Am 28. Mai 1842
[13.1] Was lehren und predigen die Berge denn noch?
[13.2] Die Berge führen noch solche Worte zu den sie beachtenden Menschen, aus welchen ein jeder nur einigermaßen geistig geweckte Mensch gar leicht entnehmen kann, wie es da noch steht um sein Gemüt.
[13.3] Demnach sind die Berge ein wahrer geistiger Spiegel für jene, welche sich darin beschauen wollen.
[13.4] Wie denn aber solches?
[13.5] Ihr habt bei schon manchen Gelegenheiten erfahren, dass für den geistig geweckten Menschen jede Erscheinung in der Natur irgendeine Bedeutung hat, und namentlich habt ihr solches vernommen bei jenen Gelegenheiten, bei denen euch ebenfalls einige Berge sind enthüllt worden.
[13.6] Demnach darf der geistig gewecktere Mensch nur einen flüchtigen Blick auf einen ihm benachbarten Berg werfen und allda ersehen, wie gestaltet er beleuchtet ist, ob er vollkommen rein oder mehr von einem bläulichen Dunst umfangen ist und welche Teile des Berges mehr oder weniger umdunstet sind, oder ob er sogar erschaut irgend Nebel um den Berg, entweder in der Tiefe, dessen Mitte oder auf dessen Scheitel, oder ob sich über dessen Scheitel Wolken befinden, und von welcher Art und Gattung diese Wolken sind.
[13.7] Ferner darf es einem solchen Beobachter nicht entgehen, welche Gefühle sich seiner bemächtigt haben beim Anblick eines vor ihm stehenden Berges, ob sie ihn in eine angenehme oder mehr wehmütige Stimmung versetzt haben, oder ob er dabei eine große Begierde empfunden hat, diesen Berg baldmöglichst zu besteigen, oder ob er ein diesem Gefühl gerade entgegengesetztes in sich gewahrte, welches gewisserart mit einem sogenannten viel mehr empfundenen Unmöglichkeitsgefühl gleichlautend ist. Also auch – was freilich wohl nur einem geweckteren Gefühl eigen ist –, ob er bei dem Anblick eines Berges ein heiteres Morgengefühl, oder ein zwar auch heiteres, aber doch mehr ermüdendes Mittagsgefühl, oder ein schläfriges Abendgefühl, oder ein ödes, dumpfes Mitternachtsgefühl in sich verspürte, und wie lange sich dasselbe, das ganze Gemüt beherrschend, aufrechterhielt.
[13.8] Seht, alle diese hier angeführten Punkte sind wohl zu beachten; denn alle diese Erscheinungen und Empfindungen entsprechen allzeit auf ein Haar dem inwendigen Zustand des Menschen. Nur ist dabei zu bemerken, dass da die Empfindungen mit den Erscheinungen übereinstimmen müssen, denn die Erscheinungen für sich geben noch kein vollgültiges Zeugnis. Wenn aber das Gefühl harmoniert mit der Erscheinung, da verkündet der Berg dem Menschen genau, wie es mit ihm steht.
[13.9] So zum Beispiel: Ginge da jemand am Morgen aus und möchte da erblicken einen zwar ganz reinen Berg, dieser Berg aber erhöbe mitnichten sein Gefühl, sondern erfüllte es nur mit einer heimlichen Bangigkeit – in diesem Fall wäre die Erscheinung mit dem Gefühl unharmonisch; der Berg aber bliebe dem Beschauer dessen ungeachtet ein getreuer Spiegel. Wie denn aber?
[13.10] Seht, sobald die geistige Reinheit des Berges abstößt das Gemüt des Beschauers, so sagt der Berg dem Beschauer: „Mit welch unreinem Gemüt beschaust du mich! Daher reinige dich, damit du in dir erhoben wirst über dein Weltsinnliches, wie ich emporrage über den Schlamm der Tiefen, in dem nichts denn elendes Gewürm, Frösche, Kröten und Schlangen wohnen!“
[13.11] In diesem Fall ersieht der Beobachter im Spiegel des Berges sein Bild, wie er sein soll – aber nicht ist.
[13.12] Ein anderer unharmonischer Fall wäre dieser, dass ein Mensch ebenfalls ausginge, entweder am Morgen oder zu einer anderen Tageszeit, möchte aber da erschauen einen ganz umdüsterten Berg, hätte aber dabei ein vollkommen heiteres und fröhliches Morgengefühl. Was hätte denn der Beschauer bei dieser Gelegenheit von dem umdüsterten Berg zu entnehmen?
[13.13] Wir wollen bei dieser Gelegenheit den Berg selbst einige Worte von sich geben lassen, welche also lauten dürften: „Sieh mich an, du fröhlicher Wanderer, im heiteren Morgen deines Gefühls! Du warst ehedem, wie du mich nun erschaust, und warst düster und traurig, und eine erstickende Nacht drohte dich zu verschlingen; und wie nun um mein ganzes Wesen, also umlagerten auch dich schwüle und schwere Wolken. Du wusstest nicht, was sie über dich ausbrüten werden. Es kamen gar bald gewaltige Stürme über dich hergezogen und so mancher Blitz traf dich aus deiner Wolkenmasse. Du aber verzagtest nicht, hattest mich zum Vorbild in deiner Seele und standest da gleich mir: ein hoher Fels, unerschrocken und Trotz bietend solcher Versuchung. Siehe, die Stürme, die dich zu vernichten drohten, umwandelten sich gar bald in rettende Engel und befreiten dich von der großen Last deiner Nacht. Somit, kleiner Freund im Tal da unten, der du mich nun heiteren Gemütes betrachtest, da ich begraben bin in der Wolken Nacht und Stürme um meine Stirn wehen, als wollten sie mich vernichten, beachte wohl dieses Bild vor dir; denn nur dadurch wirst du im beständigen Morgen deines Gefühls verbleiben, wenn du dir oft genug das Bild vor die Augen stellst, wie es einst um dich aussah, da du mir in diesem meinem Zustand glichst.
[13.14] Siehe, dieser Sturm wird mich nicht vernichten und du wirst mich gar bald wieder dir gleich erblicken; wohl dir, wenn du mich in meiner Reinheit mit demselben Gefühl noch ansehen wirst können, mit dem du mich nun ansiehst, da ich dir zeige, wie du dereinst warst!“
[13.15] Seht, welch eine gute und nützliche Lehre selbst so ein umwölkter Berg einem reinen Gemüt gibt, indem er es zur wahren Demut leitet und der Betrachter sich dann selbst sagen kann: „O Berg, wie oftmals warst du schon also umwölkt und wie oftmals wieder rein; lasse mich daher stets erinnert sein, dass ein gereinigtes Gemüt, solange es frei dasteht, auch gleich dir wieder kann umwölkt werden. Damit aber solches so viel als möglich unterbleiben müsse, soll mich allzeit dein umwölkter Zustand daran erinnern und zugleich mit Donnerworten zurufen: „Siehe, wie traurig es ist, wieder in die vorige Nacht zurückzusinken, und wie schwer, solche Wolken zu tragen, die da gefüllt sind mit zahllosen Blitzen, welche nicht fragen: ‚Wohin sollen wir schlagen?‘, sondern sie schlagen, wohin sie treffen, und zerschmettern und zerstören da, was sie treffen!“
[13.16] Seht, das sind die zwei Kulminationspunkte der unharmonischen Verhältnisse zwischen den Erscheinungen und den Empfindungen.
[13.17] Demnach können zwischen diesen zwei Extremen noch eine Menge größerer oder kleinerer Gattungen von unharmonischen Erscheinungen vorkommen, welche aber diesen zweien zufolge alle leicht erkannt werden können, weil sie sich nicht mehr über das Ganze, sondern nur über einzelne Teile erstrecken.
[13.18] Das Schwerste ist, die Totalerscheinung zu beurteilen; diese aber ist bereits erläutert. Demnach ist jedes Einzelne ja leicht zu erkennen, geradeso, als so jemand eine allgemeine Rechnungsformel kennt, so kann er dann ja zufolge dieser Formel jeden sonderheitlichen Fall gar leicht entziffern.
[13.19] Was aber die harmonischen Erscheinungen betrifft, so bedürfen diese keiner weiteren Erklärung. Denn wo ein heiteres Gemüt einen heiteren Berg erblickt, da wird es noch um desto heiterer und sehnt sich hinauf auf die reine Höhe. Wo aber ein umdüstertes Gemüt einen schauerlich umdüsterten Berg erblickt, da wird es noch um desto düsterer und ruft schon heimlich im Geiste aus: „Berg, falle über mich her und bedecke ganz und gar meine furchtbare Nacht!“ Ein solcher Mensch sehnt sich sicher nicht nach der Höhe dieses Berges.
[13.20] So aber jemand ausgeht mit einem heiteren Gemüt und ein umdüsterter Berg verstimmt es ihm, so ist eine solche Verstimmung als nichts anderes anzusehen als eine Erweckung des eigentlichen Zustandes, in welchem sich das Gemüt verborgenermaßen noch befindet – oder der Berg zeigt es dem Menschen an, was alles noch in ihm steckt.
[13.21] Das sind ebenfalls die Universalmomente der harmonischen Verhältnisse, nach welchen sich ebenfalls jeder unbedeutende sonderheitliche Fall erkennen und bestimmen lässt.
[13.22] Dass natürlicherweise die höheren Berge und namentlich die Gletscher, wie unser Großglockner es ist, solches mit einer noch bei Weitem größeren Bestimmtheit an sich beobachten lassen denn andere, weniger hohe Berge, versteht sich schon ohnehin von sich selbst, so jemand nur ein wenig in Erwägung zieht, wie stets ausgedehnter die Bestimmung eines Berges wird, je höher er seinen Scheitel über die gewöhnliche Habsuchtstiefe des Erdbodens erhebt.
[13.23] Dass ferner die Berge erst auf ihren reineren Triften bedeutungsvoll werden, kann jeder auch leicht aus dem Ganzen entnehmen, weil je reiner die Berge werden, desto geistiger es auch auf ihnen wird – aus dem Grund sie auch auf jedes Gemüt schon an und für sich einen größeren Eindruck machen als geringere Erhöhungen.
[13.24] So ihr aber noch bestimmter erschauen wollt, in welcher Region und mitunter auch, welche Berge da am wirksamsten sind (nämlich die Berge selbst), so dürft ihr nur den ziemlich gelungenen Zeichnungen des Knechtes ein aufmerksames Auge schenken. Aus denen werdet ihr gar bald diejenigen Punkte zuunterst der Zeichnung erschauen, wo die Berge anfangen wirksam zu sein, und auch, welche Berge am meisten wirken.
[13.25] Wollt ihr solches erkennen, da fragt nur nach aufmerksamer Betrachtung eines jeden Stückes, wie dasselbe das Gefühl anregte, und ihr werdet daraus bald erkennen, wo sich die größere Wirkung äußert. Denn das Bild ist ebenfalls eine Entsprechung zum Gegenstand, von dem es ein Abbild ist, und kann auch im Geiste belebt werden zur nahe völligen Wirklichkeit; nur muss natürlicherweise ein Abbild mit desto größerer Aufmerksamkeit betrachtet werden, damit es sich dadurch im Gefühl verwirklicht. Ist solches bei jemandem gewahrsam erfolgt, dann mag er auch so manche nützliche Lehre von einer solchen Betrachtung ziehen.
[13.26] Dass natürlicherweise ein solcher Berg in seiner eigentümlichen Natur um vieles wirksamer ist, und zwar sogleich auf den ersten Anblick, solches bedarf keiner weiteren Erörterung, sondern eines jedweden eigene Erfahrung lehrt ihn ja dasselbe; und so hätten wir nicht nur den Großglockner in allen seinen Teilen und Wirkungen dargestellt, sondern was da gegeben ist, ist der Ordnung nach von allen Bergen zu verstehen, wie es demzufolge zu verstehen ist für jedermann.
[13.27] Vorzugsweise aber sollen darunter dennoch die entsprechenden Berge im menschlichen Herzen verstanden sein, welche da diesen wirklichen entgegengehalten werden sollen, damit im Herzen dann ebenfalls eine solche nützliche Fernwirkung entstehen möchte, wie sie da entsteht und fortwährend besteht auf diesem euch nun bekannt gegebenen Berg.
[13.28] Solches beachtet demnach wohl, und prüft euch danach, und tut danach, so wird der wahre innere Segen der Berge über euch ebenfalls also ausgegossen werden, wie da die Berge ihren euch bekannten Segen ausgießen über alles Land; und solches ist wahr, richtig und getreu. Wie Ich Selbst aber vorzüglich gern auf den Bergen war und sättigte da so viele Hungrige mit wenigen Broten und zeigte Mich verklärt auf einem Berg und fuhr von einem Berg auf in Mein Reich – also sage Ich euch auch dieses von den Bergen und eröffne euch dadurch eine große Pforte in das Reich des ewigen Lebens!
[13.29] Bedenkt, dass Ich, der Urheber und Erschaffer der Berge, Mich nicht umsonst gern auf den Bergen aufhielt und nicht ohne große lebendige Bedeutung zum letzten Mal betete auf einem Berg; daher folget Mir in allem nach, so werdet ihr das Ziel, das Ich Selbst bin, schwerlich je verfehlen.
[13.30] Solches sage Ich, der Ich einst vom Berge den Himmel ausgeteilt habe. Dies ist auch ein Teil des Himmels; nehmet ihn als einen großen Segen von Mir, und werdet lebendig im Geiste ewig! Amen!
Kein Kommentar bisher