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12. Geschichte vom frommen Beter in den Bergen. Wie man sich Gott vorzustellen hat

Am 27. Mai 1842

[12.1] Was predigen und lehren die Berge denn noch?

[12.2] Auch solches wollen wir wieder in einer einfachen und kurzen Geschichte vernehmen. Und so hört denn:

[12.3] Ein recht frommer Mann ging einst schon lange mit dem Gedanken um, ob es denn durchaus nicht möglich wäre, sich auf einen Augenblick nur auf der Welt der großen Gnade teilhaftig zu machen, dass er Mich — nur auf einen Augenblick — zu sehen bekäme. Dabei dachte er sich aber auch, was alles er darum tun wolle, um zu dieser Gnade zu gelangen.

[12.4] Bei diesem Gedanken schweifte er lange Zeit umher gleich einem Jäger um einen dichten Forst, wo er nicht weiß, wie er in denselben eingehen soll und in welchem Teil desselben sich ein Wild befindet. Er suchte somit auch die Fährte; allein solche ist da schwer zu finden, wo alles dicht mit allerlei Gebüsch verwachsen ist.

[12.5] Unser alter frommer Mann war zwar wohl bei sich dessen bewusst, dass der Mensch in diesem Leibesleben unwürdig ist solcher Gnade und es daher schwer halten möchte, das zu erreichen, wonach er sich sehnte.

[12.6] Aber auf der anderen Seite war seine Begierde wieder zu mächtig, als dass sie dieser Einwendung hätte Gehör geben können.

[12.7] Daher beschloss er auch nach langem Herumirren seiner Gedanken, sich auf einem benachbarten ziemlich hohen Berg eine Stätte auszusuchen und dahin so oft zu wandeln und sich daselbst in anhaltendem Gebet zu versammeln, sooft es nur immer seine Zeit und andere Umstände gestatten möchten.

[12.8] Damit er sich aber die Stelle wohl merken konnte, so machte er ein Kreuz und befestigte dasselbe auf dieser Stelle. Als nun solche Arbeit vollzogen war, so gelobte er Mir feierlichst, dass er auf diesem Platz nicht eher zu seufzen und zu beten aufhören will, als bis Ich ihn erhören werde. Ja er sagte sogar, er will hier entweder sterben oder Mich zu Gesicht bekommen und will nicht eher weichen von dieser Stelle, als bis Ich Mich ihm zeigen würde.

[12.9] Wie beschlossen und vorbereitet, also auch getan.

[12.10] Bei drei Jahre lang verfügte sich unser Mann, sooft es nur immer die Umstände zuließen, an diese Stelle und betete da allerinbrünstigst oft viele Stunden lang zu Mir um die Erhörung seiner Bitte. Sooft er sich da in dieser Angelegenheit befand, da war er auch allzeit unsichtbarerweise umringt weit und breit von vielen Tausenden frommer Geister. Diese stärkten ihn nach Meinem Willen so sehr, dass er sich nach Verlauf von anderthalb Jahren schon vollkommen der inneren Sehe des Geistes bedienen konnte, und so war es ihm auch ein Leichtes, sich daselbst mit gar vielen ihm verwandten Geistern zu besprechen über das, was ihm so außerordentlich am Herzen lag.

[12.11] Die guten Geister belehrten ihn zwar einstimmig, dass sein Vorhaben im eigentlichen, wahren, Gott wohlgefälligen Sinne etwas töricht ist, und sagten ihm noch hinzu, dass ja das schon ohnehin eine große Gnade ist für ihn, dass Ich ihm eröffnet habe das Auge des Geistes, damit er da allzeit sehen kann sie, seine geistigen Brüder, und kann sich mit ihnen besprechen über allerlei, was da ist und sein wird und kommen wird über den Erdboden. Allein solche Lehre vonseiten der guten Geister fruchtete bei ihm in dieser Hinsicht wenig; denn er entgegnete ihnen allzeit darauf, sagend nämlich: „Meine lieben Brüder und reineren geliebten Freunde meines und eures Herrn! Ich kann euch einmal und für allemal nichts anderes sagen, als was ich euch schon öfters gesagt habe; solches aber ist und lautet, wie ihr wisst:

[12.12] Wenn ich nur Ihn zu sehen bekomme und Ihn habe, dann ist mir die ganze Welt mit dem ganzen Himmel um einen schlechten Pfennig feil! Und so mögt ihr reden, was ihr und wie ihr nur immer wollt, so werdet ihr mich dennoch ewig nicht von meinem Vorhaben abbringen; denn ich will und ich muss Ihn sehen, Ihn, den allein ich nur über alles liebe! Denn Er ist mir alles; alles andere aber ist mir nichts!“

[12.13] Sooft aber diese guten Geister von unserem Mann solche Sprache vernahmen, da schlugen sie sich auf die Brust und lobten ihn seiner großen Liebe zu Mir wegen. Und also war ihre Arbeit vergebens. Da sie aber solches merkten, da hielten sie sich eine Zeit lang bei seinen Besuchen dieser Stelle also ferne von ihm, dass er da niemand weiter zu sehen bekam und auch nichts anderes, denn was seine fleischlichen Augen sahen.

[12.14] Er war dadurch der Meinung, als könnte ein solches Verlangen denn doch sündhaft sein, da ihn die Geister also verließen, und so dachte er wieder eines Tages lange hin und her, was er da tun soll. Soll er entweder der Belehrung der Geister folgen, oder soll er dem getreu bleiben, wozu ihn sein Gefühl so mächtig antreibt?

[12.15] Endlich siegte aber dennoch das Gefühl über alle Geister; denn er sagte bei sich selbst: „Es sei denn, wie es wolle. Dass ich vor Gott ein Sünder bin, das zeigt mir ja mein eigener Leib; denn wäre ich kein Sünder, so hätte ich auch sicher nicht dieses sündige Zeugnis des Todes um mich. Ich aber bin ein Sünder, solange ich diesen Leib herumtrage. Aber was kann der Sünder denn dafür, wenn in seinem Leib der Geist entzündet wird von der heißen Sehnsucht, zu schauen Den, Der ihn erschuf fürs ewige Leben? Und so will ich denn meinem ersten Vorsatz getreu bleiben, und möge da kommen, was da wolle: Meine Liebe zu Gott soll dennoch nicht geschwächt werden; eher will ich mich zu Tode lieben, als von dieser Liebe nur ein Haarbreit weichen.“

[12.16] Diesem Beschluss zufolge ging unser Alter wieder fleißig an die besagte Stelle und betete noch viel inbrünstiger denn zuvor.

[12.17] Als unter solchen Gebeten auf diesem Berg nahe drei Jahre vergingen, da kam zu unserem Mann ein anderer gut aussehender, aber sonst ärmlicher Mensch und ließ sich mit unserem Beter in folgendes Gespräch ein.

[12.18] Er fragte ihn: „Lieber Mann, was tust du denn hier auf dieser Höhe?“ Und der Beter erwiderte ihm: „Mein guter Freund, wie du siehst, ich bete.“ Wieder sagte zu ihm der Fremde: „Weißt du denn nicht, dass man nur in den Bethäusern dem Herrn dienlich betet? Du aber scheinst dieselben zu vermeiden und verrichtest somit deine ganze Andacht nur auf diesem Berg?“ Darauf erwiderte ihm unser Beter: „Lieber Freund, das ist wohl wahr; dessen ungeachtet aber gehe ich doch auch, wenn das Wetter für diese Stelle ungünstig ist, in ein Bethaus. Doch muss ich dir offenbar bekennen, dass ich in einem Bethaus noch nie mit der wahren Andacht habe beten können, wohl aber auf dieser mir so ganz eigens heilig vorkommenden Höhe. Denn ich muss dir dazu noch offen bekennen: Wenn ich da um mich her blicke und schaue da das liebe Gras, die schönen Wälder, mit denen der Fuß dieses Berges so reichlich geziert ist, und über mir den weiten, freien Himmel an, da sagt mir mein inneres Gefühl: ‚Siehe, diese Verzierungen des großen Tempels Gottes sind Seiner allmächtigen Hand sicher näher als diejenigen Schnitzwerke, mit welchen ein gemauertes Bethaus geziert ist.‘ Nach solchen Gedanken bin ich denn vollkommen in meinem Element und begebe mich auf diese meine Höhe und bete da aus dem tiefsten Grunde meines Herzens.“

[12.19] Auf diese Äußerung sagte der Fremde: „Mein lieber Freund, in diesem Punkt bin ich mit dir vollkommen einverstanden; aber nur möchte ich von dir erfahren, aus welchem inneren, tieferen Grund du diese Stelle noch ausersehen hast für deine Andacht?“

[12.20] Bei dieser Frage stutzte unser Beter ein wenig, bedachte sich aber doch bald und erwiderte dem Fremden: „Siehe, mein lieber Freund, manche Menschen bitten um Gesundheit, manche um Vermögen, manche um dies und manche um jenes – allein um alles dieses bitte ich nicht; denn mir ist nur an einem alles gelegen, und dieses ist der Herr, mein Gott! Und Diesen möchte ich nur einmal sehen in diesem meinem irdischen Leben; denn für öfter weiß ich wohl, dass dieses Leben nicht geeignet ist. Habe ich dieses erreicht, so habe ich mehr erreicht, als was mir alle Erde und alle Himmel bieten können. Daher will ich auch eher sterben hier, als von diesem meinem Vorsatz nur um ein Haarbreit abweichen; und habe ich das erreicht, so will ich dafür auf dieser Stelle Gott danken und Ihn loben mein Leben lang.“

[12.21] Nach diesen Worten fragte ihn wieder der Fremde: „Wie stellst du dir denn Gott vor? Denn es könnte ja sein, dass Er zu dir käme, Sich dir zeigte und mit dir redete in einer oder der anderen Gestalt – wenn du Ihn aber nicht erkennst, da wäre ja all dein Beten umsonst, so es auch Gott, dein Herr, gar wohl erhört hätte.“

[12.22] Bei dieser Frage stutzte unser Beter noch mehr – und sagte endlich zum Fremden: „Mein lieber Freund, da hast du mir wirklich etwas sehr Wichtiges gesagt; denn siehe, über diesen Punkt haben sich meine Gedanken noch nie erstreckt, und ich muss dir nun gestehen, dass ich mir darüber eigentlich gar keine Vorstellung machen kann. Denn mein Begriff über das Wesen Gottes ist so verworren, dass ich noch bis auf diese Stunde nicht weiß, ob es da gibt einen Gott, der ungefähr also aussähe, wie ein großer Mensch, oder ob dieser Gott aus drei Menschen besteht, welche aber sich dessen ungeachtet fast also ausnehmen dürften, als hätten sie nur einen gemeinsamen Leib. Oder ist das Wesen Gottes ein unendliches Licht, in welchem diese drei göttlichen Personen schweben und wirken? Kurz und gut, lieber Freund, ich kann dir darüber fürwahr keinen vollgültigen Bescheid geben. Siehe, diese Ungewissheit war auch der meiste Grund, warum ich mir auf dieser Höhe diese Stelle ausgesucht habe; denn ich muss dir offen gestehen, ich möchte lieber nicht sein, als also sein, dass ich nicht zur Gewissheit dessen gelangen sollte, wie gestaltet da ist Derjenige, den ich über alles liebe.“

[12.23] Hier erwiderte der Fremde wieder unserem Beter und fragte ihn: „Hast du denn noch nie gelesen, was Christus einst von Sich aussagte, da die Apostel Ihn angingen, dass Er ihnen den Vater zeigen soll? Siehe, heißt es da nicht: ‚Ich und der Vater sind eines; denn wer Mich sieht, der sieht auch den Vater; denn der Vater ist in Mir und Ich im Vater?‘“

[12.24] Bei diesen Worten fing unser Beter ganz gewaltig an zu stutzen und er erinnerte sich sogleich der zwei nach Emmaus wandelnden Jünger und fragte darauf etwas furchtsam den Fremden: „Lieber Freund! Sage mir, ob du nicht irgendein Eremit oder sonst ein frommer und in der Heiligen Schrift wohlunterrichteter Mann bist; denn mit solchen Worten kommt sonst kein gewöhnlicher Mensch zum Vorschein.“

[12.25] Auf diese Frage gab der fremde Mann unserem Beter keine Antwort mehr, sondern ergriff ihn bei der Hand und hob ihn von der Erde und führte ihn dann auf die Vollhöhe des Berges. Hier erst öffnete Er wieder den Mund und sagte zu unserem Beter: „Bruder, siehe, um was du drei Jahre lang flehtest, steht jetzt vor dir. Siehe, Ich allein bin der Gott Himmels und der Erde, und außer Mir gibt es keinen mehr!

[12.26] Also bleibe Mir aber getreu in deinem Herzen, wenn du Mich auch fürder in deinem Leben nicht mehr sehen wirst. Wie du aber jetzt Meine süße Vaterstimme hörst, so sollst du sie auch stets hören, sowohl auf dieser Höhe, wie überall, wo du dich in Meinem Namen befinden wirst.

[12.27] Also aber hast du das ewige Leben gefunden, und dieses wird dir nimmerdar genommen werden. Wahrlich sage Ich dir, deine Seele wird nimmerdar den Tod schmecken ewig. Amen!“

[12.28] Nach diesen Worten verschwand sogleich der hohe Fremdling, und unser Beter weinte, lobte und pries den Herrn die ganze Nacht hindurch und besuchte diese Höhe hernach noch emsiger als vorher.

[12.29] Seht, auch solche wirklich wahren Tatsachen erzählen euch die Berge. Daher geht auch ihr gern auf die Berge oder betet wenigstens im Geiste auf den Bergen – welche sind ein reines Gemüt – zu Mir, so dürfte euch auch begegnen, was unserem frommen Beter begegnet ist.

[12.30] Was die Berge aber noch lehren, predigen und erzählen, wollen wir noch in der letzten Mitteilung vernehmen, und so lassen wir es für heute wieder gut sein.

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