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93. Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt – 18. Mai 1847 [Supplemente 1883]

  1. Diese Stelle des Evangeliums wird, wie nicht leichtlich eine andere, ganz grundfalsch bei nahe allen christlichen Religionskonfessionen verstanden, denn fast alle sind der Meinung und bei den Römischen sogar des auf allen Predigerkanzeln verkündeten Glaubens, dass bloß die wenigen Auserwählten in den Himmel kommen werden, alle anderen als die vielen Berufenen aber werden unfehlbar nach dem ebenso grundfalsch verstandenen jüngsten Gerichtstag schnurgerade in die Hölle, und zwar auf ewig verworfen werden.
  2. Damit aber dieser Satz des Evangeliums gründlich verstanden werden möge, so will Ich euch ihn in einem Bild dartun in der Art, wie er so ganz eigentlich im Geiste und in der Wahrheit verstanden werden solle. Und so vernehmt denn das Bild, welches also lautet:
  3. Es war im Morgenland ein großer, mächtiger und weiser König. Sein Reich war groß, und viele Völker beugten sich unter sein Zepter. Dieser König beschloss einmal bei sich, um seiner Untertanen mannigfache Fähigkeiten näher kennenzulernen, ein überaus großes Gastmahl zu geben, zu dem alle Hausväter mit ihren ältesten Söhnen und Töchtern zu erscheinen geladen wurden, auf dass der König die weisesten und geistreichsten Söhne aus den vielen Geladenen erwählte für seinen mannigfachen Hof- und Staatsdienst, und die Töchter, so sie wohlgestaltet und wohlgebildet wären, zu seinen Weibern und sonstigen Gesellschafterinnen.
  4. Da aber die Untertanen solche Einladung vernommen hatten, entsetzten sie sich heimlich, da sie meinten, das werde nur ein schlauer Vorwand des mächtigen Königs sein, um sie alle in die Residenz zu locken, und wenn sie dort wären, sie dann alle übel umzubringen, und also seine Augenweide zu haben am Blut seiner Untertanen. Daher ließ sich ein jeglicher entschuldigen, und es kam niemand von den Geladenen in den königlichen Palast.
  5. Als der König aber merkte, aus was für heimlichem Grunde die vielen Geladenen zu seinem großen Gastmahl sich nicht zu kommen getrauen, da sagte er zu den Einladern: „Was soll ich nun tun? Seht, das große Gastmahl ist bereitet, wer soll es verzehren? Ich sehe aber dennoch viele Neugierige auf den Gassen und Straßen und viele, die auf die Zäune steigen und dort warten und passen, um zu sehen, was ich mit den Geladenen und zum Gastmahl Kommenden etwa tun werde. Geht daher mit großer Macht hinaus an die Zäune, Gassen und Straßen, und wen immer ihr da trefft, den treibt herein, auf dass mein großes Mahl verzehrt werde! Seht dabei auch nicht auf die geziemende Bekleidung, ob hochzeitlich oder nicht, das ist nun gleich; denn nun handelt es sich vor allem um die Aufzehrung des Mahles, auf dass es nicht verderbe. Ist dieses geschehen, dann erst wollen wir untersuchen, was mein Gastmahl für Gäste hatte, und ob sie wohl alle würdig waren, an dieser meiner Tafel teilgenommen zu haben.“
  6. Als die vielen Diener von ihrem großen König solches Gebot erhalten hatten, da eilten sie zu allen Toren jählings hinaus und trieben alle, die sie trafen, aus Gassen, Straßen und Zäunen, zum Gastmahl des Königs, und darunter waren auch viele die geladen waren.
  7. Da diese Gäste aber die große Güte und Freundlichkeit des Königs merkten, da verging ihnen bald die große törichte Furcht, und sie wurden fröhlich, lobten und priesen dann über die Maßen die große Güte und Weisheit des Königs und konnten nicht begreifen, wie sie zu einer solch törichten Furcht vor ihm haben gelangen können.
  8. Als das Mahl aber verzehrt war, da ging der König unter diesen vielen Gästen gar freundlich herum und besprach sich mit den Vätern und mit den Jünglingen und besah wohl die Töchter; und wer ihm in seiner Art besonders gefiel, den wählte er aus der ganzen großen Gästegesellschaft für seinen Hofdienst und ließ jedem Gewählten sogleich königliche Gewänder antun. Das aber machte gar viele der Gäste traurig, darum, dass ihnen nicht auch solche Ehre widerfuhr.
  9. Der König aber wandte sich sobald zu den traurig Gewordenen und sagte zu ihnen: „Warum trauert ihr deshalb, dass ich einige aus euch und euren Kindern für meinen Hofstaat erwählt habe, darum, weil ich sie vermöge der an ihnen entdeckten Eigenschaften wohl gebrauchen kann; sind sie nicht eure Kinder? Warum also beneidet ihr trauernd sie um ihr Los? O seht, sie haben nichts denn eine größere und oft sehr verantwortliche Arbeit euch vor, in allem Übrigen sind sie nichts mehr und nichts weniger denn ihr, meine Freunde, so sie beachten mein Gesetz. Denn sie alle, die ich da gewählt habe, haben das gleiche Gesetz und die gleiche Freiheit wie ihr und können, so sie wollen, demselben zuwiderhandeln und in solcher Handlung ein entsprechendes Gericht finden gleichwie ihr. Mir, dem Herrn, aber steht es zu, das Gesetz für sie, wie für euch, so ihr weise seid, völlig aufzuheben, auf dass in meinem

ganzen großen Reich allenthalben eine große Freiheit herrsche sowohl an meinem Hofstaat als auch ganz besonders bei allen weisen Untertanen meines großen Reiches! Darum beruhigt euch ob der Erwählten; denn ich, euer Herr und König, bedarf auch vorzugsweise der Untertanen, derentwegen ich so ganz eigentlich diese Hofdiener erwählt habe.“

  1. Als die Gäste solches vom König vernommen hatten, da wurden sie überaus froh, und priesen die große Güte und Weisheit ihres Königs. Da aber die gar sehr vielen Gäste also jubelten, fand sich unter ihnen auch ein räudiges Schaf von einem Gast; indem — während alle anderen jubelten und frohlockten und dem großen König „Hosianna“ zuriefen — dieser anfing den König zu schelten und verfluchte solch eigenwillige gemeinste Herablassung des Königs zu seinem Volk.
  2. Diesen Einen aber ließ der König sobald ergreifen und ihn vor sich stellen. Als dieser einzige Schmäher vor dem König in garstigen Lumpen und Fetzen dastand, so fragte ihn der König erbittert: „Elender Schmäher und Verflucher meiner Güte und großen Liebe zu meinem Volk, wie kommst du in solch unwürdigstem Anzug in meine königlichen Gemächer? Weiß ich doch, dass du von jeher all meiner Güte und Weisheit widerstrebtest! Du wohl hast noch nie ein Hochzeitsgewand vor mir angetan. Darum ergreift ihn, ihr meine getreuen Diener, und werft ihn in den finstersten Kerker; allda soll er heulen und gewaltigst knirschen mit seinen Zähnen!“
  3. Seht, nur von diesem Einen ist die Rede, dass er in den Kerker geworfen ward, aber von den Geladenen nicht. Bei diesen wird nur ihre weltliche Dummheit und nicht ihre Bosheit gerügt; aber das eine räudige Schaf kommt hier als gerichtet vor. Darum lernt es nun durch dies Bild, was da ist der rechte innere Sinn dieses oben angeführten Schrifttextes und haltet darum nicht nur die Auserwählten, sondern auch die Berufenen für Meines Reiches würdig und wert. Amen. Amen. Amen!

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