für sie; denn nur dadurch ist es möglich, sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Aber es geht das sehr lange her; sie müssen in sich alle Grade der Nacht und Finsternis, der Not und des Schmerzens, wie sie in der Hölle zu Hause sind, durchmachen.

[7.12] Hat ein solcher Zelot diese Solo-Tour durchgemacht – etwa in fünfhundert bis tausend, bis zehntausend Jahren, dann erst kommt er in die Gesellschaft von strengen Geistern. Folgt er diesen nicht, so wird er wieder verlassen und ganz allein gestellt, wo ihm alle Gräueltaten vorgeführt werden, die entweder unter ihm oder unter seinen Vorgängern verübt worden sind; bei welcher Gelegenheit er aber auch alle Schmerzen verkosten muss, die alle Verfolgten unter ihm oder seinen Vorgängern verkostet haben. Bringt ihn diese Kur noch nicht zurecht, so wird er belassen, wie er ist; bloß der Hunger wird ihm zur Begleitung gegeben und der Durst, welche zwei Hofmeister mit seltenster Ausnahme fast jeden mit der Zeit zurechtbringen.

[7.13] Da habt ihr nun wieder ein Bild, aus dem ihr das Jenseits näher kennenlernen mögt – und das „Wasser“, das ein solcher Häuptling zu durchschwimmen hat, bis er ans Ufer der Demut, Wahrheit und Liebe gelangt. Daher nun nichts mehr weiter von diesem Mann und nächstens ein anderes Exempel!

Am 12. August 1847

[8.1] Da denn auch die großen Herren der Welt sterben müssen, gegen welche für sie höchst fatale Lebenseigentümlichkeit sie noch immer keinen Assekuranz-Verein haben aufstellen können, da sie es mit all ihrer Politik und Diplomatie noch nicht so weit gebracht haben, so musste denn auch unser Minister sich endlich einmal anschicken, das Zeitliche mit dem Ewigen zu vertauschen.

[8.2] Das Sterben ist für solche Menschen freilich wohl die unangenehmste Erscheinung von der Welt, aber das kümmert den Würgengel wenig. Bei denen er das wohlzimentierte Maß voll findet, die nimmt er ohne Gnade und Pardon!

[8.3] Unser Minister, ein Mann, dem alle Welt huldigte ob seiner Weltklugheit, wurde in seinem bedeutenden Alter von einem gichtischen Katarrhfieber aufs Krankenlager geworfen, das ihn einen halben Monat folterte, und das desto ärger ward, je mehr Arzneien er zur Hebung dieses Übels eingenommen hatte. Gegen das Ende hin ward er voll Unwillen und drohte den Ärzten mit dem Arrest, so sie ihn nicht bald wiederherstellen möchten oder könnten.

[8.4] Aber statt seine Drohung auszuführen, versank er am sechzehnten Tag seiner Krankheit in eine Betäubung, aus der er in dieser Welt nicht mehr kam, außer auf eine Stunde knapp vor seinem Ende, in welcher er noch ein kurzes Vermächtnis machte mit seiner mächtigen Habe, wobei aber der Armen, wie meistens bei solchen Menschen, nur sehr spärlich Bedacht genommen ward; denn was sind wohl ein paar tausend Gulden gegen mehrere hinterlassene Millionen?!

[8.5] Also ward der Kirche pro forma auch mit einer Stiftung gedacht, aber nicht aus irgendeinem blinden Glauben (denn Glauben hat so ein Mensch entweder nur selten oder gar keinen, und alles, das er tut, ist pure Politik nur), sondern geschieht nur, wie gesagt, weil so etwas der politische Gebrauch erfordert.

[8.6] Nach dieser letzten Willenskundgabe sank er auf sein Lager zurück und war tot, ohne zuvor gebeichtet und kommuniziert zu haben, auf welchen Akt er – bei sich zwar – ohnehin nichts hielt. Damit war’s mit ihm für diese Welt für ewig abgeschlossen; darum aber wollen auch wir nicht bei seiner Leiche verharren, sondern uns gleich nach „drüben“ begeben und sehen, was unser überstolzer Mann dort für ein Gesicht macht.

[8.7] Seht, da sind wir schon, und unser Mann steht dort in seinem kompletten Staatskleid vor uns und vier verhüllten Engelsgeistern, wovon er aber nur die letzteren sieht. Der Ort stellt genau sein Staatskabinett vor, in welchem er noch Wichtiges zu besorgen und zurechtzubringen sich vorgenommen hatte.

[8.8] Er sieht nun genau die vier in seinem Geheimkabinett und kann sich vor Ärger kaum fassen über die entsetzliche Keckheit dieser vier Gauner nach seiner Ansicht. Er springt auf und ergreift die Klingel und will läuten, aber die Klingel gibt keinen Ton.

[8.9] „Verrat! Hochverrat!“ schreit er aus vollem Halse. „Wie kommt ihr elenden Wichte in dieses nur mir allein zugängliche Gemach, in welchem des Staates Geheimnisse und heiligsten Mysterien bearbeitet und aufbewahrt liegen? Wisst ihr, dass auf solch einen Hochverrat der Tod gesetzt ist? Wer aus euch hat diese Klingel entschwengelt, dass sie nun in diesem entscheidendsten Moment keinen Schall von sich geben kann? Bekennt es, ihr Verruchten, wer aus euch war der Rädelsführer?“

[8.10] Der erste Engel spricht: „Höre in Geduld tiefst aufmerksam, was ich dir nun künden werde! Wohl weiß ich die gute Ordnung, der zufolge auf der Welt kein Mensch, außer dem König nur, in dies Gemach treten darf. Wärst du noch auf der Welt, da hättest du uns auch nicht an dieser Stelle erblickt. Aber siehe, du bist nun dem Leibe nach gestorben und bist nun in der Geisterwelt, wo es nur einen Herrn gibt, während alle anderen Geister Brüder sind, gut oder schlecht, je nachdem sie auf der Erde gewandelt haben entweder gut oder böse. Also haben wir vom Herrn das liebepflichtige Recht, jedermann zu besuchen und ihm unsere Dienste anzubieten, wenn er, wie du, für uns noch zugänglich ist.

[8.11] Darin aber besteht eben auch des einigen Herrn Auftrag an dich durch uns, dass wir dir eben solches künden sollen und dir auch eröffnen, dass hier in dieser ewigen Welt für dich alle weltliche Ehre und Stellung aufgehört hat samt aller Politik; und dies Gemach, dein Kleid und alle diese deine vermeintlichen wichtigen Staatspapiere sind pur Trug und Ausgeburt deiner noch stark an der Welt hängenden Phantasie und werden verschwinden, sobald du uns folgen wirst. Wirst du uns folgen, so wirst du einen leichten Weg in das wahre, ewige Lebensreich haben, alldort es Seligkeiten gibt ohne Maß und Zahl; wirst du uns aber nicht folgen, so wirst du einen überharten Stand haben, zu Gottes Lebensreich zu gelangen! Denn siehe, du warst auf der Welt wohl mit Gottes Zulassung ein großer Mann und hattest eine große Macht; durch diese Macht ist aber bei dir gar mächtigst auch die Herrschliebe erwacht, die dich zu manchem geführt hat, das da nicht begründet war in der göttlichen Ordnung. Auch hat dir diese Weltgewalt als Herrschlust auch den Glauben an den Herrn und vielfach die Liebe zum Nächsten benommen und hat dich fürs Reich Gottes völlig untauglich gemacht.

[8.12] Aber siehe, der Herr weiß es, welche schwere Bürde du zu tragen hattest, und hat große Erbarmung mit dir. Darum sandte Er uns zu dir, auf dass du gerettet werden solltest und erhoben und nicht untergehen durch deine noch mit herübergebrachte große Weltbürde. Denke hier nicht an dein Gericht; denn im Reich der Freiheit des Geistes gibt es kein Gericht und keinen Richter, außer den eigenen freien Willen jedes Menschen! Denke auch nicht an die Hölle. Diese ist nirgends, außer in jedem Menschen selbst, so er diese in sich durch sein Böses eben erst erschafft. Also denke aber auch an keinen Himmel als verheißenen Lohn für gute Werke; sondern des Herrn Jesu Wort sei dein Wille, durch dieses suche Ihn allein! Hast du Ihn, dann hast du alle Himmel und eine ganz andere Macht aus der Liebe, als du sie gehabt auf der Welt aus deiner Weltklugheit und hohen Stellung. Nun weißt du alles; tue, was dir dein freier Wille zulässt im Namen des Herrn Jesus. Amen.“

[8.13] Der Minister spricht: „Wahrlich, eure Rede ist weise und bürgt mir, dass da alles so ist, wie ihr es mir nun gekündet habt. Auch bin ich nun völlig klar, dass ich leiblich gestorben bin. Aber dass da der gewisse Jude Jesus der alleinige Gott und Herr sein soll, das fasse ich nicht! Was ist dann der „Vater“ und der „Heilige Geist“? Seht, das stimmt mit der eigenen Lehre Jesu nicht zusammen, der doch der Erste war, der eine göttliche Dreiheit allenthalben lehrte! Darum verzeiht mir, dass ich euch darum schon nicht so schnell folgen kann, wie ihr es wünscht, – außer ihr überzeugt mich dessen schnell.“

[8.14] Der Engel spricht: „Bruder, das geht so geschwind nicht, wie du es meinst. Lege vorerst dein Staatskleid ab und ziehe ein anderes der Demut und völligen Selbstverleugnung an, dann wirst du alsbald davon die vollste Überzeugung dessen bekommen, das dir jetzt noch als unfasslich erscheint.“

[8.15] Der Minister spricht: „Wohl denn, so übernehmt mich und bringt mich zurecht, und schabt sorglich alles Weltliche von meiner Seele, dann wird es sich zeigen, wie es mit eurer Aussage aussieht.“

[8.16] Nun treten die drei anderen Engel hinzu, ziehen dem Mann die Staatskleider aus und ziehen ihm dafür aschgraue, sehr zerlumpte und ziemlich schmutzige an. Und der zweite Engel spricht nun zu ihm: „Nun bist du mit dem Kleid der Demut angetan. Aber das allein genügt noch nicht, sondern du musst auch in der Tat demütig sein. Darum folge uns!“

[8.17] Der Mann folgt, und seht, sie kommen bei einem Bauernhof an und sagen zu ihm: „Siehe, hier wohnt ein schroffer Mann und hat große Schweineherden. Bei diesem sollst du dienen und mit allem zufrieden sein, was er dir zum Lohn geben dürfte; und wird er hart und ungerecht sein gegen dich, so sollst du alles mit Geduld ertragen und dir bloß in des Herrn Gnade und Erbarmung Recht schaffen.

[8.18] Wird er dich schlagen, da schlage nicht zurück; sondern wie ein Sklave halte ihm den Rücken also dar, wie du auf der Erde zufolge der militärischen Subordination es oft gesehen hast, wie sich ein armer Soldat ganz willenlos auf die Bank legen musste und aushalten die harte, oft ungerechteste Strafe! Wirst du das alles in rechter Geduld ertragen, dann soll dir ein besseres Los zuteilwerden!“

[8.19] Darauf spricht der Mann: „Ich bedanke mich gehorsamst für diese Führung! Gebt mir nur mein Staatskleid wieder, ihr Betrüger; ich werde schon selbst mir die Wege bahnen! Da schaut’s die Lumpen an; aus unsereinem, der wenigstens zwanzig Ahnen zählt, wollen sie so mir und dir nichts einen Sauhalter machen! O wäre ich noch auf der Welt, ich wollte euch dafür zahlen, dass ihr es euch merken solltet! Diese Vagabunden geben sich noch für Gottes Boten aus! Nein wartet, diese Gottesbotenschaft soll euch noch teuer zu stehen kommen!“

[8.20] Seht, die Engel geben ihm sein Staatskleid wieder und sagen: „Wie du willst. Da ist dein irdisch Kleid! Willst du die Wege des Lebens nicht wandeln, so wandle deine eigenen; aber unser Dienst bei dir ist zu Ende.“

[8.21] Nun seht, in welch ein Wasser unser Mann sich begibt; da wird er lange zu schwimmen haben, bis er auf des verlorenen Sohnes Rückweg zum Vater gelangen wird.

[8.22] Hüte sich darum ein jeder vor der Herrschsucht; denn diese hat stets gleich schlimme Folgen. Nächstens ein anderes Exempel.

Am 13. August 1847

[Eigenes Buch, siehe hier unter „Bücher und Schriften]

Die Läuterung und geistige Transformation des verstorbenen Bischofs Martin, der durch verschiedene Prüfungen und Begegnungen zu einer höheren Erkenntnis gelangt.

Am 16. Oktober 1848

[10.1] Der Tod oder eigentlich der Austritt aus diesem Prüfungsleben in das wahre ewige Geisterleben eines armen Tagwerkers, dergleichen die Großen der Welt bei sich meist „Luder“, „Kanaille“ und „elendes Lumpengesindel“ nennen.

[10.2] Da geht mit Mir in ein ärmstes Stübchen, das mehr dem Loch eines Bären als einem für Menschen bewohnbaren Zimmer gleicht. Kaum einige Kubikklafter beträgt der innere Raum. Eine stark schadhafte Tür führt in dieses Loch, das ober der Tür eine zwei Spannen lange und eine Spanne hohe Öffnung hat, durch die von einer schmutzigen Stallmauer eines nachbarlichen Reichen ein sehr gebrochenes und geschwächtes Licht fällt und des Loches innere Räumlichkeiten gerade so viel erleuchtet, dass sich dessen sieben Bewohner nicht die Augen gegenseitig verletzen mögen. Dieses Prachtgebäude von einem Wohnzimmer hat weder Ofen noch Herd; des letzteren Stelle vertritt in einem Winkel ein schmutzigster, unbehauener, kaum ein Fuß hoher Kalkstein, auf dem die armen Bewohner dieses wahren Bärengrabes sich ein spärliches Mahl kochen, so sie so glücklich sind, sich dazu durch Arbeit und Betteln das nötige Material zu verschaffen.

[10.3] Notabene: Für diese herrliche Wohnung müssen diese Armen einem reichen Hausherrn monatlich 1 fl. 30 kr. Miete bezahlen und sind damit sogar noch sehr zufrieden, weil ihr Hausherr wenigstens sie nicht zu sehr betreibt, so sie den Mietzins nicht sogleich am Ersten des Monats bezahlen können, sondern ihnen sogar vierzehn Tage zuwartet. Ja ihr Hausherr ist sogar so gut, dass er ihnen wegen der Erkrankung ihres armen, siebzig Jahre alten Vaters 30 Pfund schimmeliges Roggenstroh um 20 Kreuzer hat zukommen lassen und hat auf die Bezahlung ebenfalls zehn volle Tage gewartet. Wahrlich, so ein herzensguter und geduldiger Hausherr wird doch einstens auch bei Mir, dem Herrn, auf Erbarmung und Geduld Anspruch machen können!

[10.4] Nun seht, in dieses Loches finsterstem Winkel liegt auf dem frischen 20-Kreuzer-Stroh eben unser armer Tagwerksmann. Bei einer schweren Bauarbeit fiel er vor einigen Jahren von einem schlechten Gerüst, brach sich zwei Rippen und einen Arm; wurde wohl in ein Armenspital gebracht, dort aber ärztlich ein halbes Jahr tyrannisiert und darauf, höchst schlecht geheilt, unter ärztlichem Zeugnis als Genesener entlassen.

[10.5] Von da an siech, schwach und somit zu keiner schweren Arbeit mehr fähig, behalf er sich mit seinem ebenfalls kranken und schwachen Weib und mit fünf weiblichen Kindern, darunter das älteste vierzehn Jahre zählt, durch allerlei kleine Arbeiten, die seinen Kräften angemessen waren, und manchmal auch durch irgendeine milde Spende, die entweder sein Weib oder seine Kinder dann und wann von einem seltenen weicheren Herzen erbettelten. Alter, Schwäche, Kälte und schlechte Kost, wie eine zurückgebliebene krebsartige Rippenwunde warfen ihn nun auf dieses elendeste Krankenlager, auf dem wir ihn besuchend nun sehen.

[10.6] Abgemagert wie eine ägyptische Mumie aus den Zeiten der Pharaonen, voller Schmerzen am ganzen Leib, dessen Hüfte, Steißbein und wenigstens um einen Zoll hervorragendes Rückgrat ganz wund sind von dem harten Lager, dazu noch mit dem leeren, aller Speise entblödeten Magen, – so voll brennenden Hungers spricht er mit sehr gebrochener Stimme zu seinem Weib: „Mütterchen! Hast du gar nichts mehr? Kein Stückchen Brot? Keine warme Brühe? Keine gekochten Erdäpfel? O Gott, o Gott! Wie bin ich doch gar so entsetzlich hungrig! Vor Schmerzen kann ich mich nicht mehr rühren, und dazu noch solch einen Hunger! O mein Gott, mein Gott! Erlöse mich doch einmal von dieser Qual!“

[10.7] Spricht das Weib, das vor Mattigkeit und Hunger auch kaum mehr zu stehen vermag: „O du mein armer, liebster Mann! Schon um sechs Uhr morgens sind die drei ältesten Kinder ausgegangen, bei guten, mitleidigen Menschen etwas zu erbitten, und nun ist’s schon drei Uhr nachmittags und noch kommt keines zurück. Ich zittere am ganzen Leib vor Furcht und Angst, dass ihnen etwas Übles begegnet ist. O Jesus und Maria! Wenn sie vielleicht gar ins Wasser oder in die unbarmherzigsten Hände der Polizei geraten wären? Ich zittere an Händen und Füßen! Jesus stärke mich unterdessen! Ich will mit Gottes Hilfe alle meine Kräfte zusammenraffen und gerade auf die Polizei gehen und da nachfragen, ob sie dort nicht wissen, wohin etwa doch unsere armen Kinder gekommen seien!“

[10.8] Spricht der Kranke: „Ja, ja, liebes Mutterle, gehe, gehe, – mir ist auch schon über alle Maßen bange! Aber bleibe ja nicht lange aus, und bringe mir etwas zum Essen mit, sonst sterbe ich vor Hunger! Bedenke, schon zwei volle Tage sind es, wo wir alle nichts gegessen haben! Wenn die drei armen Mädel nur etwa nicht vor Mattigkeit liegengeblieben sind? O mein Gott, o mein Gott, so muss denn alles Elend über mich kommen!“

[10.9] Das Weib geht nun fort, und als sie kaum auf die Gasse kommt, da ersieht sie auch schon einen Amtsschergen, der die drei Kinder vor sich hertreibt. Das Weib, die Mutter, solches ersehend, macht einen Schrei des Entsetzens und spricht, die Hände übers Haupt erhebend: „Gerechter Gott! O Jesus! Das sind ja meine armen Kinder!“

[10.10] Die Kinder keuchen der Mutter ganz verweint zu: „O Mutter, Mutter! Dieser wilde Mensch hat uns in einer Gasse, wo wir einen Menschen um ein Almosen für unseren sterbenskranken Vater anbettelten, abgefangen, hat uns dann in ein finsteres Zimmer eingesperrt, und weil er uns schon öfter betteln gesehen habe, so kam er dann mit noch einem abscheulicheren Menschen, der wie ein Herr ausschaute; der ließ uns dann, trotzdem wir ihn auf Knien baten, so mit Ruten hauen, dass wir am Hinterleib ganz blutig sind. Darauf fragte er uns hart, wo wir wohnten, und als wir ihm vor Schmerz kaum unsere Wohnung angeben konnten, da gebot er dann diesem wilden Menschen, der uns so schrecklich geschlagen hat, dass er uns nach Hause bringen solle. O Mutter, Mutter, das tut erschrecklich weh!“

[10.11] Die Mutter, kaum der Sprache mächtig, seufzt tief zu Mir auf, sagend: „O Herr, Du gerechtester Gott! Wenn Du lebst, wie kannst Du solche Gräuel ansehen und sie ungestraft geschehen lassen? O mein Gott, mein Gott, wie kannst Du solch ein Elend über uns kommen lassen!?“ Darauf weint sie bitterlich. Der Polizeimann aber verweist der Mutter, also auf der Straße zu räsonieren, um die Vorübergehenden auf sich aufmerksam zu machen, und gebietet ihr, sich sogleich in ihre Wohnung zurückzuziehen.

[10.12] Die Mutter entschuldigt sich als Mutter und spricht weinend: „O Herr, kann ich wohl anders als weinen? Mein siebzigjähriger, auf den Tod kranker Mann liegt überhungrig auf purem Stroh; wir alle haben durch zwei Tage nichts gegessen. Diese Spätherbstzeit ist nass und schon sehr kalt, und wir haben kein Spänchen Holz, um uns unsere kalte und feuchte Wohnung zu erwärmen. Ich selbst bin schwach und krank. Diese drei Mädchen waren unsere einzige Stütze, und diese habt ihr uns zu Krüppeln geschlagen. O Gott! Wie soll ich dazu schweigen können? Wie könnt ihr mir das gerechte Weinen verbieten? Seid ihr denn kein Mensch, kein Christ?“

[10.13] Hier will sie der Polizeimann zurückschieben; aber hinter einer Ecke springt ein herzhafter Mann hervor und schreit zum Polizeimann: „Halt Freund! Bis daher und nicht um ein Haar mehr weiter! Hier hast du arme Mutter 30 fl.; verpflege dich damit so gut als du magst. Du gefühllosester Henkersknecht entferne dich aber sogleich von dannen, sonst treibe ich ein paar Kugeln durch deinen Tigerschädel!“

[10.14] Der Polizeimann will diesen Wohltäter für seine Drohung arretieren; aber der Fremde zieht sogleich eine scharf geladene Pistole aus der Brusttasche seines Rockes und hält sie dem Schergen entgegen, der es nun freilich für rätlicher hält, sich schleunigst zu entfernen, als sich von diesem nun ganz entsetzlich ernst aussehenden Mann etwas vorschießen zu lassen.

[10.15] Nachdem der Polizeimann aus dem Gesicht ist, geht auch dieser Mann ganz still und gelassen seinen Weg weiter. Die Mutter und ihre drei Kinder werfen ihm weit ihre Dankesküsse nach. Und die Mutter der drei geschlagenen Töchter, die ob dieses Wohltäters ihren Schmerz ganz vergessen haben, eilt sogleich in die nächste Schenke und kauft Brot, etwas Wein und Fleisch. Der Kellner macht freilich eine etwas bedenkliche Miene, als er von diesem armen Gesindel eine 10 fl.-Banknote zu wechseln bekommt. Aber er denkt sich: Geld ist Geld, ob es gestohlen oder auf eine ehrliche Art erworben, wechselt der Armen die Banknote und verabreicht ihr das Verlangte.

[10.16] Damit nach Hause eilend, finden sie den armen Mann weinend vor Schmerz und Hunger. Die Mutter gibt ihm sogleich etwas Brot und Wein, und die älteste Tochter springt sogleich zum nächsten Kreisler [Händler] und kauft um ein paar Groschen Holz, Feuerzeug und auch ein halbes Pfund Kerzen.

[10.17] Als sie damit nach Hause kommt, da findet sie zu ihrem Entsetzen zwei Polizeischergen vor der Tür des Armen, die nun eiligst zurückgekehrt sind, den wohltätigen Mann entweder noch hier zu treffen oder, im entgegengesetzten Falle, sich bei dem armen Weib möglicherweise von dem Stand und der Wohnung dieses Mannes in Kenntnis zu setzen. Und würde das Weib nicht Rede und Antwort geben, so solle sie arretiert werden.

[10.18] Mit diesem löblichen Vorhaben, vom Polizeiamt dahin beordert, treten sie mit dem armen Mädchen in die finstere Stube, sogleich ein Licht verlangend und das Weib bedrohend, über jenen Mann alle Auskunft zu geben, widrigenfalls sie mit ihnen auf das Polizeiamt gehen müsse. Das arme Weib, solches vernehmend, sinkt vor Angst zusammen. Die älteste Tochter, bebend vor Angst, macht das verlangte Licht, und die zwei Schergen, den Kranken auf dem Boden nahe ganz nackt, nur mit dürftigen Lumpen teilweise bedeckt ersehend, schaudern anfangs wohl etwas zurück, ermannen sich aber bald und fragen das halbtote Weib um des bewussten Mannes Stand und Wohnort.

[10.19] Das Weib bebt und ist keiner Antwort fähig. Die beiden Schergen halten diesen Zustand für Tücke und reißen das Weib vom Boden und wollen es sogleich einführen. Der kranke Mann und die fünf Kinder bitten um Gnade und Erbarmung, aber die beiden handeln stumm ihr schönes Amt.

[10.20] Aber im Augenblick, als die zwei Schergen das Weib schon an der Türschwelle halten, kommt unser Mann mit noch drei kräftigen Gehilfen, entwinden zuerst das vor Angst halbtote Weib den Händen dieser zwei Schergen und hauen sie ganz weich durch, so dass sie kaum gehen können, und bedrohen sie, wie das ganze Amt darauf, sagend: „Im Namen Gottes! So ihr elenden Bestien es noch einmal wagt, diese heilige Stätte zu betreten, in der Gottes Engel wohnen, da erwartet von uns die fürchterlichste Rache! Wir sind nicht Menschen und Wesen dieser Welt, sondern wir sind Schutzgeister dieser Engel, die hier die Probe des Fleisches durchmachen.“

[10.21] Darauf verschwinden die vier Helfer. Die zwei Schergen aber ziehen auch ganz nüchtern von dannen, um nicht wiederzukommen.

[10.22] Das Weib erholt sich darauf bald und sorgt nun – Mir für die Rettung dankend –, dass der dem Ende nahe Mann eine warme Suppe bekomme. Die Suppe ist bald fertig und wird nun dem Alten unter tausend Segnungen dargereicht, der sie, Mir und den Seinen dankend, mit großem Appetit verzehrt.

[10.23] Dadurch etwas mehr gestärkt, spricht er zum Weib und zu seinen Kindern: „Du, mein teures Weib, und ihr, meine geliebtesten Kinder, ihr habt um meinetwegen viel ausgestanden. Aber ihr habt euch dabei auch sichtbar überzeugt, dass des Herrn Hand für euch stritt und trieb eure Feinde wie einen schlechten Spukgeist von dannen. Vertraut also fortan auf den Herrn; Er wird euch dann am nächsten sein, wenn eure Not am höchsten sein wird. Vergebt allen, die gegen uns und besonders euch hart waren; sie sind maschinenmäßige Werkzeuge einer blinden, herrschsüchtigen Polizeiamtsherrschaft und tun, ohne zu forschen und zu wissen, was sie tun. Der Herr allein soll ihr Richter sein!

[10.24] Ertragt euer Kreuz mit Geduld und sucht nie ein Glück dieser Welt; denn Glückskinder dieser Welt sind keine Gotteskinder, oder doch selten. Was herrlich ist in dieser Welt, das ist vor Gott ein Gräuel! Fürchtet euch vor nichts so sehr wie vor dem Weltglück, denn dieses ist zumeist das größte Unglück für den Geist.

[10.25] Seht, was hätte oder was möchte es mir genützt haben, so ich einer der reichsten Erdenbürger wäre? Nun am Rande meiner irdischen Laufbahn hätte ich nichts als den sicheren ewigen Tod vor mir. Aber wie ganz anders steht es nun mit mir! Der Tod hat seine Schrecken vollends ausgezogen; für mich gibt es keinen Tod mehr! Schon bin ich erlöst von all meinen irdischen Leiden, und vor mir steht schon weit geöffnet die herrliche Pforte in das Reich Gottes!

[10.26] Seht, mein Leib, dieser abgenützte Sattel der Seele zur Tragung des Gotteskreuzes, liegt nun schon kalt und tot auf dem harten Strohlager. Aber ich, Seele und Geist, der ich diesen nun toten, von mir abgefallenen Leib siebzig Jahre lang bewohnte, bin nun frei, lebe schon ein ewiges Leben und habe des Leibes Tod weder gesehen noch gefühlt; denn in einem mir kaum bewussten wunderbaren Augenblick bin ich von meiner beschwerlichen Last freigemacht worden. Befühlt den Leib und überzeugt euch, dass er schon völlig tot ist. (Das Weib und die Kinder befühlen den Leib und finden ihn kalt und hart und tot.) Und seht, ich lebe dennoch und rede mit euch, und viel vollkommener, als ich je geredet habe.

[10.27] Der Grund von dem aber ist, weil ich stets an Jesus, den Gekreuzigten glaubte, und handelte so viel es mir möglich war nach Seinen Geboten. Wie Er aber gelehrt hat im Tempel, dass nämlich die den Tod nicht sehen und schmecken werden, die Sein Wort annehmen und danach leben, so hat sich das an mir nun auch als ewig wahr bestätigt, denn ich habe den Leib abgelegt, ohne gefühlt zu haben, wie und wann.

[10.28] Kein Vermögen hinterließ ich euch, meine große irdische Armut ist euer aller Erbe! Aber freut euch darob! Wüssten die blinden Reichen der Erde, welch ein Reichtum für den Geist die irdische Armut ist, sie flöhen die Geldsäcke wie die Pest! Aber ihre große Blindheit hält das für einen Gewinn, was sie für ewig tötet. So lassen wir sie denn auch wandeln den Weg des Verderbens. Wollt ihr aber am Ende eurer irdischen Reise auch so glücklich sein, wie ich es nun bin, so flieht das Weltglück und sucht es nimmer!

[10.29] Glaubt es mir nun, dass ich nun schon vom Jenseits herüber mit euch rede und also sage: Je größer jemandes Kreuz ist und je schwerer zu tragen, desto leichter und unfühlbarer wird sein Übertritt von dieser Welt der Materie in die des Geistes sein. Denn alles, was Christo nachfolgt, muss den Weg des Kreuzes wandeln. Alles Fleisch muss mit Christo gekreuzigt werden und in Ihm sterben, ansonst es ewig zu keiner Erweckung und Auferstehung in Ihm und durch Ihn gelangen kann.

[10.30] Durch Armut, Not und andere Lebensbeschwernisse aber wird das Fleisch schon in Christo gekreuzigt und getötet; daher wird denn auch ein jeder, der so lebt, wie wir gelebt haben und ihr noch lebt, da, wo die Reichen am Ende ihres Erdenglücks ganz eigentlich sterben, – erweckt und wird am scheinbaren Sterbelager die schon volle Auferstehung zum ewigen Leben ernten! Denn der in den Willen des Herrn ergebene Arme stirbt beständig, und wann seine Zeit vollendet ist, da ist er auch schon mit allem Tod fertig und kann daher nicht mehr sterben, sondern nur auferstehen in Christo. Aber ganz anders ist es bei jenem Menschen, der in einem fort seinen Gelüsten gelebt hat. Solcher Mensch stirbt am Ziel seines Fleisches wirklich und vollkommen und kann jenseits nur schwer – aber auch wohl gar nicht und nimmer – erweckt werden.

[10.31] Das alles behaltet in euren Herzen und seid voll Freude, so euch die Welt verachtet und euch mit schimpflichen Namen belegt und euch verfolgt mit allerlei Waffen ihres argen Herzens. Denn der Herr beachtet die Argen allzeit und kennt ihre Pläne. Ich sage euch: Wenn ihr erstehen werdet, da wird sie zugrunde gehen. Darum sucht vor allem nur das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit; alles andere wird euch umsonst hinzugegeben werden.

[10.32] Freut euch daher nie über die Reichen dieser Welt, sondern bedauert sie vielmehr; denn sie alle sind überarm im Geiste. Aber desto mehr freut euch derjenigen, die wie ihr in allerlei Kreuz und Nöten sich befinden! Denn solche sterben täglich in Christo, um dann am Ende nicht mehr zu sterben, sondern aufzustehen zum ewigen Leben in Christo.

[10.33] Diese meine letzten Worte auf dieser Welt seien euer größter Reichtum, den ich euch hinterlasse; von diesem Erbe werdet ihr keine Steuern zu entrichten haben. Diesen meinen Leib schafft bald aus der Kammer, denn er ist vollkommen tot. Macht aber ja keine Zeremonien dabei, denn alle solche Zeremonien sind vor Gott ein Gräuel. Also dürft ihr auch keine Messe zahlen; denn Gott dem Herrn ekelt es vor einem bezahlten Gebet. Alles aber, was ihr tut, das sei ein lebendiges Lob dem Herrn, darum Er mir eine so große Gnade erwiesen hat. Ihm allein sei alle Ehre, alles Lob und alle unsere Liebe ewig. Amen.“

[10.34] Mit diesen Worten verstummt er für diese Welt und ist schon früher dem Leibe nach vollkommen tot.

[10.35] Alsogleich ersieht er neben sich drei überaus freundliche Männer in weißer Faltenkleidung stehen, die ihn gar lieblich begrüßen und ihm die Hände zum ewigen Bruderbund reichen. Gern und selig und aller irdischen Leiden vergessend reicht er ihnen auch die seinigen hin, sich noch über seinem irdischen Leib befindlich wie aufrecht sitzend und sagend: „O ihr lieben, mir noch völlig unbekannten Freunde des Herrn Jesu Christi, was ihr sicher seid! Volle sieben Dezennien, die ich über der harten Erde verlebte, habe ich wohl – irdisch genommen – wenig gute, aber dafür desto mehr kummervolle Tage verlebt, und die letzten waren wohl die bittersten, in diesen regnete es nur Schmerzen und tiefste Not über meine arme sündige Haut. Aber dem Herrn sei alles aufgeopfert und Ihm allein alles Lob und alle meine Liebe ewig dafür! Denn obschon ich wahrlich viel gelitten habe, so hat es dennoch nie an zeitweiligen Tröstungen gemangelt, die mich wieder im Herzen ganz aufgerichtet und all die körperlich tödlich-bittersten, grässlichen Schmerzen und Wunden des Leibes im Namen des Herrn verachten gelehrt haben. Und nun habe ich mit der großen Gnade, Hilfe und Erbarmung Gottes, des Herrn Jesu Christi, alles überstanden und erwarte eben in der Geduld, die mir oft auf Erden alle Leiden milderte, was des Herrn heiligster Wille über mich verfügen wird. Ihm allein sei alle meine Liebe und meine Anbetung gereicht. Sein allein heiliger Wille geschehe!“

[10.36] Spricht einer der drei weißen Männer: „Lieber Freund, was würdest du aber tun, so dich der Herr um Seiner großen Heiligkeit willen und deiner lässlichen Sünden wegen – und das nach deinem Glaubensbekenntnis – ins Fegfeuer so auf etwa eine unbestimmte Zeit beheißen würde, wo du übergroße Schmerzen leiden müsstest? Könntest du auch da noch unter den größten Feuerschmerzen den Herrn loben und preisen? Und könntest du Ihn noch lieben?“

[10.37] Spricht der Arme: „O du lieber Freund! Des Herrn endlose Heiligkeit fordert wohl die größte Reinheit jeder Seele, die Seiner Anschauung würdig werden soll, aber Seine ebenso unendliche Weisheit und Güte weiß es ja auch, wie viel Schmerz eine arme Seele ertragen kann, und wird sie daher nicht überbürden. Fordert aber alle Gerechtigkeit Seiner unendlichen Heiligkeit wegen solches von mir, so geschehe auch da Sein heiliger Wille; ich ersehe auch darin noch Seine große Liebe, die nur darum solche Reinigung der Seele verordnet, damit diese würdig werden möchte, zur Anschauung Gottes aufgenommen werden zu können.

[10.38] Ich sage dir, der Herr ist allzeit die reinste Liebe, somit endlos gut, und alles, was Er tut, ist gut. Daher geschehe nun ganz allein Sein allerheiligster Wille! Denn so ich auch um Schonung und Erbarmung flehen würde, so wäre das sicher nie so gut für mich, als was des Herrn höchste Weisheit und Liebe über mich verordnet und bestimmt. Darum sage ich ein für alle ewigen Male: Gelobt sei der Herr Jesus Christus, der da als einiger Herr-Gott mit dem Vater und heiligen Geist herrscht und regiert von Ewigkeit zu Ewigkeit! Sein allerheiligster Name werde gepriesen, und Sein heiligster Wille geschehe! Amen!“

[10.39] Spricht der Weiße: „Da hast du nun vollkommen recht und wahr gesprochen. Aber bedenke, dass du ohne Beichte und Kommunion gestorben bist, und könnte es da nicht leicht sein, dass, so du nun vor Christi Richterstuhl hintreten musst, eine Todsünde an dir gefunden würde und du im Stand der Ungnade – nach der Lehre deiner Kirche – in die Hölle auf ewig fahren müsstest? Wie würdest du da den Herrn loben und preisen?“

[10.40] Spricht der Arme: „Freunde, was ich tun konnte, das habe ich sicher getan. Dass ich am Ende nicht beichten konnte, war ja nicht meine Schuld. Und vor drei Wochen habe ich ohnehin gebeichtet, wo mir der Beichtvater versicherte, dass ich nun lange nicht mehr der Beichte bedürfe. O Freunde, so ich aber dennoch eine mir unbewusste Todsünde an mir haben sollte, da bittet ihr den Herrn für mich armen Sünder, dass Er mir gnädig und barmherzig sein möchte; denn in die Hölle zu kommen auf ein leidenvolles irdisches Leben, wäre wohl das Allerschrecklichste! O Herr, Dein Wille geschehe wohl, aber sei mir armen sündigen Seele dennoch gnädig und barmherzig!“

[10.41] Spricht der weiße Mann wieder: „Ja – lieber Freund, mit unserer Fürbitte, im Falle du eine Todsünde an dir hättest, würde sich’s vielleicht doch nicht tun. Denn du weißt es ja aus der Lehre deiner Kirche, dass bei Gott nach dem Tod kein Erbarmen stattfinden kann wegen Seiner allervollkommenst strengsten und unwandelbarsten Gerechtigkeit. Zudem hast du auf der Welt aber ja ohnehin nie auf die Fürbitte der Heiligen, sowie auf das Messopfer stets wenig und am Ende sozusagen gar nichts mehr gehalten, wodurch du gegen deine Kirche ohne alle Widerrede als Ketzer dich benommen hast und in ihrem Angesicht zu einem größten Sünder wurdest. Wenn wir da nun auch bei Gott bitten würden, meinst du wohl, dass dir unsere Fürbitte etwas nützen möchte? Warum hast du denn auf die Litaneien der Kirchen und auf ihre Seelenmessen – deinem eigenen letzten Bekenntnis nach – nichts gehalten, da du deinen Hinterlassenen die Lehre gabst, dass vor Gott bezahlte Gebete ein Gräuel sind, darum sie für dich keine Messe zahlen sollen? Da sich aber dies alles bei dir doch so verhält, wie sollen wir für dich bei Gott bitten? Was meinst du nun in dieser Hinsicht? Wird oder kann dir das wohl etwas nützen bei Gott?“

[10.42] Spricht der Arme voll Geist und tiefer Fassung: „Freunde, wer ihr auch sein mögt, das ist mir gleich; mehr als Gottes Geschöpfe seid ihr nicht, und das – Gott dem Herrn ewig Dank und Liebe! – bin auch ich und glaube, mit euch ebenso frei reden zu dürfen, wie ihr mit mir redet.

[10.43] Ich war auf der Welt wohl sehr arm und elend; aber ich konnte lesen, etwas schreiben und ziemlich gut rechnen. Sonn- und Feiertage habe ich meistens mit dem aufmerksamsten Lesen und Betrachten der Heiligen Schrift zugebracht. Je mehr ich mich darin zurechtfand, desto klarer wurde es mir, dass die römisch-katholische Kirche gerade das schroffste Gegenteil von dem tut und getan haben will, was Christus und die Apostel laut den vier Evangelien und Briefen der Apostel gelehrt und selbst getan haben. In einem Brief des Apostels Paulus fand ich sogar die Donnerstelle: ‚Und so ein Engel aus dem Himmel käme und lehrte euch ein anderes Evangelium, als das ich euch verkünde, nämlich das von Jesu dem Gekreuzigten, der sei verflucht!‘ (Gal. 1,8)

[10.44] Diese Sentenz fuhr mir wie tausend Blitze durch die ganze Seele, und ich dachte und fragte mich: Wie steht es denn bei sogestalteten Worten des Apostels mit der Lehre Roms, die das Wort Gottes nicht nur nicht lehrt und es allen Laien verbietet zu lesen, sondern lehrt ganz andere Dinge, die ganz dem finsteren Heidentum gleichen? Wem soll ich nun glauben?

[10.45] Eine innerste Stimme sprach nahe ganz laut zu mir: ‚Glaube dem Wort Gottes!‘ Und ich tat, wie die innere Stimme es ausgesprochen hatte.

[10.46] Mir wurde von Tag zu Tag klarer, dass ich recht tat, dass die Lehre Christi reines und allein wahrstes Wort Gottes ist, in der allein alles Heil und das ewige Leben zu suchen und zu finden ist.

[10.47] Gott aber ist unveränderlich. Wie Er war, so wird Er auch bleiben der eine endlos vollkommenste ewige Geist der reinsten Liebe. Wie könnte Er die Kirche in Rom gegründet haben, die nichts als Hass und Verfolgung, Verderben, Tod und Hölle predigt? ‚Nein, ewig nein!‘, sprach es in mir, ‚wer da richtet und verdammt seine Brüder, der ist selbst gerichtet und verdammt; also richte und verdamme denn auch du niemanden, so wirst du auch nicht gerichtet werden!‘ So vernahm ich‘s, und so handelte ich auch. Wohl sah ich stets heller, wie Roms Pfaffen mit dem Herrn im Geiste es noch tausendmal ärger trieben als jene, die Ihn einst wirklich dem Leibe nach kreuzigten; aber ich richtete sie dennoch nie, sondern sprach allzeit in meinem Herzen: Herr, vergib ihnen, denn sie alle sind stockblind und wissen nicht, was sie tun!

[10.48] Ich sah und begriff des Herrn endlose Liebe stets mehr und mehr. Daher wuchs aber auch meine Liebe so mächtig in mir zu Ihm, dass alle meine irdischen Leiden sie nicht im Geringsten zu schmälern vermochten, sondern stärkten sie nur stets mehr und mehr! Und so sage ich euch nun ganz frei und unverhohlen: Christus ist meine Liebe und mein Leben auch in der Hölle, wenn ich schon von euch aus dahin verdammt sein soll; auch die Hölle wird Ihn mir nimmer rauben können.

[10.49] Wohl weiß ich, dass ich vor Gott als ein unwürdigster Sünder dastehe, und bin nicht würdig, meine Augen dahin zu erheben, wo Er, der Allerheiligste, wohnt! Aber sagt es mir, wo in der weiten Unendlichkeit Gottes wohnt wohl ein Engel oder ein Mensch, der da sein könnte gleich dem Herrn! Wer aus euch kann mich einer Sünde zeihen? Wahrlich, es ist mir seliger zu sagen: ‚Herr, ich bin der Allerunwürdigste!‘ als: ‚Ich bin Deiner Gnade der Würdigste!‘ Ich wie auch sicher ihr können nur sagen – und so wir auch alles getan hätten, was Er zu tun uns geboten hat –: ‚Herr, wir alle sind Deine unnützen Knechte gewesen und haben uns durch nichts Deiner Gnade würdig gemacht. O Herr und Vater, sei uns daher Deines alleinigen endlosen Verdienstes um uns Unwürdigste wegen gnädig und barmherzig!‘

[10.50] Dies zu sagen und zu bitten haben wir allein das Recht; alles was darüber ist, das halte ich für eine eigentlichste Todsünde, zeitlich wie ewig. Nun werdet ihr hoffentlich begreifen, warum ich auf die Litanei und auf die bezahlten Gebete nichts gehalten habe. Aber für eine wahre Fürbitte nach der Wahrheit und Liebe des Herzens von Seiten eines Bruders für den anderen war ich allzeit eingenommen und bat also aus dem Grunde euch darum. Ihr aber könnt tun, was ihr wollt. In allem aber geschehe des Herrn heiligster Wille ewig!“

[10.51] Spricht derselbe Weiße wieder (innerlich ganz entzückt über diesen neuen herrlichen Bruder): „Lieber Bruder, wir sehen deinen wahren Ernst, Mut und Eifer um den Herrn, der wahrlich wie ein Fels dasteht. Aber frage dein Herz, ob du dich auch vor dem Angesicht des Herrn also zu reden getrauen würdest?“

[10.52] Spricht der Arme: „Da könnte nur meine übergroße Liebe zu Ihm mir wohl die Zunge, aber nie meinen Mut lähmen. Und wahrlich, es gehört gar nicht viel Mut dazu, zu bekennen vor Gott Selbst, dass man allerwahrst vor Ihm sich als ein nutzlosester und somit Seiner Gnade und Erbarmung bedürftigster Knecht anpreist. O ich habe Christus noch nie im eigentlichen Sinne gefürchtet; denn Ich liebte Ihn zu sehr, als dass ich mich vor Ihm hätte fürchten können. Nun sagt mir, ob ich noch lange hier verbleiben werde oder nicht. Ich möchte wohl schon recht sehr bestimmt wissen, wohin ich mich werde zu begeben haben!

[10.53] Spricht der weiße Mann: „Nur noch eine kleine Geduld, wir müssen nur noch jemanden deinetwegen erwarten. Sobald der ankommen wird, vom Herrn dein Urteil überbringend, dann wirst du sogleich dieser Stelle enthoben werden und wirst dahin ziehen, wohin es der Wille Gottes bestimmen wird. Siehe, dort vom Morgen her kommt er schon; bald wird er hier sein! Hast du keine Furcht vor ihm, der da kommt im Namen des Herrn?“

[10.54] Spricht der Arme: „O nein! So ich den Herrn Selbst über alles liebe, wie soll ich den fürchten, den Er zu mir sendet?“

[10.55] Spricht der weiße Mann: „Weißt du, lieber Bruder, aber, dass selbst der Gerechteste des Tages siebenmal sündigt, ohne zu wissen, dass er sündigt? Wenn du nun alle Tage zusammenzählst, von deinen zurechnungsfähigen Jahren angefangen, und sie mit sieben vervielfältigst, da dürfte doch eine ganz bedeutende Menge von Todsünden zusammenkommen, besonders angenommen, dass – nach Ignatius von Loyola – vier kleine auch eine große ausmachen! Und wenn der Bote mit einer solchen Rechnung zuwege käme, würdest du dich auch dann nicht fürchten vor dem Boten des Herrn?“

[10.56] Spricht der gewesene arme Mann: „Nein, und noch einmal gesagt: durchaus nein! Ich muss euch, meine lieben Freunde, offen gestehen, dass es mich geradewegs freuen würde, als ein recht großer Sünder befunden zu werden, denn mich erhebt die Sünde nicht, sondern sie demütigt mich, und das ist gut und recht. Ich habe das gar oft auf der Welt empfunden, so ich eine freilich kurze Zeit mir öfter keiner Sünde bewusst war, was bei mir besonders nach einer Beichte der Fall war, in solch einem Zustand war ich bei mir selbst ganz hochmütig aus purer sittlicher vermeinter Unbescholtenheit und sagte heimlich bei mir, so ich irgendeinem rechten Lumpen von einem Menschen begegnete: Gottlob, dass ich nicht so bin wie dieser, Gottes und jedes Menschenrechtes vergessende Kerl!

[10.57] Aber wenn ich bald darauf selbst wieder in irgendeine Sünde verfiel, da dachte ich denn in aller Zerknirschung meines Herzens, so mir ein anderer Sünder unterkam: Schau diesen, den du für einen schlechten Kerl hältst, ist vielleicht bei Gott bei weitem reiner als du. Daher sei Du, o Gott, mir armem Sünder gnädig und barmherzig! Denn ich fühle mich nun nicht einmal würdig, meine Augen zu Deinen Himmeln zu erheben! – Und das, Freunde, war sicher besser gedacht und eines allseitigen Sünders würdiger, als zu denken und bei sich zu sagen: Herr! Ich bin ein Reiner und habe alle Gesetze beobachtet von Kindheit an, daher ich denn auch mit vollem Recht von Dir die verheißene Belohnung erwarte!

[10.58] Freunde, ich weiß aber, dass ich vor Gott ein sündiger Mensch bin. Daher bin ich auch nur demütig und erhoffe von Ihm nichts von irgendeinem Verdienst, sondern alles von Seiner alleinigen Gnade und Erbarmung.

[10.59] Ich weiß auch wirklich nicht, was sich Geschöpfe vor dem allmächtigen Gott, der allein alles vermag und unserer Hilfe noch nie benötigt hat, für so lohnswerte Verdienste hätten sammeln können?! Haben sie etwa Gott, dem Herrn, Himmel und Erde erschaffen helfen oder die Erlösung vollbringen? Oder hat etwa jemand dadurch Gott, dem Alleinheiligen, etwas genützt, so er zu seinem eigenen Besten die vom Herrn gegebenen Gesetze mehr oder weniger beobachtet hat? Ich meine, Gott wäre ohne uns ebenso vollkommen Gott, wie Er nun ist, da wir doch nur bestimmt sind, in uns aufzunehmen Seine endlose Gnade, Erbarmung und Liebe, und nicht, Ihm etwa sonstige, ewig unbenötigte Dienste zu leisten.

[10.60] Seht, so habe ich allzeit gedacht, denke nun auch so und werde auch ewig also denken, vorausgesetzt, dass mir ein ewiges Dasein fortan zuteilwird! Aus diesem Grunde sehe ich auch nicht ein, warum ich mich vor dem Boten des Herrn fürchten soll, weil ich doch keinen Grund finden kann, mich vor dem Herrn Selbst zu fürchten. Ja, ich fürchte wohl auch den Herrn, aber nicht wie ein Verbrecher, sondern als ein Liebender, der sich viel zu sündig und unwürdig fühlt, den Herrn mit seinem unreinen Herzen zu lieben nach all seiner Lebenskraft! Was meint ihr lieben Freunde, habe ich recht oder nicht?“

[10.61] Spricht der Weiße: „Wir sehen es nun ganz klar ein, dass du dich von uns nimmer willst bekehren lassen; deshalb wollen wir dir auch keine weitere Ungelegenheit mehr machen, und lassen alles dem hier Kommenden über. Siehe, er ist schon da!“

[10.62] Der Bote tritt sogleich überfreundlichen Angesichts zum armen Mann hin, reicht ihm freundlichst die Hand und spricht: „Erhebe dich, lieber Bruder, über deine sterblichen Reste und erstehe zum ewigen Leben in deinem Gott und Herrn, den du in Jesu Christo stets so innig geliebt hast!“

[10.63] Der Arme erhebt sich nun sogleich wie vollkommen frei und mit großer Kraft und Stärke erfüllt und spricht zum Boten, der sehr einfach und schlicht aussieht: „Erhabener Gesandter des allmächtigen und großen Gottes! Ein unbegreifliches Wonnegefühl durchzuckte mein ganzes Wesen, als du mir die Hand reichtest; das gilt mir auch als ein sicherster Beweis, dass du wahrhaft ein Bote vom Allerhöchsten an mich armen Sünder gesandt bist. Da du das nicht nur nach der Vorsage dieser drei Brüder, die mir eine große Angst und Furcht vor dir eintreiben wollten, sondern auch nach meinem nunmaligen eigenen untrüglichen Gefühl wahrhaft bist, o so sage es mir nun gütigst, was ich von dem allergerechtesten Richterstuhl Gottes zu erwarten habe? Verdienste habe ich wohl keine, wie ich auch ewig keine haben werde; aber da ich es fühle, dass ich vor Gott sicher ein grober und großer Sünder bin, so sage es mir, ob ich Gnade und Erbarmung hoffen darf?“

[10.64] Spricht der Bote: „Lieber Bruder, wie kannst du nun solches sagen, dein Herz ist voll von Liebe zum Herrn, das ist ja schon der Herr Jesus, der allein Gott ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, in dir! Wer aber Jesus im Herzen hat, wie sollte der danach fragen, ob er Gnade und Erbarmung von Ihm erhoffen darf? Ich sage dir: Du bist nun schon selig und wirst ewig von keinem Gericht etwas an dir zu gewahren haben. Komme nun mit mir vor deinen Gott, vor deinen liebevollsten heiligen Vater und empfange dort, was allen denen in aller Fülle bereitet ist, die Ihn wie du in aller Wahrheit über alles lieben!“

[10.65] Spricht der Arme: „O erhabener Bote Gottes! Vergib es mir, dahin kann ich dir nicht folgen! Denn solcher Gnaden bin ich ewig nicht wert! Bringe mich aber so wohin, in ein ruhiges Örtel [Örtchen], wo so meinesgleichen verdienstlose, allergeringste Selige wohnen mit der Hoffnung, den Herrn Jesus nur alle irdischen hundert Jahre einmal von ferne zu Gesicht zu bekommen, und ich werde da so selig sein wie die allerreinsten Engel! Auch könnte ich es gar nicht aushalten, so der Herr Jesus mir zu nahe käme; denn meine zu große und mächtige Liebe zu Ihm würde mich ja ganz zerreißen, so ich zu Ihm käme! Daher tue mir das, um das ich dich aus der gegründetsten Zerknirschung des Herzens gebeten habe.“

[10.66] Spricht der Bote: „Mein teuerster Bruder, das kann nicht sein; siehe, der Herr will es also! Wenn ich es aber in der allernächsten Nähe des Herrn aushalten kann, da wirst du es schon auch können. Daher komme nur mit mir und scheue dich nicht im Geringsten! Ich sage dir, wir beide werden uns vor dem Herrn schon zurechtfinden.“

[10.67] Spricht der Arme: „Ja nun, in Gottes Namen, wenn du es also meinst, da will ich es freilich also wagen! Aber sage mir, warum sehen uns beide nun diese drei weißgekleideten Brüder gar so bis in ihr Innerstes ergriffen und entzückt an? Sehen die schon irgendwo den Herrn?“

[10.68] Spricht der Bote: „Kann wohl sein; aber sie haben auch heimlich eine übergroße Freude über dich, wie über jeden, der mit solcher Liebe wie du hierher kommt. Siehe dort gegen Morgen, wo sich ein sanftes Gebirge erhebt, über das ein herrliches Morgenrot leuchtet, dort hinüber geht unser Weg, den wir gar leicht und recht bald werden zurückgelegt haben. Von jener Höhe wirst du dann sogleich das neue Jerusalem, die ewige Stadt Gottes, vor dir schauen, in der du wohnen wirst ewiglich!“

[10.69] Spricht der Arme: „Ah, Bruder, wie herrlich, wie rein göttlich strahlt doch dies herrliche Morgenlicht, welch herrliches Gewölk! Und nur die herrlichen Matten und Bäumchen! O du, du unbegreiflich schöne Himmelswelt! Was sind dagegen alle Herrlichkeiten der Erde? Aber ich sehe nun ja auch große Scharen uns entgegenziehen und vernehme auch überhimmlisch herrliche Lieder! O welch eine Harmonie! Wer kann ihren unermesslichen Wohlklang ermessen!? Wie mächtig doch glänzen sie, die uns entgegenziehen! Wie werde ich mich in dieser meiner sehr irdisch aussehenden Kleidung unter ihnen ausnehmen?!

[10.70] O Gott, o Gott, es ist wahrlich kaum mehr auszuhalten! Siehe, siehe, sie kommen uns schon ganz nahe, und nun, nun – was ist denn das? Sie fallen ja wie vor uns nieder auf ihre Knie und Angesichter und scheinen ganz zerknirscht zu sein!? Vielleicht kommt schon etwa gar der Herr Selbst irgendwo von rückwärts her zu dieser Schar? O sage mir doch, was das zu bedeuten hat!“

[10.71] Spricht der Bote: „Es wird wohl so etwas sein. Wir werden es sogleich selbst sehen, was da ist. Nur noch eine kleine Geduld, in wenigen Schritten sind wir oben und werden sehen, was es da gibt.“

[10.72] Spricht der Arme: „O du mein erhabenster Freund, es wird mir ganz absonderlich zumute! Denke dir’s nur, wie es unsereins gehen kann und wie zumute sein – den Herrn Himmels und der Erden, den Herrn über Leben und über allen Tod zum ersten Mal zu sehen! O Freund, ich bebe vor Furcht und vor Sehnsucht und vor freudig banger Erwartung der Dinge, die da uns entgegenkommen werden. Wahrlich, nur wenige Schritte mehr und die Höhe ist erreicht. Ah, ah, was werde ich alles schauen!

[10.73] O Freund, fürchtest du dich denn nicht vor Gott, wenn Er vielleicht öfter dir irgendwo entgegenkommt bei ähnlichen Gelegenheiten? Ist das dir schon zur Gewohnheit geworden, dass du dir daraus eben nicht viel machst, so dir solche Dinge vorkommen? Und doch merke ich es an diesen Scharen, wie auch an den drei uns nachfolgenden Brüdern, dass sie nicht minder als ich ergriffen sind, und du bist so ganz gleichgültig und hast eine Miene, als wenn alles, was hier vorgeht, etwas ganz Unbedeutendes wäre. O sage mir, wie denn das zu fassen ist und wie zu nehmen? Soll ich, was mir rein unmöglich wäre, mich etwa auch so wie du verhalten?“

[10.74] Spricht der Bote: „Mein liebster Bruder, du wirst es bald einsehen, warum ich mich vor Gott nicht fürchte, und warum ich nicht also tue wie unsere drei Begleiter, nicht wie du und auch nicht wie diese Scharen. Es ist aber auch besser, so du dich nun so benimmst, wie ich mich benehme; denn du wirst dich bald selbst überzeugen, dass deine Furcht rein eitel ist. Denn ich sage dir, der Herr verlangt das alles nicht; aber so die Kinder vor dem Vater also ihre innigste Liebe und Demut bezeugen, so fehlen sie gerade auch nicht.

[10.75] Aber ich weiß es, dass du ehedem gegenüber den dreien, die dich zuerst begrüßten, ganz furchtlos und unerschrocken warst, was mir sehr gefiel, obschon sie sehr bemüht waren, dir einige Furcht einzujagen. Wie ist es denn, dass du nun so furchtsam wirst?“

[10.76] Spricht der Arme: „Ja, da hatte ich noch keine Ahnung von solch endlosester Erhabenheit Gottes und Seiner heiligen Himmel; aber nun habe ich es vor Augen, was ich mir ehedem kaum zu denken getraute. Da ist es nun aber auch ganz anders. Wie muss doch Gott aussehen, dass diese gar so sehr niederschaudern, sicher vor übergroßer heiliger Ehrfurcht vor Gott, dem Unendlichen, vor Gott, dem Allmächtigen! Wird mein doch sehr blödes und lichtungewohntes Auge Gottes Angesicht wohl zu schauen imstande sein?!“

[10.77] Spricht der Bote: „Nun ja, liebster Bruder, es wird sich alles machen. Bist du bisher nicht blind geworden, so wird es sich fürderhin auch machen. Sei nun nur ruhig; siehe, wir sind nun schon auf der Höhe, und dort wie am Horizont, über dem du jene Sonne Gottes erschaust, deren Licht alle Himmel und aller Menschen und Engel Herzen erleuchtet, ersiehst du auch schon die heilige Stadt Gottes, in der du, und zwar bei Mir, ewig wohnen wirst. Gehen wir nun nur recht hurtig darauf los, und wir werden bald dort sein.“

[10.78] Der arme Mann macht nun große Augen und weiß sich vor Verwunderung kaum zu helfen; nur begreift er noch nicht, warum er hier noch keinen Grund erschaut, aus dem die Scharen gar so zerknirscht sich erheben und uns nun nebst den dreien nachfolgen und in einem fort die herrlichsten Psalmen zu Gottes Ehre in der allerwohlklingendsten Weise singen.

[10.79] Nach einer Weile stummer, seligster Betrachtung dieser Himmelsgegend, die mit nichts Irdischem zu vergleichen ist, fragt er wieder, sagend: „O liebster Freund und Bruder! Sage mir doch, wo sehen denn die uns Nachfolgenden Gott den Herrn, da sie doch geradeso singen, als wäre Er mitten unter ihnen? Ich schaue links und rechts, vor- und rückwärts, aber ich kann nichts erschauen, das mich an Gott gemahnen möchte. Sind denn meine Augen noch zu blöde oder noch unwürdig, das allerheiligste Antlitz Gottes zu schauen? Wahrscheinlich wird wohl für ewig das Letztere der Fall sein. Im Grunde ist’s mir aber auch lieber, aufrichtig gesagt; denn ich fühle es, und Gott wird es am besten wissen und sehen, dass ich Sein heiligstes Antlitz nicht ertragen würde. O ich bin schon überselig, dass ich all das Himmlische an deiner Seite ersehe; ich aber möchte Ihn doch sehen, Ihn, den ich so mächtigst liebe; aber freilich nur hauptsächlich, in der Wahrheit gesprochen, in der Person des Herrn Jesu Christi. O wenn ich nur einmal den lieben, liebsten, ja den allerliebsten Herrn Jesus sehen könnte, da wäre ich schon der allerseligste und allerglücklichste Mensch aller Himmel!“

[10.80] Spricht der Bote: „Ich sage dir, sei nur ruhig; du wirst dich bald überzeugen, dass du Jesus eher sehen wirst, als du es dir denkst. Ja, Ich sage es dir, du siehst Ihn eigentlich schon, nur erkennst du Ihn noch nicht! Darum sei nur ruhig.“

[10.81] Der arme Mann sieht sich nun wieder fleißig nach allen Seiten um, wo er Jesus zu sehen bekäme; aber er ersieht noch niemanden, den er für Jesus halten könnte. Er wendet sich daher wieder an den Boten und spricht: „Es ist doch merkwürdig! Du sagtest, ich sehe Ihn schon, nur erkennte ich Ihn noch nicht. Ich habe jetzt doch fleißig mit meinen Augen alle durchmustert, die uns nachfolgen; aber unter ihnen kann Er nicht sein, denn sie scheinen bis in ihr Innerstes zerknirscht zu sein und ergriffen von tiefster Ehrfurcht, und alle loben und preisen wie mit einem Munde Jesus, den Herrn von Ewigkeit. Die drei weißgekleideten Männer tun desgleichen, und so ist nach meinen Gedanken wohl schwer anzunehmen, dass sich der Herr Jesus Jehova unter ihnen sichtlich befände. Und doch sagtest du, dass ich Ihn sähe. Oh, ich bitte dich, sage es mir doch, wie und wo ich Ihn denn so ganz eigentlich sehe?“

[10.82] Spricht der Bote: „Siehe hin zur Gottesstadt, der wir nun schon ganz nahe sind; in der wird dir alles klar werden. Wir wandeln jetzt schon gegen die äußeren Wallmauern und werden sonach bald in der heiligen Stadt selbst sein, und es werden dir darinnen erst die Augen vollends aufgehen – und das ungefähr auf die Art wie den zwei nach Emmaus wandelnden Jüngern. Daher sei nur ruhig, denn das muss hier alles so sein und geschehen, auf dass niemandes Heil und Leben und Freiheit irgendeinen Schaden erleide. Wie gefällt dir aber diese Stadt nun, in die wir soeben einziehen?“

[10.83] Spricht der Arme: „O Freund, wo nähme ich Worte her, um die endlose Pracht und Majestät dieser Stadt zu beschreiben! Welche zahllose Menge von den allergrößten und herrlichsten Palästen! Und alle scheinen voll bewohnt zu sein! O Gott, dieser Glanz, diese Pracht, diese unendliche Majestät! Die Schönheit ist wohl unaussprechlich; das fasst und begreift wohl keines Menschen Sinn! Aber nur frage ich, da wir einmal in dieser Stadt sind: Wo ist nun Emmaus, und wo der Sich vor meinen Augen noch immer nicht zeigen wollende Herr Jesus?“

[10.84] Spricht der Bote: „Siehe hier das große Haus, vor dem wir nun stehen, aus dessen strahlenden Fenstern und äußeren Galerien uns zahllose Brüder und Schwestern begrüßen, das ist das wahre ewige Emmaus! In diesem wirst du von nun an wohnen ewiglich! Und da wir nun schon vor Emmaus stehen, das du nun gar wohl siehst, so wende dich nun auch zu Mir und betrachte Mich, da wirst du auch Den erkennen, nach Dem du eine gar so große Sehnsucht und Liebe in deinem Herzen trägst!“

[10.85] Der Arme sieht nun den Boten, der Ich Selbst bin, recht fest an und erkennt nun augenblicklich Mich Selbst im Boten, fällt sogleich jählings auf seine Knie nieder und spricht: „O Du mein Herr und mein Gott! Also Du Selbst warst der Bote! O Du endloseste Liebe! Wie, wie, wie hast Du Selbst Dich denn so tief herabwürdigen können, mir, einem ärmsten Sünder, solch eine Gnade zu erweisen!“

[10.86] Nach diesen Worten verstummt er vor heiligster Entzückung und wird also in Meines Hauses Wohnungen eingeführt.

[10.87] Das weitere seligste Verhältnis dieses Mannes könnt ihr leicht von selbst denken sowie dessen ewige liebtätige Bestimmung. Daher wollen wir damit diese Szene auch beenden und dafür zu einer anderen übergehen. Amen.

Am 27. November 1848

[Eigenes Buch, siehe hier unter „Bücher und Schriften]

Die jenseitige Reise und Läuterung der Seele des Revolutionärs Robert Blum nach seinem Tod. Das Werk schildert eindrucksvoll die geistigen Prüfungen, die er durchläuft, und seine schrittweise Erkenntnis der göttlichen Liebe.

Das Wiedersehen im großen Jenseits

Am 31. Mai 1852

[12.1] Bei gar sehr vielen Menschen, die sonst Kopf und Herz am rechten Fleck haben, besteht, so sie eben nicht gar so glaubensstark sind, noch gleichfort die verhängnisvolle Frage: ob es nach diesem kurzen irdischen Leben noch ein und „wie“ gestaltetes Leben gibt, und ob der Mensch sich als das, was er hier war, erkennen wird? Ferner, ob ihm das hiesige Bewusstsein und die volle Rückerinnerung an all seine irdischen Zustände bleiben oder ob das Bewusstsein samt der Rückerinnerung vielmehr dem im Traum gleichen wird, wo der träumende Mensch sich wohl als derselbe, wie und was er im wachen Erdenleben ist, erkennt und sich seiner Subjektivität, nur unter immer ganz neuen Lebensverhältnissen, klar bewusst ist, wo aber alle objektiven diesseitigen Lebensverhältnisse bis auf weniges tief im Gemüt Haftendes – wie etwa die nächsten Verwandten und sehr oft gesehene, lebhaft besprochene und als heimatlich bewohnte Orte, und selbst diese nahe allzeit unter fremden Verhältnissen und Gestaltungen – nahe alles Dasein verlieren. Und gibt es dort im großen Jenseits unter solchen etwa einem hellen Traum sehr ähnlichen geistigen Lebensverhältnissen ein sich gegenseitig wohl erkennendes Wiedersehen?

[12.2] Und Ich, der Herr, sage und antworte auf diese umfassende Frage mit: Ja, so und so! Je nachdem der Mensch dies irdische Probeleben mehr oder weniger vollkommen nach Meiner allen Menschen geoffenbarten Ordnung durchlebt hat.

[12.3] Wer es hier schon, was jedem leicht möglich ist, zur wahren und vollen Wiedergeburt seines Geistes gebracht hat und als ein Vollwiedergeborener hier also lebt, dass ihm die Geisterwelt mit all ihren Verhältnissen und auch in ihrer einfließend entsprechenden Wirkung auf die materielle Welt so wie die materielle Welt völlig klar erschaulich ist, bei dem kann die Ablegung seines ohnehin keines lebendigen Bewusstseins und irgendeiner Erinnerung fähigen Leibes unmöglich irgendeine Veränderung in seinem Denken, Wollen, Erinnern und lebendigsten subjektiven und objektiven Bewusstsein bewerkstelligen.

[12.4] Denn so das Leben und alle seine Ein- und Auswirkungen schon diesseits ganz in den ewig gleichfort im höchsten und reinsten Selbstbewusstsein sich befindenden Geist übergegangen ist, der über alle Materie ewig erhaben ist und diese nur als ein auf eine bestimmte Zeit fixierter Gedanke oder als festgehaltene Idee in ein wie nach außen hin erscheinliches Sein tritt, so meine Ich, dürfte es wohl für jeden nur etwas heller Denkenden mit Händen zu greifen sein – zumal ihm dafür noch tausend Beweise aus dem Leben der Somnambulen und vieler Seher und Propheten zur Einsicht zu Gebote stehen –, dass das rein geistige Leben jenseits ein viel helleres, sich seiner selbst und aller anderen subjektiven und objektiven Vorgänge, Zustände und Verhältnisse des Lebens ein um ebenso viel reiner bewussteres sein muss, als um wie viel der Geist über alle Materie – die, wie gezeigt, nichts als ein fixierter Ausdruck seiner Gedanken und Ideen ist – für ewig steht als selbst Licht, Leben, Kraft und vollstes Bewusstsein in sich.

[12.5] Weil aber nicht nur ein, sondern alle nach Meiner Ordnung lebenden Menschen in ein gleiches allervollkommenstes Leben übergehen, so ist die Frage ob des einstigen Wiedersehens eine eitle. Denn so die Menschen in diesem unvollkommenen Puppenleben schon die Fähigkeit des sich Wiedererkennens und natürlichen Wiedersehens besitzen, die sie doch nicht abstreiten oder bezweifeln können, so werden sie diese Fähigkeit wohl umso mehr im vollkommensten, rein geistigen Leben besitzen, wo ihr ganzes Wesen der unvergängliche Ausdruck und das Grundprinzip alles Lebens und aller Verhältnisse und Vorkommnisse desselben ist! Auf dieser Welt erkennt ja auch durch den Leib hindurch die Seele durch den Geist in ihr die ihr bekannten und verwandten Menschen, kann sich anderen befreundet und vollends verwandt machen und erkennt sie dann als solche der Gestalt und dem Charakter nach allzeit wieder. So aber solches die Seele und der Geist vermag durch all die tausend Kerkerwände des in sich selbst toten Leibes, um wie viel mehr wird sie solches in ihrem völlig freien Zustand vermögen, wie solches schon an sehr vielen Somnambulen nur zu oft beobachtet worden ist, die mit festverschlossenen Augen nicht nur ihre Umgebung oft bis auf den innersten Lebensgrund, sondern auch die in fernen Landen sich irgendwo befindenden Menschen, um die sie befragt wurden, mit allen ihren Zuständen und Verhältnissen geschwind und überaus wohl erkannten! Und doch ist die Seele einer noch so hellen Somnambule noch bei weitem nicht in dem freien Zustand, wie eine sogar noch mehr unvollkommene Seele nach dem Abfall ihres Leibes!

[12.6] Dass unvollkommene Seelen sich nach ihrem Freiwerden vom Leib nur zu bald mehr und mehr verfinstern, das liegt in ihrem bösen Willen. Solche Seelen sehen dann freilich von der Welt nichts mehr, was sehr notwendig ist, da sie in einem sehenden Zustand der Welt und namentlich denen, die sie zu ihren Feinden rechneten, einen zu bedeutenden Schaden zufügen würden. Solche Seelen und respektive Geister sehen dann nur das, was sich aus ihrer Phantasie gleich einer niedersten Traumwelt entwickelt. In solcher Phantasiewelt verharren solche Seelen dann oft Hunderte von Jahren, sehen die stets neu ankommenden Seelen, wenn sie auch auf der Erde ihre nächsten Verwandten waren und diese sie sogleich ersehen, nicht. Sie sehen nur ihre lang andauernde Phantasiewelt und sind daher nur den Engeln durch pure Entsprechungen, die die Engel in die Phantasiewelt solcher blinden Seelen hineinzuschieben imstande sind, zur Belehrung zugänglich.

[12.7] Wenn sie Belehrung und dadurch eine Besserung ihres Willens annehmen, so verschwindet nach und nach ihre Phantasiewelt, und sie kommen dann stets mehr und mehr zum wahren Licht und zur Anschauung all des Daseienden und somit zum Wiedersehen ihrer Verwandten und Freunde. Sie erkennen sie dann als solche auch gar bald wieder und haben eine rechte Freude an ihnen.

[12.8] Bessern sie sich aber nicht, so bleiben sie in ihrer stets ärger werdenden Traumwelt lange Zeiten der Zeiten. Und da ist dann vom erfreulichen Wiedersehen und Wiedererkennen keine Rede. So wenig irgendein materieller Mensch in einem sehr materievollen Traum sich irgend seiner Außenverhältnisse und Lebenszustände erinnern kann, sondern nur das schaut, was ihm seine Phantasie als plastisch vorgaukelt, ebenso wenig und eigentlich noch bei weitem weniger kann eine finstere Seele sich jenseits irgend an etwas erinnern oder etwas erkennen in ihrem Traumkreis, in dem sie sich nie tätig, sondern allzeit nur leidend befindet und sich daher aus sich selbst auch eine nahe ewig andauernde Zeit, nach dem Maß dieser Erde genommen, nimmer frei machen kann!

[12.9] Wer hier nicht wenigstens zur Hälfte im Geist wiedergeboren wird, kommt jenseits mehr oder weniger in den oben bezeichneten Zustand und kann sich selbst darin ebenso wenig helfen wie der Embryo im Mutterleib, dessen Regen und Bewegen von dem notwendigen äußeren Zustand der Mutter abhängt. Aber es waltet dennoch eine ganz eigene Bewandtnis bei solchen Seelen ob, was da mit dem Zustand des Embryo im Mutterleib etwas Unterschiedliches hat. Und das besteht, um für den Verstand der Menschen vernehmlich zu reden, darin, dass der Embryo im Mutterleib als sich neubildende Kreatur durchaus leidend ist, während die finstere Seele ganz aus sich tätig und leidend zugleich ist und, weil sie nicht will, nicht untätig werden kann, auf dass sie dadurch möchte unleidend werden.

[12.10] Wie kommt aber das?

[12.11] So ein Mensch auf dieser Welt entweder nur sehr wenig oder zumeist wohl auch gar nichts zur Belebung und Bildung dessen, was seine Seele in ihrem Herzen verborgen trägt, getan hat, sondern alles nur auf den äußeren Verstand verwendete und diesen dann dazu benutzte, wohlberechnete Wege einzuschlagen, um auf diesen sich weltliche Schätze – welcher Art und welchen Namens sie auch immer sein mögen – zu verschaffen, um sich durch sie die möglichst feinsten und in jeder Hinsicht wohlschmeckendsten Genüsse und Lustreize zu bereiten, so ist, wenn dann solch eines Menschen Seele jenseits ankommt, ihre göttliche Lichtkammer dicht verrammt und verschlossen. Das irdische Verstandeslicht aber, das eigentlich bloß eine Kombination der äußeren, materiellen Lichtbilder ist, die an den vielen Millionen Flächen der Gehirntäfelchen für die Seele ersichtlich sind, und aus denen die Seele allzeit, nach Art der dummen Astrologen, ihre Berechnungen macht und dann wie von der Macht des dicksten Aberglaubens sich danach zu handeln genötigt fühlt, bleibt ohnehin so wie die Bildergalerie eines Bilderliebhabers, wenn er stirbt, in der Welt zurück. Die Folge ist, dass solch eine Seele dann notwendig total finster in der Geisterwelt anlangen muss und nichts behält als das Bewusstsein oder den Ausdruck des Lebens und nur insoweit die Erinnerung an ihre irdischen Zustände und Verhältnisse, inwieweit solche in der (dem leiblichen Gehirn) entsprechenden Gehirnkammer der Seele in entsprechenden Typen aufgezeichnet sind, welche die immerhin höchst sensible Seele fühlt und ihrer gewahr wird, wenn sie dieselben zufolge ihrer Finsternis auch nicht klar beschauen kann.

[12.12] Dass ein solcher Zustand einer an alle Lustreize des Lebens gewöhnten Seele nur zu bald unerträglich wird, lässt sich hoffentlich leicht begreifen und sogar lebendig fühlen. Solch eine Seele gerät dann bald in eine große Furcht, Angst und am Ende in einen großen Ärger und Zorn, wodurch sich in ihr dann eine Art Glutschimmer entwickelt.

[12.13] Denn wo immer jemand schon in der gerichteten Materiewelt irgendeine starke Tätigkeit ersieht – wie etwa einen heftigen Sturm, eine starke Meeresbrandung, eine starke Reibung zweier Gegenstände gleicher oder ungleicher Art, einen mächtigen Druck zweier harter Körper aufeinander und derartiges mehr, – da wird er dabei, besonders zur Nachtzeit, auch eine Feuer- und Licht- oder wenigstens eine Schimmerentwicklung bemerken, welche von den Naturgelehrten mit dem allgemeinen, aber eben nicht immer tauglichen Namen Elektrizität bezeichnet wird, – im Grunde aber und ganz eigentlich der vollen Wahrheit gemäß nichts als eine Erregtheit der in aller Materie mehr oder weniger hart gefangenen Naturgeister ist, die stets desto eher und leichter erregt werden können, je härter sie gefangen sind. Sind sie aber leichter gehalten, wie etwa in der Luft, im Wasser, im Lehm und in allerart anderen flüssigen und weichen Körpern, so gehört auch im Verhältnis eine heftigere Bewegung (Tätigkeit, s.o.) dazu, damit die ihr nicht so schnell ausweichen könnenden Naturgeister erregt und durch ihre höchst schnell vibrierende Bewegung innerhalb ihrer sie gefangenhaltenden leichten und höchst durchsichtigen Hülse als ein Licht oder als ein Glühen ersichtlich werden.

[12.14] Dass diese Erregung der Naturgeister aber in der Vibration besteht, kann ein jeder Mensch von nur einigem Beobachtungsgeist beseelt leicht aus tausendfachen Erscheinungen in der Naturwelt ersehen und erkennen. Wenn irgendein Mensch oder sogar auch ein Tier durch was immer in seinem Gemüt sehr erregt wird, so wird an ihm ein Beben bemerkt, welches von nichts anderem als lediglich von der Erregtheit der im Fleisch und Blut gefangenen Naturgeister herrührt. Eine Saite auf einem Toninstrument vibriert, wenn sie einen Stoß oder Schlag bekommt, weil die in der Materie der Saite gefangenen Geister durch den Schlag oder Stoß erregt werden. Die Flamme jeden Lichtes, die nichts als ein Akt der Freiwerdung der in der Materie gefangenen Naturgeister ist, besteht in stets sichtbarer Vibration, die durch die Tätigkeit der freiwerdenden Naturgeister entsteht. Und dergleichen Erscheinungen gibt es noch Tausende und abermals Tausende, an denen derselbe Akt beobachtet werden kann.

[12.15] Es ist gesagt worden, dass die Seele durch den Verlust ihres Weltlichtes und aller aus demselben hervorgehenden Lustbarkeiten zuerst in eine große Furcht und Angst und am Ende in einen großen Ärger und Zorn gerät, wodurch in ihr eine Art Glutschimmer erzeugt wird. Dieser Glutschimmer entsteht im Wesen der Seele entsprechend auf die ganz gleiche Weise wie in der Naturwelt.

[12.16] Die Furcht ist die erste Erregung der in jeder einzelnen Seele vorhandenen endlos vielen seelisch-geistigen Spezifikalpotenzen. Wenn alle Potenzen in ein immer heftigeres Beben geraten, so wird der ihnen gegebene Formraum bald zu eng. Da aber die äußere Form, innerhalb der alle die zahllosen Potenzen zu einem Leben vereinigt sind, bald zu eng wird – weil sie nicht so leicht erweitert werden kann und darf –, so ist die Folge davon dann notwendig ein immer heftigeres Drängen und Drücken nach allen Seiten hin, wodurch in dem konkreten Gesamt oder besser gesagt Ein-Leben das Gefühl der Angst zum Vorschein kommt.

[12.17] Wenn das Drängen und Drücken stets heftiger werdend andauert, so entsteht daraus eine geistige Gärung, die man Ärger nennt. Wie aber schon in der Natur das Resultat einer stets heftiger werdenden Gärung eine volle Entzündung ist, ebenso ist das Endresultat der großen Gärung der seelischen Spezifikalpotenzen eine volle Entzündung, und diese heißt Zorn. Und von solchem Zorn rührt dann auch die Erscheinlichkeit des Glutschimmers her, der, so er heftiger und heftiger wird, endlich in einen vollen Brand übergeht, der als böseste Erscheinung des Lebens Wut und im eigentlichsten Sinne Hölle heißt und ist.

[12.18] Wenn nun eine abgeschiedene Seele sogestaltig in den besprochenen Glutschimmer gerät, so fängt sie dadurch an, die in ihrem Gehirn vorhandenen geistigen Stigmata sehr matt zu erschauen und erkennt bald viel eitel Böses und wenig Gutes in ihrem Wesen. Sie sieht in solchem Zwielicht auch nicht selten die Mücke für einen Elefanten und umgekehrt den Elefanten für eine Mücke an. Aus solchen Anschauungen entwickeln sich dann in der Seele allerlei ganz luftige und durchsichtige, man könnte sagen formlose Formen gleich den Luftschlössern eines verliebten Jünglings auf der Welt, die bei einer sehr heftigen Phantasie nicht selten auf Augenblicke in eine förmlich ersichtliche Erscheinlichkeit treten, aber bei der geringsten Gemütsstörung in ein Nichts verschwimmen.

[12.19] Weil aber die Seele auf die gezeigte Weise nichts zu einer bleibenden Realität bringen kann und durch die momentan auftauchenden, mehr Zerr- als wohlgeordneten Bilder nur stets mehr gereizt und erregt wird, wodurch am Ende sogar das Innerste „Herzensstöße“ zu bekommen anfängt, so kommt dadurch dieses Innerste dann auch in eine, aber ganz entgegengesetzte Tätigkeit.

[12.20] Durch diese Tätigkeit (ihres Urgeistes aus Gott) wird die wilde Tätigkeit der Seele beruhigt, so dass am Ende die Seele in sich selbst in einen förmlichen Schlaf gerät, also ruht, und in dieser Ruhe als mehr vereinigt mit ihrem Urgeist aus Mir in einen förmlichen Traum kommt und, weil sie sich in solchem Zustand ganz behaglich fühlt, darin auch verbleibt, – ein Zustand, den die alten Seelen- und Lebensforscher den Seelenschlaf nannten.

[12.21] Der im Herzen der Seele nun gegen die Gelüste der Seele tätige Urgeist schafft nun für die Seele stets mehr und mehr solche Bilder, die einesteils stets das enthalten, was der Seele selbstliebigem und herrsch- und genusssüchtigem Sinn zusagt. Aber sowie sie solches in ihrem Traum, den sie natürlich für Wirklichkeit hält, vollgierig ergreifen will, so wird es entweder zunichte oder es weicht zurück und flieht von dannen. Andernteils aber wird der Seele auch solches produziert, was ihr frommt, und so sie es ergreift und zu ihrem wahren Besten verwendet, so bleibt es, und es fängt also aus dem Traum eine feste und bleibende Welt (für die Seele) sich zu entwickeln an.

[12.22] Je mehr die Seele das ergreift, was ihr von ihrem Urgeist geboten wird, desto mehr einigt sie sich mit ihm und geht so unvermerkt in ihren Urgeist ein und mit demselben zum Urlicht und aller Wahrheit aus ihm. Und sie erkennt da bald sich vollends wieder und alle ihre Bekannten und Verwandten und wird gewöhnlich durch sie dann zu Mir Selbst hingeleitet, wo ihr dann auch nach dem Maß ihrer Vollendung und Einswerdung mit ihrem Geist stets mehr Licht und Weisheit gegeben wird und das volle Vermögen, in die Naturwelten schauen und ersprießlich tätig werden zu können. Dass in diesem Falle ein vielseitiges Wiedersehen eine ganz natürliche Folge ihrer geistigen Vollendung ist, bedarf wohl keines weiteren Beweises mehr.

[12.23] Aber was geschieht denn hernach mit jenen Seelen, denen in ihrem jenseitigen Traumleben die vorgespiegelten Bilder und Erscheinlichkeiten, nach denen ihr selbst- und genusssüchtiger Sinn giert, durch die guten Erscheinlichkeiten nicht aus dem Begehrsinn getrieben werden können? Was geschieht, frage Ich, mit solch einer Seele, die darum stets mehr in Wut gerät, weil sie die Gegenstände ihrer Lust, die ihr vorgezaubert werden, nicht erreichen und festhalten kann? Gibt es in diesem Falle auch ein Wiedersehen? Nein, sage Ich, da gibt es kein Wiedersehen!

[12.24] Solch einer Seele wird dann ihr eigener Geist zum unerbittlichsten Richter. Er lässt sie am Ende die vorgespiegelten Dinge und Objekte erreichen und sich nach ihrem argen Sinn an ihnen erlustigen; aber solche Erlustigung bereitet der Seele allzeit den größten und brennendsten Schmerz und macht sie auf eine lange Zeit wieder ganz finster.

[12.25] Der Geist lässt dann zu, dass eine also finster gewordene Seele in ihrer größten Wut, die sie durchglüht und ihr also ein böses Licht gibt, um ihresgleichen außer sich wahrzunehmen, nun wirklich mit Seelen ihrer Art zusammenkommt.

[12.26] Da geschehen dann sogleich Verbindungen und Zusammenrottungen von solchen, die sich ihre Wut gegenseitig mitzuteilen beginnen. Sie verschanzen sich gegen die Feinde, mit denen sie in ihrem Traumleben, das solche Seelen aber für Wirklichkeit halten, in eine für sie widrigste Berührung kommen und fassen die racheglühendsten Beschlüsse, sich eher selbst nach aller Möglichkeit zu töten, als sich irgendeine noch so geringe göttliche Anordnung mehr gefallen zu lassen.

[12.27] In einer solchen Verschanzung, zu der sie das Material aus ihrer Einbildung nehmen – insoweit sie irgendeiner Einbildung in ihrem Wutglühlicht fähig sind –, verharren sie oft sehr geraume Zeiten und werden darob nur von neuem ärgerlicher, zorniger und wütender, durchbrechen dann selbst ihre Verschanzung und gehen hordenweise den Feind suchen, weil keiner in ihre Verschanzung eindringen wollte, dass sie an ihm ihre Rache hätten kühlen können. Aber ihr Suchen ist ein vergebliches. Sie kommen nur mit anderen ihresgleichen den Feind suchenden Horden zusammen und machen mit ihnen bald gemeinsame Sache, suchen dann so gemeinsam mit aller Hast den Feind, finden aber natürlich nie einen.

[12.28] Wenn solch elender Seelen einmal mehrere Tausend beisammen sind – deren Haufen sich in der Geisterwelt für das Auge der reinen Geister ungefähr also ausnimmt, wie auf dieser Erde allenfalls das Glühen der Luft durch ein in der Tiefe irgendwo brennendes Haus –, so erwählen sie den Glühendsten unter ihnen, den sie für den Mutigsten und Weisesten halten, als Anführer, der sie dann über einen Boden führt, der gewöhnlich auch der Einbildung solcher Seelen entspricht – entweder in der Form einer finsteren Sandsteppe oder einer unabsehbaren Ebene, auf der nichts als trockenes Moos zum Vorschein kommt. Auf solchen Böden finden sie nach langem Umherziehen und unter großem Hunger und Durst auch gewöhnlich nichts als etwa wieder eine ähnlich herumziehende Horde unter einem stark glühenden Anführer. Und da geschieht es entweder, dass sie einander anfallen aus schon zu großer Rachewut, sich zerreißen und verstümmeln, oder sie vereinigen sich unter zwei Anführern, was aber schon gleichfort zu Reibungen Anlass gibt, weil da ein jeder der beiden Anführer der Erste sein will, was in kurzer Weile dennoch einen Krieg der beiden Horden zuwege bringt.

[12.29] Wenn sich bei solchen Kriegen solche höchst unglückselige Seelen nahezu ganz zu kleinen Stücken zerrissen haben – natürlich alles nur scheinbar –, so kommen sie wieder zu einer gewissen Ruhe und ihr Geist zeigt ihnen dann wieder wie in einem helleren Traum, wie nichtig, fruchtlos und eitel ihr töricht-blindestes Bemühen war, und zeigt ihnen den besseren Weg zur Umkehr.

[12.30] Manchmal nehmen einige solche Weisung an und bekehren sich. Aber zumeist werden sie nach einem solchen Gesicht erst ganz toll und treten in ihren geistlosen puren Seelenzustand zurück, der dann bei weitem schlechter wird, als da war der erste. Und solche Zustände sind dann schon Hölle, aus der ein Ausweg schwer zu finden ist! Wer da nicht geht den schmalen Pfad durch sein eigenes Herz, der kommt nimmer zurecht und kann Trillionen und Dezillionen von Erdjahreszeitlängen in solcher Hölle verharren.

[12.31] Es ist nun also gezeigt worden, wie das Seelenleben jenseits in zwei einander schroffst entgegengesetzten Hauptzügen und Beschaffenheiten zuständlich geartet ist: entweder nach oben oder nach unten. Aber es soll mit dem allem dennoch nicht jede Erscheinlichkeit in der Geisterwelt dargestellt sein, sondern wie gesagt nur die beiden allgemeinen Hauptzüge, also das schroffste Pro und Kontra.

[12.32] In der Mitte dieser zwei Hauptzustände gibt es noch eine zahllose Menge von Erscheinlichkeiten, die hier nicht dargestellt zu sein brauchen, da sie in den Werken: Die geistige Sonne, Die Erde, Der Mond und in den Szenen der Geisterwelt [Sterben und Hinübergehen, Bischof Martin, Robert Blum] zur Übergenüge gezeigt worden sind, so wie teilweise in den mannigfachen anderen Mitteilungen und Naturzeugnissen. Aber alle die darin geschilderten wie immer gearteten Erscheinlichkeiten fußen auf der nun gezeigten Hauptnorm, und die Grundwege entweder nach oben oder nach unten sind in sich die gleichen.

[12.33] Das eigentliche wahre Wiedersehen kommt erst im Gottesreich, das ist im Himmel vor, welcher die ganze Unendlichkeit dem Raum nach erfüllt und sonach allenthalben gegenwärtig ist, in den aber jeder Mensch nur durch sein Herz gelangen kann.

[12.34] Da es aber doch viele in der Welt nun gibt, die so materiell sind, dass sie von den geistigen Verhältnissen der Dinge keine Spur und keine Ahnung haben, hier aber von den „Naturgeistern“ lesen und nicht verstehen, was diese sind und worin sie bestehen, so soll dahin hier noch eine ganz kurze Nacherläuterung folgen.

[12.35] Die ganze materielle wie auch die rein geistige Schöpfung ist nichts als eine durch der Gottheit allmächtigen Willen festgehaltene Idee aus dem Herzen oder Leben der Gottheit Selbst und – weil aus Gott – im Grunde des Grundes geistig. Würde nun alle die sogenannte materielle Schöpfung, was Gott gar leicht möglich wäre, der gleichfort andauernden Festhaltung ledig, so würde sie wieder als ein nur der Gottheit sichtbarer großer Gedanke ganz geistig im Gemüt Gottes Platz fassen und mit der Realisierung der freien Selbständigkeit von zahllosen Wesen wäre es zu Ende!

[12.36] Aber Gott will es ewig gleichfort, dass Seine großen Gedanken und Ideen ewigfort zur freiesten Selbständigkeit sollen realisiert werden. Und so hatte Gott darum für die einzig dadurch mögliche Realisierung, dass all die göttlichen Gedanken und Ideen als unwandelbar gefestet dastehen müssen Seiner Pläne und Zwecke willen, diesen allein wirksamen Weg eingeschlagen:

[12.37] Die zahllosen Gedanken und Ideen müssen gewisserart nur in allerartig kleinsten geistigen Teilchen sukzessive freier und freier gemacht werden, aber dabei dennoch lange von irgendeiner Hauptidee Gottes, die da erscheinlich als ein Weltkörper im endlosen Gedanken- und Ideenraume als gefestet schwebt, angezogen und gehalten werden, bis sie nach und nach ihrer Gleichartigkeit nach sich mehr und mehr zusammenfinden und so in eine immer größere Wesenheit bis zum Menschen hin übergehen.

[12.38] Solche von der totalen Hauptidee (dem Weltkörper) freier und freier gelassenen Teilchen sowie die noch nicht frei gelassenen, sondern in der Hauptidee noch festgehaltenen Teile heißen bis zum Menschen hinan „Naturgeister“. Diese freieren Naturgeister – oder Naturkräfte, wie es die Weltgelehrten nennen – befinden sich als schon selbsttätig entweder in der Luft, im Wasser oder im weicheren Erdreich und locken da die noch hart gefangenen Geister in die Freiheit heraus, vereinigen sich mit ihnen und bilden dadurch, dass sie sich mit den noch unfreieren Geistern umhüllen, allerlei Lebensformen: zuerst Pflanzen, aus diesen Tierchen und Tiere größerer und größter Art – bis zum Menschen hin, wo sie als Seele und auch – dem unfreieren, noch groben Teil nach – als dessen Leib dann erst durch Gottes Urwesen Selbst, nun schon zur Genüge zur vollfreien Selbständigkeit reif, wieder ergriffen und förmlich – aber anfangs noch immer wie von außen her – für den folgenden reingeistigen, ewig dauernden Zustand durchgeschult und geübt werden.

[12.39] Die dann ein solches Durchschulen sich gefallen lassen und also freiwillig in die Ordnung eingehen, in der ihr ewig selbständiger, freiester Lebenszustand allein möglich ist, – diese kommen dann auch zum großen Wiedersehen Dessen, aus dem sie hervorgegangen sind. Sie werden sehen, wie und woher und durch Wessen Macht und Weisheit und unwandelbare Beharrlichkeit sie vom eigentlichen Nichtsein ins vollste, freieste und selbständige Sein und Erkennen gekommen sind.

[12.40] Zugleich aber, weil mit ihrem Urgrund ein und dieselbe Wesenheit, werden sie auch selbst auf die gleiche Weise zu ihrer großen Beseligung aus ihrer nun höchsteigenen, aber der göttlichen völlig gleichen Weisheit neue Schöpfungen ins Werk setzen und sonach ganz in Meiner Ordnung Schöpfer ihrer höchsteigenen Himmel sein, wodurch sie dann zum realisierten Wiedersehen aller ihrer Gedanken und Ideen gelangen werden.

[12.41] Und das alles wird dann ein großes, ewig dauerndes realisiertes Wiedersehen sein in der endlosen Fülle alles dessen, was ein göttlicher Geist ewig unerschöpflich in sich birgt. Und das ist dann erst das vollkommene, große Wiedersehen!

[12.42] Ich meine nun, wer da Augen hat zum Sehen und Ohren zum Hören, der wird daraus zu seinem ewigen Vorteil unbeschreibbar vieles schöpfen können zur vollen Erkenntnis des geistigen Lebens.

[12.43] Wer es aber nur lesen wird aus einer Art Neugierde und wird daran legen die Feile seines Weltverstandes, dem wird es einst gerade also ergehen, wie es in dieser Beschreibung zu lesen ist. Denn Mein Erbarmen kann und darf sich nicht und nie über die Schranken Meiner nun aus dem Fundament gezeigten unwandelbaren Ordnung erstrecken. Denn diese Ordnung ist an und für sich schon Meine ewige Erbarmung.

[12.44] Wer aber über die Schranken dieser Ordnung tritt, der wird nur sich selbst einen überaus langen, unglückseligsten Zustand jenseits zuzuschreiben haben. Denn es muss ein jeder sich selbst gestalten, so er sein will das, was er sein soll. Will jemand sich diese Mühe nicht nehmen, so muss er dann auch so lange im ewig notwendigen Gericht verharren, bis er sich selbst zu umgestalten anfangen wird, was die Seele einen harten Kampf kosten würde!

[12.45] Hüte sich daher ein jeder von euch vor (eigensüchtigem Trachten nach) irdischen Gütern, Reichtum, Glanz und Ansehen, sei aber nach seinen Kräften reichlich mildtätig gegen seine ärmeren Brüder und Schwestern, so wird ihm der Kampf mit der Finsternis ein leichter sein. Amen.

[12.46] Das sagt der Herr allen Lebens zu euch allen. Amen. Amen. Amen.