Es war ein Hausherr, der hatte einen großen Garten, darin viele und verschiedene Obstbäume standen. Unter diesen waren einige, die ein frühreifes Obst trugen, andere wieder trugen ein etwas später reifendes und wieder andere trugen ein noch späteres. Und endlich waren auch Bäume da, die ihre Frucht nur sehr spät zur mäßigen Reife brachten, und diese musste darum den halben Winter abliegen, bis die genießbar war.
Dieser Hausherr hatte aber auch viele Diener und mehrere Kinder. Die Kinder und die Diener aber hielt er gleich und sandte sie fleißig in den großen Garten, zu warten die Bäume und zu sehen, wie die Früchte stehen und ob sich hie und da etwas Reifes zeige.
Die Kinder und Diener erfüllten genau des Hausvaters Willen. Und als sie auf den Frühbäumen etliches reife Obst entdeckten, da rannten sie eilends und voll Freude zum Hausvater und zeigten ihm solches an.
Da ging der Hausvater hinaus und besah die etlichen, schon sehr früh reif gewordenen Früchte der Frühbäume und gebot den Dienern, sie herabzunehmen und sie den Kindern, die sich schon sehr darauf freuten, zu geben.
Und die Diener taten nach dem Wort des Hausvaters. Als aber die Kinder dieses Erstlingsobst der Frühbäume verkosteten, da machten sie ganz saure und wässerige Gesichter und sprachen zum Vater: „Wahrlich, mit dieser Frucht ist unsere Mühe nicht belohnt! Das Obst sieht wohl recht herrlich und schön aus, aber hier trügt der Schein.“
Und der Hausvater sprach: „So lasst dieses Obst und wartet noch einige Tage, bis die Glut der Sonne es mehr würzen wird! Dann wird es schon wohlschmeckender sein. Denn wir wissen es ja schon seit lange her, dass allenthalben die Erstlinge nicht viel heißen.“
Und Diener und Kinder gaben sich mit diesem Bescheid zufrieden und verließen mit dem Hausvater den Garten. Nach einigen Tagen aber kehrten sie wieder in den Garten zurück und fanden schon eine Menge wohlreifes Frühobst und gingen und zeigten solches dem Hausvater an. Und dieser ging sogleich mit ihnen hinaus in den Garten, besah das Obst und sprach zu den Dienern: „Nun geht und holt allerlei Körbe ob der verschiedenen Gattungen, dass sie nicht vermengt werden! Und löst alles Vollreife herab, auf dass wir dann eine rechte Mahlzeit halten!“
Und die Diener taten, wie es ihnen der Hausvater geboten hatte. Als das Obst nun gelöst und im Haus auf den großen Tisch gesetzt war, da segnete es der Hausvater. Und Kinder und Diener setzten sich an denselben Tisch und nahmen die Früchte und aßen dieselben mit großer Lust – und wurden gesättigt.
Als sie aber satt waren, dankten sie dem Vater und sprachen: „Vater! Nun hat das Obst wohl einen viel besseren Geschmack. Aber siehe, nun ist auf einmal so viel da, dass sich ob der Menge und dadurch bewirkten Übersättigung der gute Wohlgeschmack am Ende verliert! Wäre es denn nicht besser, so die Erstlinge so wohlschmeckend wären, wie nun dieses vollreife Obst? Welche Erquickung würden sie gewähren!“
Der Hausvater aber sprach: „Ihr habt recht! Aber wisst, was da zu tun ist? Seht, fürs Erste: eine rechte Mäßigkeit! Und fürs Zweite: eine rechte Geduld! Früchte nie früher von den Bäumen nehmen, als so sie vollreif sind, und dann nur so viel, als es ein einmaliges Bedürfnis erheischt! Darum wollen wir bei der zweiten Fruchtgattung diese Regel beachten, und es wird euch dann alles sehr wohl schmecken.“
Und siehe, es kam die Reife der zweiten Obstgattung, und es wurde des Hausvaters Regel beachtet. Und alles Obst schmeckte den Kindern und Dienern wohl! Der gleiche Fall war es mit der dritten Gattung.
Als aber die späteste Gattung zur Reife gelangte, da sprachen die Kinder und Diener zum Hausvater: „Siehe, die Tage werden kalt, und die letzte Frucht hängt wohl sehr reichlich an den Bäumen, sieht gut aus, aber so man sie verkostet, da zieht ihre Säure den Mund zusammen, so dass man alle Lust verliert, sich an ein zweites Obststück zu machen. Was aber sollen wir da tun?“
Und der Hausherr sprach: „Also ist der Zeitenlauf vollendet! Ich weiß wohl, dass diese letzte und späteste Gattung nicht zur Vollreife gelangen konnte auf dem Baum, da das Licht und die Wärme schon so sehr abgenommen haben und die Nächte lang und die Tage kurz und kalt geworden sind. Dennoch aber wollen wir die nicht zur Vollreife gekommenen Früchte nicht auf den Bäumen zur Beute des alles tötenden Winters werden lassen, sondern geht und holt mir allerlei Gefäße für die verschiedenen Gattungen und löst mir dieses Spätobst mit vierfacher Behutsamkeit von den Bäumen! Dieses Obst wollen wir in erwärmten Gemächern abliegen lassen, und dann soll es besser werden als alle die früheren Gattungen, die durch des Sommers Glut schon auf den Bäumen die Vollreife erlangt haben.“
Und Kinder und Diener taten, wie es ihnen der Hausvater geboten. Und siehe, also war es gut, und der Winter fand, als er kam, nichts als Laub an den Bäumen, aber eine Frucht fand er nimmer, dass er sie tötete!
Und so war am Ende dennoch alles gut. Und Kinder und Diener lobten gleich des Hausvaters Weisheit und Güte.
Was diese kleine Geschichte etwa doch für einen Sinn hat – darüber denkt in euerem Herzen nach, auf dass ihr auch aus dem Bild der Natur es lernt, wie die Geheimnisse Gottes bestellt sind.
Seid jedoch nicht zu eilfertig mit euerer Auffassung! Denn auf einen Hieb fällt kein Baum von Bedeutung! Nach einiger Zeit will Ich euch dazu die Enthüllung geben. Amen.
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