Hier ist Dein Kapitel

12. Zusammenkunft im Sprechsaal am zweiten Tage. Die Pharisäer ärgern sich, nicht vom Jesusknaben begrüßt zu werden. Erst jetzt erfahren von dem Richter, wer der Knabe ist. Vergeblicher Versuch der Templer, die Sitzung aufzuheben

[12.1] Auf diese Nachricht eilte das ganze Kollegium in den Sprechsaal und wurde von den Anwesenden nach der Sitte geziemend begrüßt, ein Etwas, was die Pharisäer gar sehr liebten, und [weshalb] sich einige gleich aufhielten, weil der Knabe nichts dergleichen tat, was nur von fernehin irgendeinem Gruß ähnlich sähe.

[12.2] Es trat darum sogleich ein Alter zu Mir hin und fragte so mehr bescheiden, warum Ich als der etwas trotzig aussehende Knabe niemanden gegrüßt habe.

[12.3] Ich aber sagte ihm ganz kurz: „Das schickt sich wohl von euch und euresgleichen untereinander, was hat damit ein zwölfjähriger Knabe zu tun?! Übrigens hat ja aus euch auch Mich niemand gegrüßt, warum soll Ich denn nun wieder etwas zurückgeben, das Ich zuvor von euch noch nie erhalten habe?!

[12.4] Und zudem besteht bei uns in Galiläa diese Sitte nicht, und für Mich schon gar nicht! Denn ihr lasst euch allzeit über alle die Gebühr ehren und grüßen, dieweil euch die Welt zu Herren gemacht hat. Ich aber bin in Meiner Art auch ein ganz besonderer Herr! Warum habt denn ihr Mich nicht auch zuvorkommend gegrüßt?

[12.5] O glaubt es Mir, Ich als Knabe weiß sehr genau, wen Ich zu grüßen habe, aber euch hier bin Ich durchaus keinen Gruß schuldig! Den näheren Grund kann euch Mein Römer kundgeben, so ihr ihn durchaus wissen wollt. Es ist aber heute ja ein Nachsabbat, an dem, so wie am Sabbat selbst, nach eurer Satzung alles Grüßen und Ehren streng untersagt ist, weil auch dieses den Sabbat entheilige und den Menschen auf den ganzen Tag verunreinige. Warum verlangt demnach ihr von Mir etwas, das euren Satzungen zuwiderläuft?“

[12.6] Hier schwiegen die Templer, sahen einander groß an, und der junge Levite sagte: „Meine hohen Gebieter, es ist mit diesem sonst allerholdesten Knaben schon ganz und gar nicht mehr zum Aushalten! Das Schönste bei der Sache ist nur, dass er aber rein um alles weiß und somit auch recht hat.“

[12.7] Sagte der Oberpriester zum römischen Kommissar: „Hoher Richter nach Recht und Gebühr! Dieser Knabe wies uns an dich von wegen noch eines Grundes, deshalb er uns nicht gegrüßt hatte. Möchte es dir genehm sein, uns denselben kundzutun?!“

[12.8] Sagte der Richter: „O warum nicht? Recht gerne auch noch obendrauf! Ob es euch aber eben eine besondere Freude machen wird, das weiß ich kaum.“

[12.9] Sagten alle: „Nur heraus damit, denn heute sind wir gut gelaunt und vertragen gar manches, das wir sonst kaum ertragen würden!“

[12.10] Sagte der Richter: „Also wohl denn, und so hört! Dieser Knabe ist eben jener Wunderknabe aus Nazareth selbst, den er gestern nur zu vertreten schien! Wie gefällt euch nun diese Geschichte? Wer Ihm ein Haar krümmen würde, hätte meinen höchsten Zorn zu gewärtigen!“

[12.11] Als das Kollegium solches hörte, fuhr es sehr erschreckt und bebend zusammen!

[12.12] Erst nach einer Weile sagte der Oberpriester: „Warum hast du uns denn das nicht schon gestern gesagt? Hätten wir das schon gestern gewusst, so hätten wir sicher ganz anders geredet mit dir und hätten dir auch ganz andere Antworten gegeben, die dir offenbar besser gefallen hätten als die gestrigen!“

[12.13] Sagte Ich: „Oh, das weiß Ich recht gut. Aber da es Mir nicht ums Heucheln, sondern allein um die Wahrheit zu tun ist, so tat Ich eben also, wie Ich es getan habe! Und wäre Ich heute noch der, der Ich gestern war, so hätte Ich von euch wieder kein wahres Wort erfahren, da ihr in der Nacht euch aus Furcht vor dem römischen Richter gar fein beraten habt, wie ihr Mir von wegen des bereits in dieser Welt seienden Messias gar alles wolltet gelten lassen, um Mich zu besänftigen und durch Mich etwa auch den Richter wegen des Zacharias Geschichte.

[12.14] Da Ich aber nun nicht der Verteidiger des Wunderknaben, sondern gleich der Wunderknabe selbst bin, so hat solche plötzliche, unvorhergesehene Wendung der Sache eure Sinne verwirrt und euren schlechten Plan vereitelt, und ihr steht nun da voll Furcht und Angst, und wisst nicht aus und nicht ein. Redet nun, wie euch diese Geschichte behagt!“

[12.15] Alle stutzten nun, und der Oberpriester sagte mit scheinbar freundlicher Miene: „No, du lieber Wunderknabe, da du so schon um alles zu wissen scheinst, da möchte ich denn von dir nun auch noch erfahren, wer aus uns eigentlich solchen Rat ausgedacht hat!“

[12.16] Sagte Ich: „Eben derjenige, dem Ich selbst den Rat also eingeflüstert! Er ist unter euch der Jüngste und ist auch aus Galiläa geboren. Sein Name ist Barnabe.“

[12.17] Diese Antwort war schon wieder ein Blitzstrahl unter die Pharisäer, und es fing sie an eine große Furcht anzuwandeln; denn vieler Gewissen war sehr unrein, und sie fürchteten so manche Entdeckung ihrer geheimen Laster vor den Ohren des strengen Römers.

[12.18] Der Oberpriester raunte einem Pharisäer still ins Ohr: „Geben wir dem Simon das Geld zurück, und die Konferenz mit dem Jehova-steh-uns-bei-Knaben, der uns noch die unerträglichsten Verlegenheiten bereiten wird, ist aus! Oder wir fragen ihn ja um nichts mehr! So er uns fragt, wollen wir ihm schon eine Antwort geben, aus der kein Satan klug werden soll! Nein, der Bube soll uns noch lange nicht über den Kopf gewachsen sein! Schau du einmal diese saubere Kundschaft an! Gestern war er ein anderer – und heute wieder ein anderer!“

[12.19] Hier zog ein gar schlau sein wollender Pharisäer den Oberpriester auf die Seite und sagte: „Weißt du was?! Dem Wechselbalg von einem Wunderknaben sind wir ja gar keine Rede und Antwort mehr schuldig! Für den es bezahlt wurde, der ist der heutige nicht, für den heutigen aber hat niemand bezahlt, und sohin sind wir ihm auch keine Rede und Antwort schuldig! Was meinst du?“

[12.20] Sagte der Oberpriester: „Freund, diesen Gedanken konnte dir nur ein Gott eingegeben haben! Wann die Not am höchsten, ist die Hilfe von oben am nächsten! Die Konferenz und Konzession werde somit als völlig aufgehoben erklärt, weil der heutige Knabe ein anderer ist, als der gestrige war, für den eigentlich gezahlt worden ist!“

[12.21] Mit dem trat schnell der Tempelherold hervor und sagte mit großem tempelamtlichen Pathos: „In aller Ermächtigung von Seite der allerhöchsten Oberpriesterschaft des Tempels Jehovas erkläre ich auf Grund dessen, da der heutige Knabe nicht mehr der gestrige ist, für den da die große Taxe bezahlt worden ist, die weitere Sitzung als vollends aufgehoben, und man wird diesem ganz anderen Wunderknaben, für den keine Taxe bezahlt wurde, und auch niemand anderem Rede stehen! Dixi [Ich habe gesprochen].“

[12.22] Hier erhob sich aber der Richter voll Ernstes und sagte: „Die Sitzung bleibt, und ihr werdet reden! Der heutige Knabe ist ganz derselbe, für den die große Taxe bezahlt ward, nur die moralisch-charakteristische Persönlichkeit ist, von euch unvermutet, eine andere geworden. Nach unseren Gesetzen ändert aber dieser kluge Umstand nichts an dem Recht des Knaben, und somit lautet mein stets gültiger Richterspruch: Die Sitzung dauert heute und morgen unverändert fort, was da auch immer herkommen möge! Fragt oder antwortet, das ist gleich!“

TAGS

Kein Kommentar bisher

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Letzte Kommentare