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59. Die Überlegungen des alleingelassenen König Lamech und sein Irrewerden an Gott

Am 17. Juni 1843

[3.59.1] In der siebenten Stunde aber richtete sich der Lamech wieder auf und sagte zu sich selbst ganz traurigen Mutes:

[3.59.2] „Also hatte ja der Herr zu mir geredet: ‚Und es wird sich nach der getanen Arbeit gut ruhen lassen!‘

[3.59.3] Wohl habe ich nach Seinem Wort gehandelt und habe getan, wie Er es mir geraten hatte, wenn leider schon ohne Erfolg, wofür ich freilich wohl nichts kann; aber welch eine Ruhe habe ich genossen die langen sieben Stunden hindurch, welche ich wohl abgemessen habe mit dem Gang der Sterne über meiner Hand vom Aufgang bis nahe hin zum Untergang?!

[3.59.4] Fürwahr, es graut schon recht stark der Morgen, und es rührt sich noch nichts im Lager um diesen Tempel! Kein Lüftchen weht, auch nicht ein allerleisestes Geräuschchen lässt sich von irgendwoher vernehmen! Oh, es ist grauenhaft, mitten unter Lebendig-Toten zu leben!

[3.59.5] Was will ich aber tun in dieser meiner traurigen Lage? Hier verweilen bis zum völligen Aufgang [der Sonne], oder allein hinabziehen in die Stadt und dort der zurückgebliebenen Dienerschaft vermelden, was hier geschehen ist?

[3.59.6] Soll ich etwa einen Kräuterkenner holen, auf dass er mir kundgebe aus seiner Weisheit, ob diese Menschen wohl schlafen, oder ob sie im Ernst gar völlig tot sind? Oder soll ich zuvor selbst noch einmal eher einen Erweckungsversuch machen?

[3.59.7] Wenn aber dieser Versuch misslingt und auf mein noch so kräftiges Rufen sich niemand mehr wird zu regen anfangen, wird mich da nicht noch eine unerhörtere Angst überfallen, dass ich dann vielleicht gar nicht mehr kräftig genug sein werde, um zu ziehen in die Stadt und dort Anstalten zu treffen, dass da diesen Schlafenden oder Toten eine erforderliche Bestattung werde?

[3.59.8] Ich weiß aber nun, was ich tun will: den Herrn Gott Zebaoth will ich so recht inbrünstig und vertrauensvoll bitten, dass Er mir helfe; und ich will beten und bitten bis in den halben Tag hinein und will nichts essen und trinken eher, als bis der Herr mich entweder erhören und trösten wird oder mich selbst noch dazu töten mag zu diesen meinen Brüdern und Schwestern!

[3.59.9] Es wird heller und heller schon im Aufgang, dass ich schon die Stadt mit leichter Mühe von Haus zu Haus ausnehme!

[3.59.10] Wie herrlich wäre dieses Erwachen des neuen werdenden Tages, wenn ich es nicht allein betrachten müsste, wenn dieses Volk mit mir gleich wach wäre und brächte dem Herrn ein fröhlich, heiter, erquickendes Morgenlob dar!

[3.59.11] Aber ich allein muss mitten unter meinen unerweckbaren Brüdern das neue Erwachen der Natur mit dem Erwachen des Tages betrachten!

[3.59.12] Oh, wie doppelt traurig bist du, herrlicher Morgen nun, dass ich dich allein lebendig und wach betrachten und genießen muss in deiner großen Herrlichkeit! Möchte ich doch lieber gar nicht leben, als empfinden so schmerzlich, dass ich unter den Tausenden hier allein noch leben und empfinden muss!

[3.59.13] Was aber habe ich denn getan, darum mich der Henoch und der Herr so ganz und gar verlassen haben? Ich erfüllte ja doch des Herrn ausgesprochenen Willen!

[3.59.14] Und Er, der Heilige, der Liebevollste, der Barmherzigste lässt mich unvorbereitet so plötzlich im Stich!

[3.59.15] Er war es ja doch, und der Henoch war es auch; die Meinen sind ja noch dort, die er gebracht hat von der Höhe, und schlafen noch einen tötenden Schlaf!

[3.59.16] Oder sollten sie nicht mehr dort sein? Ich will denn da doch nachsehen! Denn für einen Traum wäre das Ganze seit gestern Morgen denn doch etwas zu viel!“

[3.59.17] Hier ging der Lamech hin zur Stelle, da er die Seinigen verließ, und fand zu seinem größten Erstaunen niemanden mehr.

[3.59.18] Da schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und schrie: „Um des Herrn Willen, was ist denn das?! Also bin ich denn im Ernst nur ein gefoppter Narr meines Traumes?! Träume ich denn noch, oder wache ich? Was ist das für ein elender Zustand meines Lebens?

[3.59.19] Ich möchte, ich wollte beten, aber nun ist es mir unmöglich! Ich bin nun ohne Gott, ohne Freunde, ohne Brüder, ohne Weib und Kinder und habe nichts als nur dies elende Leben und diese entsetzliche Züchtigung Gottes oder die noch entsetzlichere Rache der Schlange zu empfinden!

[3.59.20] Was will ich nun tun? Beten? Zu wem denn? Zu Dem, der mich verließ oder nicht ist? Nein, das will ich nicht!

[3.59.21] Ich bin noch Lamech! Noch gehört die große Stadt mir und das Land und das Volk!

[3.59.22] Ich wollte ja von ganzem Herzen sein ein wahrer Diener des Herrn und opferte Ihm schon alles darum; Er aber hat mir nun diesen harten Streich gespielt und hat mich angeführt!

[3.59.23] So will ich denn auch gar nicht mehr leben; hier im Tempel will ich verhungern, und das soll mein letztes Opfer sein, was ich dem rätselhaften Gott darbringen werde!

[3.59.24] Amen aus mir heraus, – und keine Weisheit soll mich je zu einem anderen Entschluss bringen! Und käme der Herr Selbst nun, so soll Er nichts mehr richten mit mir!

[3.59.25] Du totes Volk aber schlafe nur im Tode, und sei eine Speise der Ameisen und Würmer; über ein Kurzes werde auch ich es sein! Es ist ja ums Endlose besser, nicht sein, als sich von Gott bei der Nase herumführen zu lassen!

[3.59.26] Dank dir, mein Herz, für diesen Sinn; denn nun atme ich wieder freier! Ja, besser und süßer ist das Gefühl der Rache als eine dumme Frömmigkeit gegenüber einem Gott, dem es ein so Leichtes ist, ohne Grund mich zu trügen!

[3.59.27] Und so denn geschehe es! Ich will sterben und nicht mehr sein auf dieser Deiner Welt, Du ungetreuer Gott! Unwiderruflich! Amen.“

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