Am 13. Juni 1843
[3.56.1] Nach diesen Worten des weisen Mannes dachte der Lamech aber darüber nach, wie er es denn anstellen müsse, um zu bekommen das Herz aus der Höhe auf den niederen Altar herab.
[3.56.2] Denn er verstand noch nicht die Worte des Weisen und meinte bei sich im Ernst, er werde am Ende aufs Dach steigen müssen und vom selben allenfalls zulangen nach dem Herzen mit der Hand oder wohl gar, falls die Hand zu kurz sein sollte, mit einem auf einer verhältnismäßig langen Stange angebrachten Haken und es dann herabziehen, wie allenfalls einen Apfel vom Baum.
[3.56.3] Da aber der Weise solche Gedanken gar wohl merkte im Lamech, da sagte er zu ihm: „Aber höre, du Lamech, der du so ganz erschöpft warst von meiner Weisheit, und hast in meinen Mund sogar Gottes Zunge gelegt, und das eben nicht mit Unrecht, sage mir nun, wie es doch kommen mag, dass du meiner Worte Weisheit gar so ärgerlich aufgefasst haben konntest?
[3.56.4] Denn fürwahr, dümmer und materieller könnte das Geistige wohl kaum je aufgefasst worden sein!
[3.56.5] Meinst du denn, das strahlende Herz über dem Tempel ist im Ernst etwa dein Fleischherz?
[3.56.6] O siehe, das fleischliche Herz in deinem Leib können wir auf dem Altar hier durchaus nicht brauchen, und es ist dir zum naturmäßigen Leben überaus vonnöten; sondern nur das Herz deines Geistes, welches da ist die Liebe zu Gott in dir, können wir hier auf dem Altar brauchen!
[3.56.7] Dieses Herz aber lässt sich weder mit der fleischlichen Hand noch mit einer behakten Stange herabziehen, sondern allein nur mit der eigenen Kraft der Liebe, welche in ihm ist.
[3.56.8] Es ist aber das strahlende Herz über dem Tempel ja ohnehin nur eine Erscheinlichkeit, die bloß nur von der Sehe des Geistes erschaut werden kann, und besagt nichts anderes, als dass du einen endlos weit entfernten Gott liebst und Ihn suchst hinter allen Sternen; aber den dir allzeit nahen Gott magst du nicht erkennen und lieben!
[3.56.9] Es strahlt zwar dein Herz wohl von der reinen, stark entflammten Liebe zu Gott; aber du kannst aus solcher Liebe wenig oder gar keinen anderen lebendigen Nutzen ziehen als höchstens, dass du in dessen gebrochenem Licht in der sonstigen Nacht etwas besser siehst als sonsten in der gänzlichen Finsternis. Das ist aber dann schon auch alles, was du gewinnst.
[3.56.10] Es ist aber ja nur das Leben die Hauptsache, welches da ewig dauern soll, nicht aber das alleinige Licht des zeitlichen Lebens, welches Licht da mit seinem Leben vergeht.
[3.56.11] Darum muss das Herz des Geistes, oder deine Liebe zu Gott, dir am allernächsten stehen, das heißt, sie muss in dir sein. Du musst Gott in dir suchen, erkennen und dann über alles lieben, so wirst du das ewige Leben haben; denn siehe, Gott allein ist ja das Leben und hat es also und gibt eben das Leben!
[3.56.12] Wenn aber solches doch eine ewige Wahrheit ist, da sage mir dann, was dir ein endlos entfernter Gott oder ein endlos weit entferntes Leben nützen kann?
[3.56.13] Du musst das ewige Leben, welches da ist die ewige Liebe Gottes, ja nur in dir haben, so du leben willst, aber nicht hinter allen Sternen!
[3.56.14] Dabei aber ist noch gar wohl zu bemerken, dass dir der unendliche Gott nicht nützen kann, da du als ein endliches Wesen das eigentliche unendliche Wesen, Gott, durchaus ewig nie erfassen magst.
[3.56.15] Und darum hat Gott ja das menschliche Herz gemacht zur Wohnstätte für Sich, damit da niemand außer oder ohne Gott leben sollte.
[3.56.16] Siehe, die Sonne der Welt ist so ferne gestellt, dass sie ewig nie ein Mensch der Erde erreichen wird, und ist so groß gemacht, dass da gegenüber ihr diese Erde, die du bewohnst, kaum als ein faustgroßer Spielball für ihre Kinder geachtet werden könnte, von ihrem Gesichtspunkt betrachtet!
[3.56.17] Sage mir aber, was würde dir diese große Sonne nützen, wenn du sie auch erreichen könntest mit deiner Hand, dein Auge und dein Leib aber wäre nicht also geschaffen und eingerichtet, dass du möchtest im überaus verjüngten Maßstabe die ganze Sonne in dir völlig aufnehmen?! Siehe, da hättest du weder Wärme noch Licht aus ihr!
[3.56.18] Da aber von Gott dein Auge also gebaut ist, dass du die ganze Sonne übersehen kannst und somit in dir aufnehmen ihr ganzes lebendiges Bild, so kannst du dir auch völlig ihre Wärme und ihr Licht zinspflichtig machen, aber es erwärmt dich da nicht etwa die ferne Sonne, sondern die nur, die du trägst in dir!
[3.56.19] Also ist es auch der Fall umso mehr mit Gott, den du in Seiner Unendlichkeit unmöglich je erfassen kannst; ja Er ist also für dich so gut wie gar nicht vorhanden.
[3.56.20] Aber dieser unendliche Gott hat in dein geistig Herz Sein vollkommenes Ebenbild gelegt; dieses ist dein Leben und ist in dir.
[3.56.21] Deine mächtige Liebe zu Gott ist dieses dich belebende Ebenbild Gottes in dir; daher bleibe in dir, und hebe dieses Heiligtum nicht aus dir, sondern mache es fest in dir, so wirst du Gott haben stets wirkend in deiner sicher größten Nähe und wirst nicht nötig haben zu fragen: ‚Hinter welchem Stern wohnt Gott?‘, sondern du wirst erkennen in dir den eigenen heiligen Stern, hinter dem dein Gott wohnt und in dir schafft fortwährend – dir freilich noch unbewusst – das Leben.
[3.56.22] Also erwecke denn deine Liebe in dir zu einem dir nahen Gott, und dein Herz wird sich ohne Stange auf dem Altar befinden, und du wirst erkennen den nahen Gott und das Lob der gerechten Demut! Amen.“
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