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25. Der Ton – die lebende Seele des Wortes – 18. Mai 1841, Vormittag

O Herr, Mein Gott und Vater, der Du voll Liebe, Erbarmung, Langmut, Sanftmut und Freigebigkeit bist und lässt niemanden vergebens bitten um etwas, der nur eines ein wenig treuen und traulichen Herzens ist – siehe, Dir hat es gefallen, mir die Musik zu geben und mich selbe von meiner Jugend auf erlernen zu lassen. Daher möchte ich nun gerne in einem verständlichen Wort von Dir erfahren, was fürs Erste die Musik im Grunde sei, und fürs Zweite: Sollte man diese mir gar so überaus herrlich vorkommende Kunst auch, wenn man Gelegenheit hat, mit allem Fleiß erlernen? Und endlich, welchen Nutzen fürs Leben gewährt sie? O Herr! sei mir armem Sünder gnädig und barmherzig und nehme auf und erhöre meine Bittfrage gnädigst und erquicke meine Seele mit einem Wort voll Lebens und Liebe aus Dir! Amen; Dein allzeit heiliger Wille. Amen.

  1. Nun, so schreibe und schreibe und schreibe. Der Liebe innerstes Wort, das ihr Musik nennt, schreibe die Tiefe der Tiefen, schreibe die Macht der Mächte, die Kraft der Kräfte! Ich will dir geben ein Wort der Liebe, doch in einem hohen Lied nur; denn zu hoch und erhaben ist’s, danach du fragst. Ich gebe es dir, und dann begreife wohl, was du empfängst! Und nun schreibe und schreibe und schreibe ein hohes Lied, welches also laute:
  2. Es wohnt in den heiligen ewigen Tiefen der Liebe verborgen / ein nie noch im Grunde von Engeln und Menschen geahneter Morgen. / Ihr nennt es gar töricht „Musik“, was als innerstes Wort sich bekundet! / Was soll denn dies schaleste Wort, das den grundlosen Toren nur mundet? / Soll lehren es dich zu begreifen ein Wunder der Tiefe der Liebe? / Willst Großes du fassen, da fasse der Liebe allinnerste Triebe.
  3. Der Ton ist die lebende Seele des Wortes, selbst Leben und Wesen; / was wäre ein Wort ohne Ton? Könnt’s Gedanken des Herzens dir lösen? / Der Buchstab’ ist nur ein verkrüppelter Ton ohne Klang und Bedeutung. / Du kannst mit dem Zeichen wohl schreiben das Wort nach der inneren Leitung, / doch nimmer die Tiere von ihrem betäubenden Schlafe erwecken; / denn solches kann nur der belebende Ton allzeit sicher erzwecken.
  4. Das innerste heilige Wort ist nur Ton ohne züngliche Trübung. / Dies heilige Wort magst du finden in rohesten Dingen ohn Übung / in allen Metallen und festeren Steinen und Wasser und Erden, / in Tieren und Pflanzen, in allen luftigen sumsenden Herden. / Ich sage dir, horche und lausche mit offenen Herzen und Ohren, / und du wirst bald merken, dass ohne den Ton wird kein Wesen geboren.
  5. Und so wohnt im Tone auch einer ganz leise nur sumsenden Fliege / ein Grund, eine Tiefe, du möchtst sie nicht fassen! Das Kind in der Wiege, / fürwahr kannst Mir glauben, es sagt mit seinem eintönigen Weinen / unendlichmal Höh’res denn Salomo und all die Weisen und Reinen. / Und so auch ein raschelndes Laub und die sprudelnde muntere Quelle, / sie birgt in dem plätschernden Tone des Lebens gar heil’ge Juwele!
  6. Nun denke ein wenig im Herzen doch nach und begreife und fühle, / was alles die Harmonie reiner gebildeter Töne verhülle, / besonders wenn sie aus den Herzen der Frommen gar reinlich entschweben; / Ich sag dir, aus ehernen Saiten entwinden sich zahllose Leben, / in den Oratorien und Symphonien und andren Gesängen / sich Leben an Leben, wie Woge an Woge, gar herrlich durchdrängen.
  7. Möchtst du wohl den Nutzen harmonisch gebildeter Töne erfahren, / da frage dich selbst nach dem Nutzen des Lebens, und du wirst gewahren / und finden, dass nichts da wohl wichtiger sei als ein seliges Leben. / Was außer dem Tone der Liebe kann solches im Himmel dir geben; / Musik ist die innerste Sprache der Himmel, der seligsten Reinen. / Fürwahr, die da feinden die hehre Musik, die rechne Ich nicht zu den Meinen.
  8. Die Trägen und Feinde und die sie wählen zu niedrigsten Zwecken, / die werd Ich zum inneren Leben des Geistes wohl schwerlich erwecken; / doch welche die Herrliche achten und lieben in wonniger Freude / aus Mir und zu Mir, und sie hätten auch manches auf schuldiger Kreide / bei Mir – wahrlich! Ich werde sie richten nach ihren empfundenen Tönen. / Daher mögt die Kindlein ihr zeitlich und fleißig an solche gewöhnen!
  9. Aus diesem hohen Lied dürfte deine Frage wohl gelöst sein, wenn du es recht erwägst. Denke, dass der unartikulierte Ton nichts ist und sein kann als das allerreinste geistige Wort im höchsten himmlischen Sinne, so wird dir nach und nach die sogenannte Musik in ihrer inneren Wesenheit immer klarer und herrlicher werden. Rate das auch deinen Freunden und Freundinnen, und es wird für sie von großem Nutzen sein, Amen. Das sage Ich, der ewige Grundton aller unendlichen Töne, Amen, Amen, Amen.

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