[14.1] Sagte Ich: „Hier vor euch steht in Mir der rechte ‚Raubebald, Eilebeute‘, ein Name des Sohnes einer Prophetin im Jesajas. Wir haben gestern von dem kommenden Messias gesprochen. Ich selbst ward euch als solcher dargestellt, und zwar laut den genauest auf Mich passenden Texten aus dem Propheten Jesajas. Die Sache aber wurde von euch negiert.
[14.2] Gestern redete Ich nur wie ein Zweiter von Mir, heute aber stehe Ich selbst vor euch ohne die allergeringste Furcht, weder vor euch noch vor jemand anderem in der ganzen Welt, da Ich Mir nur zu sehr der ewig nie besiegbaren Kraft und Macht in Mir selbst bewusst bin, die aber wahrlich keine fremde, sondern geradewegs Meine höchsteigene ist, und greife dasselbe Thema wieder auf und frage nun besonders dich, Joram, was du davon hältst! Rede aber nun auch du ohne Scheu und Furcht, so ganz klar von der Leber weg! Wahrlich, auch dir soll darum kein Haar gekrümmt werden!“
[14.3] Sagte Joram: „Ja, du mein sonst allerliebster und holdester Vetter (wirst mir’s nicht für Übel nehmen, dass ich dich nun so rufe, denn ich bin ja mit deinem Vater wahrlich sehr nahe verwandt), das ist und bleibt immerhin eine sehr kitzlige Sache, zu sagen: ‚Du bist es, der da verheißen ist!‘ Und es wäre so was unter gewissen Umständen nun auch noch sehr gewagt, da man schon doch so manche Beispiele von Kindern hat, die auch in ihrer zarteren Jugend so manche außerordentliche Talente und Fähigkeiten an den Tag gelegt haben, dass darob oft eine ganze große Menschenmenge ins größte Staunen versetzt ward; aber in den späteren Jahren wurden da so ganz gewöhnliche Menschen daraus, dass an ihnen von ihren Jugendtalenten und -fähigkeiten keine Spur mehr zu entdecken war!
[14.4] Nun, ein solcher Fall, wenn auch nicht wahrscheinlich, muss von uns Menschen denn doch auch bei dir als möglich angenommen werden, und es wäre daher eine volle Annahme dessen, als stecke in dir verborgen der verheißene Messias, ein wenig zu sehr verfrüht, was du mir als ein wahrhaft für deine Jugend überraschend weiser Knabe nicht in Abrede stellen wirst! Aber dir in Anbetracht deiner Geburt, deiner Abstammung und deiner noch nie dagewesenen Fähigkeiten apodiktisch in Abrede stellen, dass du der Verheißene seist, wäre meiner Ansicht nach ebenso unsinnig. Denn du kannst ja das ebenso gut sein wie nicht sein! Daher heißt es nach meiner Ansicht sowohl für dich als für uns, abwarten und sehen, was uns die Zeit bringen werde! Sage mir du nun, ob ich recht habe oder nicht!“
[14.5] Sagte Ich: „Weltlich, nach der irdischen Vernunft hast du offenbar recht. Aber es liegt im Menschenherzen ja noch ein tieferes und leuchtenderes Kriterium; dieses könnte es dir schon sagen, ob Ich ein Knabe jener Art bin, die in späteren Jahren ihrer Fähigkeiten bar werden können. So Ich die Macht habe, zu schaffen und zu zerstören nach Meiner höchsteigenen Willkür, wie werde Ich Mich da dann selbst zerstören wollen?!
[14.6] Ich sage es dir: Von Meinem inneren Geist hängt das Dasein aller Dinge allein ab. Daher kann Ich denn ja auch wollen, was Ich will, und es muss geschehen, was Ich will, wie dir solches auch von Mir gesagt ward durch anderer Zeugen Mund, nicht allein durch den Meinigen. Wenn aber also, wie lässt sich da dann wohl denken, dass Ich je Meiner dir bekanntgegebenen Eigenschaften und Fähigkeiten bar werden könnte?! Kann Ich aber das nicht, was bin Ich dann?“
[14.7] Sagte Joram: „Ja – jetzt – das ist noch immer nur eine Annahme, aber noch lange kein Beweis! Dasselbe, was du von dir sagst, könnte ebenso gut auch ich von mir sagen; aber da so was dann ein wenig zu kühn wäre und etwas, das mir ewig nicht gleichsehen könnte, so würde man mich entweder weidlichst auslachen oder als einen Narren in Gewahrsam bringen. Nun, du bist ein geweckter Knabe in einem unzurechnungsfähigen Alter und scheinst eine große dichterische Begabung zu besitzen, schon vom Mutterleib an, und man lächelt daher nur zu deinen mutterwitzigen Ausbrüchen.
[14.8] Schau, schau, du sonst allerliebster Knabe! Wo kann denn ein Mensch je von sich sagen: ‚Durch meinen inneren Geist ist alles, was da ist, erschaffen!‘?! Das kann ja nur der ewige Geist Gottes, der in Seinem Wesen allenthalben gegenwärtig ist. Da hast du dich in deiner Messiasidee ein wenig zu hoch verstiegen. Bleiben wir nur immer schön beim Boden dieser Erde und bearbeiten denselben mit dem rechten Fleiß, damit er uns eine hinreichende Nahrung bringe, dann werden wir sicher besser daran sein, als so wir uns zu etwas machen wollen, das unmöglich ist und nie werden kann!
[14.9] So etwa einst der Messias kommen wird, da wird Er auch nur als ein vollkommener Mensch, nie aber als ein Gott zu uns kommen. Aber es ist bei euch halbgriechischen Juden und somit auch Halbheiden also die Sitte, dass ihr Menschen von so manchen Begabungen gleich unter die Götter steckt oder euch als solche anseht und betrachtet. Das soll aber nicht sein und ist hoch gefehlt gegen das Gebot Gottes, wo es heißt: ‚Ich allein bin euer Gott und euer Herr, ihr sollt keine fremden Götter neben Mir haben!‘ Aber in Galiläa scheint man es mit diesem Gebot eben nicht gar zu genau zu nehmen, ansonst es dir doch nie einfallen könnte, dich als einen Gott zu dünken!
[14.10] Siehe, solches unterlasse du in der Folge, und bleibe bei allen deinen außerordentlichen Talenten und Fähigkeiten dem alten und einzigen Gott treu, und lasse die Heiden Heiden sein, so wird es dir wohlergehen auf Erden! Was ist denn selbst die größte Stärke eines Riesenmenschen gegen die vereinte Kraft von vielen tausend Menschen, und was dann erst die Stärke eines Knaben?! So aber David sagt: ‚Oh, wie gar nichts sind alle Menschen gegen Dich, o Herr!‘ – wie kann dann es einem Knaben beifallen, zu sagen, er sei ein Gott in seinem Geist, durch den alle Dinge erschaffen seien?! Siehst du wohl ein, dass du da ungeheuer stark über die Schnur gehauen hast?!“
[14.11] Sagte hier der Oberpriester: „No, das war einmal wieder eine gesunde Belehrung, gepaart mit ungewöhnlich vieler Mäßigung! Das ist aber richtig und wahr, weil es von den Galiläern geschrieben steht, dass in ihrem Land kein Prophet aufstehen kann, so machen sie sich gleich lieber selbst zu Göttern, diese Halbheiden! Und dieser Knabe scheint die besten Anlagen dazu zu besitzen! Ja, du mein lieber Messiasknabe, uns macht man nicht gar so leicht ein Alpha für ein Omega! So was kann wohl in Nazareth gehen, aber bei uns in Jerusalem geht das nicht!“
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