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Siebtes Beispiel. Ein Papst

Am 11. August 1847

[7.1] In diesem Exempel wollen wir sogleich beim Jenseits beginnen und einen Mann betrachten, der in der Welt eine sehr große Rolle gespielt hat und am Ende der Meinung war, die Welt sei bloß seinetwegen da und er könne mit ihr machen, was er wolle, da er sich die förmliche Stellvertreterschaft Gottes anmaßte, mehr noch als so mancher andere seines Gelichters. Aber er musste dessen ungeachtet dennoch „ins Gras beißen“, und es schützte ihn davor weder seine angemaßte Großmacht noch die Welt und ebenso wenig die Gottesstellvertreterschaft.

[7.2] Dort, seht hin, stark gegen Mitternacht wandelt langsamen Schrittes eine überaus hagere Mannesgestalt von sehr dunkler Farbe, und blickt forschend um sich herum und späht bald dahin und bald dorthin!

[7.3] In seiner Gesellschaft seht ihr ein Männlein, gleichend einem kohlschwarzen Affen, das sich um unseren Mann sehr geschäftig hertummelt und tut, als hätte es mit diesem Mann gar überaus wichtige Sachen abzumachen. Treten wir aber nur näher, damit ihr vernehmen könnt, was dieser Mann, der seinen Gesellschafter so wenig wie uns sieht, mit sich für sonderbare Gespräche führt.

[7.4] Da sind wir schon in rechter Nähe; nun horcht, er spricht: „Alles Lüge, alles Trug, und der Betrogenste ist der Glücklichste; aber unglücklich der Betrüger, so er wissentlich ein Betrüger ist! Ist er aber unwissentlich ein Betrüger und lügt und betrügt, ohne Wissen, dass er lügt und betrügt, da ist ihm zu gratulieren; denn da zieht ein Esel den anderen, und beide sind mit dem schlechtesten Futter zufrieden. Aber ich, was bin denn ich? Ich war ein Oberhaupt, alles musste glauben und tun, was ich anordnete; ich aber tat, was ich wollte, da ich die Schlüssel der Macht in meinen Händen hatte als einer, der sie nimmt ohne zu fragen, ob er sie wohl zu nehmen berechtigt ist. Ich wusste alles; ich wusste, dass da alles nur Lüge und Trug ist, was ich wusste, und dennoch drang ich Lüge und Trug jedermann bei strenger Ahndung auf, der es nicht annehme und glaube, dass das alles, was von mir ausgeht, ob geschrieben oder nicht, als volle Wahrheit anzunehmen ist.

[7.5] Ich meinte aber auf der Welt ist des Leibes Tod das Ultimatum allen Seins. Das war mein heimlicher, fester Glaube, und alle Weisheit der Welt hätte mir keinen anderen Glauben geben können! Dies einzige hielt ich für Wahrheit, und sieh, auch das ist Lüge; denn ich lebe fort, obgleich ich gestorben bin dem Leibe nach.

[7.6] Himmel, Hölle und Fegfeuer ließ ich predigen auf vielen tausend Kanzeln, erteilte Ablässe und sprach eine Menge Verstorbener heilig und gab Fasten, Gebet, Beichte und Kommunion, – und nun stehe ich selbst da und weiß nicht, wo aus und wo ein! Gäbe es ein Gericht, dann wäre ich schon gerichtet. Gäbe es einen Himmel, dann hätte ich doch das erste Recht darauf, denn fürs Erste musste ich doch durch den Willen Gottes Statthalter der Kirche Christi werden; und was ich als solcher tat, war sicher auch nur ein höchstes oberstes Wollen, denn ohne ein solches kann laut der Schrift ja kein Haar am Kopf gekrümmt werden und kein Sperling vom Dach fliegen.

[7.7] Also beichtete und kommunizierte ich auch nach der alten Vorschrift, obschon ich mich davon gar leicht hätte ausnehmen können, indem ich die Macht hatte, die Beichte samt der strengen Kommunion für jedermann auf ewige Zeiten aufzuheben, was ich aber dennoch aus politischen Rücksichten nicht tun konnte, noch wollte. Gäbe es eine Hölle, so wäre auch Grund genug vorhanden, mich darinnen zu befinden; denn vor Gott ist ein jeder Mensch ein Totschläger! Wenigstens sollte ich mich im Fegfeuer befinden; denn das sollte doch jedermann wenigstens auf drei Tage zuteilwerden! Aber weder eines noch das andere wird mir zuteil. Darum ist Gott, Christus, Maria, Himmel, Fegfeuer und Hölle nichts als Lug und Trug! Der Mensch aber lebt nur aus den Kräften der Natur und denkt und fühlt nur nach der eigenen Konzentration der verschiedenen Naturkräfte in ihm, die sich da wahrscheinlich zu einem ewig unzerstörbaren Eins verbinden und verknüpfen. Meine Aufgabe wird daher nur sein, diese Kräfte näher zu erforschen und mir dann mittels der genauesten Bekanntschaft mit ihnen einen Himmel zu gründen.

[7.8] Aber ich merke fortwährend ein gewisses Zupfen an meiner Toga pontificalis! Ist denn etwa doch irgendein unsichtbarer Geist in meiner Nähe, oder tut so etwas wirklich ein Wind? Es ist im Ernst sonderbar in dieser unendlichen Wüste; man kann schon gehen, wohin man will, so bleibt man aber doch ewig ganz allein. Man kann rufen, schreien, schimpfen, schelten, fluchen oder beten, zu wem man will, so rührt sich dennoch nichts und man bleibt vor- wie nachher ganz allein! Es mögen doch schon einige Jahre sein, dass ich auf der Erde gestorben bin, und das auf eine sehr schmerzliche, höchst fatale Weise, – und ich bin detto allein, nichts als die ganz kahle Wüste unter den Füßen! Platz habe ich da wohl, das ist wieder eine Wahrheit, aber wo ich bin, was für die Zukunft aus mir werden wird –werde ich also ewig fortleben oder doch etwa einmal ganz vergehen –, das ist ein unauflösliches Rätsel.

[7.9] Also nur frisch an die Erforschung der Naturkräfte in mir losgesteuert, und es soll sich durch ihre nähere Bekanntschaft bald entwickeln, was da aus mir werden soll!“

[7.10] Habt ihr ihn nun gehört, wie er räsoniert, er, der Stellvertreter Gottes auf Erden? Oh, er wird noch lange also solo räsonieren, wie es ihm sein unsichtbarer Begleiter einhaucht; denn solcher auf Erden höchstgestellter Menschen Los ist stets das gleiche, nämlich das Alleinsein, indem sie sich selbst auf der Erde auch über alles hinaus isoliert haben.

[7.11] Diese Isolierung ist aber dennoch eine große Gnade für sie; denn nur dadurch ist es möglich, sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Aber es geht das sehr lange her; sie müssen in sich alle Grade der Nacht und Finsternis, der Not und des Schmerzens, wie sie in der Hölle zu Hause sind, durchmachen.

[7.12] Hat ein solcher Zelot diese Solo-Tour durchgemacht – etwa in fünfhundert bis tausend, bis zehntausend Jahren, dann erst kommt er in die Gesellschaft von strengen Geistern. Folgt er diesen nicht, so wird er wieder verlassen und ganz allein gestellt, wo ihm alle Gräueltaten vorgeführt werden, die entweder unter ihm oder unter seinen Vorgängern verübt worden sind; bei welcher Gelegenheit er aber auch alle Schmerzen verkosten muss, die alle Verfolgten unter ihm oder seinen Vorgängern verkostet haben. Bringt ihn diese Kur noch nicht zurecht, so wird er belassen, wie er ist; bloß der Hunger wird ihm zur Begleitung gegeben und der Durst, welche zwei Hofmeister mit seltenster Ausnahme fast jeden mit der Zeit zurechtbringen.

[7.13] Da habt ihr nun wieder ein Bild, aus dem ihr das Jenseits näher kennenlernen mögt – und das „Wasser“, das ein solcher Häuptling zu durchschwimmen hat, bis er ans Ufer der Demut, Wahrheit und Liebe gelangt. Daher nun nichts mehr weiter von diesem Mann und nächstens ein anderes Exempel!

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